Persönliches

Samstag, 25. September 2010

2000 - "Don't dream it - be it!"

Eine weitere autobiographische Episode über meinen "spirituellen Weg".
1974 - Sommer der Wandlung
1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 - "Paradigmas lost"
1997 - Der Schritt aus der Besenkammer.

Tiefe
"Tiefenrausch" - von mir im Januar 2000 gezeichnet.

Das Jahr 2000 - das letzte Jahr des alten Jahrtausends. Eine kurze Zeit, in der nicht nur ich das Gefühl hatte, dass alles gut oder wenigsten besser würde. Die Türme des World Trade Centers standen noch, niemand redete von einer abstrakt erhöhten Terrorgefahr. Die "New Economy" (diese bald platzende Blase) glänzte mit coolen Startup-Firmen in umgebauten Fabriketagen. In Deutschland war die Regierung Schröder noch einige Jahre von "Agenda 2010" und Hartz-Reformen entfernt. Gut, "rot-grün" hatte den völkerrechtlich fragwürdigen Bosnien-Kriegseinsatz der Bundesluftwaffe zu verantworten, aber insgesamt schien nach den schier endlosen Kohl-Jahren ein frischer Wind zu wehen: Schwulenehe, reformiertes Ausländerrecht, Atomausstieg - "Reform" war noch kein Gruselwort, "neoliberal" übrigens auch noch nicht. Irgendwie hatten viele zwar das Gefühl, dass da irgend etwas faul war, aber ich gehörte eher nicht dazu. Ich war nach wie vor in der Science-Fiction & Fantasy-Szene aktiv, schrieb eifrig, und veröffentlichte sogar mit einigem Erfolg populärwissenschaftliche Artikel. Ja, das war vor der großen Anzeigenkrise. (Auch wenn der bekannte Witz, "Honorar" käme von "rar", auf meine Ausflüge in den Journalismus voll und ganz zutraf.)

Wie erging es mir, nachdem ich bekennender Neuheide und "moderne Hexe, männlich, nordisch-freifliegend", wie ich mich zuweilen ironisch nenne, geworden war?
In gewisser Hinsicht: erst mal ernüchtert. Nach kurzer Zeit war ich gründlich desillusioniert. Weniger wegen der schier grenzenlosen Naivität mancher, vor allem junger, Hexen - damit hatte ich gerechnet. Oder wegen des Dralls nach rechtsaußen auch bei sich verbal von Nazis abgrenzenden Heiden, vor allem germanischer und keltischer Orientierung - davon wusste ich schon früher. Über "Kommerzhexen" und autoritäre "Heidenfürsten" konnte ich nur bitter lachen.

Nein, es war eine spezielle, bei modernen Hexen und Magiern leider nicht seltene Auffassung von Magie, die mich sehr ernüchterte. Eine Auffassung, die auch in dem, was gemeinhin als Esoterik bezeichnet wird, ziemlich weit verbreitet ist. (Für Satanisten ist sie, den Eindruck hatte ich, sogar obligatorisch.) Es ist eine extrem egozentrische und deutlich egoistische Haltung, die sich gut mit dem Satz: "Ich und der Rest des Universum" skizzieren lässt.

Es geht diesen "hochspirituellen" Menschen nur um die Beziehung des Ichs (wahlweise auch des Selbsts, was in diesen Zusammenhang wenig bedeutet) mit ihrer Umwelt (oder dem, was sie dafür halten).
Im harmlosen Fall kreist dann ihr Denken nur noch um ihre eigene Lebenssinnproblematik. Das sind jene Leute, über die ich gern spotte, sie würden sich ganz entspannt am Leben vorbei meditieren.

Erstaunlich viele Hexen und "Hexen" versuchten mit großem Eifer Wunschmagie, im Eso-Jargon auch Gesetz der Anziehung genannt (um der Göttin der Weisheit willen nicht zu verwechseln mit dem Gesetz der Massenanziehung / dem Gravitationsgesetz) zu praktizieren. Obwohl diese Form der Magie manchmal funktioniert (für Skeptiker: zu funktionieren scheint), führt sie bei den Wunschmagie Praktizierenden offensichtlich oft zu einer manchmal grotesken Verzerrung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Größenwahn, oft in Verbindung mit Beziehungswahn und Verfolgungswahn und die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, sind die typischen Eigenschaften solcher ganz doll magischer Wunschdenker, pardon, Magier. (Das könnte, nebenbei, die Mentalität typischer "Heidenfürsten" und vergleichbarer Möchtegern-Gurus auf keltisch oder germanisch erklären.)
In milderen Fällen verstärkt die "einfache Bestellung beim Universum" die ohnehin weit verbreitete "jeder ist seines Glückes Schmied"-Mentalität, und zwar so, dass grundsätzlich das Opfer selbst schuld an seinem Unglück sei. Wenn die Magie nicht funzt, dann hat Hex was falsch gemacht.
Egal, ob weltfremder Dauermeditierer, von der "Machtzentrale Wohnzimmer" aus die Geschicke des Universums bestimmender Meister der Zeremonialmagie oder vernagelter Mochtegern-Papst: die "ich und der Rest des Universum"-Mentalität führt dazu, dass diese Menschen, auch wenn sie viel von "kosmischem Bewusstsein" und "alles hängt mit allem zusammen" reden, übergeordnete Perspektiven nicht mehr einnehmen wollen oder können. Alles wird gnadenlos aus der persönliche Froschperspektive gesehen, was durch den häufig bei solchen Menschen anzutreffenden ideologischen Tunnelblick zu fast völliger Realitätsblindheit führt.

Als ich so die heidnischen und hexischen Websites und Foren absurfte (auch so eine heute aus Mode gekommene Metapher), verstärkte sich ein Eindruck, den ich auch bei der Begegnung mit Hex und Heid im echte Leben hatte. Damals brandete eine Hexenwelle auf, es war (in geneigten Kreisen) chic, Hexe zu sein oder wenigstens auf Hexe zu machen. Es begann die Zeit der Kommerz-Hexen auf dem Esoterikmarkt, zum Teil direkt an die vorausgegangene Schamanen-Wellen anknüpfend.
Von spiritueller Harmonie und Toleranz war in den Internet-Trollhöhlen wenig zu spüren, eher die Lust auf einen gepflegten Flamewar. Manche Internet-Hexen erinnern sich gewiss an ein bestimmtes Forum, das allgemein als "die Grüne Kampfwiese" bekannt war.

Es gab für meinen Geschmack zu viele Möchtergerns und zu wenig Macher. Träumen ist wichtig, aber wie heißt es so schön und treffend: "Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum!"

Damals fragte ich mich oft selbstkritisch, ob ich auch zu den Möchtegerns gehören würde. Leider hieß es auch bei mir auf heidnisch-spirituellen Gebiet zu oft: "ich würde gerne" und zu selten "ich mach's".
Die Frage: "Bin ich es?" konnte ich mit "Ja" beantworten. (Ob die Antwort jeden zufrieden gestellt hätte, wage ich zu bezweifeln. Es gibt erstaunlich viele Menschen, die nicht einmal akzeptieren, dass Warzen-Besprechen geht. Auch wenn es dafür mit dem Placeboeffekt ein akzeptiertes Erklärungsmodell gibt. Damals akzeptierte ich - endlich - dass ich, wenn ich ehrlich zu mir und zu anderen bin, unweigerlich zwischen den Stühlen sitze. Oder auf dem Zaun.) Leider hat die "spirituelle Öffnung" ihren Preis: erhöhte psychische Verwundbarkeit. Hinzu kam, dass der "Zaun" zwischen skeptisch-rationalem Denken und "magischem" Denken sozusagen mitten durch mein Gehirn verläuft. Also, dass ein Teil von mir genau weiß, dass z. B. Rutengehen funktioniert (sogar aus eigener Erfahrung) und ein andere ebenso genau weiß, dass Rutengehen wissenschaftlich solide falsifiziert ist. Der Weg aus diesem Dilemma ist schwierig.
Ich lernte erst langsam, mich selbst zu schützen. Zu langsam. Aber genug gejammert.

Denn in mancher Hinsicht hatte ich es geschafft, meine Träume zu leben. Es ist im Rückblick gerade erstaunlich, wie viele Jugendträume ich nach 1989 (dem entscheidenden Wendejahr - auch für mein Verhalten) verwirklichte, wenn auch nicht die "bürgerlichen" Träume von beruflicher Karriere und materiellem Wohlstand. Besonders wichtig war es für mich, dass ich nicht mehr der kontaktarme Außenseiter von früher war, sondern "wichtige Leute" kannte - und diese Leute mich kannten. Dass ich vernetzt war. Freunde hatte.
Oder dass ich, um ein anderes Beispiel zu nennen, nicht mehr, wie viele, davon redete, mal ein Buch zu schreiben. Sondern es einfach machte.

