Wirtschaft

Sonntag, 4. Dezember 2011

Was ist Arbeit?

Abgesehen von eindeutig definierten physikalischen Arbeit ist der Begriff "Arbeit" schwer fassbar. Abstrakte Definitionen, wie die, dass Arbeit das bewusste schöpferische Handeln des Menschen sei, kollidieren mit jedenfalls heftig mit Alltagserfahrungen, die sich in Sprichwörtern wie "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" niederschlagen. (Darauf, dass in diesem Spruch auch ein Stück "protestantische Arbeitsethik" steckt, in dem Arbeit nur dann wirklich "Arbeit" ist, wenn sie auf Selbstüberwindung, Disziplin und Askese beruht, sei nur am Rande verwiesen.) Jedenfalls erscheint auch mir eine Abgrenzung von "Arbeit" zum "reinem Zeitvertreib", "Spiel" und "Erholung" einerseits, und kriminellen Aktivitäten andererseits sinnvoll zu sein. Auch wenn es eher fließende Übergänge als scharfe Grenzen zwischen diesen Aktivitäten gibt.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist "Arbeit" gleichbedeutend mit "bezahlter Erwerbstätigkeit". Begriffe wie "Arbeitslosigkeit", "Arbeitssuche", "Arbeitsfähigkeit" oder "Arbeitsmarkt" sind nur in diesem Sprachgebrauch sinnvoll. Dass dabei z. B. die unbezahlte Hausarbeit und die Arbeit im Ehrenamt außen vor stünden, ist so oft thematisiert worden, dass ich es nicht weiter ausführen brauche.

Jedenfalls neigt auch die politische Linke dazu, "Arbeit" auf die "Produktionsarbeit" (unter Einschluss allerdings auch unentgeltlicher "produktiver Tätigkeiten") zu beschränken - und sie zugleich, fast wie in der protestantischen Arbeitsethik, weltanschaulich zu überhöhen: Selbstverwirklichung sei nur in der Arbeit möglich, und ein moralisches Leben ist ein arbeitsames Leben. Die Tugend Fleiß (die strenggenommen eine Sekundärtugend ist, also eine abgeleitete Tugend, die nie davon getrennt gesehen werden kann, zu welchem Zweck und aus welchem Grund jemand fleißig ist) wird in dieser Sicht zum moralischen K.O.-Kriterium: wer "faul" ist, ist automatisch ein moralisch schlechter Mensch.
Bei konservativen Sozialdemokraten der "alten Schule" gipfelt das schon mal in Aussprüchen wie dem falsch zitierten biblischen Ausspruch: "Wer nicht arbeitet, der soll nicht essen". Über die Aussage: "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur" im Programm der deutschen Arbeiterpartei (der Vorgängerin der SPD), die der Arbeit eine "übernatürliche Schöpferkraft" zuschreibt, mokierte sich schon Karl Marx - was nicht daran ändert, dass solche Ansichten auch bei Marxisten weit verbreitet sind.
In dieser Vorstellungswelt ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (auch wenn es in allen mir bekannten Entwürfen nur das Existenzminimum abdeckt) ein Anreiz zur Faulheit und daher moralisch verwerflich.

Im Zusammenhang mit der Entscheidung der Piratenpartei Bundesparteitag in Offenbach für ein bedingungsloses Grundeinkommen" rückt eine andere, zwar nicht neue, aber sinnvolle Auffassung von Arbeit ins Licht einer breiten Öffentlichkeit:
"Wir können uns erstens eine Vollbeschäftigung nicht mehr leisten, und zweitens brauchen wir sie auch nicht mehr", sagte Weisband zur Begründung eines Grundeinkommens für alle. "Wir bezeichnen alles als Arbeit, was für die Gesellschaft nützlich ist." Dazu gehöre auch die Pflege von Familienangehörigen und die Gestaltung von Kunst.
Piraten schielen auf Bundestagswahl 2013 (Stern.de)
Während die Pflege von Familienangehörigen und auch ehrenamtliche Tätigkeiten wahrscheinlich von einer breiten Mehrheit der Deutschen als "gesellschaftliche nützliche Arbeit" angesehen würde, wage ich sehr zu bezweifeln, dass auch das Werk eines Amateurkünstlers gemeinhin als "gesellschaftlich nützliche Arbeit" angesehen würde.

