Wissenschaft & Technik

Samstag, 10. Mai 2008

Raumfahrtpolitik in Deutschland - ein Stück Mentalitätsgeschichte

Auch wenn es "nur" um eine unbemannte Mission geht, und die erste bemannte Mondlandung schon fast 40 Jahren her ist - diese Meldung wäre wahrscheinlich noch vor wenigen Jahren als politischer Witz aufgefasst worden: Bundesregierung erwägt Mondlandung (netzeitung)
Eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag brachte es ans Licht: Die Bundesregierung beschäftigt sich derzeit mit der Frage, ob die Deutschen zukünftig zum Mond fliegen werden oder nicht.

Aus der Antwort auf die Anfrage geht hervor, dass die Bundesregierung einen Vorschlag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für eine deutsche Raumfahrtmission zum Mond prüft. Das Projekt soll dem DLR-Vorschlag zufolge Deutschland als künftige europäische Führungsnation und international als gefragten Partner ausweisen.
In Deutschland scheint eine technik-skeptische oder sogar technik-feindliche Mentalität weiter verbreitet zu sein, als in anderen hochentwickelten Industriestaaten. Es würde zu weit führen, auch nur die möglichen Gründe für diese Mentalität aufzulisten - ich halte nur fest, dass diese Mentalität hat anscheinend nur am Rande mit den von Technik ausgehenden Risiken zu tun hat. Zum Beispiel ist die Begeisterung für starke, schnelle Autos in Deutschland ziemlich ausgeprägt, ungeachtet der Umweltbelastung und der Energieverbrauchs. Interessant ist auch, dass es unter engagierten Gegnern der Kernenergie gleichermaßen Technikfreunde wie Technikskeptiker gibt - allerdings gibt es nur wenige engagierte "Atomkraftgegner", die sich überhaupt nicht für Technik und Naturwissenschaft interessieren. Ähnliches gilt z. B. für die Gentechnik

Ich denke, dass im Falle der Raumfahrt es gerade die technisch und naturwissenschaftlich Uninteressierten sind, die das skeptische Meinungsklima prägen. Echte Raumfahrtgegner gibt und gab es nur wenige - etwa jene "ökologischen Linken", die Raumfahrt in einem Atemzug mit Atomenergie, Genmanipulation und Chlorchemie als "Hochrisikotechnologie" sehen, die unbedingt abgeschafft gehört.

Wie dem auch sei - das Desinteresse in Politik und politischen Medien an der Raumfahrt erreichte in den 1970er Jahren einen Höhepunkt.
Die europäische Raumfahrtagentur ESA kann - trotz einiger politischen und organisatorischen Hakeleien als gelungenes Beispiel für internationale industrielle Zusammenarbeit gelten. ESA-Webportal.

Fast wäre die Esa-Gründung im Frühjahr 1975 an deutschem Widerstand gescheitert. Den französischen "Weltraumbahnhof" in Kourou wollte Forschungsminister Matthöfer (SPD) nicht mitfinanzieren. Letztlich gab Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 50 Millionen Mark frei. Schmidt hielt, als Ökonom und Pragmatiker, einen von den USA unabhängigen "Zugang zum All" für wichtig, bei Matthöfer und anderen Gegnern der "Ariane"-Entwicklung überwog die Angst, dass sich nach dem "Schnellen Brüter" ein weiteres "Milliardengrab" ohne absehbaren Nutzen auftuen könnte.

Einen Grund für die Skepsis Matthöfers, vieler andere Politiker und weiten Teilen der veröffentlichten Meinung war eine 1975 vorgelegte kritische Bestandsaufnahme zur bundesdeutschen Luft- und Raumfahrtpolitik, in Auftrag gegeben von der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Der Politik wurde Konzeptlosigkeit vorgehalten, da beispielsweise im Falle des
Spacelab "aus rein politischen Gründen" ein Projekt forciert wurde, "dessen Nutzen unklar ist und für das man im Augenblick nach Anwendung sucht".
Damit war das MKF 6, mit der die DDR tatsächlich weltweit führend war. Möglicherweise hängt der Rückzug der DDR von den bemannten Raumfahrt auch damit zusammenhing, dass die UdSSR dem Hersteller Karl-Zeiss-Jena kurzerhand den Export der MKF 6 verbat (angeblich, weil die MKF 6 auch zu Spionagezwecken eingesetzt werden konnte, in Wirklichkeit wohl als "Retourkutsche" zum Mikrochip-Lieferboykott der USA).
Im westlichen Medien wurde der Rummel um den ersten Deutschen im All mit Häme bedacht, besonders von den Springer-Blättern "Welt" und "Bild".
Das Klischee, Raumfahrt sei eine reine Prestigeangelegenheit, wurde jedenfalls deutlich bestärkt.

Anfang der 80er Jahre "entdeckte" auch die westdeutsche Politik und die Raumfahrt. "Vorzeigbare" Erfolge der europäischen (und damit immer auch: westdeutschen) Raumfahrt, wie das Spacelab, Nachrichten- und Wettersatelliten, Raumsonden und die erfolgreiche Trägerrakete Ariane sorgten dafür, dass die Raumfahrtlobby offene Gehörgänge fand. Allerdings fanden auch die Skeptiker neue Argumente - genannt sei die Millitarisierung des Weltalls und die "Challenger"-Katastrophe.

Als Ende der 1980er Jahre wichtige Entscheidungen zur Zukunft der westeuropäischen und damit auch der bundesdeutschen Raumfahrt anstanden, etwa über den "eigenen bemannten Zugang zum All", war eine raumfahrtpolitische Szenerie entstanden, die fast so polarisiert war wie die Kontroverse um die Atomkraft. Dabei setzte die Raumfahrtlobby vor allem auf emotionale Motive ("Aufbruch ins Weltall"), leider aber auch auf leicht widerlegbare Argumente ("die industrielle Produktion im Weltall steht unmittelbar bevor). Allerdings waren die Argumente der Gegner, etwa das, dass jede Form der Raumfahrt im Endeffekt Kriegsvorbereitung sei, oft auch nicht viel besser. Das Forschungsministerium geriet unter Rechtfertigungsdruck, weil die Medien Meldungen über Fehlplanungen und Kostenexplosionen immer wieder thematisierten.
Außerdem war nicht mehr zu übersehen, dass breite Kreise Wirtschaft und Wissenschaft der Bonner Raumfahrtpolitik skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, teils wegen der sich abzeichnenden Verteilungsprobleme, teils aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. Zum Beispiel entschied sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft 1990 gegen die bemannte Raumfahrt - mit dem klassischen Argument der Raumfahrtspektiker, sei sei zu teuer und würde kaum relevante Forschungsergebnisse liefern.

