Urlaubs-... Träume

Traumurlaub. Ein stehender Begriff. Ein abgegriffenes Werbeklischee. Wenn ich es doch mal in dem Mund nehme, habe ich das Gefühl, ich hätte eine Haltestange aus einem ausrangiertem Stadtbus zwischen den Zähne, so eine abgegriffene Sache. Selbst wenn ich von einer noch so schönen Urlaubsreise erzählen würde, es wäre mir peinlich, sie als Traumurlaub zu bezeichnen.
Ich fürchte, es würde ein Bild vor dem inneren Auge meiner Zuhörer hervorrufen, das irgendwo zwischen den Werbespots für Bacardi und den Prospekten des leicht verschnarchten Fremdenverkehrsverbandes einer Kleinstadt im Weserbergland angesiedelt wäre. (Nichts gegen weißen Rum oder das Weserbergland - gemeint ist die entsprechende Werbung.)
Außerdem gibt es bekanntlich auch Alpträume.
Kro im ländlichen Jütland
Es gibt jedoch etliche Urlaubsreisen, bei denen ich gern in Erinnerungen schwelge, mich Urlaubsträumen hingebe. (Die Bilder auf dieser Seite stammen aus solchen Reisen.)
Drei für mich sehr wichtige dieser Reisen habe ich auf diesem Blog schon erwähnt: mein Wanderurlaub als kleiner Junge in den Harz, den langen Campingurlaub an der dänischen Nordseeküste als Schuljunge, meine erste Fahrt auf einem Segelschiff als junger Mann. Ich könnte noch einige weitere Reiseerlebnisse dieser Art hinzufügen. Ihre Anzahl ist, gemessen an der Gesamtzahl der Reisen, die in im Laufe meines Lebens unternommen habe, allerdings sehr überschaubar. Die Gesamtzahl der Reisen, denn es gibt tatsächlich Geschäftsreisen, die sich für mich im Rückblick angenehmer "anfühlen" als so manche Urlaubsreise. Siehe oben: es gibt auch Alpträume.
Bezeichnend ist, dass manche verklärte Erinnerung an einen "schönen Urlaub" sich beim genaueren, kritische Hinsehen als verfälscht erweisen. Während die verhältnismäßig wenigen Reisen, die mich in der Erinnerung zu Urlaubsträumen hinreißen, es ohne weiteres ertragen, kritisch hinterfragt zu werden, erweisen sich andere "schöne Urlaubserlebnisse" als nachträglich vergoldet, manchmal sogar als geheuchelt: "Ja, der Urlaub in Playa de Cucaraca war wuuunderschön! (Und ich bin so froh, wieder zuhause zu sein, traue mich aber nicht, das zuzugeben!)"
Wieso ich überhaupt "schöne Erinnerungen" hinterfrage? Mit Lebenslügen, auch kleinerer Art, lebt es sich nicht gut. An die wohltuende Wirkung des "positiven Denkens" habe ich nie geglaubt. Genau so wenig, wie daran, dass man sich eine Frau schöntrinken kann. Im nüchternen Zustand ist die Schönheit dahin. Ich ziehe es vor, nüchtern durchs Leben zu gehen.
Steinsetzung von Kåseberga, Südschweden
Welche Urlaubsträume täume ich? Nach welchen Reise sehne ich mich? Wo will ich unbedingt mal hin, was will ich unbedingt mal gemacht, gesehen, erlebt haben?
Es ist mir beinahe peinlich, die kitschige Idee einer "Reise in die Südsee" (gemeint: Polynesien und Micronesien, eine nicht gerade an Problemen arme Gegend) spukt auch in meinem Kopf. In meinem Falle, weil ich so gerne auf Segelschiffen unterwegs bin, natürlich an Bord eines schnittigen Schoners. In eine ganz andere Gegend zielt ein anderer hartnäckiger Reisewunsch: Nach Grönland. Eine Gegend der Erde, über die ich recht gut bescheid weiß, wo ich sogar Bekannte (Freunde wäre übertrieben) habe, deren Faszination bei wachsendem Wissen interessanterweise zunahm. Außerdem paßt diese Ziel gut zu meiner ohnehin vorhandenen "Nordlandbegeisterung". Nicht auf eine bestimmte Reise, aber auf ein bestimmtes Verkehrsmittel hebt ein anderer hartnäckiger Taum ab: unterwegs sein mit der eigenen Segelyacht. Am liebsten eine urige Plattbodenyacht - ein Ewer, eine Tjalk, ein Botter öder ähnliches. Geringer Tiefgang und klappbarer Mast, damit auch Binnen- und Küstengewässer, die man mit moderneren Yachttypen gar nicht befahren könnte, aber seetüchtig genug, um auch mal auf Nord- und Ostsee unterwegs zu seien zu können. Nicht der geeignete schwimmende Untersatz für eine Weltumseglung, aber die ist mittlerweise ein Traum von gestern. Ein Traum von gestern, ein von der Entwicklung meiner Persönlichkeit überholter Traum, der ohnehin nie "realistisch" war (aber welcher Traum ist das schon?) ist der vom Weltraumtourismus. Ich sehne mich außerdem etwa seit meiner Pubertät nach einem einsamen Blockhaus, irgendwo in einen entlegenen Wald. Und der Traum ist noch größer geworden, nachdem ich solche Blockhäuser in der Waldeinsamkeit wirklich bewohnt hatte. Sehr erholsam, trotz Holzhacken, primitiven sanitären Verhältnissen, fehlendem Strom. In das ich mich immer für ein paar Wochen zurückziehen könnte, wenn es mir hier und jetzt zu viel wird. (Ich beneide eine Bekannte in Schweden dafür, tatsächlich diese Möglichkeit zu haben. Ich habe so den Verdacht, dass die Stuga irgendwo im Nirgendwo für einige Schweden Schweden überhaupt erst erträglich macht.)
bretonische Küste
Neben diesen Träumen, den Objekten meiner Sehnsucht, habe ich auch zahlreiche, mehr oder weniger realisierbare, Urlaubswünsche: man diese oder jene Stadt sehen, mal diese oder jene Leute treffen, mal dieses oder jenes zu erleben. Das liegt allerdings eine ganze Ebene niedriger als die Urlaubsträume.
Auch etwas anderes als Urlaubsträume sind Fluchtphantasien. Flucht ist etwas anderes als Urlaub. Aus einer Urlaubreise will man zurückkehren.
Noch etwas anderes sind "Traumreisen" im wörtlichen Sinne, Reisen, die immer in meinem Träumen auftauchen. Sie sind meistens sehr wertvoll, weil sie Hinweise auf mein seeliches Innenleben und manchmal auch für künftige Entwicklungen geben. Darüber äußere ich mich in der breiten Netzöffentlichkeit nicht so gerne.
Ebenfalls wertvoll sind "schamanische" Reisen. Ja, ich praktiziere so etwas - würde mich aber niemals "Schamane" nennen. Übrigens hat diese Praxis meine Abneigung gegen bestimmte Formen der kommerziellen Esoterik eher noch geschärft. Meine Skepsis gegenüber Licht- Liebe- und "wir-haben-die-Lösung-aller-Probleme"-Heilslehren ebenfalls.
Winterwald

Urlaubs-... Träume ist der 5. von 5 Beiträgen.

Es gingen voran:
Urlaubs-... Reife
Urlaubs-... Anspruch
Urlaubs-... Reise
Urlaubs-... Bräune
Fotos: MMarheinecke

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