Interessant wird die Kopplung des Begriffs "Arbeit" an eine, auch großzügig definiert, gesellschaftliche Nützlichkeit, wenn man sie auch einige durchaus gesellschaftliche angesehenen Erwerbstätigkeiten anwendet.
Meiner Ansicht, dass ein berufsmäßiger Spekulant auf der selben Stufe wie ein Berufsspieler stünde, würde wohl noch auf breite Zustimmung stoßen (wobei ich übrigens Spielen um Geld ebenso wie Spekulation für ethisch unproblematisch halte, solange dabei niemand geschädigt wird - aber Arbeit ist es in beiden Fällen nicht, auch wenn einiges Geschick und einige Mühe dazu gehört, gut zu Spielen oder zu Spekulieren).
Die bisher schlechtestes und anstrengenste Erwerbstätigkeit, der ich je nachgegangen bin, nämlich der als "outbound"-telefonierender Call-Center-Agent, sprich, als jemand, der unter einem Vorwand ungefragt Menschen anruft, um ihnen etwas aufzuschwatzen, ist demnach keine Arbeit. Das würden zahllose sich sehr anstrengende Call-Center-Agenten sicher anders sehen, und ich würde mich hüten, dieses Beispiel für "Nicht-Arbeit" zu nennen, wenn ich niemals in einem Call-Center gegen eine erbärmlich schlechte Bezahlung Leute am Telefon übers Ohr gehauen hätte. Meiner Ansicht nach fällt diese Tätigkeit in den Bereich legalisierte Kriminalität.

Ich neige jedenfalls dazu, den alten CDU-Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" umzudrehen: "Arbeit ist das, was sozial ist".

Ist es Arbeit, wenn ich einen Roman schreibe? In dem Moment, in dem ich ihn veröffentliche: Ja! Und zwar unabhängig davon, ob ich damit Geld verdienen (Erwerbstätigkeit) oder nicht.
Von der Frage, inwieweit der Roman gesellschaftlich nützlich ist, sehe ich bewusst ab - es reicht aus, dass die Leser davon einen Nutzen haben, wenn sie ihn lesen.
Schreibe ich den Roman nur für mein Privatvergnügen bzw. für die viel genannte Schublade, dann ist die Anstrengung des Schreibens keine Arbeit, sondern nur Zeitvertreib.

Samstag, 27. August 2011

Die "7 Todsünden ineffektiver Manager" und die Meuterei auf der Bounty

Sie ist ziemlich oben bei Rivva, und das sicher nicht von ungefähr: Lass das! – Sieben Todsünden ineffektiver Manager (Infografik).
Versprechen brechen, Kontrollsucht, öffentliche Demütigungen, Herrschaftswissen, nicht zuhören können, kein Feedback geben, aber auch nie konsequent sein – das sind Verhaltensweisen, die sich Manager tunlichst abgewöhnen sollten – jedenfalls, wenn sie effektive Manager sein wollen.
Aus meiner Sicht ist das Schlimmste daran nicht, dass solche Manager ineffektiv sind - das Schlimmste ist, dass sie unerträgliche Chefs und absolutes Gift für das Betriebsklima sind. Das gilt sogar dann, wenn diese Chefs eigentlich ganz umgängliche, freundliche und für ihre Untergebenen engagierte Menschen sind. Eigentlich.

Ein sehr eindringliches Beispiel, wohin diese sieben Fehler führen können, ist die wohl berühmteste Meuterei der Seefahrtsgeschichte, die Meuterei auf der "Bounty".

Entgegen der Darstellung in zahlreichen Romanen und Filmen war der Kommandant der "HMAV Bounty", Lieutenant (auf der "Bounty" war er noch nicht "Captain") William Bligh, ein äußerst fähiger Seemann. Dass er aus der Reihe der Unteroffiziere zum Offizier befördert wurde, war damals selten, und noch seltener schaffte es jemand, der einmal "vor dem Mast" gesegelt war, bis zum Admiralsrang. Kein Geringerer als Lord Nelson lobte Blighs Schiffsführung in der Schlacht vor Kopenhagen.