Nach 1990 versachlichte sich die Stimmung. Teils war das auf eine Reihe von Studien zurückzuführen, die unabhängig von ihrer teils
kritischen, teils verhalten positiven Einschätzung der anstehenden Raumfahrtprojekte eine seriöse Diskussiongrundlage lieferten. Ein andere Grund war der, dass mit dem postsowjetischen Russland ein weiterer Partner ins Spiel kam - die USA verloren damit an "Verhandlungsmacht". Der entscheidende Faktor war aber, dass auch der "Normalbürger" immer mehr von Raumfahrtanwendungen profitierte, und dass die Raumfahrt immer selbstverständlicher erschien
Hatte der Unfall des Space Shuttles "Challenger" 1976 noch Diskussionen über den Sinn der Raumfahrt ausgelöst, die weit über die eigentlich betroffene bemannte Raumfahrt hinausging, gab es keine vergleichbare Diskussionen nach dem Unfall der "Columbia" 2003. Ein "Ausstieg" auch aus der unbemannten Raumfahrt steht überhaupt nicht mehr zur Debatte und auch die Diskussion um die bemannte Raumfahrt ist sachlicher geworden.

Dadurch, dass auch China und Indien sich als "Raumfahrtmächte" präsentieren, und dadurch, dass neben die staatlichen Raumfahrtinstutionen auch private Raumfahrtunternehmen getreten sind, gewinnt die Raumfahrtpolitik auch bei uns an Bedeutung.
(Siehe auch mein Artikel: Prestigeobjekt "bemannte Raumfahrt"? - In Europa eher nicht!)

Donnerstag, 24. April 2008

"No Food for Oil"

Wahrscheinlich käme kein Mensch auf die Idee, ein Auto mit Speiseöl, Maisfladen oder Zucker antreiben zu wollen. Genau das geschieht im Grunde aber, wenn Rapsöl oder Palmöl als "Biodiesel" oder Äthanol als Mais oder Zuckerrohr als "Biosprit" verwendet werden. (Dass die derzeit in aller Munde befindliche Nahrungskrise nur am Rande mit "Biosprit" zu tun hat, aber sehr viel mit ökonomischen Faktoren wie der mangelnder Kaufkraft der armen Bevölkerungsmassen nicht nur in der "dritten Welt", sei an dieser Stelle einmal angemerkt. Rein von der landwirtschaftlichen Produktion her gesehen müsste kein Mensch hungern!)

Die Alternative "entweder Nahrung - oder nachwachsende Brennstoffe" stellt sich glücklicherweise auf mittlere Sicht nicht. Verfahren, Brennstoffe aus anderweitig nicht nutzbaren Pflanzenabfällen herzustellen, gibt es längst. Sie haben allerdings den Nachteil, dass die Technik erst einmal im industriellen Maßstab erprobt werden muss - und dass für den dann erfolgenden großtechnischen Einsatz erhebliche Investitionen vonnöten sind. Da aber "Biosprit" möglichst schnell eingesetzt und möglichst (kurzfristig!) rentabel hergestellt werden sollte, war der Griff zur "erprobten Technologie" folgerichtig. (Die bekannt unheilvolle Kombination aus dem politischen Wunsch nach kurzfristig sichtbaren Erfolgen - wenn möglich, noch vor den nächsten Wahlen - und einer auf kurzfristige Gewinnerwartungen getrimmten Betriebswirtschaft.)

Da stimmen solche Meldungen hoffnungsvoll - auch wenn eine Schwalbe (ein Investor) noch keinen Sommer macht.

Aus einer Pressemeldung der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt (Main):
Biosprit aus Butanol ist für Benzinmotoren ohne weitere Aufrüstung verträglich. Ein an der Universität Frankfurt entwickeltes Verfahren, das den Treibstoff aus Pflanzenabfällen gewinnt und daher nicht in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion steht, hat jetzt den ersten Investor gefunden.
Weiter: Biosprit ohne Nebenwirkung.

Sonntag, 20. April 2008

"Pack die Alge in den Tank"

"Biosprit" muss nicht zwangsläufig mit der Lebenmittelerzeugung konkurieren. Es ist z. B. möglich aus Pflanzenabfällen Treibstoff zu gewinnen. Eine andere Möglichkeit bieten Mikroalgen-Kulturen.

Mikroalgen sind, anders als z. B. Getreide oder Raps, hervorragend für die Energieerzeugung geeignet, weil ihre Photosynthese einen besonders hohen Wirkungsgrad hat. In einer Mikroalgen-Kultur betreiben alle Zellen in gleichem Maße Photosynthese. Bei höheren Pflanzen photosynthetisieren nur die grünen Blattzellen, nicht jedoch die Zellen, die Wurzeln oder Stämme bilden. Deshalb ist der Biomasseertrag von Algenkulturen zehnmal größer als der höherer Landpflanzen. Diese Biomasse kann zur Produktion von Biodiesel, Bioethanol oder Biowasserstoff genutzt werden.

Besonders gut gedeihen die in Tanks gehaltenen Algenkulturen, wenn sie zusätzlich mit CO2 aus den Abgasen aus Kraftwerken "begast" werden. Die Algen wandeln sozusagen das CO2 in nutzbaren Treibstoff um - alles, was sie dazu brauchen, ist Wasser und Sonnenlicht.
Im industriellen Maßstab werden bislang weltweit weniger als 10.000 Tonnen Mikroalgen pro Jahr erzeugt. Das könnten in naher Zukunft erheblich mehr werden, denn mit Hilfe der Mikrosystemtechnik und der Mikroverfahrenstechnik kann die Produktion der Algen deutlich effizienter als bisher gestaltet werden.
Um die Nutzung von Algenbiomasse in Deutschland zu beschleunigen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Bundes-Algen-Stammtisch initiiert. Hier sollen neue Kooperationen und Entwicklungsprojekte für CO2-Emittenten und für künftige Nutzer der Algenbiomasse angeregt werden.

