Samstag, 10. Mai 2008

Raumfahrtpolitik in Deutschland - ein Stück Mentalitätsgeschichte

Auch wenn es "nur" um eine unbemannte Mission geht, und die erste bemannte Mondlandung schon fast 40 Jahren her ist - diese Meldung wäre wahrscheinlich noch vor wenigen Jahren als politischer Witz aufgefasst worden: Bundesregierung erwägt Mondlandung (netzeitung)
Eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag brachte es ans Licht: Die Bundesregierung beschäftigt sich derzeit mit der Frage, ob die Deutschen zukünftig zum Mond fliegen werden oder nicht.

Aus der Antwort auf die Anfrage geht hervor, dass die Bundesregierung einen Vorschlag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für eine deutsche Raumfahrtmission zum Mond prüft. Das Projekt soll dem DLR-Vorschlag zufolge Deutschland als künftige europäische Führungsnation und international als gefragten Partner ausweisen.
In Deutschland scheint eine technik-skeptische oder sogar technik-feindliche Mentalität weiter verbreitet zu sein, als in anderen hochentwickelten Industriestaaten. Es würde zu weit führen, auch nur die möglichen Gründe für diese Mentalität aufzulisten - ich halte nur fest, dass diese Mentalität hat anscheinend nur am Rande mit den von Technik ausgehenden Risiken zu tun hat. Zum Beispiel ist die Begeisterung für starke, schnelle Autos in Deutschland ziemlich ausgeprägt, ungeachtet der Umweltbelastung und der Energieverbrauchs. Interessant ist auch, dass es unter engagierten Gegnern der Kernenergie gleichermaßen Technikfreunde wie Technikskeptiker gibt - allerdings gibt es nur wenige engagierte "Atomkraftgegner", die sich überhaupt nicht für Technik und Naturwissenschaft interessieren. Ähnliches gilt z. B. für die Gentechnik

Ich denke, dass im Falle der Raumfahrt es gerade die technisch und naturwissenschaftlich Uninteressierten sind, die das skeptische Meinungsklima prägen. Echte Raumfahrtgegner gibt und gab es nur wenige - etwa jene "ökologischen Linken", die Raumfahrt in einem Atemzug mit Atomenergie, Genmanipulation und Chlorchemie als "Hochrisikotechnologie" sehen, die unbedingt abgeschafft gehört.

Wie dem auch sei - das Desinteresse in Politik und politischen Medien an der Raumfahrt erreichte in den 1970er Jahren einen Höhepunkt.
Die europäische Raumfahrtagentur ESA kann - trotz einiger politischen und organisatorischen Hakeleien als gelungenes Beispiel für internationale industrielle Zusammenarbeit gelten. ESA-Webportal.

Fast wäre die Esa-Gründung im Frühjahr 1975 an deutschem Widerstand gescheitert. Den französischen "Weltraumbahnhof" in Kourou wollte Forschungsminister Matthöfer (SPD) nicht mitfinanzieren. Letztlich gab Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 50 Millionen Mark frei. Schmidt hielt, als Ökonom und Pragmatiker, einen von den USA unabhängigen "Zugang zum All" für wichtig, bei Matthöfer und anderen Gegnern der "Ariane"-Entwicklung überwog die Angst, dass sich nach dem "Schnellen Brüter" ein weiteres "Milliardengrab" ohne absehbaren Nutzen auftuen könnte.

Einen Grund für die Skepsis Matthöfers, vieler andere Politiker und weiten Teilen der veröffentlichten Meinung war eine 1975 vorgelegte kritische Bestandsaufnahme zur bundesdeutschen Luft- und Raumfahrtpolitik, in Auftrag gegeben von der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Der Politik wurde Konzeptlosigkeit vorgehalten, da beispielsweise im Falle des
Spacelab "aus rein politischen Gründen" ein Projekt forciert wurde, "dessen Nutzen unklar ist und für das man im Augenblick nach Anwendung sucht".
Damit war das MKF 6, mit der die DDR tatsächlich weltweit führend war. Möglicherweise hängt der Rückzug der DDR von den bemannten Raumfahrt auch damit zusammenhing, dass die UdSSR dem Hersteller Karl-Zeiss-Jena kurzerhand den Export der MKF 6 verbat (angeblich, weil die MKF 6 auch zu Spionagezwecken eingesetzt werden konnte, in Wirklichkeit wohl als "Retourkutsche" zum Mikrochip-Lieferboykott der USA).
Im westlichen Medien wurde der Rummel um den ersten Deutschen im All mit Häme bedacht, besonders von den Springer-Blättern "Welt" und "Bild".
Das Klischee, Raumfahrt sei eine reine Prestigeangelegenheit, wurde jedenfalls deutlich bestärkt.

