Persönliches

Samstag, 12. März 2011

Tage wie heute ...

Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, ich bräuchte nur den Feedreader aufzumachen, das Radio oder den Fernseher einzuschalten oder - ganz altmodisch - die Zeitung aufzuschlagen, und schon würde ich mich vor schlechten und deprimierenden Nachrichten kaum retten können.

Heute war es nicht nur ein Gefühl. Die Nachrichten von der AKW-Katastrophe nach der Erdbeben-Katastrophe war längst nicht die einzige Nachricht, bei der ich das irritierende Gefühl hatte, in einem dystopischen Science Fiction-Roman gefangen zu sein.

Eine weitere Nachricht, die zu diesem Gefühl beitrug: Vorratsdaten in Frankreich: Auch Passwörter werden gespeichert. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht früher oder später auch bei uns die "für die Polizeiarbeit unverzichtbaren" Passwortspeicherung enthalten würde. Ich fürchte, dass die Privatsphäre wirklich ein "Auslaufmodell" zu sein scheint. Man kann sarkastisch den Kopf in den Sand stecken: "Privatsphäre ist so was von 80er" oder auf traditionell deutscher autoritätsgläubig-zweckoptimistische Weise: "Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten."

Aber wer erst den Kopf in den Sand steckt, der knirscht anschließend mit den Zähnen.

Es ist auch eine "Kopf in den Sand"-Haltung, vor der Glotze oder dem Compi-Bildschirm zu sitzen und entsetzt auf die Bilder aus Japan zu stieren. Es mag ja sein, dass bei uns in Mitteleuropa die Gefahr schwerer Erdbeben und Tsunamis recht gering ist - dafür gibt es andere natürliche Risiken. Orkane und Sturmfluten fallen mir da als Hamburger zuerst ein.
Und dann gibt es, keine 10 Kilometer entfernt, einen Siedewasserreaktor ähnlicher Bauart wie die im AKW Fukushima, der auch schon ein langes Register an Pannen und Unfällen hätte.

Das starke Erdbeben, der alles verwüstende Tsunami, das sind Naturgewalten, die die Verletztlichkeit unserer Zivilisation zeigen. Die Demut lehren. Nicht in dem Sinne eines "gottergebene" Fatalismus, oh nein! Aber es ist sehr fraglich, ob ich ohne Sturmfluten auf einer Nordseeinsel erlebt zu haben, das geworden wäre, was man gemeinhin naturreligiös nennt. Not lehrt nicht nur beten, sondern auch anpacken. Die Angst, die kommt erst nachher.
Und die Naturgewalten, sie sind ambivalent. Vernichtend und lebensspendend zugleich. So, wie auch meine Götter ambivalent sind. Alle - und ganz besonders Loki, der immer mal wieder unter dem Pseudonym "Murphies Law" unsere Selbstgewissheit erschüttert. Dann geht alles schief, was schief gehen kann, und wenn wir Glück haben, ohne dass dabei Menschen draufgehen. (Es ist übrigens der einzige Gott, bei dem ich mir nicht sicher bin, dass das Prinzip, ein Gottesbeweis sei unmöglich, auf ihn zurifft. Er ist eben unberechenbar. Und deshalb auch schöpferisch. Nicht der Teufel, den man, als die alten Götter schon halb vergessen waren, aus ihm machte.
Da haben es die Japaner leichter. Deren Alte Sitte, Shintō, ging nie bis auf ein Häufchen Bruchstücke, von denen keiner genau weiß, ob und wie sie zusammengehören, verloren. Auch wenn auch Shintō verdreht, politische instrumentalisiert, völkisch umgedeutet wurde.
Und ich weiß: Japan braucht seine Götter mehr denn je.

"Demut" heißt nicht: "Gegen die Gewalt der Natur kann ich eh nichts machen!" und schon gar nicht: "Wenn ein Kernkraftwerk hochgeht, ist es zu spät, etwas machen zu wollen!"
Ich weiß: ich kann mit den Gewalten der Natur einiges machen, ich kann mit anderen Menschen gemeinsam etwas erreichen. Und mit Hilfe der Götter. Nicht selbstlos, nicht als "unverdiente Gnade", sondern so, wie Geschwister sich helfen sollten.
Viellicht erreiche ich wenig. Aber genug, dass das lähmende Gefühl von Hilflosigkeit verschwindet.

Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass wirklich schlechte Nachrichten nicht bedrücken, nicht depressiv-passiv machen. Sie mobilisieren eher.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Ein "Schubladenroman", den ich nicht fertig schreiben werde

Ich schreibe - wenn auch zugegebenermaßen eher nebenbei und sporadisch - zur Zeit an zwei Romanen.

Wie es bei (Amateur-)Schriftstellern nicht unüblich ist, gibt es daneben ein paar "Schubladenromane" und eine ganze Reihe unfertiger "Schubladenromanprojekte".

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich die Romane irgendwann einmal hervorholen und überarbeiten, oder die angefangenen Projekte zu Ende schreiben werde.
Bei einem ziemlich fortgeschrittenen Projekt ist das allerdings so gut wie ausgeschlossen.

Es ist der Kriminalroman "Sonnenwende", der etwa zur Hälfte fertig ist, und von dem ich sogar die Anfangskapitel an "Testleser" gab.

Im Herbst 2009 wurde einfach während des Schreibens von den Ereignissen überrollt.

Es geht in "Sonnenwende" um einen (fast) perfekten Mord an einem Neonazi. Während einer Feier erleidet er einen Schlaganfall, an dem er wenig später stirbt. Es ist aber kein spontaner Schlaganfall, sondern ein raffinierter Giftmord - ich habe lange recherchiert, um eine Methode zu finden, mit dem sich ein Schlaganfall hervorrufen lässt, die ohne eine aufwendige biochemische Analyse nicht entdeckt werden kann. Die findet in meinem Krimi nur deshalb statt, weil ein Helfershelfer des Mörders - ebenfalls Neonazis - sich im Vollsuff verplauderte, womit ein Verdacht gegeben war.