Auf dem Stand des BMBF (Halle 2, Stand C24) ist während der Hannover-Messe ein Wertschöpfungsmodell für die Energieerzeugung aus Algen zu sehen.

Aus: Umweltjournal - Die Alge im Tank.

Mehr Infos: Algenbioverfahrenstechnik.

Montag, 17. März 2008

Happy Birthday, Vanguard 1!

Er ist der älteste noch "kreisende" Satellit:
Am 17.3.1958 erreichte Vanguard 1 (NSSDC ID: 1958-002B) seinen Umlaufbahn.
Seine Vorgänger sind dagegen längst verglüht oder in Bruchstücken auf die Erde gestürzt. Der nur etwa 1,5 Kilogramm "schwere" Vanguard 1 umkreist die Erde auf einer beinahe kreisförmigen Bahn mit einem Radius von ca. 8690 km (was einer Bahnhöhe von ca. 2300 km entspricht). In dieser Höhe gibt es kaum noch bremsende (Rest-)Hochatmosphäre.

Wegen der geringen Größe des Vanguard 1 Satelliten spottete der sowjetische Premierminister Nikita Chruschtschow über den "Grapefruit-Satelliten". Tatsächlich enthielten die frühen amerikanischen Satelliten mehr Messinstrumente als ihre viel größeren sowjetischen Gegenstücke - die USA hatten einen deutlichen technischen Vorsprung auf dem Gebiet der Mikroelektronik, von dem damals aber nur wenige wussten. (Chruschtschow gehörte dazu.)
Schon mit dem ersten amerikanische Satelliten, Explorer 1 gelang eine ebenso unerwartete wie wichtige Entdeckung, nämlich die des Van-Allen-Strahlungsgürtels.

Auch wenn die Instrumente des kleinen Kerls nicht mehr funktionieren, und sein Sender seit 1964 nicht mehr funkt, ist der Satellit nach wie vor nützlich: Die Messung seiner Umlaufbahn erlaubt Rückschlüsse auf das Langzeitverhalten künstlicher Erdtrabanten, z. B. die Einflüsse der Hochatmosphäre oder von Sonnenstürmen. Diesen Dienst wird Vanguard 1 noch lange verrichten - nach neueren Berechnungen wird er noch etwa 2.000 Jahren "draußen" bleiben. Er war übrigens auch der erste Satellit, der mit Solarzellen zur Stromversorgung ausgerüstet war.

Auch ein anderer Raumflugkörper, die Raumsonde Ulysses, leistete viel länger als die geplanten 5 Jahre gute Dienste: Seit über 17 Jahren umkreist die in Deutschland gebaute und von der ESA betriebene Ulysses die Sonne in einer Umlaufbahn, die senkrecht zur Ekliptik (Bahnebene der Erde) steht. Mit der Sonde werden die von der Erde auch nicht beobachtbaren Polregionen der Sonne erforscht.
Ulysses kann nicht mehr lange betrieben werden, denn die Energie an Bord reicht nicht mehr aus, um die elektrische Heizung zu betreiben, die den Treibstoff der Sonde, Hydrazin, über seinem Gefrierpunkt von 2 Grad Celsius hält. Ist das Hydrazin erst einmal gefroren, fällt die Lagekontrollregelung aus.

Entdeckt auf dem Raumcon.forum (mit vielen Links, ohne ich diesen Artikel nicht hätte schreiben können).

Freitag, 22. Februar 2008

Hausdurchsuchungen demnächst mit flüssigem Stickstoff?

Fundsache bei "heise": Passwortklau durch gekühlten Speicher.

Bisher galten - zum Leidweisen aller Überwachungs-Fans - Festplatten- und Datei-Verschlüsselung wie z. B TrueCrypt als sicher. Forscher der Princeton University haben nun demonstriert, wie man mit physischem Zugriff auf angeschaltete Rechner oder Rechner im Standby-Modus mit einfachen Mitteln an die Schlüssel zur Entschlüsselung gelangen kann.

Der Trick: Daten im DRAM gehen nicht sofort nach der Kappung der Stromzufuhr verloren gehen, sondern erst nach einem kurzen Zeitraum von wenigen Sekunden bis hin zu einer Minute. Durch Kühlung läßt sich dieser Zeitraum verlängern: bei -50 °C blieben Speicherinhalte mit nur sehr geringer Fehlerrate mehrere Minuten erhalten. Bei der Kühlung mit flüssigem Stickstoff halten sicht die Daten stundenlang.
Diese Daten lassen sich auslesen und in den Speicherabbildern kann man nach den Schlüsseln für die Festplattenverschlüsselung suchen.

Wenn Ihr also demnächst ein paar ansonsten unauffällige Menschen im Treppenhaus seht, die einen keineswegs unauffälligen Thermosbehälter mit sich rumschleppen: das sind sicher Spezialisten vom BKA auf dem Weg zu einer heimlichen PC-Durchsuchung.

Mögliche Sicherheitsmaßnahme: wenn der verwendete Schlüssel beim Unmount sofort überschrieben wird, dürften die Tiefkühl-Schnüffler schlechte Karten haben.

Samstag, 2. Februar 2008

Warum gibt es heute weniger Morde als in früheren Zeiten?

Wir leben - trotz "asymetrischer" Kriege, deren Tote durchweg Nichtkombattanten sind, trotz Terror, Bürgerkriegen und Gewalt, trotz der Massenmorde, Genozide, Ethnozide, Vernichtungskriege - in einer historischen Epoche, in der das Risiko, von Menschenhand zu sterben, geringer ist, als je zuvor.

Der Wissenschaftsjournalist Jürgen Langenbach schrieb vor wenigen Tagen zu diesem Thema in "Die Presse":Anthropologie: Das Verschwinden der Gewalt

Nach Erhebungen des Kriminologen Manuel Eisner (Cambridge) starben In Europa im 15.Jahrhundert 41 von 100.000 Menschen pro Jahr einen Tod durch Menschenhand, dann sank die Rate von Jahrhundert zu Jahrhundert (19, 11, 3,2, 2,6), im 20. Jahrhundert lag sie bei 1,4. (Br. J. Criminol., 41, S.618)..

