Samstag, 12. März 2011

Tage wie heute ...

Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, ich bräuchte nur den Feedreader aufzumachen, das Radio oder den Fernseher einzuschalten oder - ganz altmodisch - die Zeitung aufzuschlagen, und schon würde ich mich vor schlechten und deprimierenden Nachrichten kaum retten können.

Heute war es nicht nur ein Gefühl. Die Nachrichten von der AKW-Katastrophe nach der Erdbeben-Katastrophe war längst nicht die einzige Nachricht, bei der ich das irritierende Gefühl hatte, in einem dystopischen Science Fiction-Roman gefangen zu sein.

Eine weitere Nachricht, die zu diesem Gefühl beitrug: Vorratsdaten in Frankreich: Auch Passwörter werden gespeichert. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht früher oder später auch bei uns die "für die Polizeiarbeit unverzichtbaren" Passwortspeicherung enthalten würde. Ich fürchte, dass die Privatsphäre wirklich ein "Auslaufmodell" zu sein scheint. Man kann sarkastisch den Kopf in den Sand stecken: "Privatsphäre ist so was von 80er" oder auf traditionell deutscher autoritätsgläubig-zweckoptimistische Weise: "Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten."

Aber wer erst den Kopf in den Sand steckt, der knirscht anschließend mit den Zähnen.

Es ist auch eine "Kopf in den Sand"-Haltung, vor der Glotze oder dem Compi-Bildschirm zu sitzen und entsetzt auf die Bilder aus Japan zu stieren. Es mag ja sein, dass bei uns in Mitteleuropa die Gefahr schwerer Erdbeben und Tsunamis recht gering ist - dafür gibt es andere natürliche Risiken. Orkane und Sturmfluten fallen mir da als Hamburger zuerst ein.
Und dann gibt es, keine 10 Kilometer entfernt, einen Siedewasserreaktor ähnlicher Bauart wie die im AKW Fukushima, der auch schon ein langes Register an Pannen und Unfällen hätte.

Das starke Erdbeben, der alles verwüstende Tsunami, das sind Naturgewalten, die die Verletztlichkeit unserer Zivilisation zeigen. Die Demut lehren. Nicht in dem Sinne eines "gottergebene" Fatalismus, oh nein! Aber es ist sehr fraglich, ob ich ohne Sturmfluten auf einer Nordseeinsel erlebt zu haben, das geworden wäre, was man gemeinhin naturreligiös nennt. Not lehrt nicht nur beten, sondern auch anpacken. Die Angst, die kommt erst nachher.
Und die Naturgewalten, sie sind ambivalent. Vernichtend und lebensspendend zugleich. So, wie auch meine Götter ambivalent sind. Alle - und ganz besonders Loki, der immer mal wieder unter dem Pseudonym "Murphies Law" unsere Selbstgewissheit erschüttert. Dann geht alles schief, was schief gehen kann, und wenn wir Glück haben, ohne dass dabei Menschen draufgehen. (Es ist übrigens der einzige Gott, bei dem ich mir nicht sicher bin, dass das Prinzip, ein Gottesbeweis sei unmöglich, auf ihn zurifft. Er ist eben unberechenbar. Und deshalb auch schöpferisch. Nicht der Teufel, den man, als die alten Götter schon halb vergessen waren, aus ihm machte.
Da haben es die Japaner leichter. Deren Alte Sitte, Shintō, ging nie bis auf ein Häufchen Bruchstücke, von denen keiner genau weiß, ob und wie sie zusammengehören, verloren. Auch wenn auch Shintō verdreht, politische instrumentalisiert, völkisch umgedeutet wurde.
Und ich weiß: Japan braucht seine Götter mehr denn je.

"Demut" heißt nicht: "Gegen die Gewalt der Natur kann ich eh nichts machen!" und schon gar nicht: "Wenn ein Kernkraftwerk hochgeht, ist es zu spät, etwas machen zu wollen!"
Ich weiß: ich kann mit den Gewalten der Natur einiges machen, ich kann mit anderen Menschen gemeinsam etwas erreichen. Und mit Hilfe der Götter. Nicht selbstlos, nicht als "unverdiente Gnade", sondern so, wie Geschwister sich helfen sollten.
Viellicht erreiche ich wenig. Aber genug, dass das lähmende Gefühl von Hilflosigkeit verschwindet.

Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass wirklich schlechte Nachrichten nicht bedrücken, nicht depressiv-passiv machen. Sie mobilisieren eher.

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