Was ich suchte, waren Heiden, die nicht zur typischen "Heidenszene" gehörten. Die sich nicht darauf hinausredeten, "unpolitisch" zu sein. Die nicht kritiklos an angebliche "uralte Traditionen", bis zur Steinzeit und noch drei Steine weiter, glaubten. Die sich mit Magie beschäftigten, ohne den kritischen Verstand und 2500 Jahre Wissenschaft über Bord zu werfen.
Die ökofemistischen Hexen im Sinne Starhawks imponierten mir und zeigten, dass Neopaganismus politisch und emanzipatorisch sein konnte.
Was ich suchte, war eine Organisation oder Gemeinschaft, in der ich mich politische und aufklärerisch engagieren konnte, und das mit authentischer heidnischer Spiritualität zu verbinden.

Mein Problem dabei war, dass Worte billig sind, und besonders billig sind sie im Internet. Wem konnte ich glauben? Die Antwort war klar: ich kannte da jemanden, der sich "heidnischer Magier" nannte, politisch dachte, ein enormes Wissen hatte, klug war, geistreich spöttisch war - und vor allem: nicht nur redete.

Kennengelernt hatte ich ihn nicht über einen Hexen- oder Heidenstammtisch oder bei einem öffentlichen Ritual, sondern 1999 auf einem Science-Fiction-Con, genauer gesagt, einem "Perry-Rhodan"-Con, dem Thorecon in Braunschweig.

Ich setzte mich schon einige Zeit mit dem Denken und der Ideologie "moderner" Rechtsextremisten auseinander. Zwar sind "Durchschnittsnazis" geistig oft schlicht gestrickt und fast alle "Rechten" bis weit ins bürgerlich-rechtskonservative Lager klassische autoritäre Persönlichkeiten - aber es gibt auch Vordenker, deren Ideen im rechtsradikalen Kreisen nachgedacht werden. Einer dieser Neonazis mit Grips, Christian Worch, war auch Fantasy-Fan und hatte sogar einige recht lesbare Geschichten geschrieben. Erstaunlicherweise waren das, anders als man meinen könnte, keine ideologiedurchtränkten Propagandamachwerke, selbst die fantasy-üblichen Machtphantasien blieben im unteren fantasy-üblichen Bereich. Um diesen auffälligen Widerspruch zu klären, herauszubekommen wie Worch "tickt", führten Klaus N. Frick, Journalist, Punk, Antifaschist (und "Perry-Rhodan"-Chefredakteur) und ein gewisser Hermann Ritter ein ausführliches Interview mit ihm. Dieses Interview wurde vom SFCD e. V. (Senioren-Fischerei-Club "Donnerangel" Science-Fiction-Club Deutschland) in gedruckter Form herausgegeben. Ich hatte, nachdem ich dieses Interview gelesen hatte, noch einige Fragen. Und wie es sich so gut traf, traf ich Klaus N. Frick (den ich bereits persönlich kannte) und seinen Freund Hermann Ritter (den ich zwar mal irgendwo gesehen hatte, aber noch nicht kannte) auf dem "Thorecon", wo ich ihnen diese Fragen auch stellte.
Dabei bekam ich mit, dass Hermann aktiver Neuheide war - und zwar unter anderem einem in Verein, dessen Website ich bisher kaum beachtet hatte: dem Rabenclan e. V..

Ich sah mir die Website des Rabenclan ein wenig genauer an, und fand dort interessante, wenn auch oft in etwas verzopftem "Gelehrtendeutsch" gehaltene, Analysen über rechtsextreme Strukturen in der deutschen Heidenszene. Genau das hatte ich gesucht! Die gelehrten Abhandlungen stammten von einem gewissen Hans Schuhmacher, offensichtlich Sozialwissenschaftler und eben so offensichtlich "links". HaSchu schrieb für das "Ariosophieprojekt der Nornirs Ætt" - die "Nornirs Ætt", das waren, wie ich erfuhr, die Ásatrú im Rabenclan.
Ich hatte es auch mit den nordisch-germanischen Göttern (ohne Athena untreu zu werden), scheute mich allerdings davor, das nach außen hin allzu sehr zu betonen: wer nordisch-germanisches Neuheidentum öffentlich praktiziert, macht sich unter Umständen verdächtig, "völkisch" gestrickt zu sein, während man als "moderne Hexe" (auch männlichen Geschlechts) schlimmstenfalls in der "Spinner"-Ecke landet. (Außer bei religiösen Fundamentalisten, für die das satanistisch ist.) Dass da jemand aktiv daran ging, dieses Bild gerade zu rücken, imponierte mir.

Mein letzten Anstoß, mich dem Rabenclan zu nähern und schließlich beizutreten, war die Domain Asatru.de, die, wenn man damals nach "Asatru" suchte, in den Suchergebnissen ganz oben stand. Sie gehört (leider) der extrem rassistischen "Artgemeinschaft".
Es gibt auch Alpträume. Einer war, dass das "metapolitische" Konzept der "modernen" Rechtsextremisten funktionieren würde, und sie die Diskurse auch außerhalb ihrer Anhängerschaft bestimmen könnten. Aber schlechte Träume fordern zugleich auf, etwas zu tun, damit sie nicht Wirklichkeit werden.
Ich fühlte mich berufen, mitzuhelfen, den "Nazitrus" das Konzept zu verderben und die "Heidenszene" aus dem Dunstkreis des "deutsch-völkischen" zu befreien. Also wurde ich "Rabe".

Sonntag, 22. August 2010

1997 - Der Schritt aus der Besenkammer

Eine weitere autobiographische Episode über meinen "spirituellen Weg".
1974 - Sommer der Wandlung
1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 - "Paradigmas lost"

1997 war das Jahr, in dem ich mich zum ersten Mal öffentlich als "Neuheide" bezeichnete und zu GesinnungsgenossInnen - überwiegend "neuen Hexen" Kontakt aufnahm. Sozusagen ein "Coming out". Nach dem Klischee der auf Besen reitenden Hexen nennen amerikanische Wicca das öffentliche Bekenntnis, Hexe zu sein: "Coming out the broom closet".

1997 wird für viele Zeitgenossen als das Jahr in Erinnerung sein, in dem Princess of Wales Diana bei einem Autounfall starb. Was nüchtern betrachtet eines der unwichtigeren Ereignisse dieses Jahres war - Diana war nicht besonders schön, nicht besonders klug, nicht besonders wichtig - aber das Medienphänomen Di hatte sich schon längst von der realen, durchaus tragischen, Person gelöst.
Wichtiger für die Entwicklung der Welt seither war, dass bei den Wahlen zum britischen Unterhaus die reformierte (manche alte Sozialdemokraten sagen: deformierte) Labour Party ("New Labour") unter Tony Blair siegte. Jedenfalls zeigte seine Regierung, wie kapitalistisch und sozial rücksichtslos Sozialdemokraten sein können. Blair und seine "New Labour" war übrigens das erklärte Vorbild eines gewissen Gerhard Schröder, damals Ministerpräsident Niedersachsens.
Wichtig für die industrielle Entwicklung der "Volksrepublik" China war, dass Hongkong an China zurückgegeben wurde.
In Kyoto (Japan) fand eine internationale Klimakonferenz statt, auf der sich die Industrieländer verpflichten, ihre Treibhausgas-Emissionen zu senken. Ob das wichtig war, wird sich erst noch zeigen.
Ja, und in Deutschland regierte Helmut Kohl. Ein Ende oder eine Änderung war nicht abzusehen.
Was wirklich wichtig war: die Großmutter aller Onlinespiele, "Ultima Online", ging, na klar, online. (Gespielt habe ich das nie.) 1997 war auch das Jahr, in dem ich mir einen Internet-Zugang zulegte.

Image und Wirklichkeit passten wie bei Diana auch bei einer anderen prominenten Toten dieses Jahres nicht zusammen: bei Mutter Teresa. Sie war als Person ebenso ambivalent wie die christliche Ethik selbst.
Christopher Hitchens bezeichnete sie in seinem Buch "The Missionary Position" als "Gründerin eines Kults, der sich auf Tod und Leiden stützt". Womit er meiner Ansicht nach viel näher an der Wirklichkeit ist als ihr öffentliches Image eines selbstlosen "Engels der Armen". Immerhin scheint sie nach ihren Tagebüchern zu urteilen eine viel interessantere Persönlichkeit gewesen zu sein, als das fromme Heligenbild, dass die offizielle katholische Kirche von ihr malt. Keine Liebe, kein Glaube, eine von tiefen Zweifeln innerlich zerrissene Frau. Das Problem beim Katholizismus sehe ich darin, dass er dazu neigt, das Leid moralisch zu überhöhen und Leiden als Tugend darzustellen. In diesem Sinne verkörperte sie geradezu den Katholizismus. Mir persönlich kommt ihre Arbeit in den Slums von Kalkutta wie ein umgekehrter Mephisto vor: Sie war ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will - und stets das Böse schafft. Schon Anfang der 80er Jahre erzählte mir eine aus Kalkutta stammende Freundin, deren Vater dort Arzt war, dass die Hilfsbereitschaft ihres Ordens der "Missionarinnen der Nächstenliebe" zwar außer Frage stünde, aber dieser Orden mangels Sachkenntnis in der Krankenbetreuung und Sozialarbeit mehr Schaden als Nützen würde. Zum Beispiel sei selbst den heilbar Kranken kaum medizinische Hilfe zuteil geworden, die Zustände in den Heimen wären katastrophal gewesen. Noch vernichtender ist das, was Aroup Chatterjee, ein ehemaliger Mitarbeiter des Ordens, in seinem Buch The final verdict über Mutter Teresa schreibt: es hätte praktisch keine wirkliche Hilfstätigkeit des Ordens in Kalkutta gegeben.