Warum ist das so? Langenbach verweist in seinem Artikel auf die Evolutionsbiologie - eine Forschungsrichtung, die überhaupt erst durch den Versuch entstanden ist, destruktives menschliches Verhalten (wie Mord) mit den Grundannahmen der Soziobiologie in Einklang zu bringen. In soziobiologischer Sicht werden Gene begünstig, die ihre Träger mit Verhaltensweisen ausstatten, mit denen sie die ihnen zur Verfügung stehende Zeit und Energie erfolgreicher im Kampf um knappe Ressourcen einsetzen können als konkurrierende Individuen oder Artgenossen. Kriege und Morde "aus niederen Motiven" wären kontraproduktiv, da ressourcenverschwendend. Außerdem ist Gewalt ist auch für Ausübende riskant. Wer also davon ausgeht, dass das menschliche Gewaltpotenzial genetisch bedingt ist, steht vor dem Problem, wieso sich Träger von Genen durchsetzen, die die "intraspezifische Aggression" begünstigten?

1988 schlugen Martin Daly und Margot Wilson im Buch „Homizid“ eine Erklärung vor, und zwar die, dass unser Gehirn generell gewaltbereit sei, aber diese genetisch bedingte Gewaltbereitschaft nur ein "Nebenprodukt" der Selektion wäre. In der Hauptsache gehe es um Status und Reproduktion, und dabei komme es schon einmal vor, dass Nebenbuhler handgreiflich werden. Das war sozusagen die Geburtsstunde der Evolutionspsychologie. (Es gibt auch noch weitaus radikalere Evolutionpsychologen, die etwa direkte Vorteile kriegerischen Verhaltens annehmen - oder Vergewaltigungen als wirksame Vermehrungsstrategie männlicher Genträger beschreiben.)

Das tatsächlich abnehmende Risiko, Opfer von Mordes, Totesstrafe, Krieg oder Totschlag zu werden, bringt die stramm biologistische Weltsicht der Evolutionspsychologie in Erklärungsnöte.

Um die Frage beantworten können, ob das Risiko, durch die Hand seiner Mitmenschen zu sterben, tatsächlich im Laufe der Menschheitsgeschichte abnahm, oder sich etwa daraus erklärt, dass die als Ausgangswert genommene frühe Neuzeit ein besonders "mörderisches" Zeitalter war, muss man das Gewaltpotenzial frühgeschichtlicher Gesellschaften untersuchen. Leider sind die archäologischen Funde zu spärlich, um statistisch haltbare Aussagen darüber zu erlauben, wie "mordlüstern" etwa die Menschen der Altsteinzeit waren.

Man greift deshalb auf eine Analogie aus der Etnologie ("Völkerkunde") zurück: Wie groß ist das Gewaltpotenzial in wildbeuterischen Stammesgesellschaften, die immerhin dem Typ Zivilisation, in dem die Menschheit fast die ganze Zeit ihrer Existenz gelebt hat, und der selbst heute nicht völlig verschwunden ist?

Langenbach folgt jenen, die von einem hohen Aggressionpotenzial ausgingen:
Auch die Gewalt zwischen Gruppen ging dramatisch zurück: Wenn Stämme von Naturvölkern aneinandergerieten, kämpfte ein höherer Anteil an Mitgliedern, ein höherer Anteil starb, und von der unterlegenen Gruppe blieb keiner am Leben.
Das Problem dabei ist, dass auch die Datenlage zu Kriegen zwischen "Naturvölkern" äußerst spärlich und bei älteren Berichten durch die sehr spezifischen Blickwinkel der Kolonisatoren und Missionare verzerrt sind. Was allerdings auffällt, sind die enormen Unterschiede zwischen friedliebenden und kriegerischen Kulturen. Wobei das Risiko, in einer friedliebenden Kultur hingerichtet oder ermordet zu werden, durchaus größer sein kann, als in einer kriegerischen.

Ich selber neige zu der Annahme, dass die geschilderten Zustände eher Ausnahmen waren. Normalerweise gehen sich Stammesgesellschaften aus dem Wege oder versuchen, einen erträgliches "Modus Vivendi" zu finden. Stammeskriege sind in "Normalzeiten" wohl eher "Grenzscharmützel" oder "Raubzüge", an denen sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung beteiligt.
Nur in Zeiten massiver Wanderungsbewegungen, sogenannter Völkerwanderungen, sah das anders aus - so, wie Langenbach es beschreibt.

Es führt meiner Ansicht in die Irre, wenn man diese Frage mit im weitesten Sinne biologischen oder auch individualpsychologischen Ansätzen zu erklären versucht. Weiter führt meiner Ansicht ein Blick auf die polit-ökonomischen Verhältnisse und auf die Gesellschaftsstruktur. Zentral ist die Frage: "Was ist ein Menschenleben wert?" - Wobei diese Frage sowohl "materiell" wie "ideell" zu beantworten wäre.

Folgendes Zitat stammt aus einer bekanntermaßen aggressiven Kultur, der der Nordgermanen (Stichwort: "Wikinger") :
Besser ist's lebend, als leblos zu sein:
wer lebt, kriegt die Kuh,
Feuer sah ich rauchen auf des Reichen Herd,
doch er lag tot vor der Tür.

Der Handlose hütet, der Hinkende reitet,
tapfer der Taube kämpft;
blind ist besser als verbrannt zu sein;
nichts taugt mehr, wer tot.
(Aus dem Alten Sittengedicht der Hávamál, in der Übersetzung von Felix Genzmer.)
Auch wenn die Dichtung des Hávamál schon hochmittelalterlich ist, also keinen unverfälscht heidnisch-germanischen Charakter hat,
dürfte die "dem Hohen" (Odin) in den Mund gelegten ethischen Anweisungen schon in der "Wikingerzeit" und wahrscheinlich sogar schon in der blutigen "Völkerwanderungszeit" gegolten haben. (Aussagen über das Gastrecht der Germanen oder ihr Verhalten im Kriege von antiken und frühmittalterlichen Autoren stimmen mit dem "Alten Sittengedicht" gut überein.)
Das bedeutet für den Wert eines Menschenlebens, in der "ökonomischen" Bedeutung: jeder Erwachsene, der noch irgend eine Aufgabe übernehmen konnte, war für die (Stammes-)Gemeinschaft nützlich und damit wertvoll. In der "ideellen" Bewertung bedeuten diese Verse, dass auch ein Leben als "Krüppel" noch lebenswert ist. Auch wenn Verallgemeinerungen immer riskant sind: selbst in einer kriegerischen Stammesgesellschaft scheint ein Menschenleben nicht "wertlos" gewesen zu sein.
Das "Alte Sittengedicht", nämlich der Missbrauch seiner letzten Strophe, zeigt, in welcher Art Gesellschaft ein Menschenleben wirklich wenig wert ist.
Besitz stirb, Sippen sterben,
du selbst stirbst wie sie;
eins weiß ich, das ewig lebt:
der Toten Tatenruhm.
(in der Übersetzung von Felix Genzmer)
Dieser Spruch war und ist bei den Nazis und ihren Vorläufern, Mitläufern und Nachfolgern äußerst beliebt, und erschien im 12-jährigen Reich auf zahlreichen Kalendern, wurde in zahlreichen "Heldengedenkreden" zitiert und stand auf nicht wenigen Gedenksteinen für im Krieg getötete deutsche Soldaten. Selbstverständlich ohne den Kontext dieser Strophe zu berücksichtigen.