Er war auch kein "Schiffstyrann": er hielt Auspeitschungen und Skorbut für Kennzeichen eines schlecht geführten Schiffes. Seeleute unter seinem Kommando wurden erheblich seltener ausgepeitscht als die Besatzungsmitglieder anderer Schiffe der britischen Royal Navy. Wie sein großes Vorbild James Cook kümmerte er sich sehr um das Wohlergehen seiner Leute. Zum Beispiel führte er das auf Handelsschiffen übliche 3-Wachen-System anstatt der bei der Royal Navy üblichen zwei Wachen ein. Bei drei Wachen liegen zwischen den jeweils vier Stunden dauernden Wachen acht Stunden Freiwache, bei zwei Wachen nur vier Stunden. Damit waren die Leute nicht nur ausgeruhter, sondern hatten auch viel weniger "Gammeldienst" als bei der Marine üblich. (Die "Bounty" hatte, weil für eine so lange Expedition viele Handwerker für Instandsetzung und Reparaturen an Bord sein mussten, und weil Mannschaftsverluste durch Krankheit oder Unfall nicht unterwegs ersetzt werden konnten, im Grunde viel zu viele Männer an Bord. 46 Männer drängten sich auf dem 215 Tonnen "großen" Schiff mit nur 27,7 m Rumpflänge. Normalerweise hatte so ein kleiner Frachter höchsten 10 - 12 Mann Besatzung. Wenn in der "Wikipedia" etwas von "keinen zwei Dutzend echte Matrosen" steht, dann heißt das nicht, dass zu wenige Matrosen an Bord gewesen wären - eher, dass ein ungünstiges Zahlenverhältnis zwischen den vielen Offizieren und Unteroffizieren und den Mannschaftsdienstgraden herrschte.)
Für tieferen, strukturellen Ursachen und die äußeren Umstände, die zur Meuterei führten, konnte Bligh nichts. Aber es spricht einiges dafür, dass es an Blighs schlechter Menschenführung lag, dass aus Unzufriedenheit Meuterei wurde.

Tatsächlich beging Bligh alle sieben "Todsünden" ineffektiver Manager:
  1. Bligh hielt nicht immer Wort. Zum Beispiel brachte er einen Zimmermann, der nach der Meuterei loyal geblieben war, entgegen eines Versprechens wegen einer Kleinigkeit vor Gericht.
  2. Er stauchte Untergebene vor versammelter Mannschaft zusammen: z. B. kritisierte er seinen Stellvertreter Fryer lautstark vor den Augen der Mannschaft. Auch wenn die Kritik der Sache nach gerechtfertigt war, unterminierte das die Disziplin und vergiftete das Verhältnis zwischen Bligh und seinem engsten Mitarbeiter. Auch andere Untergebene machte er sich so zum Feind.
  3. Er war "Kontrollfreak" - und war trotzdem über die Verhältnisse an Bord nicht im Bilde.
  4. Er hielt sich mit Lob zurück.
  5. Er mischte sich oft in Kleinigkeiten des Schiffsbetriebs ein. Ironischerweise sorgten vor allem seine Versuche, unter der Mannschaft für gute Laune zu sorgen, für Unmut: die Leute wollten in ihrer Freizeit nicht auch noch vom "Alten" behelligt werden.
  6. Er hörte nicht zu: Deshalb war er völlig überrascht, als sich seine Leute gegen ihn wandten.
  7. Er war inkonsequent und damit unberechenbar: er konnte einen Mann an einem Tag vor Untergebenen herunterputzen und ihm am nächsten Tag zum Dinner einladen - wohlgemerkt: nicht als Geste der Entschuldigung. In der Regel verhängte er auch bei schweren Vergehen nur milde Disziplinarstrafen, aber manchmal war er völlig unnachsichtig bei geringfügigen Unbotmäßigkeiten.
Die Konsequenz: Bligh, einer der fähigsten Seefahrer und Navigatoren seiner Zeit, hatte während seiner an sich glänzenden Karriere - er brachte es bis zum Gouverneur von New South Wales /Australien und zum Vizeadmiral - gleich zwei spektakuläre Meutereien.

Freitag, 8. Oktober 2010

Überlegung: warum gibt es kein "Frankfurt 21" und kein "Hamburg 21"?

Auf dem Blog "Spiegelfechter" legt Jens Berger ausführlich dar, dass der bisherige Kopfbahnhof gar kein "Nadelöhr" ist, dass der geplante unterirdische Durchgangsbahnhof dagegen schon bei kleinen Betriebsstörungen zum Nadelöhr werden kann - und woran es wahrscheinlich liegt, dass das verkehrstechnisch unsinnige Projekt "Stuttgart 21" doch gebaut werden soll:
Stuttgart 21 – der Bahnhof, den niemand will und niemand braucht.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof steht in der Rangliste der meistfrequentierten Fernbahnhöfe in Deutschland mit 240000 Fahrgästen pro Tag erst an achter Stelle. Der meistfrequentierte deutsche Bahnhof ist der Hamburger Hauptbahnhof mit 450000 Fahrgästen pro Tag.
Auch als Fernverkehrs-Knotenpunkt, etwa auf der von Kanzlerin Merkel erwähnten "Verbindung Paris-Budapest", nimmt Stuttgart Hbf mit 164 Fernzügen am Tag keinen Spitzenplatz ein.
Der wichtigste Knotenpunkt für Fernzüge ist in Deutschland eindeutig der Hauptbahnhof von Frankfurt (Main) mit 342 Zügen im Fernverkehr pro Tag.