Das Mordopfer legte ich sehr eng an den bekannten "Rechtsaußenanwalt" und Multifunktionär Jürgen Rieger an. Nun - Jürgen Rieger starb wirklich, an einem Schlaganfall, und unter Umständen, die meinem Krimi sehr ähnlich waren.
Damit war nicht nur "Rassen-Rieger", sondern auch der Plott gestorben. Wäre mein Krimi irgendwann veröffentlicht worden, hätte er unter den Verschwörungstheorien erfahrungsgemäß zugeneigten Neonazis sicherlich allerlei Spekulationen ausgelöst. Schlimmer noch ist die Möglichkeit, dass jemand die von mir erfundene Mordmethode, da sie ja beim Schlaganfall Riegers "perfekt funktioniert" hätte, wirklich ausprobieren wurde. Auch wenn ich nicht annehme, dass sie funktionieren würde - sicher bin ich mir nicht.
Am Schlimmsten wäre natürlich die Möglichkeit, dass ich mich selbst in Mordverdacht gebracht hätte. Unwahrscheinlich - aber es haben sich schon ganz andere in "Anfangsverdacht" gebracht.

Allerdings - mir gefällt "Sonnenwende" so gut, dass ich das halbfertige Manuskript in irgend einer Form "ausschlachten" werde.

Samstag, 19. Februar 2011

Von schwarzer Pädagogik und Schwarzen Puppen

Mit leichtem Gruseln las ich von der wahnwitzigen Härte, mit der "Tigermutter" Amy Chua ihren beiden Töchter auf Erfolg hin erzog. Wie ein Elisabeth von Thadden in einem Kommentar für die "Zeit" feststellte, preist Frau Chua nicht etwa die harte "chinesische Methode" an, sondern gesteht ihr Scheitern ein (Wer hat Angst vor dieser Frau?).
Ein - mögliches - Motiv Frau Chuas und ein - sehr wahrscheinlicher - Grund für das rege öffentliche Interesse an der "Mutter des Erfolgs" sind Abstiegsängste.
Die Eltern in der "Mittelschicht" sind zutiefst verunsichert angesichts einer demografisch und ökonomisch ungewissen Zukunft, wobei diese nachvollziehbaren Ängsten vor allem in Deutschland auch noch von Politik und Medien kräftig geschürt werden. Sie fürchten, dass sie den Abstieg der Kinder aus der eigenen Schicht nicht verhindern können. In dieser Situation finden Patentrezepte offene Ohren.
Besonders gut kommen Patentrezepte an, wenn sie auch von der "Elite" praktiziert werden, oder zumindest der Eindruck besteht, dass die "Erfolgsmenschen" ihre Kinder so erziehen würden. Von Thaden drückt das so aus: "Erfolgreiche Familien mit Bildung (und Ego-Macke) bringen mit etwas Glück erfolgreiche Kinder mit Bildung (und Ego-Macke) hervor."
Bernhard Bueb, der Ex-Leiter des Elite-Internats Salem, hätte mit seinem "Lob der Disziplin" sicher nicht so viel Beifall gefunden, wenn er nicht Ex-Leiter eines Elite-Internats wäre. Wäre Amy Chua nicht gerade Professorin an der Elite-Universität Yale, wäre ihr Buch höchstwahrscheinlich kein Bestseller.
Zum Erfolg des Patentrezeptes "Weg mit der Kuschelpädagogik!" gehört auch, dass die viel geschmähte "Kuschelpädagogik" relativ neuen Datums ist, während jahrhundertelang in Europa mit Härte und Strenge, bis hin zur berüchtigten "schwarzen Pädagogik", erzogen wurden. Strenge Erziehung hat damit den Bonus des Vertrauten, Traditionellen, Bewährten.

Ich las also mit leichtem Gruseln von den Methoden Frau Chuas und dachte bei mir, dass ich das Glück gehabt hätte, keine so ehrgeizige Mutter gehabt zu haben. Bis da eine irritierende Erinnerung aus meiner Kindheit aufstieg, nicht gefragt, nicht gewollt, nicht einfach verdrängbar. Ich las, dass Frau Chua, wenn es mit dem Klavierspielen nicht klappte, damit drohte, sämtliche Stofftiere ihrer Tochter zu verbrennen.
Ich war etwa fünf oder sechs Jahre alt, meine Mutter hatte beide Arme voller Plüschtiere - meine Plüschtiere - und warf sie vor meinen Augen in den Müllschlucker.
Ich habe mich vergewissert, dass die Erinnerung "echt" ist, diese kleine Episode ist also wirklich passiert.
Meine Mutter war keine ehrgeizige "Tigermutter", und es ist nicht einmal sicher, dass die rüde Entsorgung meines "Plüschtierzoos" (bis auf meine beiden Teddys) als Strafe gedacht war. Ich halte es für möglich, dass der eigentliche Grund der war, dass sie sich über die "ollen Staubfänger" ärgerte.
Kein Zweifel besteht für mich, dass meine Mutter - aus Unsicherheit und weil sie nicht besser wusste - auf "schwarze" Erziehungsmethoden zurückgriff Tradierte schwarze (und braune) Pädagogik. Eine "Familientradition" - meine Mutter wurde mit brutalen Methoden, buchstäblich mit dem Lederriemen, erzogen oder besser, zugerichtet - die sogar gute Absichten zunichte machte - meine Mutter wollte ja ihre Kinder ganz anders erziehen, als sie erzogen wurde.
Obwohl meine Mutter nicht übertrieben ehrgeizig war, wurde sie, das ist mir heute klar, von starken sozialen Abstiegsängsten getrieben. Ich möchte nicht näher auf die Natur dieser Ängste eingehen, sie waren allerdings berechtigt.

Nicht zu den damals weggeworfenen Spielsachen gehörte eine Puppe, die allerdings wohl später bei einer einer passenden Gelegenheit "verschwand". Ich nannte diese Puppe, die ein kleines Mädchen mit dunkelbrauner Haut darstellte, einfach "Negerpüppi". Eine sehr ähnliche Puppe, oder eine modernisierte Ausgabe meiner Puppe, wird auch heute noch angeboten, unter dem Namen "Toxi".