Als Faustregel lässt sich sagen, dass das Risiko des Einzelnen von Menschenhand zu sterben, in dem Maße abnimmt, in dem der Einzelnen für gesellschaftlich wertvoll erachtet wird. Oder: je offener eine Gesellschaft ist, je demokratischer seine politische Kultur, desto sicherer sind ihre Bürger vor dem Tod durch ihre Mitmenschen.
Eine vielleicht überraschende Tatsache: es gab noch niemals einen Krieg, bei dem beide Parteien halbwegs intakte demokratische Rechtsstaaten gewesen wären.
Damit lässt sich die abnehmende Gewaltkurve seit dem ausgehenden Mittelalter zwanglos erklären: sie korreliert mit der Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte.
Gesellschaften, in denen "das Ganze" über "den Einzelnen" gestellt wird, in denen das Prinzip "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" gilt, laufen immer Gefahr, dass der Einzelmensch zum bloßen "Menschenmaterial" herabgewürdigt wird - unabhängig übrigens vom ökonomischen System - auch Marktwirtschaften sind dagegen nicht gefreit. Wenn erst einmal der Schritt zum "Menschenmaterial" gemacht ist, ist es erfahrungsgemäß nicht mehr weit bis zum "Verheizen" von "wenig wertvollem Menschenmaterial" im Kriege und in der Zwangsarbeit, bis hin zum Mord an "unnützen Essern" und zum "präventiven" Mord an potenziellen Gegnern des Regimes. Unüberbotener Höhepunkt dieser Entwicklung war der bisher einzige Staat, dessen oberstes Staatsziel die Ermordung Abermillionen von Menschen einschloss: Deutschland, 1933 - 1945.

Wie sah es aber im Altertum aus? Die meisten frühen städtischen Hochkulturen waren stramm hierarchisch organisiert, ihre noch heute bewunderten architektonischen Leistung beruhten auf Zwangsarbeit (und nicht auf Sklavenarbeit: ein Sklave hat immerhin einen individuellen Wert für seinen Halter, der sein Eigentum nicht mutwillig zerstören wird, während Zwangsarbeit nur eine "Ressource" ist - gibt es genügende Zwangsarbeiter, kommt es auf deren Leben nicht mehr an. Unser Bild vom "Altertum" wird vor allen von solchen hierarchischen Staatsgebilden bestimmt - und von Zeiten der Völkerwanderungen.

Ich nehme deshalb an, dass es von der Gesellschaftsordnung abhängt, wie groß das Risiko des Einzelnen ist, ermordet zu werden.
Psychologische oder gar biologische Faktoren, deren Existenz ich keineswegs bestreite, treten dem gegenüber weit in den Hintergrund.

Montag, 31. Dezember 2007

Blick in die Sterne ...

Zu Silvester haben "Blicke in die Zukunft" Hochkonjunktur - meiner Ansicht ein müßiges Unterfangen, denn "die Zukunft" gibt es ja nicht.

Weil es aber "Möglichkeiten" gibt, können Divinationen oder Orakel durchaus sinnvoll sein. Man sollte sie aber nie für "die Zukunft" halten.

Egal, was man von Astrologie als Divinationsmethode hält: Völliger Unsinn sind solche Scharlatanerien wie "das große Jahreshoroskop" (gerade wieder in fast allen Illustrierten und Boulevardblättern und auf zahllosen Internet-Portalen zu bewundern) - im Vergleich dazu sind Methoden wie Bleigiessen und Kaffeesatzlesen seriös zu nennen.

Trotzdem - ich wage eine Prognose, und zwar aufgrund einer konkreten Himmelsbeobachtung:

In wenigen Tagen, genauer gesagt am 29.01.2008, wird der Asteroid 2007 TU24, 400 m Durchmesser, scheinbare Helligkeit 10,5m, in nur 0,004 AE die Erde passieren. Zu sehen ist er nahe dem "großen Wagen".

Wer mag, kann sich das Bahndiagramm auf der Website des Jet Propulsion Laboratory der NASA (für Raumfahrt-Unkundige: dass sind die mit den Raumsonden) ansehen: Orbit Diagram (2007 TU24) (Java erforderlich).

Meine nicht-astrologische Vorhersage: die BILD (und ähnliche mediale Intelligenzdimmer) werden mit Schlagzeilen der Machart "Killer-Asteroid bedroht die Erde!" aufmachen.
0,004 Astronomische Einheiten (AE) sind übrigens etwa 600.000 km. (Genau: 598391 km. Der Mond ist zwischen 363.300 km und 405.500 km von der Erde entfernt.)

Als Nicht-BILDleser weiß ich nicht, ob es im Spätsommer der Asteroid 2007 RS1 in die Balkenüberschriftzone geschafft hatte.
Am 5. September 2007 näherte sich 2007RS1 der Erde noch viel näher, nämlich auf 0,0005 AE (ca. 75.000 km).

Könnte sein, dass er wegen seines geschätzten Durchmessers von 1,7 bis 3,8 Metern den Weltuntergangsnachrichtenverbreitern entging?
Trotzdem: für das Springer-Hochhaus hätte es gereicht! Photobucket

Allen meinen Lesern ein glückliches, gesundes, skandal- , abhör- und astroideneinschlagfreies neues Jahr 2008!