Ich muss einräumen, dass unter anderem Mutter Teresa einiges dazu beigetragen hat, dass ich das Christentum als gut gemeinte, aber defekte Religion begriff, und mich ohne Scheu mit Alternativen beschäftigte. Zeitweilig fand ich das charismatische Christentum faszinierend - weil es eine der wenigen Richtung des Christentums ist, die wirklich von Spiritualität und persönlichem Glaubenserlebnis geprägt sind. Mir erscheinen die christlichen Großkirchen wie Religionsbehörden, in der herzlich wenig von "Gott", geschweige denn "Mystik" zu spüren ist. Bestenfalls leisten ihre Mitarbeiter recht gute Sozialarbeit, für die allerdings ein religiöser Überbau nicht von Nöten ist.
Nach außen hin machte ich bis 1997 auf "Agnostiker", manchmal sogar auf "Atheist" - innen war ich auf der Suche.
Apropos Suche - mir hätten damals Kriterien geholfen, anhand derer psycho-spirituelle Gruppen kritisch und differenziert betrachtet werden können: Pilzsuche im psycho-spirituellen Esoterik-Wald Als Faustregeln sind diese sechs Kriterien sehr brauchbar.

Aber wie kam ich auf die Idee, mich dem Neopaganismus zuzuwenden?
Ein Grund ist offensichtlich, dass ich es mit den "alten Göttern" und vor allem einer Göttin hatte. Aber ohne die Science Fiction- und Fantasy-Szene wären mir nicht zuerst die neue Hexerei und später Asatrú zugestoßen.

Feuerechsen
Dieses Aquarell heißt "Wunschdenken oder der Tanz der Feuerechsen". Es ist die gemalte Version einer Titelbildzeitung von Kirstin Tanger (damals noch: Scholz) für das von ihr herausgegebene Filk-Fanzines "Let's Filk about". Angesiedelt ist das Bild auf der "Drachenwelt" Pern aus Anne McCaffreys Science Fantasy-Zyklus Dragonriders of Pern. Die Flötenspielerin malte ich nach einer Zeichenpuppe und "frei nach Schnauze" - denn die Vorlage die ich gerne gehabt hätte, gab es noch nicht.

Viele Wiccas sind über The Mists of Avalon von Marion Zimmer Bradley, einem stark vom Wicca beeinflussten Roman, in dem die Arthus-Legende aus weiblicher Sicht nacherzählt wird, zum modernen Heidentum gekommen. Ich nicht, bei mir war es komplizierter.

Ich lese Science Fiction und Fantasy seitdem ich lesen kann. Allerdings stieß ich erst relativ spät zum "Fandom" - die deutsche SF-Szene schien mir eine Mischung aus eher säuerlicher Literaturkritik und Vereinsmeierei zu sein. Nach 1989 suchte ich Spaß an SF und Fantasy, Kontakt mit möglichst vielen, möglichst verschiedenen Menschen, Freunde am Selbermachen, Selbstschreiben, Weiterspinnen, Unterhaltung, Spinnerei bei Bier und Wein bis spät in die Nacht, Geselligkeit usw. - weshalb ich die "ernsthafte" SF-Szene nur am Rande berührte und mich mit Wonne in die bunte Welt eines "Star Trek"-Fanclubs stürzte. Später kam noch "Perry Rhodan" hinzu, aber auch sonst vieles, was bunt, phantastisch, abenteuerlich war. Ich hörte nicht auf anspruchsvolle SF zu lesen, aber ich fühlte mich bei den "Spinnern", Trekkies, LARPern usw. einfach wohl.
Um ein Haar wäre ich schon 1992 auf Asatrú gestoßen - genauer gesagt, stieß ich auf einem Science Fiction-Stammtisch auf zwei Asatrúar. Ich wusste aber im Groben und Ganzen über die deutsche "Heidenszene" der damaligen Zeit Bescheid. Sie war stark vom Armanen-Orden und seinem Umfeld geprägt, also deutlich "völkisch" bis braunstichig. Es gab zahlreiche "Möchtegern-Gurus", "Heidenfürsten" und ganz doll magische "Druiden", "Goden" oder "Hohepriesterinnen". Also begegnete ich den beiden Freunden der alten Göttern mit Misstrauen. (Aus heutiges Sicht: wahrscheinlich zu Unrecht.)
Nun gibt es ziemlich viele ziemlich bizarre Querverbindungen zwischen neuen Heiden / neuen Hexen und Science Fiction und Fantasy. Vor allem in der Fantasy gibt es ziemlich viele heidnische Autoren - Patricia Kenneally-Morrison, eine keltische Hexe, Marion Zimmer Bradley (bei ihr ist es allerdings umstritten - ich halte es für durchaus möglich, dass sie zugleich Wicca und auf ihre Art Christin war), Diana L. Paxson, die mit MZB zusammenarbeitete und eine der führenden Persönlichkeiten des "nicht-völkischen" Asatrú ist, Stephan Grundy, der dann doch eher zum "völkischen" Asatrú neigt, um nur Einige zu nennen. Aber auch nicht-pagane Fantasy und SF-Schreiber bedienen sich heidnischer Spiritualität - es ist kein Zufall, dass die erste neopagane Gemeinschaft, die in den USA als Kirche anerkannt wurde, die "Church of all Worlds", indirekt auf einem SF-Roman von Robert A. Heinlein beruht.
Es blieb also nicht aus, dass ich sowohl mit neuheidnischem Gedankengut wie mit echten, lebendigen neuen Hexen und Heiden in Berührung kam. Hätte ich allerdings keine entsprechende Neigung gehabt, hätte ich es ignoriert oder als Kuriosum abgetan.

Irgendwann "bastelte" ich mir, mit Hintergedanken in Richtung eines zu schreibenden Fantasy-Epos (das ich dann nie schrieb), eine "eigene" Patchwork-Religion. Ich merkte, dass ich mich immer stärker selbst "bekehrte", das heißt, meiner "Religion" für plausibel hielt. Irgendwann stolperte ich dann über Vivian Crowleys "Wicca: Die alte Religion im neuen Zeitalter" - und merkte, dass es "meine" Religion es längst gab: Sie nannte sich "Wicca". (Weniger mysteriös als es klingt, ich hatte mich bei zahlreichen Fantasy-Autoren bedient und alles verworfen, was ich für nicht plausibel hielt.)

Wenn man so will, war das SF- und Fantasy-Fandom eine mentale und personelle Vorbereitung dafür, dass ich "bekennender Neuheide" wurde.

Sonntag, 15. August 2010

Senfbrötchen

Da jemand immer wenn er in mein Blog schaut, Lust auf Senfbrötchen bekommt, mal ein Senfbrötchen, das kein schnödes "Brötchen mit Senf" ist:

Käse-Senfbrötchen
Für ein Blech / acht Stück Senfbrötchen braucht man:

225 g Weizenmehl
3 TL Backpulver
50 g Butter (in kleine Stückchen)
125 g reifer herzhafter geriebener Hartkäse
1 TL Senfpulver
150 ml Milch
Eine Prise Salz
Pfeffer (aus der Mühle)
Zum Backen: am besten Backpapier benutzen: wie alle Milchbrötchen backen die Käse-Senfbrötchen beim Backen leicht am Blech fest!

Backblech mit Backpapier belegen.
Mehl , Salz und Backpulver in eine große Schüssel sieben.
Butterstücken daruntermischen.
Rühren.
Käse , Senfpulver und Milch einrühren.
Solange rühren, bis ein glatter Teig entsteht.
Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche durchkneten.
Eine etwa 2 1/2 cm hohen Scheibe aus dem Teig formen.
Die Scheibe in 8 kleine Dreiecke schneiden.
Mit etwas Milch bestreichen und nach belieben mit Pfeffer bestreuen.
Die Dreiecke in einem auf 220 Grad vorgeheizten Ofen 10 - 15 Minuten lange backen, bis sie goldbraun geworden sind.

