Noch stecken wir im "Sommerloch"

Ich finde immer wieder erstaunlich, wieso es das journalistische "Sommerloch" eigentlich gibt - schließlich kann von einer "nachrichtenarmen Zeit" im Juli / August keine Rede sein. Selbst in der deutschen Unpoltitik Parteipolitik bemerkt man dieses Jahr kaum, dass die Parlamente Ferien haben.

Dennoch tauchen die Klassiker des Sommerlochs auch dieses Jahr auf:
  • Die Bergsteiger-Dramen - ersatzweise werden in manchen Sommern auch Segler-Dramen oder Expeditions-Dramen genommen. Gemeinsames Merkmal: sonst im Jahr schaffen es solche "Dramen", sprich Freizeitunfälle bei nicht alltäglichen Hobbys, allenfalls in die Rubrik "Vermischtes".
  • Umwelt- oder Lebensmittelskandale, die bei näheren Hinsehen garn nicht so skandalös - und vor allem: eigentlich schon seit Monaten bekannt - sind. Vor einigen Jahren war es Acrylamid in den Pommes, diese Jahr ist es Uran im Trinkwasser. (Ja, der Beitrag ist tatsächlich vom 21. Februar. Warum er damals keine Schlagzeilen machte? War eben grade kein "Sommerloch"!)
  • Vor allem in der Regional- und Lokalpresse gern genommen: der Streit ums Nacktbaden, gern mal zum "Höschenkrieg" aufgemotzt. Grundschema: irgend jemand regt sich lautstark aus meistens nicht ganz leicht nachvollziehbaren Gründen über FKKler auf. Gern genommen, da es einen hervorragender Vorwand für Fotostrecken mit gut gebauten, meist weiblichen, Nackten (Softporno für Leute, die ungern zugeben, dass sie so was gerne sehen) oder - seltener - Fotostrecken mit hässlichen, fetten oder faltigen Nackten (für die angenehme Klischeebestätigung) ist. Dieses Jahr sogar überregional (SZ) und international, da sich ein polnischer Lokalpolitiker (künstlich?) aufregt: Nackte Wut - Kulturkampf an der Ostsee: In Swinemünde empören sich konservative Polen über deutsche FKK-Anhänger. (Via: Zettel.)
  • Es fehlt bisher nur noch das entlaufene und/oder gefährliche Tier (Alligator, Bär, Wolf, Wels, Boa usw. - in schwachen Jahren auch mal Feuerquallen - wie wärs dieses Jahr mit "Kuno, dem Killer-Karpfen"?)
Dabei gibt es so viele Themen, über die sich zu berichten lohnt, weil z. B. der Abbau der Bürgerrechte keine Sommerpause macht - weshalb man als Bürgerrechtler auch keine Pause machen sollte: Aufruf zur Demo "Freiheit statt Angst 2008".

Noch zwei Themen, die nur am Rande mit dem Sommerloch, aber im Kern mit dem "deutschen Qualitätsjournalismus" zu tun haben:
Internet-Zensur in China, revisited in Burks Blog, in dem er die Heuchelei und schlechte Recherche der "Tagesschau" kritisiert.

Meine Meinung: Es mag ja sein, dass der frühere Grünen-Politiker und ehemalige NRW-Sportminister Vesper im Weltspiegel Äpfel mit Handgranaten verglichen hat, als er sagte, dass in allen Ländern der Welt Webseiten blockiert würden. Aber auf der rein sachlichen Ebene hat er recht: "Bei uns sind es rechtsradikale Seiten, die gesperrt werden. Und es ist natürlich auch in China so, dass einzelne Seiten gesperrt werden." Ein saublöder Vergleich, sicher, und "einzelne Seiten" ist die Untertreibung des Jahres, aber es gibt auch in Deutschland Internetzensur, und, was schlimmer ist, es gibt in Deutschland Politiker, die gerne noch weitaus mehr im Internet blockieren, verbieten, sperren und vor allem überwachen, kurz: zensieren, möchten.
Weil das ZDF keine Journalisten beschäftigt, darf in einem Beitrag von “Frontal 21″ ein Mercedes-Ingenieur als Fachmann erklären, wieso BMW nur Mist produziert. Fast. Einzig die Branche ist eine andere:
meint "Bildschirmarbeiter" David Harnasch TV-Kritik: Frontal21 deckt auf - Information taucht ab. Obwohl ich Harnasch Öffentlich-Rechtlichen-Schelte nicht ganz nachvollziehen mag - denn schließlich sind auch ARTE, 3Sat, Phönix (die drei Gründe, aus denen ich noch Fernsehen habe), D-Radio-Kultur und Deutschlandfunk öffentlich-rechtliche Sender - im Kern hat er recht: wenn ein Anbieter eines Energieversorger-Vergleichsrechners anderen Anbietern von Energieversorger-Vergleichsrechnern, die im wesentlichen mit den gleichen Tricks Methoden arbeiten, "Unseriösität" vorwirft, dann ist das kein Journalismus, sondern kostenlose Schleichwerbung.
Björn (Gast) - 7. Aug, 08:51

Es fehlt bisher nur noch das entlaufene und/oder gefährliche Tier (Alligator, Bär, Wolf, Wels, Boa usw. - in schwachen Jahren auch mal Feuerquallen - wie wärs dieses Jahr mit "Kuno, dem Killer-Karpfen"?)

Ich bin nicht sicher ob das zählt, aber hier in Hessen gab es im Juli das Drama um den Phantom-Bären:

http://www.sueddeutsche.de/wissen/15/303010/text/

MMarheinecke - 7. Aug, 10:08

Ja, der Bär, der ein Wildschwein ist, passt gut ins Sommerloch-Schema. Er ist mir leider entgangen, wohl, weil sich mein Interesse für solche Themen in Grenzen hält.
Gregor Keuschnig - 7. Aug, 10:55

...und Kafkas "Pornosammlung" passt da wunderbar 'rein. Da hat das Feuilleton wieder was zu onanieren melden.

Sera (Gast) - 7. Aug, 22:17

Ganz zu schweigen von dem Geier, der bei uns mit viel Trara gesichtet wurde: http://www.meine-neue-welle.de/CMS/frontend/index.php?idcatside=264
Nachdem sich rausstellte, dass der Geier zwar einen Namen hatte, aber dafür dann doch nicht der Vorbote einer wilden Geier-Einwanderung war, hat sich die freudige Erregung schnell wieder gelegt.

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