MartinM

Samstag, 15. Dezember 2007

Kein "elektrischer Jutesack"

Ich zitierte neulich einen alten "Spiegel-Artikel" Fundstück - zum Nachdenken:
Kein Designer, kein Konzern wagt es dagegen, ein leichtes Fahrzeug mit umweltverträglichem Hybridmotor so aufregend zu verpacken, daß es nicht mehr wie ein motorisierter Jutesack daherkommt - was entscheidend zum Mißerfolg dieser neuen Fahrzeuggattung beiträgt.
Nun, ein abgasfreies Auto kann auch ganz anders aussehen, z. B. so:
Tesla Roadster

Aber zurück zum abgas-grauen Alltag.
David stellte in seinem Kommentar auf meinen Beitrag eine wichtige Frage:
Viel Entwicklungsaufwand in ein neues Produkt stecken um es dann so zu verpacken, daß es kaum einer will? Welchen Nutzen hätte man davon?
Unter rein kaufmännischen Gesichtspunkten wäre das in der Tat Verschwendung. Allerdings sind mittelständische Unternehmen, in denen man so denkt, unter den Automobilherstellern krasse Aussenseiter. Für einen Großkonzern sind die Entwicklungskosten eines nie in Großserie gehenden Öko-Autos eher Kleingeld. Wichtiger dürfte der Image-Gewinn (man könnte auch sagen: die Feigenblattfunktion) sein, oder die Möglichkeit, auf politische Vorgaben eingehen zu können. Gut macht es sich, Vorwürfe mit einem Hinweis auf sich schlecht verkaufende Ökomobile vom Tisch zu wischen: "Wir haben ja ein 3-Liter-Auto im Angebot, aber der Verbraucher will es offensichtlich nicht kaufen." Ich könnte an dieser Stelle lang und breit über die Modellpolitik der Automobilindustrie lamentieren, aber das haben genügend Andere schon genügend ausführlich getan.

Interessanter scheint mir die Frage, wieso eigentlich das klassische batteriebetriebene Elektro-Auto aktuell und in den Zukunftsstudien der Industrie so eine randständige Rolle einnimmt. Sicher, ein E-Auto kann nur so umweltfreundlich sein, wie das Kraftwerk, in dem der Strom für es erzeugt wird. Allerdings haben, weil der Strom sowieso in einen Akku-Satz "zwischengespeichert" werden muss, Wind- und Solarkraftwerke, deren Leistungsabgabe stark schwankt, beim "Autostrom" gegenüber konventionellen Kraftwerken kaum Nachteile.

Selbst wenn das Problem "Stromerzeugung" vom Tisch ist, sind Elektromobile, wie "jeder weiß", wenig alltagstauglich: sie sind langsam, lahm, haben zu wenig Reichweite, zu schwere Batterien.

Sagt man. Stimmte vielleicht mal vor 30 Jahren. Tatsächlich haben alltagstaugliche E-Autos wie der Think City diese Klischees längst Lügen gestraft. Der "City" ist ein vollwertig ausgestatteter Kleinwagen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, 180 km Reichweite pro Batterieladung, bei 10 Stunden Ladezeit. Da Elektromotoren schon im unteren Drehzahlbereich einen guten Wirkungsgrad haben, kann das Getriebe nicht nur erheblich einfacher gestaltet werden als bei einem "Verbrenner", der "Think" ist ausserdem trotz seiner mageren 30 kW alles andere als eine "lahme Ente" beim Ampelstart.
Der entscheidende Fortschritt liegt im platzsparend im Unterboden eingebauten Lithium-Ionen-Akku von Tesla Motors, der aus 6.831 herkömmliche Akkus für Laptops aufgebaut ist.
Mit einer Innovation, die es immerhin zu einer Nominierung zum
Deutschen Zukunftspreis 2007 brachte, dürften die noch bestehenden Schwächen des Lithium-Ionen-Akkus bald der Vergangenheit angehören: Ein neuartiger Keramikseparator, der in Kooperation zwischen Evonik Industries AG, Essen und der Universität Duisburg-Essen entwickelt wurde, ist die Basis für sichere Lithium-Ionen-Batterien mit hoher Kapazität.

Überhaupt scheint Tesla Motors eine interessante Adresse für die Freunde des abgasfreien Autos zu sein. (Tesla Motors Website, Tesla Motors (engl. Wikipedia).)
Es ist ein geschickter Schachzug von Tesla, als erstes Modell ein anscheinend "überflüssiges" Fahrzeug, einen Sportwagen, auf den Markt zu bringen. Der "Tesla Roadster" ist eine Automobil gewordene Image-Kampagne für Elektrofahrzeuge. Das leichtgewichtige Fahrzeug hat eine Reichweite von gut 400 km pro Batterieladung, aus Sicherheitsgründen abgeregelte 200 km/h Höchstgeschwindigkeit und lässt mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in weniger als 4 Sekunden selbst kräftig motorisierte Benzinverbrenner alt aussehen. Das nächste Modell soll eine familientaugliche Limousine der gehobenen Mittelklasse, vergleichbar dem Audi A6 oder dem 5er-BWM, werden.

Zusammen mit den Elektro-Autos möchte Tesla seinen Kunden auch die Installation einer Stromtankstelle anbieten, die auf Car-Ports oder Hausdächer montiert werden kann. Damit würde der Elektro-Sportwagen endgültig zum "Umwelt-Renner".

Man kann dem von dem von Martin Eberhard und Marc Tarpenning, die sich durch den rechtzeitigen Verkauf ihrer erfolgreichen IT-Startups reich gemacht haben, gegründeten Autohersteller nur alles Gute wünschen. Zu viele innovative Aussenseiter sind schon mit pfiffigen Elektromobilen gescheitert, zu viele Vorzeigeprojekte der großen Automobilkonzerne nie auch nur in die Nähe einer Serienproduktion gekommen.

Welchen entscheidenden Nachteil haben Elektroautos? Es bedarf keiner Verschwörungstheorien, um zu erkennen, dass ein "Mitspieler" im Autogeschäft alles andere als begeistert über Elektrofahrzeuge sein dürfte: Die Mineralöl-Industrie. Elektroautos brauchen nun mal keine Tankstellen. Auch nicht für alternative Brennstoffe wie Methanol, Ethanol, Erdgas oder Wasserstoff, in die die Mineralöl-Konzerne für die Zeit "nach dem Öl" investieren.