Ich hoffe, dass niemand daraus schließt, dass auf meinem Blog nur alter Käse zu finden sei ...

Guten Appetit!

Sonntag, 8. August 2010

1989 - "Paradigmas lost"

Nach langer Zeit - und nach vielen Bedenken - setze ich die Reihe meiner autobiographischen Episoden über meinen "spirituellen Weg" fort.
1974 - Sommer der Wandlung und 1982 - Im Labyrinth der Eiszeit

1989 war ein Jahr einschneidenden politischen Wandels. Es war auch das Jahr, in dem für mich vieles anders wurde - auf eine Weise, die ich vorher für nicht möglich gehalten hätte.

Das unten stehende Bild malte ich im März 1989. Das es im März geschah, ist wichtig, denn das Bild ist keine Anspielung auf den Fall der "Mauer", wie viele, die das Bild später bei mir sahen, meinten.
Es ist eines meiner "Comic-Bilder", d. h. zuerst mit schwarzer Tusche gezeichnet, dann mit Deckfarben koloriert. Tatsächlich ist es eine Szene aus einem Roman von Robert A. Heinlein "Methuselah's Children" ("Die Ausgestoßenen der Erde"). Aber ich räume ein: das Bild spuckte mir schon monatelang in meinen Kopf herum, bis ich es malte.
Methusala's Children

Die optimistischen Erwartungen an mein Leben, die ich noch wenige Jahre zuvor hatte, waren bitter enttäuscht worden. Es war nichts mit dem erfolgreichen Studium, nichts mit der schönen Wohnung, der harmonischen Partnerschaft - die illusorischen Seifenblasen platzten. Was alles in meinem Leben in den "80ern" schief ging, gehört nicht in ein öffentliches Blog. Es wäre zu dramatisch (und nebenbei eines jener literarischen Klischees, die man im echten Leben praktisch nie trifft), wenn ich behaupten würde, dass ich durch einige Schockerlebnisse aus meiner Traumwelt in die Wirklichkeit gerissen worden wäre. Denn so "verträumt" und "weltfremd" waren meine Vorstellungen, was ich mit dem Leben anfangen wollte, ja nicht - ich wollte "nur" das, was auch andere wollten: Wohlstand, Karriere. Und ich wollte nur nicht auffallen, nur nicht anecken - das "wahre Leben" findet da statt, wo es Außenstehende nicht zu sehen bekommen. Tatsächlich habe ich damals gern nach außen hin den braven, wenn auch etwas "nerdigen" jungen Mann dargestellt. Hauptbedürfnis: Lasst mich gefälligst in Ruhe! Wie es drinnen bei mir aussieht, das hat niemanden etwas zu interessieren.
Und es ging bergab. Mit meinen Nerven, meinem Studium, meinen Beziehungen.
Besser wurde es erst, als ich endlich die Kraft fand, mich mit meinem eigenen Versagen auseinander zu setzen, eine nüchterne Bilanz zu ziehen, und meinen Lebensweg entsprechend den äußeren Gegebenheiten und einer realistischen Einschätzung meiner Fähigkeiten anzupassen. Dass mich dieser Erfolg dazu verleitete, die Selbstkritik irgendwann bis zum Selbsthass - paradoxerweise verbunden mit einem Hang zum weinerlichen Selbstmitleid - zu steigern, und meinem ohnehin vorhandenen Hang zum autoaggressiven Verhalten Vorschub zu leisten, wirkte sich ja erst später aus.
Erst einmal ging es, langsam, mit Rückschlägen, bergauf. 1989 wohnte ich in einer bescheidenen eigenen Wohnung, hatte eine bescheidene berufliche Perspektive und genoss ein bescheidenes privates Glück.

Politisch war 1989 ein Jahr, in dem vieles geschah, was noch kurz zuvor als unrealistische Träumerei verworfen worden war. Es wurde alles anders - anders, als es uns im Poltikunterricht erzählt worden war, anders, als es im Politik-Teil der Zeitungen stand, aber auch anders als auf den endlosen politischen Diskussionen im Umfeld der "Grün-Alternativen", zu denen ich mich zählte. Mehr "alternativ" als "grün" im damaligen Verständnis übrigens. Das Klischee des in ungefärbte Wolle gekleideten Birkenstock-Trägers, das damals wirklich auf einige "Grüne" zutraf, erfüllte ich nie. Wichtiger war, dass ich ein ausgesprochener Computer-Fan mit positivem Verhältnis zur beinahe (!) aller High-Tech war - ich begriff technischen Wandel als Chance. Vielleicht kann ich behaupten: ich begriff überhaupt Wandel als Chance, was eine stetige Quelle für Meinungsverschiedenheiten mit konservativen Zeitgenossen war. Auch damals schon waren die "Grünen" viel konservativer, als es ihr "alternatives" Image nahe legte.

Im Nachhinein ist es fast amüsant, wie unsicher und irritiert hier im "Westen" die Reaktion auf die revolutionären Prozesse im "Ostblock" waren. Das traft nicht nur auf jene Zeitgenossen zu, die gerne den Sonntagsreden über "Überwindung der deutschen Teilung" gelauscht hatten oder selber welche hielten, und die nun ohne Konzept und Plan sozusagen mit heruntergelassenen Hosen dastanden. Es traft auch auf die zu, die von Abrüstung und einer dauerhafter Friedenslösung in Europa träumten. Es war die Angst, dass Veränderungen im politischen Machtgefüge "Krieg" bedeuten könnten, die lähmte und konservativ machte. Im Herbst 1989, mitten in der "Wende", behaupte jemand, der immerhin u. A. Lehrer für Politik war, dass das, was da in der DDR und sonstwo "im Osten" vor sich ginge, gar keine Revolution wäre. Obwohl er kein Kommunist war und nicht die geringste Sympathien für den "real extistierenden Sozialismus" im Ostblock hatte, hielt er die sich abzeichnende "Wende" für einen Staatsstreich politischer Abenteurer und verantwortungsloser Demagogen. (Später, nach dem "Anschluss" der DDR, war seine Welt wieder in Ordnung: ganz klar, die DDR war auf kaltem Wege erobert worden! Wohlgemerkt, der Mann hätte einem SED-Funktionär oder einem DKP-Mitglied nicht die Hand gegeben und war nach eigenen Angaben FDP-Wähler.)
Mir ist auch noch gut ein Gespräch zweier älterer Frauen, die beide den 2. Weltkrieg bewusst miterlebt hatten, am Morgen des 10. Novembers 1989 in Erinnerung: "Ich hätte nie gedacht, dass so was ohne Krieg abgeht." - "Hoffen wir, dass es so friedlich bleibt." Der "Fall der Mauer" ohne Krieg - daran hatten diese Frauen niemals gedacht. Es widersprach ihrer Lebenserfahrung.

Viele Paradigmen (im Sinne der Wissenschaftstheorie von Thomas S. Kuhn) "konkrete Problemlösungen, die die Fachwelt akzeptiert hat") waren im Jahre 1989 verloren gegangen.

Auch mir ging 1989 ein "Paradigma", eine Grundannahme, auf der mein Modell der Wirklichkeit beruht, verloren. Die Grundannahme eines linearen Flusses der Zeit, vom Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In einem Betrieb, in dem ich für ein Praktikum arbeitete, arbeitete auch ein bemerkenswerter Mann. Er arbeitete nur noch in Teilzeit, denn den größten Teil seine Einkommens erwarb er mit Spekulationen - und zwar spekulierte er mit Optionsscheinen. Optionscheine sind eine besonders risikoreiche Anlageform, und Spekulation mit Optionsscheinen wird, mit einigem Recht, mit Zocken am Roulettetisch verglichen. Der gute Mann schaffte das, was eigentlich unmöglich war: ein nicht überwältigendes, aber recht ordentliches und vor allem konstantes Einkommen mit Optionsschein-Spekulation zu erreichen. Er erklärte mir auch den seiner Meinung nach vorhandenen Unterschied zwischen reinen Glücksspielen und Spekulationen: auf dem Optionsmarkt regiert nicht allein der reine Zufall. Aber was ist der Unterschied genau? Für eine Vorhersage der ganzen komplizierten Kausaltätskette, die den Wert einer Option bestimmt, reichte sein Wissen nämlich nicht aus.

Mehr noch als dieses "realweltliche" Erlebnis prägte ein bemerkenswerter Traum meine spirituelle Entwicklung. Wenn es mir schon vorher trotz meiner eher skeptischen Einstellung zum Thema "PSI" ausgesprochen schwer fiel, "außersinnliche Wahrnehmungen" immer als "Wunschdenken", "Betrug", "Wahnvorstellungen", "neurotische Wahrnehmungsstörungen" oder "Mißdeutung bekannter Phänomene" einzuordnen, war es mir von da an praktisch unmöglich, an jener Weltsicht festzuhalten, von der ich gelernt hatte, dass sie die allein vernünftige sei.