Szenenwechsel
Zur Erinnerung an den Tod des Sängers, Schauspielers und Entertainers Peter Alexander postete Karan auf facebook das Lied "Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere" aus dem gleichnamige Film von 1952:

Die kleine dunkelhäutige Sängerin an Peter Alexanders Seite ist Marie Nejar (Künstlername: Leila Negra). Damals war sie übrigens schon 22, was man kaum glauben kann.
Diese damals junge Frau interessierte mich. Ich fand einen Artikel auf taz-online aus dem Jahr 2007, der einen kleinen Einblick in eine schier unglaubliche Lebensgeschichte gibt. Wilde Marie.
Zu dem, aus heutiger Sicht, übel rassistischen Lied "Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist" heißt es da:
Ob ihr der Text nicht heute etwas seltsam vorkomme, frage ich. "Damals hatte das seinen Sinn. Wenn ich damit aufgetreten bin, kamen anschließend die Mütter, die die sogenannten Besatzungskinder hatten. Denen habe ich aus der Seele gesprochen." In den Fünfzigerjahren hatten manche deutsche Frauen Kinder von schwarzen Besatzern. Das Unglück dieser Zeit wurde dann noch drastischer, wenn die tot geglaubten Männer plötzlich wieder vor der Tür standen. Ihr Lied war eine Art Integrationshilfe, findet sie.
Ein andere Zeit. Leider scheinen sich bestimmte Dinge gar nicht oder zu langsam zu ändern, denn:
Aus Marie Nejars Sicht hat sich die Situation heute nicht wesentlich verändert. Sie höre immer wieder, dass Ausländer und Schwarze den Deutschen die Arbeit wegnehmen würden.
Marie Nejar sang auch den Titelsong eines Films, von dem ich bis dahin nichts wusste: Toxi. Ein - wie das "Negerleinlied" - sicherlich gut gemeinter, vielleicht für die damalige Zeit wichtiger, aber aus heutiger Sicht indiskutabler Film.
Der Filmhistoriker Tobias Nagl schreibt in seinem Aufsatz: Fantasien in Schwarzweiß – Schwarze Deutsche, deutsches Kino
Nach Ende des nationalsozialistischen "Rassenstaats" verschwand der offensive Rassismus des "Dritten Reichs" von den Leinwänden, nicht jedoch die Vorstellung, Deutschland sei eine "weiße" Nation. Deutlich wurde dies in der öffentlichen Debatte um die so genannten "Besatzungskinder" afro-amerikanischer Väter und weißer Mütter. Mit "Toxi" entstand 1952 zur Einschulung dieser Generation afro-deutscher Kinder ein Film, der vordergründig um "Verständnis" warb. Indem er aber die Existenz Schwarzer Deutscher ausschließlich als sozialpädagogisches "Problem" begriff, die NS-Vergangenheit verdrängte und die Mütter pathologisierte, reproduzierte er homogenierende Vorstellungen des "Weiß-Seins".
Die noch heute vorherrschende Vorstellung, nach der echte Deutsche "natürlich" "weiß" sind und Schwarze "natürlich" als "Ausländer" / "Fremde" gesehen werden.

Dass "Toxi" tatsächlich gut, sprich antirassistisch, gemeint war, geht aus einem "Spiegel"-Artikel aus dem Jahr 1952 über die Dreharbeiten und den Regisseur Robert A. Stemmle hervor: Die Leute rühren.
Wahrscheinlich war der Film damals sehr erfolgreich, anders kann ich mir den Namen "Toxi" für eine Schwarze Puppe nicht erklären.

Womit ich wieder bei mir wäre. Ich hatte zu meinem Artikel Alltagsrassismus und die Wichtigkeit des "N-Wortes" eine wichtige und für mich äußerst peinliche Diskussion, in der mich eine gute Freundin auf meinen eigenen Rassismus aufmerksam machte. Darin machte ich, übrigens unbedacht und von meiner Gefühlen überwältigt, eine verräterische Bemerkung:
Mir fällt leider nur eine Methode ein, das anerzogene "es ist OK"-Gefühl zu vermeiden: Ein starkes negatives Gefühl. Nun bin ich aber, wie die meisten Menschen, bequem. Es streng an, mir jedes Mal, wenn ich "Neger" sage oder auch nur denke, mich selbst als sklavenhalterischen, menschenverachtenden Rassisten zu visualisieren.
Sie zeigt, dass ich das Schema der autoritären "Dressurerziehung", so sehr ich mich gegen "Schwarze Pädagogik" einsetze, so verinnerlicht habe, dass mir, wenn es um mich selbst geht. keine Alternativen zur "Abschreckungspädagogik" einfallen.

Mittwoch, 9. Februar 2011

T. ist zurück

T. R., die junge Frau, die ich am 7, Februar als vermisst gemeldet habe, ist gerade nach Hause zurückgekommen. Zum Schutz ihrer Privatsphäre entschied ich mich, den Blogeintrag mit ihren Fotos zu löschen.

Danke an alle, die geholfen haben, die Nachricht über T. R. zu verbreiten, und an alle, die die Augen offen gehalten haben!

Dienstag, 18. Januar 2011

Paralelluniversum

Ich habe etwas mit meinem Freund Duke aka Eibensang gemeinsam: Ab und an gerate ich in ein Paralleluniversum. (Da ist alles wie hier, nur mit leicht verschobenen Ebenen, man bemerkt den Switch kaum und passt sich ergo automatisch an, wie Duke es ganz richtig beschreibt.)
Eine so gute und originelle Geschichte wie Duke sie schildert, kann ich leider nicht bieten.

Normalerweise bin ich nicht wetterabhängig, und normalerweise habe ich auch nichts gegen den Winter. Nun gab es für meinen Geschmack doch zu viele bleierne Tage hintereinander, und wenn ich wolkenverhangene Wintertage, an denen es nicht richtig hell wird, noch so einigermaßen ertrage, so ertrage ich meine Mitmenschen, denen der Januar zu schaffen macht, überhaupt nicht. Es hat etwas gespenstisches, wie leicht miese Stimmung ansteckt.