Frankfurt Hbf ist, wie Stuttgart Hbf, ein Kopfbahnhof. Züge, die nicht in Frankfurt enden, müssen "rückwärts" den Bahnhof verlassen, bis sie ihre Fahrt fortsetzen können. Das "Kopf machen" ist ein zeitraubender Vorgang, der in einen Durchgangsbahnhof entfällt.

In der Tat gab es auch in Frankfurt Pläne für den Umbau in einen Durchgangsbahnhof, das Projekt Frankfurt 21. Allerdings sollte bei Frankfurt 21 kein Bahnhof abgerissen und neu gebaut werden, sondern der Hauptbahnhof mit dem Ostbahnhof durch unterirdische Gleise verbunden werden.
Dieses Projekt wurde 2002 endgültig fallen gelassen. Warum?

Das Hauptproblem in Frankfurt war die Finanzierung. Ursprünglich sollte das 1998 mit 2,9 Milliarden D-Mark kalkulierte Projekt durch den Verkauf ungenutzter Bahngrundstücke finanziert werden, was allerdings, da die zum Verkauf vorgesehenen Grundstücke teilweise dem Bundeseisenbahnvermögen gehörten, nicht realistisch war. Die Deutsche Bahn fürchtete wegen der geringeren Immobilienerlöse einen höherer Eigenanteil tragen zu müssen.

Anderseits wäre der Zeitgewinn weitaus geringer gewesen, als ursprünglich angenommen - er hätte höchsten zehn Minuten betragen. Die meisten Personenzüge - einschließlich der ICEs und ICs - sind heutzutage Wendezüge (oder Triebzüge), weshalb das "Kopf machen" längst nicht mehr so umständlich und zeitaufwendig ist wie früher. Betriebswirtschaftlich machte "Frankfurt 21" also keinen Sinn.
Da auch die politische Unterstützung weit geringer war als in Stuttgart, war das Projekt "Frankfurt 21" damit praktisch gestorben:
Ob ein Projekt verwirklicht wird oder nicht, hängt immer auch von den handelnden Personen ab - und von der Frage, wer wem auf bestimmten Posten folgt.
Bahntunnelprojekt: Immer einen Schritt schneller Artikel der FAZ aus dem Jahr 2006, in dem dargelegt wird, warum das Projekt "Frankfurt 21" scheiterte, aber für "Stuttgart 21" "noch Hoffnung bestand". Die FAZ lobte damals noch:
Die Cleverles aus Stuttgart waren außerdem in dem ganzen Prozedere immer einen Schritt schneller - auch das gehört mitunter zum Erfolg. Als man sich am Main noch alle vier Wochen zu einer "Machbarkeitskommission" traf, waren am Neckar schon viele Hürden genommen.
Das Projekt "München 21" wurde ebenfalls aufgegeben. Das vergleichsweise bescheidene Projekt City-Tunnel Leipzig wird hingegen verwirklicht. Dieser Projekt kann allerdings als warnendes Beispiel für "Stuttgart 21" gelten. Das Problem sind auch hier hohe (und ständig steigende) Baukosten. Der City-Tunnel ist für den Fernverkehr nur von geringem Nutzen, während die langen Bauarbeiten im Stadtzentrum zu Verkehrsbehinderungen und Umsatzeinbußen führen.

Das es nie ein Bahnhofsprojekt "Hamburg 21" gegeben hat, verwundert auf den ersten Blick. Zwar ist der Hamburger Hauptbahnhof kein Kopfbahnhof, sondern ein Durchgangsbahnhof - er hat allerdings ebenfalls "historische Altlasten". Erst einmal ist er ein Keilbahnhof: Die Strecken Richtung Süden (Richtung Hannover und Bremen) und in Richtung Osten (Richtung Berlin und Lübeck) zweigen noch innerhalb der Bahnsteige auseinander, auf der anderen Seite werden sie in der Bahn Richtung Hamburg-Altona (Kiel, Flensburg) zusammengefasst. Der Bahnbetrieb ist damit komplizierter als auf einem "reinrassigen" Durchgangsbahnhof.