(Siehe hierzu: Who Killed the Electric Car? )

Donnerstag, 6. Dezember 2007

Deutscher Zukunftspreis 2007 geht an Projekt "Licht aus Kristallen"

Vor gut einem Jahr schrieb ich über den "Deutschen Zukunftspreis" - ein Preis, der zwar große mediale Aufmerksamkeit bekommt, aber trotzdem leider viel weniger beachtet wird, als er es verdienen würde:
Deutschland sucht den Super-Erfinder.

Sozusagen als "Update": heute (6. Dezember 2007) verlieh Bundespräsident Horst Köhler in Berlin dem Team aus Regensburg und Jena den mit 250.000 Euro dotierten Deutschen Zukunftspreis 2007.
Deutscher Zukunftspreis - Aktuelles.
Das Sieger-Team arbeitet auf dem Gebiet der Leuchtdioden und fand ein Verfahren, dass es möglich macht, dass LEDs bei vielen Anwendungen die herkömmliche Glühlampe ersetzen können.
Leuchtdioden (LEDs) haben gegenüber herkömmlichen Glühlampen deutliche Vorteile: Sie sind langlebig und verbrauchen wenig Energie. Die Nutzung dieser kleinen und eigentlich leuchtschwachen Lichtspender war zunächst aber nur eingeschränkt möglich.

Mithilfe der Dünnfilmtechnologie sowie spezieller Gehäuse und Optiken fanden Dr. Klaus Streubel, Dr. Stefan Illek und Dr. Andreas Bräuer einen Weg, deutlich lichtstärkere LEDs als bisher herzustellen. Die Leistung der drei heute ausgezeichneten Forscher setzt sich aus drei Innovationen zusammen. Damit gelang es ihnen, ein Hemmnis, das einem Einsatz der LEDs vielfach entgegenstand, zu überwinden. (Mehr, auch zu den drei anderen nominierten Teams, in der ausführlichen Pressemeldung.)

Ich gratuliere.

Montag, 3. Dezember 2007

Prestigeobjekt "bemannte Raumfahrt"? - In Europa eher nicht!

Am 6. Dezember wird, wenn alles nach Plan geht (und es sieht gut aus) die Raumfähre ATLANTIS starten. An Bord: das Weltraumlabor COLUMBUS, das zweite Forschungsmodul der internationalen Raumstation ISS.
Raumfahrer.Net: Nikolausgeschenk für Europas Raumfahrt.

Dirk Lorenzen schrieb aus diesem Anlass einen ausführlichen Artikel auf FTD.de: ISS wird endlich ausgebaut.

Dabei weist er auf den oft übersehenen Umstand hin, dass es nach der vorhergesehenen Einstellung der Flüge des "Space Shuttles" schwierig sein wird, die ISS zu versorgen, geschweige denn, weiter auszubauen. Schlimmer noch:
Wenn der Shuttle nicht mehr fliegt, sind die Astronauten jahrelang allein auf die russische Soyuz-Kapseln angewiesen - der amerikanische Shuttle-Nachfolger ist frühestens 2015 startbereit. Sollte auch das russische System einmal länger ausfallen, droht unter Umständen das Ende der ISS, denn ohne Besatzung ist die Station nicht lang im All zu halten.
Zur Versorgung der ISS wurden, neben den altbewährten russischen automatischen Transportraumschiffen vom Typ "Progress" zwei erheblich leistungsfähigere automatische Versorgungsschiffe entwickelt, und zwar absichtlich nach zwei unterschiedlichen Konzepten: das in Japan entwickelte H-2 Transfer Vehicle (HTV) und das in "Europa" (Deutschland, Italien, Frankreich) entwickelte Automated Transfer Vehicle (ATV).
ATV beim Ansteuern der ISS
ATV beim Ansteuern der ISS (künstlerische Darstellung). Wie die Progress M und im Gegensatz zum Shuttle oder dem HTV kann das ATV vollautomatisch andocken. Zur Zeit wird das erste ATV, das den Namen "Jules Verne" trägt, in Kourou auf den Start vorbereitet. Der Start auf einer "Ariane 5" ist für den 14. Februar 2008 vorgesehen. - Bildquelle: NASA-Website

HTV und ATV ergänzen sich in ihren jeweiligen "Spezialfähigkeiten", außerdem hat gerade die Geschichte des Space Shuttles gezeigt, wie gefährlich es sein kann, auf einen Typ Raumfahrzeug allein zu vertrauen. Gegenüber einer Progress M1 der neuesten Bauart mit maximal 3,2 t Nutzlast (Progress M: 2,3 t) kann das das HTV immerhin 6,0 t Fracht zur Raumstation bringen, das ATV hat sogar eine Kapazität von 7,6 t. (Der Shuttle kann theoretisch 10 t Versorgungsgüter transportieren.) Allerdings können HTV und ATV keine Mannschaften zur ISS befördern.
Jedenfalls wenn nach den bisherigen Planungen geht. Das könnte sich ändern:
"Ich setze auf eine europäische bemannte Rakete", sagt der deutsche Astronaut und DLR-Vorstand Thomas Reiter. "Das würde unseren Stellenwert gegenüber anderen Raumfahrtnationen wie Russland, USA und in Zukunft auch China und Indien erhöhen." Bisher ist Europa nur bei den Materialtransporten gut platziert: Im Februar bringt erstmals das unbemannte Transportraumschiff "ATV" knapp zehn Tonnen (sic!) Material zur ISS. Ein bemannter Zugang ins All ist politisch noch unerwünscht. Doch das technische Vermögen hat Europa: Columbus ist ein bemanntes Raumschiff ohne Antrieb. Das "ATV" hat einen exzellenten Antrieb, ist aber unbemannt. Man müsste nur beide Geräte geschickt kombinieren. "Eine eigene bemannte Rakete ist machbar", sagt Reiter. "Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Ansätze für einen europäischen bemannte "Zugang zum All" gab es schon mehrere. Meistens liefen sie nach dem Schema ab, dass Frankreich ein Projekt anschob, das dann an deutschen Bedenken scheiterte. Ohne deutsches Know-How geht in der europäischen Raumfahrtbehörde ESA wenig, ohne deutsches Geld gar nichts. In einem Fall - dem Raumgleiter "Sänger II" - wurde von deutscher Seite ein ebenso technisch perfektionistisches wie aufwendiges Konzept vorgeschlagen - das schon die erste "Technologiefolgenabschätzung" politisch nicht überlebte: die "Sänger"-Befürworter hatten ihr ehrgeiziges Projekt zu offensichtlich " schöngerechnet".
Ein deutsches Argument gegen "eigene" europäische bemannte Raumschiffe war lange Jahre, dass man nicht unnötig die gewünschte enge Zusammenarbeit mit den USA durch ein "Konkurrenzprojekt" gefährden wollte. Das wichtigste Argument war aber immer: "Raumfahrt gilt bei unseren Wählern als teures Prestigeunternehmen, bemannte Raumfahrt sogar als glatte Geldverschwendung, das bekommen wir nicht durch."
ATV an der ISS gedockt
Risszeichung eines an der ISS angedockten ATVs. Man erkennt deutlich, dass das ATV einigen "begehbaren" Raum bietet. Bildquelle: NASA-Website.