Es war nicht der erste Wahrtraum, den ich erlebte. Tatsächlich habe ich "so was" relativ regelmäßig. Ich hatte auch schon "prospektive Wahrträume", also hatte zukünftige Ereignisse im Traum erlebt.

Lange Zeit konnte ich die beunruhigenden "prophetischen Träume" "vernünftig" erklären. Ein Erklärung ist, dass ich jede Nacht mehrere Stunden träume, und es schon deshalb gelegentlich zu zufälligen Übereinstimmungen zwischen Traum und tatsächlichem Geschehen kommen muss.
Außerdem beziehen sich Wahrträume - ob prophetisch oder nicht - meistens auf persönliche Dinge. Solche Dinge sind für mich durchaus zu einem gewissen Grad vorhersehbar. Daneben gibt es bei Dingen, die ich selbst beeinflussen kann, immer die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Entscheidend ist aber, dass ich, wie die meisten Menschen, dazu neige "Vorzeichen", die nicht in Erfüllung gingen, zu ignorieren und geglückte Prophezeihungen bevorzugt im Gedächtnis zu behalten.

In der Nacht zum 30. April 1989 (ich führte damals Tagebuch) geriet dieses einfache Erklärungsmodell ins Wanken, als ich einen total verrückten Traum hatte.
Ein russisches (damals sowjetisches) Jagdflugzeug zerschellte in diesem Traum in Belgien. Dann "lief" der Traum episodenhaft ab, und zwar in umgekehrten zeitlicher Abfolge. Es hatte zuvor die (damalige) BRD im Tiefflug überquert - mit offener Cockpithaube. Ich konnte erkennen, dass die Maschine ein Typ mit Schwenkflügeln war und erfuhr dann (im Traum), dass die Maschine auf einem Luftwaffenstützpunkt in Polen bei Kolberg gestartet war.

Am 4. September 1989 - und nicht, wie ich mich später zu erinnern glaubte, nur eine Woche später - durchquerte eine sowjetische MiG 23 (ein Schwenkflügler) den westdeutschen Luftraum. Der Pilot hatte sich kurz nach dem Start auf einem Fliegerhorst bei Kolberg (Polen) mit dem Schleudersitz aus der Maschine katapultiert. Von Autopiloten gelenkt, nahm die Maschine Kurs nach Westen - mit offenstehendem Cockpit. Die Maschine stürzte dann Belgien ab.

Schon daran, dass ich mich an das Datum der Eintreffens der "Prophezeihung" nicht richtig erinnerte, zeigt, wie trügerisch das "chronologische Gedächtnis" sein kann. Hätte ich nicht den Zeitpunkt des Traums notiert, würde ich heute zu der Erklärung neigen, dass ich wohl "Ursache" und "Wirkung" zeitlich verwechselt hätte.
Es könnte alles Zufall sein. Es gibt ja schließlich auch Sechser im Lotto. Nur - es war nicht der letzte prospektive Wahrtraum. Und bei weitem nicht der einzige, dessen Ereignisse von mir nicht beeinflusst werden konnten.

Allerdings stellte mich der Traum, bzw. seine Bewertung, vor ein "falsches Dilemma": entweder hätte ich das "naturwissenschaftliche", rationale Weltbild aufgeben müssen, zugunsten esoterischer Welterklärungsmodelle - oder den Traum als belangloses Kuriosum verdrängen müssen.
Der - umstrittene - Begriff der Synchronitizität erwies sich für mich als hilfreich.

Dem "falschen Dilemma" - entweder "vernünftig bleiben" oder "magisch denken" (und womöglich doch bei den "Esos" landen) - entkam ich auf Dauer auch deshalb, weil ich zufällig (oder auch nicht) ein Jahr später auf ein bemerkenswertes Buch stieß: "Verlust der Wahrheit. Streitfragen der Naturwissenschaften" von John L. Casti (Originaltitel: Paradigmas Lost).
Eine der Streitfragen, der sich Casti widmet, sind die Deutungsschwierigkeiten der Quantenmechanik. Hierbei gibt Casti der Viele-Welten-Interpretation den Vorzug, die mir, als Science Fiction-Fan, nicht ganz unbekannt war. Wichtiger ist aber, dass ich begann, die Quantenmechanik nicht mehr ein Theoriensystem zu betrachten, das man nicht versuchen sollte, irgendwie zu verstehen - es reiche aus, wenn sie die richtigen Ergebnisse liefere. Auch wenn auch vielleicht die Kopenhagener Deutung die Phänomene besser erklären könnte - in allen Fällen hat das, was wir "Kausalität" nennen, nicht die universelle Bedeutung, die sie in der klassischen Physik hat.

Auch wenn mache New-Age-Esoteriker mit quantenmechnischen Begriffen hantieren, war die Beschäftigung mit Quantenmechanik einer der Gründe, aus denen ich das im Grunde deterministische Weltbild, dass den meisten Hypothesen über PSI und Vorauswissen zugrunde liegt, verwarf. In einer Welt, in der von Anfang an alles zwangsläufig, wie ein Uhrwerk abläuft, und in der es keine echten Zufälle gibt, wären zutreffende Prognosen in der Tat möglich. Aber so funktioniert die Welt nun einmal nicht.

Ich kam zu der Vermutung, dass ich nicht wirklich in der Lage bin, einen Blick in die Zukunft zu werfen - weil es die Zukunft nicht gibt.
Es gibt nur Möglichkeiten, die aus meiner Sicht irgendwann real werden können, davon einige wahrscheinlich, andere unwahrscheinlich. Wenn sie sich manifestiert haben, sind sie nicht mehr zu ändern - Vergangenheit, oder besser: das Gewordene.
Damit ist ein prospektiver Wahrtraum kein "Eisenbahngleis in die Zukunft" - wenn da ein Zug entgegenkommt, ist es gelaufen. Er ist nur eine Prognose, und wie alle Prognosen unsicher. Wie genau diese Prognose zustande kommt, ist zweitrangig.

Es befriedigte mich sehr, dass sich meine selbstgestrickte Philosophie von Zeit und Zukunft seht gut mit Karl R. Poppers kritischem Rationalismus übereinstimmte: "Die Zukunft ist offen".

Noch mehr freute ich mich Jahre später, als Menschen, die meine Freunde werden sollten, von einer ganz anderen Richtung her denkend, zum gleichen Ergebnis kamen. Das mir irgendwann so was wie Asatru zustieß, liegt also auch daran, dass ich mich von moderner Physik ebenso wenig abstießen ließ, wie von Erkenntnisphilosophie.

Dienstag, 3. August 2010

Nackedei-Bild

Auf seinem Blog schrieb Finkeldey neulich unter: Kachelmann, Brunner, Tauss, Wüppesahl und Finkeldey:
Vor einiger Zeit habe ich irgendwo, ich glaube in Jörg Tauss´ Blog, angekündigt, ein Kindernackidei-Bild von mir ins Web zu stellen; als Protest gegen den schamlosen politischen Missbrauch mit dem Missbrauch.

Ich werde das jetzt doch nicht tun. Gegen den Begriff „feige Sau“ werde ich nicht angehen, denn: Ja, ich bin ne feige Sau. Ich habe weder die psychischen noch die sozialen noch die finanziellen Ressourcen, um einer etwaigen Hausdurchsuchung, ggfls sogar einer Festnahme durch eine in Teilen ersichtlich überforderte Justiz etwas entgegen zu setzen.
Ich hatte ebenfalls daran gedacht, ein Nackedei-Foto von mir aus Kindertagen zu posten. Allerdings kam ich dabei gar nicht so weit, mir Gedanken über die möglichen Folgen dieser Aktion zu machen - aus dem einfachen Grund, weil ich keine Nackedei-Fotos von mir besitze.

Für den symbolischen Protest gegen den schamlosen politischen Missbrauch mit dem Missbrauch habe ich allerdings ein anderes Mittel. Ich bin (Amateur-)Künstler. Und es gibt tatsächlich eine Zeichnung aus meiner Zeichenfeder, die jemand schon mal "beargwöhnte". Ich meine diese Zeichnung:
Jiowan

Die Zeichnung entstand 1998 als Illustration einer Fantasy-Story ohne irgendwelche sexuellen Bezüge. Sie wurde in der (Amateur-) Zeitschrift "Legendensänger" (ISSN 0944-5714) veröffentlicht. Und sie steht seit dem 24. Oktober 2007 auf "ipernity", im offenen Bereich.

Samstag, 15. Mai 2010

1982 - Im Labyrinth der Eiszeit

oder: Warum ich kein "Eso" wurde.