Außerdem ist Hamburg Hbf eng: Von seinen 14 Gleisen sind zwei reine Durchfahrtsgleise für den Güterverkehr, vier Gleise werden ausschließlich für den S-Bahn-Verkehr genutzt, bleiben also angesichts des starken Verkehrsaufkommens magere 8 Gleise für den Fernverkehr - von denen wegen der "Keilanlage" die Hauptlast des Fernverkehrs, der der stark frequentierten Nord-Süd-Verbindungen, auf nur vier Gleisen ruht.
Aus städtebaulichen Gründen ist es nicht möglich, einfach weitere Gleise an der Seite anzubauen - mit den beiden in den 1970er Jahren gebauten unterirdischen S-Bahn-Gleisen ist diese Möglichkeit bereits ausgeschöpft.

Ein - hypothetisches - "Projekt Hamburg 21" könnte im Neubau eines "breiteren" Bahnhofs südlich vom heutigen Standort und eines Gleisdreiecks noch weiter südlich bestehen. Die nötige Flächen für einen oberirdischen neuen Hauptbahnhof wären sogar "freiräumbar" gewesen (Ostteil der "Hafencity" und Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs).

Der Grund, weshalb es nie ein "Hamburg 21" gegeben hat, liegt darin, dass mit einen neuen Bahnhof praktisch keine Fahrzeitverkürzungen verbunden gewesen wären, die die Kosten eines Neubaus rechtfertigen könnten.
Zwar lag der Fall beim neuen Berliner Hauptbahnhof ähnlich, nur gab es dort starken politischen Druck, das Projekt entgegen betriebswirtschaftlicher Bedenken durchzuziehen.

Mein Fazit: wirtschaftlich unsinniger "Bahnsinn" wie "Stuttgart 21" hat nur dort eine Chance, wo er mit massivem politischen Druck "durchgepeitscht" wird.

Samstag, 10. Juli 2010

Mehr Heinrich Brüning als Ludwig Erhard

Die notdürftig als Wirtschafts-Öchsperten getarnten Lobbyhanseln von der "Initiative" "neue" "soziale" "Markt-" Wirtschaft (INSM) schlagen mal wieder heftig zu, wie ich von "Weissgarnix" weiß: Die dümmsten Kälber… .

Die Öchsperten von der INSM machen in ihrer Anzeige mit einem Zitat von Ludwig Erhard auf, um für eine in einer noch längst nicht durchgestandenen Krise gefährliche prozyklische Sparpolitik Reklame zu machen:
Jede Ausgabe des Staates beruht auf einem Verzicht des Volkes
Ich habe auf die Schnelle leider nicht herausbekommen, in welchem Kontext Erhard das geäußert hat. Ich vermute, dass der "Vater der sozialen Marktwirtschaft" damit gegen schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme argumentierte. Nur dass die in Deutschland zur Zeit gar nicht auf der Tagesordnung stehen. Erhard war zwar ein in der Wolle gefärbter Marktwirtschaftler, der (vielleicht zurecht) nichts von deficit spending hielt. Aber so viel ich weiß hütete er sich vor einer Spar- und Deflationspolitik, wie sie Heinrich Brüning als Reichskanzler in der Wirtschaftkrise Anfang der 1930er Jahre betrieben hatte. Brüning hoffte, mit einer Politik der Senkung staatlicher Leistungen und der Absenkung von Löhnen und Gehältern den deutschen Export zu erhöhen. Das Dumme war aber, dass auch Deutschlands Handelspartner Sparpolitik betrieben - und deshalb gar nicht importieren konnten. Diese prozyklische Politik - Bremsen, wenn es sowieso schon langsam läuft - scheiterte, sie verschärfte letztlich nur die Wirtschaftskrise in Deutschland, weil die Inlandsnachfrage völlig zusammenbrach. (Und war Wasser auf die Mühlen der Nazis, die, einmal an der Macht, eine Verschuldungspolitik ungeheuren Ausmaßes für die Aufrüstung betrieben.)

Dass das Zitat in dem Kontext, in den den von der INSM gestellt wurde, geradezu perfide ist, hat Weissgarnix überzeugend dargelegt.
Das ist aber just genau das, was die INSM fordert: Dass der Staat sein Ausgaben zurückführt, dass er Schulden tilgt. Dass Einnahmen und Geld verschwinden – bei Lehrern, Krankenschwestern, Beamten, Soldaten, Richtern und Transferleistungsempfängern. Und den ganzen kleinen Klein- und Mittelbetrieben, die auf kommunaler oder Landesebene Arbeiten für die Öffentliche Hand erledigen. Zufällig nicht die Klientel der INSM – too bad.