Anfang der 80er Jahre "entdeckte" auch die westdeutsche Politik und die Raumfahrt. "Vorzeigbare" Erfolge der europäischen (und damit immer auch: westdeutschen) Raumfahrt, wie das Spacelab, Nachrichten- und Wettersatelliten, Raumsonden und die erfolgreiche Trägerrakete Ariane sorgten dafür, dass die Raumfahrtlobby offene Gehörgänge fand. Allerdings fanden auch die Skeptiker neue Argumente - genannt sei die Millitarisierung des Weltalls und die "Challenger"-Katastrophe.

Als Ende der 1980er Jahre wichtige Entscheidungen zur Zukunft der westeuropäischen und damit auch der bundesdeutschen Raumfahrt anstanden, etwa über den "eigenen bemannten Zugang zum All", war eine raumfahrtpolitische Szenerie entstanden, die fast so polarisiert war wie die Kontroverse um die Atomkraft. Dabei setzte die Raumfahrtlobby vor allem auf emotionale Motive ("Aufbruch ins Weltall"), leider aber auch auf leicht widerlegbare Argumente ("die industrielle Produktion im Weltall steht unmittelbar bevor). Allerdings waren die Argumente der Gegner, etwa das, dass jede Form der Raumfahrt im Endeffekt Kriegsvorbereitung sei, oft auch nicht viel besser. Das Forschungsministerium geriet unter Rechtfertigungsdruck, weil die Medien Meldungen über Fehlplanungen und Kostenexplosionen immer wieder thematisierten.
Außerdem war nicht mehr zu übersehen, dass breite Kreise Wirtschaft und Wissenschaft der Bonner Raumfahrtpolitik skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, teils wegen der sich abzeichnenden Verteilungsprobleme, teils aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. Zum Beispiel entschied sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft 1990 gegen die bemannte Raumfahrt - mit dem klassischen Argument der Raumfahrtspektiker, sei sei zu teuer und würde kaum relevante Forschungsergebnisse liefern.

Nach 1990 versachlichte sich die Stimmung. Teils war das auf eine Reihe von Studien zurückzuführen, die unabhängig von ihrer teils
kritischen, teils verhalten positiven Einschätzung der anstehenden Raumfahrtprojekte eine seriöse Diskussiongrundlage lieferten. Ein andere Grund war der, dass mit dem postsowjetischen Russland ein weiterer Partner ins Spiel kam - die USA verloren damit an "Verhandlungsmacht". Der entscheidende Faktor war aber, dass auch der "Normalbürger" immer mehr von Raumfahrtanwendungen profitierte, und dass die Raumfahrt immer selbstverständlicher erschien
Hatte der Unfall des Space Shuttles "Challenger" 1976 noch Diskussionen über den Sinn der Raumfahrt ausgelöst, die weit über die eigentlich betroffene bemannte Raumfahrt hinausging, gab es keine vergleichbare Diskussionen nach dem Unfall der "Columbia" 2003. Ein "Ausstieg" auch aus der unbemannten Raumfahrt steht überhaupt nicht mehr zur Debatte und auch die Diskussion um die bemannte Raumfahrt ist sachlicher geworden.

Dadurch, dass auch China und Indien sich als "Raumfahrtmächte" präsentieren, und dadurch, dass neben die staatlichen Raumfahrtinstutionen auch private Raumfahrtunternehmen getreten sind, gewinnt die Raumfahrtpolitik auch bei uns an Bedeutung.
(Siehe auch mein Artikel: Prestigeobjekt "bemannte Raumfahrt"? - In Europa eher nicht!)

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