(1974 - Sommer der Wandlung)

Anders als an 1974 erinnere ich mich gern an 1982. Ich "baute" ein halbwegs gutes Abitur. (Notenschnitt 2,0 - was für ein "hartes" Numerus Clausus-Fach ebenso wenig reichte, wie für den "sozialen Aufstieg" eines Nicht-Akademiker-Kindes. Letzteres war mir damals aber noch nicht klar.) Ich hatte einen Studienplatz, von dem ich glaubte, dass ich damit meine berufliche Zukunft sichern könnte. (Chemieingenieurwesen - übrigens ein Fach mit horrender Abbrecherquote, aber ich war optimistisch. Unnötig eigentlich zu schreiben, dass ich später zu den Abbrechern gehören sollte.) Aber erst mal machte ich ein (bezahltes) Berufspraktikum im Bereich Forschung und Entwicklung. Die Welt um mich herum war viel weniger "spießig" und "eng" als noch einige Jahre zuvor. Es waren endlich auch Menschen in der Altersgruppe meiner Eltern auf Demos zu sehen, Wohngemeinschaften galten endlich als etwas Normales, und für Hausbesetzungen hatten nur noch die "üblichen Verdächtigen" kein Verständnis. Der Heimcomputer-Boom setzte ein, parallel gab es eine Science Fiction- und Fantasy-Welle. Eine nette Freundin hatte ich übrigens auch. Ich trat einer Wohnungsbaugenossenschaft bei, in der Hoffnung, bald in eine preiswerte und schöne eigene Wohnung ziehen zu können. Selten vorher oder nachher fühlte ich mich persönlich so gut.

Trotzdem zeigt ein Bild, das ich damals malte, dass dieser Optimismus nicht ungetrübt war. Ich konnte mir zwar durchaus eine Abenteuer-Urlaubsreise nach Grönland oder Spitzbergen vorstellen, aber man braucht keine besonderen Interpretationskünste, um zu sehen, dass es in diesem Gemälde nicht um Spaß und Erlebnis geht:
Das Silberkap (1982)
Die Symbolik "Eis und Kälte" lag damals "in der Luft", man denke an "NDW"-Songs wie "Eisbär" von "Grauzone" oder "Eiszeit" von "Ideal".

Warum war die Eiszeit-Metapher so beliebt? Eine Antwort: sie steht für Vereinsamung und Gleichgültigkeit, für soziale Kälte.
Eine andere Antwort: Weil die Zeit um 1982 auch eine Zeit der Angst war. Der Angst vor einem Atomkrieg, die keineswegs unberechtigt war: in die USA war seit 1980 der außenpolitische Hardliner und Antikommunist Ronald Reagan Präsident, in der UdSSR kam im November 1982 mit Andropow ein als "Berufsparanoiker" bekannter ehemaliger KGB-Chef an die Macht - trotz seines schlechten Gesundheitszustandes. Im Südatlantik tobte der absurde Falklandkrieg zwischen Großbritannien und Argentinien, ein Krieg, der in der Friedensbewegung als "Waffenerprobungskrieg der Rüstungsindustrie" gesehen wurde. Aber das Hauptthema der Friedensbewegung, das die Demonstranten buchstäblich zu Hundertausenden auf die Straße brachte, war die anstehende Stationierung der "Pershing II"-Rakete und des "Tomahawk" Marschflugkörper infolge des NATO-Doppelbeschlusses - "eurostrategische" Waffen, die es im Prinzip möglich gemacht hätten, einen Atomkrieg auf Europa zu "begrenzen". Am 22. Oktober 1983 versammelten sich eine halbe Million (!) Menschen auf einer großen Kundgebung im Bonner Hofgarten, um für Frieden und Abrüstung und gegen den NATO-Doppelbeschluss zu demonstrieren. Gleichzeitig gab es weitere Großdemos, so dass etwa 1,3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland an diesem Tag gegen die "Nachrüstung" auf der Straße waren. (Mir ist der Tag vor allem deshalb in Erinnerung, weil mir die lilabehalstuchten hypermoralischen christlichen Ultra-Pazifisten so auf die Nerven gingen. Zum Glück lernte ich auf der Demo ein paar sehr vernünftige Ökopaxe aus der "Grünen"-Ecke kennen. Es dauerte aber noch drei Jahre, bis ich der "Grün Alternativen Liste" beitrat.)
Zur Situation in diesem wichtigen Jahr schrieb ich bereits Einiges: Erinnerungen an ´82 - Die Herrschaft der '82er und Nachträglicher (?) Schrecken.
Auch in der Ökonomie wehte ein anderer, kalter, Wind: Die vorherrschende ökonomische Lehrmeinung wandelte sich "im Westen" zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und zum Monetarismus. (Das, was man später nicht ganz korrekt "Neoliberalismus" nennen sollte.) Allerdings war der "Kälteschock" nach dem Amtsantritt der Regierung Kohl weniger heftig als unter der Regierung Thatcher in Großbritannien oder unter Reagan in den USA ("Reganomics"). Für derart massive Reformen waren die deutschen Marktradikalen noch zu schwach - und der Kanzler zu konservativ. Auch die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition wurde, entgegen meinen Befürchtungen, von der CDU-FDP-Koalition weitergeführt. Aber eine meiner Befürchtungen trat ein: die konservative Reaktion auf Massendemonstrationen, Bürgerinitiativen und "Instandbesetzer". Unter Mithilfe der konservativen Presse wurde ein Bedrohungsszenario erzeugt, in dem böse, gewaltbereite Horden zivilen Ungehorsam leisten. Das betrachteten nicht wenige Unionspolitiker als "Störung der normalen Funktionsweise der Politik". Das "System Kohl" neigte dazu, Konflikte unsichtbar zu machen, oder, wenn das nicht ging, sie mit Polizeimaßnahmen, Gesetzen und andere formellen Regelungen, die eine politische Auseinandersetzung ersparten, anzugehen. Damit einher ging ein starres ("vereistes") Demokratieverständnis.

Aber genug der Zeitgeschichte. Meine Göttinnen-Vision im Jahr 1974 war nicht der einzige "merkwürdige" Vorfall gewesen. Ich hatte seitdem mehrmals "Wahrträume". Ich hatte einige Zeit lang, aufgrund von Träumen und Visionen, den Verdacht, eine Reinkarnation des britischen Forschungsreisenden Thomas Simpson zu sein. Überhaupt neigte ich zu "mystischen" Erfahrungen. Mein starkes naturwissenschaftlich-technisches Interesse bot ein gewisses Gegengewicht. Hingegen waren die Reaktionen meiner Eltern und Lehrern wenig hilfreich - sie bewegten sich zwischen Unverständnis und Spott. Obwohl ich längst nicht alles erzählte. Schließlich machte ich meine erste – unfreiwillige – außerkörperliche Erfahrung - übrigens in einer Situation, in der ich weder in Lebensgefahr war, noch unter Drogen stand, noch stark CO2-haltige Luft atmete. Das Beängstige dabei: da ich Berichte über "Nahtoderlebnisse" gelesen hatte, und etwas Ähnliches erlebte, war ich, während ich mich "außerhalb" meines Körpers befand, überzeugt, tot zu sein. Eine buchstäblich gespenstische Erfahrung. Ich war ziemlich verwirrt, dass mir gar nichts passiert war.
Ich hatte auch öfter einmal déjà-vues. Nichts Besonderes, es beunruhigte mich verhältnismäßig wenig. Aber als ich dann aus dem Fenster eines Hotels einen Ausblick auf eine Landschaft mit Kühen am Wasser hatte, und merkte, dass ich eben diesen Anblick einige Jahre zuvor selbst "nach der Phantasie" gezeichnet hatte, war ich doch leicht irritiert.
(Ich suche die Zeichnung - wenn ich sie finde, scanne ich sie ein.)

Neben der Pseudowissenschaft, die ich gewissermaßen als "Tarnung" für meine "Spinnereien" benutzte, bot die gerade anbrandende "New Age"-Welle für mich verführerische Möglichkeiten. Theoretisch hätte ich mich aufs "Channeln" verlegen können, als "Medium der Göttin". Vielleicht hätte ich damit sogar Erfolg gehabt. (Jahre später stieg eine Freundin, die sich, nachdem sie eine Zeit lang mit mäßigem Erfolg "mild esoterische", aber ganz "vernünftige" Bücher über gesunde Ernährung und daneben etwas Science Fiction schrieb, in die "Kryon-Channel"-Szene ein. Seitdem verdient sie als "Medium" und Buchautorin nicht schlecht.) Aber es hätte auch sein können, dass ich zu jenen gehört hätte, die sich ganz entspannt am Leben vorbeimeditieren.
Aber es kam anders.
Einerseits ironischerweise wegen meines "Kontaktes" zu Athena, die mich ermahnte, selbst zu denken. Mein starkes Interesse an Naturwissenschaft und Philosophie trug auch viel dazu bei, dass ich längst nicht alles zu glauben bereit war, das in einer spirituellen Verpackung daher kam. Vielleicht immunisierte mich der Umstand, dass ich zwei Buddhistinnen kannte - eine Bengalin (Nordost-Indien) und eine Kantonesin (Südchina) - gegen faulen "Karma-Zauber" und pseudo-fernöstlichen Mystizismus.
Aber entscheidend war eine Reise im Sommer des Jahres 1982. Meine Abireise sozusagen. Weil ich es finanziell nicht so üppig hatte (hatte ich so gut wie nie), eine Campingreise durch Ecken (West-)Deutschlands, die ich bisher noch nicht kannte.
Eine irritierende Erfahrung auf dieser Reise war, dass es auch innerhalb der BRD möglich war, einen Kulturschock zu erleben. Ich kam aus dem (relativ) weltoffenen Hamburg, und hatte außerdem einige Zeit mit meinem Eltern auf einer Nordseeinsel (Borkum) gelebt. Ich war schon in Berlin und München gewesen und kannte einige "klassische" Urlaubsregionen - von der "Holsteinischen Schweiz" bis zu den bayrischen Alpen. Trotzdem war ich nicht auf die Mentalität von ganz gewöhnlichen Kleinstadt- und Dorfbewohnern in Schwaben, der Oberpfalz oder auch Mittelfrankens vorbereitet. Damit meine ich nicht Dialekt oder regionale Gebräuche - so etwas irritierte mich nicht. Nein, ich erlebte die Bewohner der "deutschen Provinz" als extrem kleinkariert, misstrauisch und regelungswütig. Selbst dann, wenn sie gastfreundlich und herzlich waren, wirkte alles auf mich ungeheuer spießig und "irgendwie altmodisch". Nun begriff ich, was meine nicht-geburtsdeutschen Freunde so an den Deutschen irritierte.
Zum Teil war der Effekt darauf zurückzuführen, dass sicher auch Hamburg und mehr noch Borkum "provinziell" waren - aber es geht wie mit dem eigenen Körpergeruch: die gewohnte Miefigkeit merkt man nicht. Wichtiger war wohl eine ganz normale Entwicklung: ländliche Gegenden hängen Großstädten und touristisch gut erschlossenen Regionen in der sozialen Entwicklung immer etwas hinterher. Und da der soziale Wandel in die vorangegangenen Jahren besonders schnell abgelaufen war, fiel das 1982 besonders auf. Ich kam mir in einem kleinen schwäbischen Kaff sogar fast wie auf einer Zeitreise in die mir nur von Beschreibungen bekannten "Adenauer-Jahre" vor. Es ist aber nicht nur eine Frage des "Hinterherhinkens", sondern auch eine von tief liegenden Strukturen: In einer anderen Stadt - sie liegt übrigens in Franken - erlebte ich einen für mich irritierend großen Einfluss der dort offensichtlich erzkonservativen katholischen Kirche auf das öffentliche Leben. Es war für mich schockierend, im Schaukasten der örtlichen Pfarrei Warnungen vor "gefährlichen" Filmen und Fernsehserien zu lesen - und Warnungen vor dem Wirken des Teufels kannte ich bis dato nur von Sektenanhängern. (Heute wird wahrscheinlich an der selben Stelle vor "Killerspielen" und gefährlichen Internetseiten gewarnt. Der religiös begründete Konservatismus ist Struktur, kein "rückständiges Hinter-der-Zeit bleiben".)
Solche kleinen Irritationen - es gab noch mehr - trugen dazu bei, dass ich insgesamt skeptischer, anti-autoritärer und "relativistischer" wurde.

Das entscheidende Erlebnis, das mir dann die "Esoterik" vergraulte, war die Begegnung mit einer Verwandten, die ich lange nicht mehr gesehen hatte, und die einen sehr starken Hang zu "Esoterik" und Parapsychologie hatte - und froh war, in mir einen (vorerst) interessierten Zuhörer zu haben. Irgendwie vermittelte sie den Eindruck, die "Erleuchtung" (oder so was in der Art) schon erlangt zu haben. Sie gab ständig Antworten, ohne gefragt zu sein - wozu ich übrigens auch neige, aber bei ihr war das schon penetrant. Alle Rätsel der Existenz lagen ihr offen. Ein Blick auf ihre Bücherregale verriet auch, warum.
Mein Urteil über die an sich sympathische Frau war hart: Fauler Zauber. Angelesener Aberglaube. Kritisches Bewusstsein praktisch nicht vorhanden. Hochgradiges Wunschdenken. Sogar der Mystizismus aus "Star Wars" von der "Macht" und den "Jedi-Rittern" wirkte dagegen tief, weise und ungemein plausibel.
Mir war klar: in diese Sackgasse der persönlichen Entwicklung würde ich mich nicht begeben.
Allerdings - sie erkannte etwas, was ich damals missverstand. Sie bezeichnete mich als hochgradig ich-bezogenen Menschen. Was stimmt. Aber ich verstand das als Vorwurf, nicht etwa als Beschreibung einer Beobachtung. Mir wären wohl einige Sackgassen mit mühsamer Umkehr erspart geblieben, wenn mir diese Verwechslung nicht unterlaufen wäre.

Ich begegnete auf dieser Reise auch einer Frau, die allgemein nur die "Kräuterhexe" genannt wurde. Obwohl sie gut katholisch war, war sie die erste, die mich auf Naturspiritualität hinwies. Auf Kraftplätze und die Kraft der Heilpflanzen. Ein harter Kontrast zu der "Eso-Tante", z. B. beschäftige sich die "Kräuterhexe" mit Rutengehen, ganz praktisch-pragmatisch, ohne etwas von Erdstrahlen, Kraftliniengittern, Energien und ähnlichem im Grunde nichtssagendem pseudowissenschaftlichem Geblubber zu erzählen.

Ein vielversprechender Anfang für einen eigenen Weg, zwischen den angeblichen Gegensätzen "Vernunft / Wissenschaft" und "Intuition / Spritualität".
Leider ging ich diesen Weg nicht weiter. Und es ging mit mir persönlich von nun an einige Jahre bergab.

Montag, 3. Mai 2010

Persönliche Etappen: 1974 - Sommer der Wandlung

Oder: Das Jahr, in dem ich der Göttin begegnete.
Ich werde, von Freunden und anderen, hin und wieder gefragt, wie ich denn zum "Neuheidentum gekommen" wäre, bzw. wie mir Ásatrú zustieß - also, um es etwas pathetisch zu formulieren, fragen sie nach meinem "spirituellen Weg".
Beim Versuch, meinen Weg zu schildern merkte ich schnell, dass H. R. Kunze recht hatte, als er damals sang: "Eigene Weg sind schwer zu beschreiben, sie entstehen ja erst beim Geh'n".
Ein weiteres Problem: wie schildere ich meinen Weg so, dass es persönlich ist, aber nicht die Privatsphäre der vielen Menschen, die mich auf meinem Weg begleiteten und der Menschen, die mir Steine in den Weg legten, verletzt?
Also keine kurzgefasste spirituelle Autobiographie, sondern Skizzen fünf markanter Etappen auf meinem Weg.


1974 - das ist ein Jahr, über dessen Sommer ich vor gut vier Jahren schon einmal bloggte. Vor vielen Sommern - 1974. Liest man diesen alten Blogbeitrag, könnte der Eindruck entstehen, dass ich mich in diese Zeit zurücksehnen. Tatsächlich ist es aber so, dass ich um nichts in der Welt noch einmal 12 Jahre alt sein möchte. Sommer der Wandlung, das war auch die nicht unbedingt angenehme Erfahrung der Pubertät. Es war auch die Zeit, in der ich erstmals wirkliche "Schulprobleme" hatte, in der ich abwechselnd aufsässig und nachgiebig bis unterwürfig war. Ganz normal - oder auch nicht. Denn irgendwie war ich "anders". Heute würde man mich wohl als "jungen Nerd" bezeichnen, damals "komischer Vogel" oder, mit boshaftem Unterton "kleiner Professor". (Was von Erwachsenen meistens als "Verhaltensstörung" beschrieben wurde - aber das ist so eine dieser Sachen, in der Details die Netzöffentlichkeit nichts angehen.)
Erst recht nicht will ich noch einmal in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1974 zwölf sein.
Nun war die BRD bestimmt nicht das scheußlichste Land der Erde, und 1974 kein sonderlich scheußliches Jahr, im zeitgeschichtlichen Vergleich schneidet es sogar ganz gut ab. Wenn man mitten drin steckt, sieht das aber anders aus.