Besonders perfide an der INSM-Kampagne ist, dass für das vollformatige Foto genau jener Teil des “Volkes” ausgewählt wurde, der in nicht geringem Umfang auf Einkommen aus Staatshand angewiesen ist: Kinder, Kleingewerbler, Bürger mit Migrationshintergrund.
Mir fällt im Zusammenhang mit Erhard und der Sozialen Marktwirtschaft eher ein anderes Zitat ein, der Titel seines populären Buches Wohlstand für alle (1957).

Ich könnte mir glatt vorstellen, dass ein Politiker, der heute als Hauptziel der Wirtschaftspolitik "Wohlstand für alle" nennen würde, von der "neoliberalen" "Initiative" "Neue" "Soziale" "Markt"-Wirtschaft glatt mit Vorwürfen wie "linker Träumer", "Gleichmacher" oder "Ist das gerecht gegenüber den Leistungsträgern?" bedacht würde. "Wohlstand für alle!" - Wo kämen wir denn da hin?!?

Sonntag, 13. Juni 2010

Traurige Notlösung Mietspeicher

Nicht immer bin ich von den Blogbeiträgen "Don Alphonsos" angetan. Was übrigens nichts mit denen von "Don" vertretenen Ansichten zu tun hat, denn ich weiß, dass diese Kunstfigur sich deutlich von ihrem Schöpfer Rainer Meyer unterscheidet. Immerhin sind sind fast immer geistreich und amüsant, weshalb ich sie auch dann gerne lese, wenn ich mich über sie ärgere.

Vor einigen Tagen bloggte ich über den meiner Ansicht nach fehlenden Pragmatismus der Deutschen. Daran musste ich sofort denken, als "Don" eine Einrichtung vorstellte, von der man im ersten Moment annehmen könnte, sie sei eine pragmatische Lösung eines Problems: "Self Storage" - Lagerhäuser, die Lagerraum für Dinge bieten, deren Besitzer für sie im Moment keine Verwendung haben, von denen sie sich aber auch nicht trennen mögen.
Das Begräbnis der Dinge und der Bürgerlichkeit

Von einigen Ausnahmen abgesehen, ist diese scheinbar so praktische Lösung einigermaßen absurd: anders als im eigenen Keller oder Dachboden verursacht die Lagerung im gemieteten Speicher laufend Kosten. Dennoch gibt es offensichtlich Bedarf für solchen Speicher - etwa, weil die Lebensumstände es gar nicht zulassen, dauerhaft eine Wohnung mit Keller zu bewohnen. Ich könnte mir ohne Weiteres vorstellen, dass ich unter Umständen so einen Mietspeicher benutzen würde, um Dinge einzulagern, von denen ich mich nicht trennen möchte oder deren Verkauf und spätere Wiederbeschaffung mehr Kosten würde, als die Lagermiete ausmacht. Aber diese Umstände, die mich dazu veranlassen könnten, gefallen mir ganz und gar nicht. Da gebe ich Don recht:
Mein Platz, Dein Platz, sagt die Werbung, aber genau das Gegenteil ist der Fall, denn niemand, der es braucht, hat wirklich einen dauerhaften Platz im Leben. Niemand würde vermutlich aus freiem Willen so leben wollen, gleichzeitig von Dingen überfrachtet und ihnen trotzdem durch die Konsumgesellschaft ausgeliefert. Es sei denn, es laufen darin zwei dieser erstaunlichen Zivilisationsdeformationen der letzten Jahre zusammen: Der krankhafte Anhäufer, der aufgrund der Konsummöglichkeiten zuviel hat, um es noch zu kontrollieren. Und der internationale Bindungslose, der überall und immer gehen kann, der nie zu lange bleibt und immer die Option hat, verbrannte Erde zu hinterlassen, denn seine Freunde sind bei Facebook, seine Wohnung ist immer nur auf Zeit, seine Vergangenheit ein paar Zeilen in der Bewerbung und seine Zukunft ungewiss. Unbürgerlich ist beides, und beidem kann mit so einem Mietgrab der Gegenstände abgeholfen werden, denn der Besitz bleibt erhalten, und genauso die Bewegungsfreiheit. Beides können die Betroffenen hemmungslos ausleben, für ein paar Euro mehr, die man gerne bezahlt, wenn der nächste Job einen Gehaltssprung vorsieht. Es macht das Dasein sehr viel leichter, weniger Ballast erhöht die Beschleunigung noch etwas, und wenn der andere vielleicht noch überlegt, ob sich ein neuer Umzug lohnt, ist der Selbstwegspeicherer vielleicht schon im Flieger zu neuen Horizonten, wo er alles neu kauft.
Sicher ist diese Formulierung ungerecht gegenüber denen, die zur Mobilität und Flexibilität regelrecht gezwungen werden, die es sich nicht ausgesucht haben, "Arbeitsnomaden" zu sein.
Aber in was für einer Welt leben wir, in der die Instrumentalisierung und Selbst-Instrumentalisierung zu so im Grunde traurigen und absurden Lösungen führt?

Mittwoch, 8. April 2009

Vogelgrippe: Massentötung von Puten war überflüssig

Aus medizinischer Sicht war die Massenkeulung von 610.000 Puten auf Kosten der Steuerzahler überflüssig.
Wissenschaftler und Tierärzte vermuten, dass hinter der Massenkeulung eine Marktbereinigung zum bestehenden Überangebot gesteckt habe, eine Art Konjunkturprogramm für die Putenwirtschaft.

Die nach dem Ausbruch der Vogelgrippe im Landkreis Cloppenburg im Dezember 2008 vorgenommene Massenkeulung von 610.000 Puten war nach Meinung von Experten überzogen und unnötig. Die Tiere seien kurz vor Weihnachten zu einem großen Teil schlachtreif gewesen und hätten laut der bundesweit geltenden Geflügelpestverordnung für den Verbraucher ohne Bedenken auf den Markt gebracht werden können. Das bei Tests festgestellte H5N3-Virus sei für die Tiere harmlos und vergleichbar mit einem Schnupfen, sagten unabhängig voneinander die Vogelgrippe-Experten Sievert Lorenzen von der Universität Kiel und Johan Mooij vom Wissenschaftsforum Aviäre Influenza dem Informations-Radioprogramm NDR Info.

Der Verlust für die Putenproduzenten hielt sich dank der Tierseuchenkasse Niedersachsen in Grenzen. Sie glich die durch die Keulung entstandenen Verluste größtenteils aus - die Kasse zahlte erstmals seit dem Aufkommen der Vogelgrippe: 14 Millionen Euro insgesamt. Das Geld aus der Kasse stammt zur einen Hälfte von den Beiträgen der Geflügelhalter. Die andere Hälfte kommt vom Land - also vom Steuerzahler. Kritiker sprechen deshalb auch von einem Konjunkturprogramm für die Branche.

Meiner Ansicht nach ist der Fall "Massenkeulung" typisch für verdeckte Subventionen und den damit verbundenen Etikettenschwindel. Auch die Abwrackprämie, auf immerhin 5 Milliarden "gedeckelt", ist offiziell ja eine Umweltprämie, aber in diesem Falle glaubt es ohnehin niemand. Und es stört nur wenige, denn es geht ja um eine (angebliche) "Schlüsselindustrie".
In Fällen wie der Putenkeulung lässt sich der Subventionscharakter der Maßnahme besser verschleiern.

Außerdem ist der Fall "Putenkeulung" ein "schönes" Beispiel davor, wie mit Panikstichworten Politik gemacht wird. Es geht angeblich um nichts weniger als die Abwehr einer Millionen Menschenleben gefährdenden Vogelgrippepandemie, da kommt es auf "ein paar Puten" nicht an.
Mit einem hinreichend großen Bedrohungsszenario lässt sich offensichtlich alles durchbringen.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Es ist irgendwie schade, dass Märklin Insolvent ist

Warum die Märklin-Eisenbahn aus der Spur geriet - damit zerschlägt sich möglicherweise eine Zukunftsperspektive des Noch-Bahnchefs Mehdorn. Aber es gibt zum Glück noch andere Modellbahn-Hersteller, deren Erzeugnisse Mehdorn auch künftig das Gefühl geben könnten, Bahnchef zu sein - er könnte damit sogar die Bahn gegen die Wand fahren lassen, ohne dass es jemanden außer vielleicht seiner Frau stört.
Übrigens weist der Fall Märklin (sozusagen im Maßstab 1:85) einige Parallelen zum Fall Deutsche Bahn AG auf ("Sanierung ist schief gelaufen") - hoffentlich endet mit der Ära Mehdorn auch die Vorbildtreue.