Tatsächlich ist "bemannte Raumfahrt" auch heute noch ein Prestigeobjekt. Weniger für Russland oder die USA, die schon seit gut 45 Jahren "im Geschäft" sind. Für die aufstrebende Macht China umso mehr: chinesische Raumfahrt. Mit dem bemannten Shenzhou-Raumschiff demonstrierte China seinen Anspruch, auch auf technischem Gebiet die "kommende Supermacht" zu sein. Chinesische Medien werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass China als einer von nur drei Staaten die technischen Fähigkeiten für die bemannte Raumfahrt hätte (dabei mitgedacht: "... und Japan und die Westeuropäer nicht!"). Die Tatsache, dass Shenzhou in hohem Ausmaß auf russischem Know-How beruht, wird dabei allerdings gern verschwiegen.

Sind die "Westeuropäer" in der Lage, ein bemanntes Raumschiff zu bauen?
Thomas Reiter meint "ja" und er weiß, wovon er spricht.
Das ATV ist ein frei fliegendes Raumfahrzeug, das alle Sicherheitsanforderungen bemannter Systeme erfüllt. (Also kein Raumstationsmodul wie "Columbus" oder das in der Shuttle-Payloadbay mitfliegende "Spacelab".) Es ist also wie ein bemanntes Raumfahrzeug konstruiert und gebaut. Das muss es auch, da es ja die meiste Zeit Bestandteil eines bemannten Komplexes, der ISS, ist. So genügt z. B. das gesamte Antriebssystem den Ansprüchen an ein bemanntes Fahrzeug, schließlich wird es auch benutzt, um die gesamte ISS auf eine höhere Umlaufbahn zu bringen und dabei auch die Lagekontrolle zu übernehmen.
Was fehlt, sind Untersysteme, die ein bemanntes Raumschiff auszeichnen, am wichtigsten wohl das Lebenserhaltungssystem. (Die nötige Technik ist aber vorhanden und wird z. B. bei "Columbus" genutzt .) Und - es gibt keine Rückkehrmöglichkeit.

Auf Basis des ATV ließe sich also durchaus ein bemanntes Raumschiff entwickeln, sogar recht kurzfristig, allerdings mit einigem Aufwand: Die Ariane 5 Rakete müsste "man rated" werden, d. h. sie muss den Sicherheitsanforderungen für bemannte Flüge entsprechen. Das dürfte in relativ kurzer Zeit machbar sein, denn die Ariane 5 wurde u. A. als Träger für den (aufgegebenen) europäischen Raumgleiter "Hermes" entwickelt und ist, nach anfänglichen Schwierigkeiten und Fehlstarts, eine zuverlässige Trägerrakete geworden. Schwieriger ist das Problem der Rückkehrkapsel. Man könnte, wie China, einen "Lizenzbau" der Sojuz-Rückkehrkapsel erwägen, aber auch die Entwicklung einer eigenen "europäischen" Kapsel (oder eventuell eines Gleiters) ist, rein vom technischen Können her, möglich (siehe Atmospheric Reentry Demonstrator). Letzten Endes ist alles eine Frage des Budgets.

ATV-Progress-Apollo
Größenvergleich des ATV mit einer russischen Progress (die bemannten Sojus-Raumschiffe sind genau so groß) und einem US-amerikanischen "Apollo"-Raumschiff. Das ATV hat 45 m³ unter Druck stehenden Innenraum, gegenüber nur 8,50 m³ bei einer Sojus TMA (5,0 m³ in der Orbitalsektion, 3,50 m³ in der Kommando- bzw. Rückkehrkapsel) und 6,17 m³ in der Apollo-Kommandokapsel. (Zum Vergleich: Space Shuttle Orbiter, Flugdeck und Wohndeck zusammen: 73 m³. Das chinesische Shenzhou-Raumschiff hat, dank seiner gegenüber der Sojus stark vergrößerten Orbitalsektion, 14.00 m³ Kabinenvolumen). Bildquelle: NASA-Website.

Vom technisches und industriellen Können, vom "Know How", her, hinkt "Europa" in der Raumfahrt keineswegs hinterher, auch nicht in der bemannten Raumfahrt. Ginge es allein um einen Propagandaerfolg, hätte die ESA schon vor 25 Jahren eine eigene Raumkapsel in die Erdumlaufbahn bringen können - das Know How war vorhanden. Wäre das Budget bewilligt worden, gäbe es seit einigen Jahren einen bemannten europäischen Raumgleiter (den "Hermes") und vielleicht eine eigene Raumstation auf Basis des Columbus-Moduls. (Auch das "Harmony"-Verbindungsmodul der ISS ist eine "europäische", d. h. überwiegend italienische, Entwicklung, allerdings im Auftrag der NASA.)

Anders als in den Jahren des "Space Race" zwischen den USA und den UdSSR - und anders als heute in China - können Weltraumprojekte nicht mehr allein mit Hinweisen auf das Prestige der Nation "verkauft" werden, die Industrie, die Wissenschaft und nicht zuletzt die Steuerzahler wollen einen erkennbaren Nutzen sehen.

Allerdings dürfte die Art und Weise, wie in den meisten populären Medien Deutschlands über Raumfahrt (und andere "spektakuläre" Gebiete der Technik und Naturwissenschaft) berichtet wird, wenig hilfreich dabei sein, den Nutzen dieser "technischen Abenteuer" zu vermitteln: "Völlig losgelöst ... .

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6732 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren