Dienstag, 18. Januar 2011

Paralelluniversum

Ich habe etwas mit meinem Freund Duke aka Eibensang gemeinsam: Ab und an gerate ich in ein Paralleluniversum. (Da ist alles wie hier, nur mit leicht verschobenen Ebenen, man bemerkt den Switch kaum und passt sich ergo automatisch an, wie Duke es ganz richtig beschreibt.)
Eine so gute und originelle Geschichte wie Duke sie schildert, kann ich leider nicht bieten.

Normalerweise bin ich nicht wetterabhängig, und normalerweise habe ich auch nichts gegen den Winter. Nun gab es für meinen Geschmack doch zu viele bleierne Tage hintereinander, und wenn ich wolkenverhangene Wintertage, an denen es nicht richtig hell wird, noch so einigermaßen ertrage, so ertrage ich meine Mitmenschen, denen der Januar zu schaffen macht, überhaupt nicht. Es hat etwas gespenstisches, wie leicht miese Stimmung ansteckt.

Und mit einem Mal - scheinbar übergangslos - da war es Sommer. Und es war der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub. Und ich war auf dem Weg nach Hause, wo mich meine geliebte Frau (seit wann bin ich verheiratet?), meine drei Kinder (seit wann habe ich dann die?) in unserem schönen Reihenhaus (welches Haus?) zu erst einmal einem langen Wochenende und danach unserer Urlaubsreise erwarteten. Der Flug ging am Dienstag.
Ja, es war Sommer. Ein gewittrig-schwüler Hochsommertag. Ich taumelte aus dem Büro, es war Nachmittag, so gegen 15 Uhr, in die feuchtigkeitsgesättigte Hamburger Luft. Für Hamburg ist so ein drückendes Wetter eher untypisch, aber wenn die Schwüle drückt, dann drückt sie wirklich. Das Auto hatte Inge, meine Frau; ich fuhr nicht gern im dicken Berufsverkehr durch die Stadt, bei so einem Wetter sowieso nicht, auch wenn unserer blauer Volvo eine Klimaanalage hatte.
Die Fahrt mit der U-Bahn war noch einigermaßen erträglich, aber leider musste ich, um ins heimische Glinde (seit wann wohne ich in Glinde?) zu kommen, in den Bus umsteigen. Leider erwischte ich so einen alten Ersatzbus, ohne Klimaanlage. Was bei fast 30 Grad Lufttemperatur und gefühlten 100% Luftfeuchtigkeit kein Vergnügen war. Der weiche PVC-Bezug des Sitzes klebte an meiner Hose, der muffige Geruch des gut gefüllten Busses klebte in meiner Nase: Diesel, vermischt Schweißgeruch und vergossenem Bier. Die Gesichter der Menschen gleichen in ihrer Muffigkeit der abgestandenen Luft im Bus. Graue Gesichter, grau trotz der sommerlichen Bräune, die manche aufwiesen, grauer Himmel, graue Häuser, selbst die Blätter der Bäume erschienen mir grau. Nur das Gras, das war gelb und verfilzt. Eine Wolkendecke wie oxidiertes Blei lag über Hamburg und Umgebung. Meine Augen brannten, die Ozonwerte wagte ich nicht zu schätzen.
Der Bus röhrte über die Autobahnbrücke. Die Stadt lag hinter uns. Auf den Feldern staubten die Mähdrescher, um so viel Korn wie möglich vor dem drohenden Gewitter in die Tanks zu bekommen. Ländliche Idylle? Die gab es vielleicht mal, früher, daran erinnerten nur ein paar alte Fachwerk-Bauernhäuser, die längst zu komfortablen Eigenheimen betuchter Städter umgebaut worden waren.
Nachdem der Bus die fälschlich "Wald" genannte Stangenholzplantage passiert hatte, tauchten die vertrauten öden Reihenhausreihen und einfallslosen Einzelhäuser auf. Ich stand auf, griff nach meinem Aktenkoffer. Der Bus hielt an der allzu vertrauten Haltestelle mit dem Wartehäuschen aus verkratztem und beschmiertem Plexiglas. Ich stieg aus. Feucht-warme Luft umfing mich, aber nach dem Mief im schlecht gelüfteten Bus war das ein wahres Labsal.
Wir wohnten in einem Endreihenhaus ganz am Ende der Straße. Die Straße war heute so lang wie von hier bis zum Horizont. Ich schwitzte, wie ich im Urlaub im heißen Spanien nie geschwitzt hatte. Was findet Inge immer bloß so toll an Stränden, deren Sand so heiß ist wie eine Herdplatte? Ja, ich hatte Meerweh, nach kühlen Wasser und frischer Brise. "Da ist das Wetter doch genauso beschissen wie hier", kreischte meine Frau, als ich den Vorschlag vorzubringen wagte, wir könnten dieses Jahr doch einfach mal an die Nordsee fahren. Die Kinder, wenigstens der Große, sind ja auch schon in einem Alter, in dem ein reiner Strandurlaub sowieso langweilig wird. Zugegeben, derjenige, der sich immer langweilte, das war ich. Aber wir haben schon gebucht. Spanien im Hochsommer, wir müssen völlig bekloppt sein!
Unser Haus war nach der Architekturmode (Ich wagte es nicht, das "Stil" zu nennen) der späten 1960er Jahre errichtet, also nicht ganz so bunkerähnlich-grau wie die neueren Häuser eine Straße weiter, die in den 1970ern aus Waschbetonplatten zusammenklotzt worden waren. Roter Backstein und terrassenartige, gepflegte Vorgärten ließen die Hausreihe beinahe so etwas wie behaglich wirken. Leider hörte man bei diesem Wind die nicht allzu weit entfernte Autobahn.
Ich hatte keine Lust, erst nach meinem Haustürschlüssel zu kramen. Inge hatte heute frei, und ich sah, dass der große Sonnenschirm auf der Terrasse aufgespannt war. Sie war also zuhause. Also klingelte ich.
Es dauerte einen Moment, bis sie mir die Tür öffnete. Sie trug einen grellorangenen Bikini, der an Halle Berry vielleicht gut ausgesehen hätte, sie hatte wohl auf der Terrasse gelegen.

Schnitt - Rücksturz aus dem Parallleluniversum.

Lektion des Tages: suche nie mit mieser Laune ein
Paralelluniversum auf, es wird danach sein!

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