Und mit einem Mal - scheinbar übergangslos - da war es Sommer. Und es war der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub. Und ich war auf dem Weg nach Hause, wo mich meine geliebte Frau (seit wann bin ich verheiratet?), meine drei Kinder (seit wann habe ich dann die?) in unserem schönen Reihenhaus (welches Haus?) zu erst einmal einem langen Wochenende und danach unserer Urlaubsreise erwarteten. Der Flug ging am Dienstag.
Ja, es war Sommer. Ein gewittrig-schwüler Hochsommertag. Ich taumelte aus dem Büro, es war Nachmittag, so gegen 15 Uhr, in die feuchtigkeitsgesättigte Hamburger Luft. Für Hamburg ist so ein drückendes Wetter eher untypisch, aber wenn die Schwüle drückt, dann drückt sie wirklich. Das Auto hatte Inge, meine Frau; ich fuhr nicht gern im dicken Berufsverkehr durch die Stadt, bei so einem Wetter sowieso nicht, auch wenn unserer blauer Volvo eine Klimaanalage hatte.
Die Fahrt mit der U-Bahn war noch einigermaßen erträglich, aber leider musste ich, um ins heimische Glinde (seit wann wohne ich in Glinde?) zu kommen, in den Bus umsteigen. Leider erwischte ich so einen alten Ersatzbus, ohne Klimaanlage. Was bei fast 30 Grad Lufttemperatur und gefühlten 100% Luftfeuchtigkeit kein Vergnügen war. Der weiche PVC-Bezug des Sitzes klebte an meiner Hose, der muffige Geruch des gut gefüllten Busses klebte in meiner Nase: Diesel, vermischt Schweißgeruch und vergossenem Bier. Die Gesichter der Menschen gleichen in ihrer Muffigkeit der abgestandenen Luft im Bus. Graue Gesichter, grau trotz der sommerlichen Bräune, die manche aufwiesen, grauer Himmel, graue Häuser, selbst die Blätter der Bäume erschienen mir grau. Nur das Gras, das war gelb und verfilzt. Eine Wolkendecke wie oxidiertes Blei lag über Hamburg und Umgebung. Meine Augen brannten, die Ozonwerte wagte ich nicht zu schätzen.
Der Bus röhrte über die Autobahnbrücke. Die Stadt lag hinter uns. Auf den Feldern staubten die Mähdrescher, um so viel Korn wie möglich vor dem drohenden Gewitter in die Tanks zu bekommen. Ländliche Idylle? Die gab es vielleicht mal, früher, daran erinnerten nur ein paar alte Fachwerk-Bauernhäuser, die längst zu komfortablen Eigenheimen betuchter Städter umgebaut worden waren.
Nachdem der Bus die fälschlich "Wald" genannte Stangenholzplantage passiert hatte, tauchten die vertrauten öden Reihenhausreihen und einfallslosen Einzelhäuser auf. Ich stand auf, griff nach meinem Aktenkoffer. Der Bus hielt an der allzu vertrauten Haltestelle mit dem Wartehäuschen aus verkratztem und beschmiertem Plexiglas. Ich stieg aus. Feucht-warme Luft umfing mich, aber nach dem Mief im schlecht gelüfteten Bus war das ein wahres Labsal.
Wir wohnten in einem Endreihenhaus ganz am Ende der Straße. Die Straße war heute so lang wie von hier bis zum Horizont. Ich schwitzte, wie ich im Urlaub im heißen Spanien nie geschwitzt hatte. Was findet Inge immer bloß so toll an Stränden, deren Sand so heiß ist wie eine Herdplatte? Ja, ich hatte Meerweh, nach kühlen Wasser und frischer Brise. "Da ist das Wetter doch genauso beschissen wie hier", kreischte meine Frau, als ich den Vorschlag vorzubringen wagte, wir könnten dieses Jahr doch einfach mal an die Nordsee fahren. Die Kinder, wenigstens der Große, sind ja auch schon in einem Alter, in dem ein reiner Strandurlaub sowieso langweilig wird. Zugegeben, derjenige, der sich immer langweilte, das war ich. Aber wir haben schon gebucht. Spanien im Hochsommer, wir müssen völlig bekloppt sein!
Unser Haus war nach der Architekturmode (Ich wagte es nicht, das "Stil" zu nennen) der späten 1960er Jahre errichtet, also nicht ganz so bunkerähnlich-grau wie die neueren Häuser eine Straße weiter, die in den 1970ern aus Waschbetonplatten zusammenklotzt worden waren. Roter Backstein und terrassenartige, gepflegte Vorgärten ließen die Hausreihe beinahe so etwas wie behaglich wirken. Leider hörte man bei diesem Wind die nicht allzu weit entfernte Autobahn.
Ich hatte keine Lust, erst nach meinem Haustürschlüssel zu kramen. Inge hatte heute frei, und ich sah, dass der große Sonnenschirm auf der Terrasse aufgespannt war. Sie war also zuhause. Also klingelte ich.
Es dauerte einen Moment, bis sie mir die Tür öffnete. Sie trug einen grellorangenen Bikini, der an Halle Berry vielleicht gut ausgesehen hätte, sie hatte wohl auf der Terrasse gelegen.

Schnitt - Rücksturz aus dem Parallleluniversum.

Lektion des Tages: suche nie mit mieser Laune ein
Paralelluniversum auf, es wird danach sein!

Mittwoch, 5. Januar 2011

2005 - nach dem Rabenrök

Eine weitere autobiographische Episode über meinen "spirituellen Weg", die ich ursprünglich nicht schreiben wollte. Also: "Teil 6 einer fünfteiligen Serie".
1974 - Sommer der Wandlung
1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 - "Paradigmas lost"
1997 - Der Schritt aus der Besenkammer.
2000 - "Don't dream it - be it!"

brennenderRabe

Es gab am Ende des Jahres 2005 Journalisten, die es als "Katastrophenjahr" bezeichneten. Katastrophen gab es in der Tat mehr als genug: beim Bruch des Shakidor-Damms in Pakistan wurden mindestens 350 Menschen getötet, in einem chinesischen Kohlebergwerk starben 214 Kumpel, im strengen Winter mit extremen Schneefällen und zahlreichen Lawinen kamen im Kaschmir und in den angrenzenden Bergregionen Pakistans und Afghanistans über 1000 Menschen ums Leben. Ein schweres Erdbeben vor der Küste Nord-Sumatras forderte über 1300 Tote - und löste eine Massenpanik aus. Am stärksten im Gedächtnis blieben der Hurrikan Katrina - bei der Sturmflut brachen die schlecht gewarteten Deiche in New Orleans, die Stadt wurde nahezu vollständig Überflutet. Im Oktober verwüstest ein Erdbeben die Region nordöstlich von Islamabad (Pakistan), es gab mindestens 80000 Tote alleine in Pakistan; wie viele in Afghanistan starben, ist ungewiss.
Naturkatastrophen? Nicht alle und nicht ganz. Das Bergwerksunglück im Kohlebergwerk Sunjiawan bei Fuxin wäre vermeidbar gewesen. Es war nur das Schlimmste einer ganzen Reihe schwerer Grubenunglücke, denn es ist in China viel billiger, sehr viele niedrig bezahlte Bergleute einzustellen, als Maschinen anzuschaffen, mit denen Kohle effizienter und sicherer gefördert werden könnte. Außerdem wird häufig auf wichtige Sicherheitsmaßnahmen verzichtet, um die Fördermengen und Gewinne zu steigern. (Nebenbei: das rücksichtslos kapitalistisch wirtschaftende China schimpft sich nach wie vor "sozialistische Volksrepublik", die Staatspartei "kommunistische Partei".)
Im Falle New Orleans hätte bessere Deiche und ein besseres Krisenmanagement das Schlimmste abwenden können.

