"Deutschland sucht den Super-Erfinder"

Heute (22. November 2006) und morgen abend berichtet das ZDF über ein Ereignis, das aufgrund seine medialen Aufbereitung gut und gerne "Deutschland sucht den Super-Erfinder" heißen könnte: Am 23. 11. wird zum 10. Mal der vom damaligen Bundespräsidenten Roman "Ruck" Herzog initiirte "Deutsche Zukunftspreis" verliehen.

Deutscher Zukunftspreis

Trotz der Show drumherum, trozt wahrer Fluten aus Politikersprech und PR-Kleister halte ich den "Zukunftspreis" für einen der wichtigsten Preise, der in Deutschland vergeben wird. Denn er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Orte, an dem die technologische und ökomische Zukunft buchstäblich gemacht wird: die Forschungslabors und Entwicklungsabteilungen. Wie viele und welche Erfindungen gerade gemacht werden, und ob und wo sie sich durchsetzen, das ist meines Erachtens ungleich wichtiger für die Welt, in der wir den Rest unseres Lebens leben werden, als z. B. Fragen zum demographischen Wandel, zu Lohnnebenkosten, zur Kriminalitätsbekampfung (reines Hype-Thema übrigens, die Kriminalitätsrate ist in den meisten Bereichen seit Jahren rückläufig), zur Gesundheitsreform, zur Überfemdung (wird nicht so genannt, aber gemeint) und was auch immer als "drängende Zukunftsfragen" auf die Agenda gesetzt wird.
Ich drücke es mal so aus: Von interessierter Seite (sind mehrere, durchaus miteinander konkurrierende, Verbände, Stiftungen und Lobbybuden) wird in etwa folgendes Bild vom "Standort Deutschland" gemalt: Vergreisende, sich auf längst verwelkten Lorbeeren ausruhende, tendenziell faule, zu Neuerungen unfähige Gesellschaft, zu höhe Löhne, zu wenig Arbeitsbereitsbereitschaft, zu wenig Flexibilität - und zu viel "Orchideenfächer", zu viel "nicht anwendungsorientierte Forschung", zu lange Studienzeiten an den Unis. Dass die "wirklich wichtigen Erfindungen" seit Jahren "woanders" (USA, Japan, neuerdings auch China und Indien) gemacht werden, und die "einstige Erfindernation" Deutschland sich auf "Technologien von gestern" ausruhen würde, das ist inzwischen weitgehend Konsenz. Da setzt der Zukunftspreis ein kleines Gegengewicht. Denn Erfinder sind im allgemeinen weniger prominent als selbst die C-Promis im Showgeschäft. Fragt mal irgendjemanden, wo z. B. das MP3 Verfahren erfunden wurde und wer die Entwicklung leitete. Selbst Computerfreaks müssen da meistens passen.

Es gibt auch sachliche Kritik am Zukunftspreis. Zum Beispiel die, dass sich viele der preisgekrönten Erfindungen und Entwicklungen als saftige Flops erwiesen hätten - "Deutscher Hypepreis". Oder dass unter den Nominierten fast nur Konzerne vertreten sind. "Eigenlob der Großindustrie".

Sehen wir uns einmal die bisherigen Zukunftspreisträger an:
  • 1997 Christian Deter (Laser Display Technologie. Gera) für die Laser-Großbildprojektion. Der meistzitierte "Flop": Aufwand und Kosten der Entwicklung wurden unterschätzt, die Anwendungsmöglichkeiten überschätzt. Die Schneider-Rundfunkwerke, die auf diese Entwicklung setzten, gingen darüber in den Konkurs. Bis heute gibt es kein Laser-TV - es wäre schlicht viel zu teuer. Allerdings: bei Planetarien und Flugsimulatoren setzt sich die Laserprojektionstechnik durch.)
  • 1998 Peter Grünberg (Forschungszentrum Jülich) für die Entdeckung des GMR-Effekts. Der GMR-Effekt ermöglich den Bau hochempfindlicher Magnetfeldsensoren, die eine 200-fache Steigerung der Speicherdichte in Computerfestplatten möglich machen. Schon 1998 hatten sich GMR-Festplatten weitgehend durchgesetzt, heute gibt es kaum noch andere.
  • 1999 Peter Gruss, Herbert Jäckle (Max Plank-Institut für Biophysikalische Chemie, Göttingen) für Molekularbiologische Verfahren für innovative Therapie. Ein neuer Ansatz zur Therapie z. B. von Diabetis. Wegen der langen Entwicklungzeiten und Zulassungsverfahren bei Medikamenten ist der Erfolg heute erst in Ansätzen überschaubar. Ein "Flop" ist die Entwicklung jedoch auf keinen Fall.
  • 2000 Karlheinz Brandenburg, Bernhard Grill, Harald Popp (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen, Illmenau) für MP3-Komprimierung von Audiosignalen in HiFi-Qualität für Internet und Rundfunk. Der größte Erfolg, bis heute eine Goldgrube für die Fraunhofer-Gesellschaft, die damit ein großes Stück Unabhängigkeit errang. Dass die industrielle Umsetzung in Deutschland eher verschlafen wurde, ist nicht den Erfindern anzulasten.
  • 2001 Wolfgang Wahlster (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Saarbrücken) für Sprachverstehende Computer als Dialog- und Übersetzungsassistenten.Sichere, aber konservative Wahl der Jury. Denn Wahlster ist nur einer von vielen, die auf diesem Feld arbeiten. Der Zweitplazierte, Theodor Hänsch mit seinem laserbasierten Präzisionsmikroskop, erhielt 2005 für seine Entdeckung den Nobelpreis für Physik ...
  • 2002 Martina-Regina Kula, Martina Pohl (Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) für Sanfte Chemie mit biologischen Katalysatoren.Biokatalysatoren ermöglichen dass Sytheseprozesse in der chemischen Industrie bei Normaldruck und Zimmertemperatur ablaufen, die im herkömmlichen Verfahren Hochdruck-Reaktoren und hohe Temperaturen benötigen. Die Energieeffizienz steigt enorm, das Unfallrisiko reduziert sich stark. Vielleicht gelten Kula und Pohl in ein paar Jahren als "Retterinnen des Chemiestandortes Deutschland"
  • 2003 Kazuaki Tarumi, Melanie Klasen-Memmer, Mathias Bremer (Merck, Darmstadt) für die Entwicklung von Flüssigkristallen, die Blickwinkelabhängigkeit, Kontast und Reaktionszeiten in Flüssigkristall-Displays (LCD) entscheidend verbessern. Diese Innovation sichert dem Darmstädter Unternehmen die weltweite Markführerschaft, alle namhaften LCD Hersteller sind dort Kunden, der Weltmarktanteil der Merck-Flüssigkristalle beträgt 70 %. Ohne die verbesserten Kristalle wären großformatige LCD-Flachbildschirme gar nicht machbar.
  • 2004 Rainer Hintsche (Frauenhofer-Institut für Siliziumtechnologie, Itzehoe), Walter Gumbrecht (Siemens,Erlangen), Roland Thewes (Infenion, München) für Labor auf dem Chip - Elektronische Biochiptechnologie. Die neuartigen Biochips, die anders als bisher gebäuchlich Biosensoren mit elektrischem Strom arbeiten, ermöglichen sehr kompakte, preiswerte, schnelle und zuverlässige Analysegeräte für Proteine, Krankheitserreger und biologische Giftstoffe.
  • 2005 Friedrich Boeking (Robert Bosch, Stuttgart), Klaus Egger, Hans Meixner (Siemens VDO, Regensburg) für Piezo-Injektoren Eine neue Einspritz-Technik, die saubere und sparsame Diesel- und Benzinmotoren ermöglicht. Eher konservative Jury-Entscheidung. Ob sie sich am Weltmarkt durchsetzt, ist noch nicht sicher..
Fazit: Ein "Teilversager", ausgerechnet beim ersten vergebenen Preis, drei ganz große Erfindungen und drei Entwicklungen, deren wirtschaftlicher Erfolg noch nicht voll überblickt werden kann. Und die viel geschmähten öffentlichen Forschungseinrichtungen schnitten weitaus besser ab, als es die "konservativ-liberale" Standort-Propaganda glauben machen will.

Nachtrag:Der deutsche Zukunftspreis 2006 geht an den Göttinger Physikprofessor Dr. Stefan Hell, Direktor des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie. Hell hat ein verbessertes Lichtmikroskop entwickelt, das eine Bildauflösungs im Nanometer-Bereich erreicht, was bisher nur mit Elektronenmikroskopen möglich war. Das hellsche Mikroskop erlaubt, im Gegensatz zum Elektronenmikroskop, die Untersuchung lebender Zellen, was z. B. in der Krebsforschung wichtig ist. Ich gratuliere!
? (Gast) - 22. Nov, 18:32

"Biokathalysatoren ermöglichen dass Sytheseprozesse in der chemischen Industrie bei Normaldruck und Zimmertemperatur ablaufen, die im herkömmlichen Verfahren Hochdruck-Reaktoren und hohe Temperaturen benötigen. Die Energieeffizienz steigt enorm, das Unfallrisiko reduziert sich stark. **Vielleicht gelten Kula und Pohl in ein paar Jahren als "Retterinnen des Chemiestandortes Deutschland**"

Interessanter Post, aber v.a. der letzte Satz zeugt eher davon, dass du hier der "umweltreligiösen Sprachregelung" aufsitzt, die du in deinem guten "Umweltreligion"-Essay selbst kritisierst. Die beschriebene Enzymtechnologie ist ohne Zweifel ein interessanter Fortschritt, aber mehr auch nicht, auch bei den Propagandisten der "Grünen Chemie" ist Skepsis angebracht, nicht anders als bei Windenergie, Biodiesel etc...

MMarheinecke - 22. Nov, 19:10

Nein, das meinte ich nicht: dank der Biokatalysatoren (es sind "maßgeschneiderte" Enzyme) sinken die Kosten, die für die Synthese z. B. von Monomeren für die Kunststoffherstellung aufgewendet werden müssen. Ein Chemieunternehmen, das diese moderne Technik einsetzt, hat gegenüber der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil - die Synthese kann im "Bottich" statt im Hochdruckreaktor ablaufen.

Außerdem erleichtert die sehr viel geringere Gefahr schwerer Unfälle die Neuansiedlung oder Erweiterung von Produktionsanlagen.

Was dich vielleicht irritiert hat, ist die Bezeichnung "Bio". Es ist aber ein ganz "normales" neuer Verfahren der chemischen Industrie, und hat mit "alternativer" oder "grüner" Chemie nichts zu tun. Vergleichbar ist das z. B. mit der Einführung der Ziegler-Natta Katalysatoren vor gut 50 Jahren, die die Herstellung von Polyolefinen bei Normaldruck ermöglichten - und dadurch der deutschen / westeuropäische Kunstoffindustrie einen Wettbewerbsvorteil verschafften, den diese auch zu Nutzen verstand.

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