Nachtrag: Allerdings wird auf der Modellbahn nicht bespitzelt. Ich finde es auch nicht ganz unerfreulich, dass der Führungsetage der Deutschen Bahn nicht zuletzt eine Veröffentlichung in einem Medium zu schaffen macht, das von der Mehrheit der deutschen Entscheider in Wirtschaft, Politik und Medien bislang etwa so ernst genommen wird wie eine Modellbahn: "Blogger? Schick denen 'ne Abmahnung und die Sache ist gegessen!" - Von wegen! Die Welle nach der Abmahnung.

Donnerstag, 27. März 2008

Eine technische Lösung, für die kein passendes Problem gefunden wurde

Wieder einmal werde ich selbstreferenziell - was ja auch legitim ist, wenn man recht behält:
So lange sich an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nichts ändert, hat der Transrapid keine Zukunft.
Das Ende eines Verkehrsmittels.

Da sich seitdem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht, die Kostenvoranschläge für das Projekt "in zehn Minuten vom Hauptbahnhof zum Flughafen" sich aber sehr stark geändert haben, und zwar nach oben, kommentiere ich diese Nachricht: Aus für den Transrapid mit einem leicht verwunderten "Jetzt erst?"
Auch diese Reaktionen sind nicht wirklich überraschend: Aus für Münchner Transrapid -Strecke: Stoiber verwundert - Maget hämisch.

Freitag, 14. März 2008

Woran erkennt man zuverlässig einen Ideologen?

Ganz einfach: an seiner Behauptung, es gäbe "keine Alternative".

Schon das Denken in Alternativen - in Begriffen von "entweder / oder" - wird der Wirklichkeit nur äußerst selten gerecht. Im Falle einer wirtschaftspolitischen Agenda (ich denke da an z. B. die "Agenda 2010") ist diese Argumentation besonders absurd, denn eine Agenda ist eine "Tagesordnung" oder eine "Zielsetzung". Eine grobe Vorgabe, wo es lang gehen soll. Zu behaupten, es gäbe ein nur ein allgemeingültiges Ziel (etwa: "Europa muss zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Region der Welt werden" - Lissabon-Agenda) - und ferner nur einen Weg dorthin (etwa: "ohne Senkung der betrieblichen Lohnnebenkosten geht es nicht") - ist ideologisches Denken pur.

Montag, 3. März 2008

Ein im Prinzip guter SpOn-Artikel

Auf Udos Law Blog fand ich einen Hinweis auf den SpOn-Artikel Deutschlands Mitte schrumpft dramatisch - Top-Verdiener legen zu.
Udo Vetter fasste das deprimierende Fazit des Artikel in einem Satz zusammen: "Stabil ist die Lage nur ganz unten".
Wer einmal aus der Mittelschicht "abgestürzt" ist, der hat es schwer, wieder "nach oben" zu kommen. Und es wird immer schwieriger: 66 Prozent der Menschen aus der Unterschicht sind auch vier Jahre später noch "ganz unten". Vor einigen Jahren blieben "nur" 54 Prozent "unten hängen".

Der desillusionierende Artikel hat einen, in meinen Augen, entscheidenden Fehler - nämlich diesen Satz:
Unter dem Druck der Globalisierung hat sich die soziale Lage der Republik sehr viel unvorteilhafter entwickelt als bislang bekannt.
Was mich stört, ist, dass wieder einmal der "Druck der Globalisierung" wie etwas schicksalhaft-unabwendbares von außen kommt. Tatsächlich sind die deutschen Verhältnisse größtenteils "hausgemacht".
Nein, ich will nicht in die Litanei jener einstimmen, die für alles die "Neoliberalen" verantwortlich machen - auch wenn Albrecht Müllers Diagnosen in seinem Bestseller "Die Reformlüge" einiges für sich haben - die Diagnosen, denn seiner Therapie, einer Rückkehr zur keynesianischen Interventionspolitik, traue ich auch nicht über den Weg, weil sie genauso von den Interessen einer Elite gelenkt ist, wie die Rezepte z. B. der INSM.
Egal, ob "staatsgläubig" oder "marktgläubig" - der Weg in die Unfreiheit erscheint vorgezeichnet, aber anders, als ihn sich Hayek seinerzeit vorstellte (obwohl, bei anderer Konstellation, als wir sie z. Z. bei uns haben, seine Befürchtungen immer noch aktuell sind) - in die Unfreiheit eines Neofeudalismus, in dem eine kleine "Elite" und ihre Interessen identisch mit der "Staatsraison" sind.

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