Das Jahr 2005 fing auch in Deutschland nicht so schön an: das Arbeitslosengeldes II ("Hartz IV") wurde eingeführt. Und es fing für mich nicht gut an, weil ich auf diese Leistung angewiesen war. Trotzdem war 2005 ein erfreuliches Jahr, in dem ich nach meinem persönlichen "Katastrophenjahr" 2004 wieder einigermaßen auf die Beine kam, merkte, wer meine wirklichen Freunde waren, und mich von einigen Illusionen verabschiedete.

Ich litt unter Anderem unter einer ziemlich hartnäckigen Depression. Weitere Einzelheiten, wieso und in welcher Weise es mir 2004 schlecht ging, gehören nicht hierher.

Sehr wohl gehören aber einige äußere Umstände hier her, die sehr dazu beitrugen, dass es mir schlecht ging.
2003 versuchte ich mich selbstständig zu machen. Vor alleine bin ich auf diese, im Nachhinein kontraproduktive, Idee nicht gekommen. Ich war ab 2002 abwechselnd arbeitslos und "geringfügig beschäftigt", weit unter meiner Qualifikation. Und da ich ja schon mal freiberuflich gearbeitet hatte, erschien mir der Schritt in die Selbstständigkeit gar nicht so gewaltig zu sein - zumal die BA für Arbeit damals alles tat, mir diese Möglichkeit schmackhaft zu machen.
Was soll ich groß sagen: die Idee scheiterte im Ansatz, und meine Ersparnisse, inklusive einer nicht ganz unflotten Kapitallebensversicherung, waren futsch. Und ich machte mir Vorwürfe. Heftige Vorwürfe, wie ich nur so leichtgläubig und über-optimistisch hätte sein können.
Dass ich in der selben Zeit eine etwas komplizierte Beziehung mit einer etwas komplizierten Frau hatte, trug sicherlich auch zu der Abwärtsspirale bei, in die ich ab dem Spätsommer 2003 geriet.

Über einige der Dinge, die mich damals herunterzogen, kann ich heute lachen - auch wenn es ein bitteres Lachen ist. Deshalb liegt mir nichts daran, alten Fehden wieder aufleben zu lassen, weshalb ich im Folgenden auch keine Namen nennen werde.

Ich war damals Pressesprecher im Rabenclan - eine Aufgabe, die mir Spaß machte, und die mir in gewisser Hinsicht Ersatzbefriedigung für meinen beruflichen und persönlichen Ärger bot. Besonders die Interviews, die ich gab - buchstäblicher Höhepunkt war ein Interview für das ZDF zum Thema "neue Hexen" auf dem Brocken - taten meinem angeschlagenen Selbstwertgefühl gut.
Mit großen Einsatz kümmerte ich mich auch um die Internetpräsenz des Vereins, wobei ich zahlreiche Artikel selbst schrieb.
Allerdings - so gegen Ende 2003 kamen mir die ersten Zweifel an meinem Ehrenamt.
Denn der Verein hatte sich gewandelt. Er war, bis 2002, ziemlich verschnarcht, um es einmal so auszudrücken. Der Schwung war offensichtlich ´raus, neue Impulse fehlten. Nachdem eine neue Vorsitzende gewählt war, die ich anfangs begeistert unterstützte, bewegte sich endlich etwas.
Nur leider nicht unbedingt in eine Richtung, die mir passte. Ich will nicht so weit gehen, wie mein Freund und "Amtsvorgänger" als Pressesprecher des "Rabenclans", der eine fortschreitende Verwandlung in einen esoterischen Heißluftballon feststellte (außen glänzend, innen hohl, Hauptmerkmal: aufgeblasen). Aber die enge Vernetzung mit der "ökospirituellen" Szene, mit deren politischen Agenda ich wenig anfangen konnte und kann, gefiel mir gar nicht.
Da es mir 2004 mies ging, hatte ich aber andere Sorgen. Ich war froh, dass ich meinen "Job" als Pressesprecher so halbwegs geregelt bekam. Es war mir sogar relativ egal, dass die "Vernetzungsarbeit" weitgehend an mir vorbei ablief - im Gegenteil, ich machte mir vor, dass das mir meine "Kernaufgaben", etwa die Pflege von Pressekontakten, nur erleichtern könne. Noch Ende Oktober 2003 nahm ich am Hexen-Symposium am Völkerkundemuseum Hamburg teil (ich betone das, weil manche im Nachhinein behauptete, ich wäre damals schon zu fertig gewesen, um noch konstruktiv arbeiten zu können).
Man kann es sogar als Lektion sehen, was damals, im kleinen Rahmen der "Vereinsmeierei" geschah: ich habe vieles über "praktische" Parteipolitik (oder "Unpolitik") gelernt, und zwar genauer, als ich es wissen wollte.
Damals war ich noch nicht Mitglied in der "Nornirs Ætt". Ich bekam aber sehr wohl mit, dass sie, seitens des neuen Vorstandes, zunächst über den grünen Klee gelobt ("Politisches Herz des Rabenclan"), und dann, so ab Ende 2003, zunehmend in ein übles Licht gerückt wurde. Es hieß, dass die Mitglieder der Nornirs Ætt bei ihren Aktivitäten im Verein zunehmend als geschlossener Block aufträten. Teils klang das für mich plausibel, denn wenn es eine halbwegs geschlossene "Fraktion" im Rabenclan gab, dann war das die Ætt, und es war auch abzusehen, dass sie den damaligen Vorstand loswerden wollte. Teils klang es aber arg nach Verschwörungstheorie.
Anfang November 2004 passierten zwei Dinge, die vielleicht zusammengehören, vielleicht auch nicht: meine Depression verstärkte sich dramatisch, es ging nicht mehr ohne schwere Medikamente, ich bekam meinen Alltag nicht mehr auf die Reihe. Ehrlicherweise hätte ich spätestens jetzt als Pressesprecher zurücktreten müssen, besser für mich wäre es sogar gewesen, mich ganz aus dem Verein zurückzuziehen.
Das andere war, dass Duke seine Teilnahme an der Tagung der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen (EZW) absagte - wie Duke die Sache sah, schrieb er hier - und auch damals konnte ich ihn verdammt gut verstehen. Der Vorstand hielt aber den Kontakt zu Weltanschauungsbeauftragen für so wichtig, dass dafür die eine oder andere Kröte zu schlucken sei. Ich verfasste damals eine Presseerklärung, die beiden Seiten gerecht werden wollte.
Der "Rabenrök" - in Anlehnung an Ragnarök - war dann die offene Auseinandersetzung zwischen Vorstand und Nornirs Ætt auf der Rabenclan-Jahreshauptversammlung gegen Ende November. Sie endete im Eklat.
Für mich, weil ich die Anspannung der ständigen äußeren und inneren Konflikte, die offensichtliche Heuchelei, die unverschämten Lügen, die Unsicherheit, psychisch nicht verkraftete. Ich tickte auf eine äußerst peinliche Art und Weise aus. Ich betone, dass mein Verhalten für mich äußerst unangenehm war, und dass ich mich dafür auch heute noch schäme, weil der Verdacht geäußert wurde, mein Zusammenbruch sei absichtlich inszeniert gewesen.
Sie endete auch für den Rabenclan im Eklat. Der Termin der Vollversammlung war vom Vorstand auf den Sonntag gelegt worden, als alle Feierlichkeiten längst vorbei waren und viele Rabenclan-Mitglieder schon abreisen mussten. Daher war mit 34 Stimmberechtigten die "Vollversammlung" nicht gerade repräsentativ für einen Verein, dem damals ca. 140 Mitglieder angehörten. Das passte zum intransparenten Stil des damaligen Rabenclan-Vorstandes, der es nach meinem Eindruck mit der "direkten Demokratie" nicht so hatte.
Im Vereinsblatt war die Nornirs Ætt von jemanden, der damals nicht Mitglied im Rabenclan war, übel verunglimpft. Als die Frage, an wen von den nicht zum Verein gehörenden Gästen das Blatt gegangen sei, mit einem trockenen "an alle" beantwortet worden war, standen alle anwesenden Mitglieder der Nornirs Ætt alle auf und gingen.
Selbstverständlich gab es auch hier den Vorwurf, diese Aktion sei vom "Ætt-Block" abgesprochen gewesen.
Erst später begriff ich, was da wirklich passiert war: außer dem Vorstand, einigen dem Vorstand nahe stehenden Mitgliedern und den Vertretern der Nornirs Ætt waren am Ende nur noch eine Handvoll weiterer "Raben" anwesend. Der "Ætt-Block" hätte die absolute Mehrheit der Anwesenden ausgemacht, und den Vorstand einfach abwählen können.
Es tat es nicht.

Ich begriff erst im hier zu Rede stehen Jahr 2005 - dem Jahr nach dem "Rabenrök" - warum: die Ziele und das Demokratieverständnis zwischen "Rest-Rabenclan" und Nornirs Ætt klafften weit auseinander. Was nicht allein am Vorstand lag: Über hundert Mitgliedern schien soweit alles recht bzw. egal zu sei. Nicht untypisch für Vereine, aber eine Basisdemokratie, wie sie auch mir vorschwebte, ist bei dieser Einstellung kaum zu machen.
Die Nornirs Ætt beendete im Januar 2005 ihre Zusammenarbeit mit dem Rabenclan. Was mir imponierte, denn schließlich gehörten mehrere Gründungsmitglieder des Rabenclans der Nornirs Ætt an.

Aber lassen wir die alten Vereinsgeschichten, so sehr sie mich damals auch mitgenommen haben.
Es soll ja um meinen spirituellen Weg gehen. Und der verlief nach der Krise erstaunlich gradlinig.
Als erstes wurde mir klar, wer wirklich meine Freunde waren. Ich hatte am Ende des Jahres 2005 weniger Freunde als Ende 2004, dafür aber bessere.
Ich orientierte mich in Richtung Ásatrú und anderseits Richtung Neoschamanismus - womit ich bei der "Nornirs Ætt", der ich 2005 übrigens noch nicht beitrat, an der richtigen Adresse bin.
Neoschamanische Methoden hatten mir in meiner psychischen Krise übrigens sehr geholfen.

Ich begann auch, meine Einstellung zur Arbeit und Beruf zu ändern.
Vorher teilte ich eine Einstellung, über die offensichtlich gesellschaftlicher Konsens besteht: Man arbeitet, weil man muss, und nicht, weil man will. Es geht bei der Arbeit letzten Ende nur um Geld. "Richtige", "ehrliche" Arbeit muss erlitten sein, Arbeit und Vergnügen sind deutlich getrennt. Mit der Knechterei im Job hat "man" es sich dann auch "verdient", für ein paar Wochen auf der "faulen Haut" zu liegen.
Ergänzt wird diese Arbeitsideologie durch eine Haltung, die sich am Besten mit "wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" umschreiben lässt. Die übrigens nur an Rande mit der Abwehr von Trittbrettfahrern, Nassauern und "Schmarotzern" zu tun hat, aber sehr viel mit einer im Kern religiösen Einstellung, auch bei Menschen, die keiner christlichen Konfession angehören.
Hätte ich diese Anschauung nicht geteilt, wäre ich z. B. nie auf die Idee gekommen, mich nicht etwa deshalb selbstständig machen zu wollen, weil ich Feuer und Flamme für eine Geschäftsidee wäre, mit der ich mit viel Einsatz und Herzblut stehen würde, sondern weil das die Gelegenheit sei, mit viel Arbeitseinsatz mein (materielles) Glück zu machen.
Auch die weit verbreitete Praxis von Arbeitsagenturen und Jobcentern, eine lange Liste von monatlich nachzuweisenden Bewerbungen zu verlangen, gehört für mich zu dieser Arbeitsideologe. Denn in der Praxis ist klar, dass eine mit Engagement und Sorgfalt verfasste Bewerbung bei der Arbeitssuche mehr wert ist, als zehn lieblos unter Zeitdruck hingehauene Bewerbungen nach "Schema F".

Ich verstand lange Zeit diejenigen nicht, die für wenig Geld viel Engagement in ihre Arbeit steckten - ausgenommen "Liebhabereien", wie in meinem Falle der Schriftstellerei, die dann aber keine "richtige Arbeit" sind, sondern eben Hobby: Bringt es keinen Spaß, lässt man es sein. (Für Menschen, die sich willig ausbeuten lassen, habe ich, nebenbei bemerkt, immer noch kein Verständnis.)
Ein arbeitsaufwendiges Ehrenamt - das des Pressesprechers - trug dazu bei, dass sich meine Auffassung änderte. Ich begriff, dass eine Tätigkeit, die nicht immer Spaß macht, und die nicht bezahlt wird, trotzdem sehr befriedigend sein kann.
Noch später begriff ich dann, dass der auch von mir ersehnte "Erfolg bei der Arbeit" nur dann eintritt, wenn diese Arbeit auch das ist, was ich wirklich will.
Dazu muss ich allerdings gesamtgesellschaftliche moralische Überlegungen wie "Wer soll dann die ganze unangenehmen Arbeiten machen?" von meiner persönliche Lage trennen, und von der irrtümliche Annahme, jeder Mensch sei im Grunde Egoist und würde sich ohne "Anreize" und Zwang nach Kräften drücken, wo er kann: Lebensziel "Couchpotato". Ein düsteres Menschenbild. Übrigens war die unangenehmste Arbeit, die ich je verrichtet hatte - Outbound-Telefonieren im Callcenter - auch die unnützeste und gesellschaftlich schädlichste. Abgesehen davon, dass ich sie psychisch nicht verkraftet hatte - sie war Baustein meiner Depression (u. A.). Ohne Callcenter-Jobs wäre ich vielleicht nicht so scharf auf die Selbständigkeit gewesen. Lieber im Park Müll sammeln, als noch mal "outbound" Leute belästigen! ("Outbound" heißt, der Call-Center-Agent ruft aktiv bei jemandem an - oft unter einem Vorwand, denn Outbound-Anrufen ist rechtlich nur zulässig, wenn bereits eine Geschäftsbeziehung besteht.) Es kann gut sein, dass viele, wenn nicht die meisten "Scheiß-Jobs" schlicht überflüssig sind. (Und andere, wie in den Pflegeberufen und z. B. in der Gebäudereinigung, müssten keine "Scheiß-Jobs" sein, was auch, aber nicht nur, eine Frage der Bezahlung ist.)

Zurück zur (sittenchristlichen? protestantischen?) "Arbeits-Moral":
Sehr gut brachte das die Journalistin Meike Winnemuth die bei "Wer wird Millionär?" 500 000 Euro gewann, und nicht bei der "Süddeutschen Zeitung" kündigte, auf den Punkt: "Sie spinnen, Herr Jauch!"
Wer auf die Frage, ob er beim Gewinn von viel Geld kündigen würde, »sofort« sagt, sollte vielleicht auch ohne die Million gehen. Denn er ist am falschen Ort und hat fast schon die Pflicht, sich etwas zu suchen, was ihn glücklich macht – man hat nur ein Leben.
Ich war in diesem Jahr, 2005, gründlich desillusioniert, voller Selbstzweifel und Selbsthass, weit hinter das zurückgefallen, wo ich schon mal war.
Ich lag auf der Schnauze. Aber ich blieb nicht liegen. Was mir nur dank der Hilfe einiger guter Freunde, und, davon bin ich überzeugt, der Hilfe der "Großen" gelang.

Samstag, 1. Januar 2011

Neujahrswunsch

Welche Wünsche und Erwartungen ich an das frisch begonnene Kalenderjahr habe, behalte ich für mich. (Meine guten Vorsätze brauche ich nicht für mich behalten, ich habe nämlich keine.)

Eine Ausnahme mache ich, aus gutem Grund:
Ich wünsche mir, dass der Krimi 2.0, trotz aller Widrigkeiten, im Jahr 2011 doch Wirklichkeit wird. Vielleicht mit diesem sehr Mut-machenden Titelsong:

Dienstag, 21. Dezember 2010

Der Anfang des Winters ist der Anfang vom Ende der dunklen Zeit

Heiden fuer Menschenrechte
Kampagne "Heidentum ist kein Faschismus"
Heiden für Menschenrechte

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Wunschzettel aus meiner Kindheit - oder: Ende einer Illusion

Meine Eltern bewahren einige Andenken aus meiner Kindheit auf. Es ist schon faszinierend, Schreibhefte aus meiner Grundschulzeit zu lesen - ich muss sehr schnell lesen und schreiben gelernt haben, allerdings mit starkem Hang zur eigenwilligen Rechtschreibung und noch eigenwilligerer Grammatik (was sich angeblich bis heute gehalten hat).
Noch aufschlussreicher ist ein Wunschzettel, den ich als Siebenjähriger mehr gemalt als geschrieben hatte. An den Weihnachtsmann glaubte ich nicht mehr, der Brief war an meine Eltern gerichtet.
Auch ich liebe die Illusion, als Kind wäre ich irgendwie unverdorben gewesen, die Idee der "unschuldigen Kinder" und der "kindlichen Naivität" spukt auch in meinem Kopf.

Auf dem Wunschzettel stand unter anderem der Wunsch nach einer weiteren Lok für meine Modelleisenbahn. Modellbahn war prima, weil damit auch mein Vater gerne spielte. Neben den gemeinsamen Angelausflügen war das so ziemlich die einzige Gelegenheit, bei der ich etwas gemeinsam mit Papi machte. Ich beneidete andere Kinder um ihre Väter, die so viel mehr gemeinsam mit ihren Kindern unternahmen. Es gab aber, das wusste ich, auch Schulkameraden, deren Väter sich überhaupt nicht um ihre Kinder scherten, solange sie nicht störten.
Etwas überraschend ist der Wunsch nach einem Pfandbrief. Als Grundschüler wollte ich gerne Pfandbriefe haben. Wie kam ich auf diesen für einen Siebenjährigen doch überraschend kapitalistischen Wunsch?

Ende der 1960er Jahre gab es eine mehrere Jahre laufende aufwendige Werbekampagne der Banken und Sparkassen für Pfandbriefe und Kommunalobligationen: "Das Huhn, das goldene Eier legt".
Ich hatte schon ein Taschengeldsparbuch, und wusste, dass es da auf Geld Zinsen gab, weshalb meine Spargroschen nicht da nicht nur sicherer untergebracht waren, als im Sparschwein, sondern sich auch noch ein klein wenig vermehrten. Ein faszinierendes Konzept: die Erwachsenen erzählten alle, dass sie für Geld arbeiten müssten, aber offensichtlich gab es noch eine andere, gar nicht anstrengende, Methode zu Geld zu kommen. Aus der Perspektive eines nicht unnötig fleißigen Grundschülers eine ungeheuerliche Erkenntnis. Wenn auch die Zinsen auf das Taschengeld-Konto, wie auch ich fand, furchtbar kläglich waren. Gerade mal ein Fruchteisbecher pro Jahr. (Ich neigte dazu, mein Taschengeld in Speiseeis umzurechnen.)
Aber - da gab es noch Pfandbriefe, da in der Werbung. Ein Zitat aus einer Werbeanzeige, anno 1970:
Das Huhn, das goldene Eier legt, ist der Pfandbrief, der hohe Zinsen bringt. Wenn Sie für die Zinsen wieder Pfandbriefe kaufen, arbeiten bald viele Pfandbriefe für Sie. Produzieren ein mehrstelliges Vermögen.
Das klang schon ganz anders als so ein Taschengeld-Konto. Man konnte also Geld für sich arbeiten lassen. Super Sache! Da mich meine Eltern und Großeltern zur Sparsamkeit erzogen (man kann sogar sagen: faktisch erzogen sie mich systematisch zur Geldgier, eher ungeplant übrigens), erschien mir ein Pfandbrief ganz im Sinne meiner Eltern zu sein.
Ich bekam die Lok, aber nicht den Pfandbrief. Für beides, erklärte mein Vater, war eben nicht genug Geld da, das ja auch irgendwie verdient werden musste. Ich vermute, dass meinen Vater die "E 41" von Märklin (Spur H0, aufwendige Druckguss-Ausführung) einfach mehr reizte als so ein schnödes Papier.

Der der Kampagne zugrunde stehende Mythos wurde zu dieser Zeit übrigens schon kräftig demontiert:
(...) Denn an den Pfandbriefen, die Westdeutschlands Hypothekenbanken Kleinsparern als legefreudiges Federvieh seit Jahren empfehlen, verdienten bisher fast nur Großbanken und Versicherungen. In den vergangenen Jahren verkauften die privaten und öffentlichen Real-Kreditinstitute dank einer aufwendigen Werbung ("Das Huhn, das goldene Eier legt" und "Hast Du was, bist Du was") Pfandbriefe für insgesamt 48 Milliarden Mark. (...)
Richtiges Nest ("Spiegel"-Artikel zur Pfandbriefreform vom 07.09.1970).

Ich glaubte nicht mehr an den Weihnachtsmann. Den "herrlich naiven" Kinderglauben hatte ich schon im Grundschulalter abgelegt. Aber aus meinem Wunschzettel sprach der naive, von der Werbung der Banken genährte, "Erwachsenenglauben", dass Geld arbeiten könne.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Zeitenlauf

Es ist Oktober. Die Zeit, in der ich Urlaubsträume träume. Nicht als Flucht vor der dunklen Jahreszeit. Eher Fernweh, Aufbruchslust, Sehnsucht. Denn ich mag den Herbst!
Es ist sogar ein noch Stückchen Sommer - Nachsommer - zu spüren und zu sehen.
Sonnenblumen

Keine Sehnsucht nach dem "Sommerloch" und den "Sommerthemen".

Obwohl: manchmal beeindrucken diese überflüssigen Meldungen, Meinungen, Diskussionen durch ein schönes L’art pour l’art. Wenn ich ausrufen möchte: "Habt Ihr keine anderen Sorgen?", dann sehne ich mich nach einer besseren Welt, in der es wirklich keine anderen Sorgen gibt.
Was andererseits nicht daran ändert, dass beliebte Sommerlochthemen sehr viel über gefährliche Ängste verraten. "Saure-Gurken-Zeit" ist in deutschen (deutschsprachigen) Boulevard-Medien nicht nur "Silly Season", sondern immer wieder "German Angst Season". Was verrät es, dass der Streit um "Nackerte", um pro und contra FKK, jedes Jahr aufs Neue mit den alten Argumenten geführt wird? Ja, dass es überhaupt "Streit um Nackerte" gibt? Immerhin 40 Jahren nach der Aufregung um nackte Sonnenfreunde im Englischen Garten und fast 20 Jahre nach dem "Höschenkrieg" an der Ostseeküste?
Was verrät die hysterische Berichterstattung über entlaufene oder eingewanderte "gefährliche" Tiere: Alligator, Bär, Wolf, Wels, Boa usw. ? Ich fürchte, nichts Gutes. Und wenn es nur die Hartnäckigkeit von Vorurteilen und Aberglauben sind.
Es ist klar, warum über" Bergsteiger-Dramen", "Segler-Dramen" oder "Expeditions-Dramen" in sensationsmacherischer Weise berichtet wird. Aber es verrät viel, wenn regelmäßig das Motiv "selber Schuld" und "wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um" durchschimmert. Das kommt an - vielleicht, weil es die klammheimliche Sehnsucht, den Alltag hinter sich zu lassen, so schön wirksam betäubt? Oder weil Schuldzuweisungen einem das herrliche Gefühl der moralischen Überlegenheit gibt?

Typen und Stereotypen.
Es gibt Menschen, die sind ihr eigenes Klischee.
Manchmal ist es lustig, manchmal ein Grund zur Fremdscham.

Zum Beispiel der "Stadtindianer". Er sieht so aus, und tut so, als wäre er ein Überlebender der Hippie-Ära, obwohl er damals noch gar nicht auf der Welt war. Er wäre glaubwürdiger, wenn er über diese Zeit wenigsten etwas mehr wüsste, als die üblichen Klischees. Er knüpft an die "Stadtindianer"-Kommunen der frühen 80er-Jahre an - und verdrängt erfolgreich die unappetitlichen Seiten dieser Versuche, anders als in der üblichen Familie zu leben - (offen ausgelebte Pädophilie ist nur eine von ihnen).
Er ist sich im Grunde darüber im Klaren, dass das beliebte "indianische Medizinrad" nicht authentisch ist, und dass an Sun Bears "indianischen Tierkreiszeichen" nichts dran ist. Aber er praktiziert diese Art "indianische Spiritualität".
Er redet viel vom Schamanismus - aber wer sich auskennt, merkt: der Mann weiß nicht, wovon er redet. Trance Trommel als "Natural High"? - Funktioniert sicher, und ist vielleicht auch besser für die Leber als Drogenrausch - aber ist das "Schamanismus"?
Er verehrt Castaneda. Er will nicht wahr haben, dass der gute Mann "ethnologische Fabeln" schriebt.

Der Mann tut mir Leid. Weil er sich selbst belügt.

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