"'68" war schon sechs Jahre her, und der Amtsantritt der Regierung Willy Brandt (der 1974 über die Guillaume-Affäre gestolpert wurde) lag auch schon fast fünf Jahre zurück. Ein Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft der frühen 1970er war bunt, experimentierfreudig, weltoffen, aber auch, wie manche "68er", ein wenig selbstgerecht - der "große Rest" scheint mir im Rückblick ziemlich konservativ im schlechten Sinne gewesen zu sein. Miefig, spießig, ängstlich. Natürlich machte ich mir in diesem Alter darüber noch keine Gedanken - aber ich spürte es, vor allem im Kontrast zu Dänemark, wo ich 1974 trotz "durchwachsenem" Wetter herrlichen sechs Ferienwochen verbrachte. Es herrschte dort ein tolerantes, heiteres und kinderfreundliches Sozialklima, das sich angenehm von den deutschen Verhältnissen unterschied und auch auf deutsche Urlauber abfärbte. (Nun wird vielleicht auch klar, wieso so viele Menschen meiner Generation begeisterte Skandinavienfans sind. Da wirken oft wohl auch angenehme Ferienerlebnisse nach.)
Christian Rickens schrieb in seinem Buch "Die neuen Spießer", was für ein verkorkstes Land die Bundesrepublik der Wirtschaftswunderzeit gewesen wäre. Er schrieb z. B.:
Ein Land, in dem es draußen nur Kännchen gab, in dem man Beatmusik nur nach vorherigen Warnhinweisen im Fernsehen sendete.
Der Satz trifft meine Erinnerung an das Land meiner Kindheit ziemlich genau, denn von den politischen und gesellschaftlichen Missständen, die das verkorkste Land vor allem ausmachten, bekam ich als Kind ja nichts mit. Sehr wohl aber jene bizarren Sitten, wie die, dass man auf der Terrasse eines Cafés seinen Kaffee (oder in meinem damaligen Alter eher: Kakao) grundsätzlich nur im Kännchen serviert bekam, auch wenn man nur Durst auf eine Tasse hatte. Warum? "Das macht man eben so!" - "Das haben wir immer schon so gemacht!"- "Das wird schon seine Gründe haben!"
Sehr viele Dinge, die ich nicht mochte und nicht verstand, wurden so "begründet". Ich merkte aber, dass sich das änderte - für einen nerdigen Pubertätsbengel natürlich viel zu langsam.
Um auf "draußen gab es nur Kännchen" zurückzukommen: 1974 war gar nicht so einfach war, im Café oder Restaurant draußen zu sitzen. Im Erdkundeunterricht rätselten wir, warum in Paris die Cafés und Bistros Tische und Stühle auf die Straße stellten, und warum das in Hamburg nicht üblich war. Lag das am Wetter? Wohl kaum. An den breiten Straßen in Paris? Aber warum gab es nicht mal in den neu eröffneten Fußgängerzonen Straßencafés? Wir fanden keine Antwort. Aber wir fanden Straßencafés bei gutem Wetter toll (das Wort "geil" kam erst später in Mode). Wir waren nicht die Einzigen, weshalb es sie einige Jahre später auch bei uns gab. Zum Klassenfest wollten wir grillen. Wir erkundigten uns danach, wo man in Parks eventuell grillen dürfte und waren über die Auskunft, dass das grundsätzlich erlaubt wäre (unter Beachtung einiger Vorsichtsmaßregel und wenn wir niemanden belästigen) völlig überrascht. Wir gingen wie selbstverständlich davon aus, dass "man" nicht "so einfach" in der Öffentlichkeit grillen dürfte. (Daher ist es auch logisch, dass es dann anders sozialisierte Einwanderer waren, die sich als "Parkgrillpioniere" hervortaten.) Sich als "Rebell" zu fühlen oder "Mutproben" zu machen, war damals (noch) relativ einfach: es gab noch viele Dinge, die "man" nicht "durfte", die aber nicht tatsächlich verboten waren. Aber das änderte sich rasch - was von Konservativen als "Werteverfall" beklagt wurde (und von "68er-Bashern" wie dem Historiker Paul Nolte immer noch wird). So viel zum "zeitgeschichtlichen Hintergrund".

Da es ja hier um meinen "spirituellen Weg" (oder so etwas in der Art) gehen soll, ist es vielleicht nicht unwichtig, zu wissen, wie der zwölfjährige Martin es denn mit der Religion hielt. In einem Satz: Ich hielt überhaupt nichts. Nicht, dass ich Atheist gewesen wäre - das hätte eine gewisse Auseinandersetzung mit der Religion erfordert - es war einfach egal. Meine Eltern waren nicht religös, meinen Vater habe ich aus der Zeit, obwohl er ständig über die Kirchen meckerte und folglich auch nicht Mitglied in so einem Verein war, nicht als kämpferischen Atheisten in Erinnerung. Ich nahm brav am Religionsunterricht teil, aber es war schon klar: Konfirmieren lassen würde ich mich nicht. Jugendweihe wäre aber auch nicht meine Sache gewesen. Der Gott der Kinderbibel wurde für mich kurz nach dem Osterhasen und kurz vor dem Weihnachtsmann unglaubwürdig.
Die "Erwachsenenbibel" fand ich aber teilweise ganz spannend - obwohl ich fand, dass dieser J'h'w'h oder wie der Typ hieß, ein eher unangenehmer Bursche war. (Nein, auf die Idee, das antisemitisch zu deuten, kam ich zum Glück nicht - oder ich hatte das Glück, dass mich niemand auf diesen damals wohl für mich naheliegenden bösen Trip schickte.)
Ich hatte es sowieso mit mythologischen Texten, wenn auch vorerst nur in "jugendgerechten" Nacherzählungen und als "Götter- und Heldensagen" deklariert. Da gab es auch ein paar sympathischere Götter - auch wenn sie für meinen Eindruck, jedenfalls in den Nacherzählungen, zu "menschlich" geschildert wurden. Auch wenn sie menschliche Gestalt annehmen können, wollte ich sie nicht als bloße "Superhelden" wie etwa "der mächtige Thor" in den Marvel-Comics sehen. (Superheldencomics las ich leidenschaftlich gern - vielleicht gerade weil mein Vater und einige meiner Lehrer diesen "Schund" hassten, sie aber, weil ich ja auch richtige und ordentliche Bücher las, nicht den üblichen Spruch "lies lieber was Anständiges" anbringen konnten. Am coolsten fand ich Batman und Spiderman. Finde ich genau genommen noch immer.)

Ich hatte also einiges mythologisches Halbwissen, als ich während jener Klassenfahrt nach Ostholstein im Spätfrühjahr 1974 eine "mystische Offenbarung" oder eine "Erscheinung" hatte. (Und damit meine ich nicht etwa die Tatsache, dass wir "Zaungäste" im Trainingslager der Fußballnationalmannschaft in der benachbarten Sportschule Malente waren. Was heute wahrscheinlich nicht mehr möglich wäre - über die laut damaliger Presse "strengen Sicherheitsmaßnahmen" würden heutige Berufsparanoiker Sicherheitsexperten nur mit dem Kopf schütteln.)

Als etwas einzelgängerischem und sehr labilen (sogar für die Verhältnisse in diesem labilen Alter) Jungen ging mir das enge Zusammensein mit den Klassenkameraden nach einige Tagen auf die Nerven. An einen Nachmittag, der sonst nicht "verplant" war, ging ich daher allein im Wald spazieren. Irgendwo im Wald spürte ich eine gewaltige Präsenz und große Macht. (Sorry für den wenig originellen Eso-Jargon, aber das trifft es noch am Besten.) Ich setzte mich hin und fiel spontan in einen Zustand, von dem ich erst später wissen würde, dass er einer leichten Trance entsprach. Ich fühlte mich - gerufen und berufen, und zwar auf sehr freundschaftliche Art. Dann hatte ich etwas, dass ich vielleicht als Äquivalent einer "Marienerscheinung" bezeichnen könnte. Eine sehr real wirkende, aber zugleich "überirdische" Erscheinung. Nur war das bei mir nicht die Jungfrau Maria, sondern eine andere "Jungfrau", eine Göttin. Sie stellte sich als Pallas Athena vor - die bei den Römern Minerva genannt würde. Als ich sehr viel später auf Lucius Apuleius Metamorphoses ("Der goldene Esel") stieß, merkte ich, dass das Aussehen der Göttin und ihr Auftreten sehr stark seine Beschreibung der Erscheinung der Göttin Isis erinnerte. (Karan hat die Rede der Isis aus den "Metamorphoses" sehr stimmungsvoll vertont - übrigens ohne von meinem Erlebnis zu wissen: luna.) Nein, die Metamorphoses kannte ich damals noch nicht.
Was habe ich das erlebt? Ich weiß es nicht. Ich habe gut 20 Jahre lang versucht, eine "rationale" Erklärung zu finden - und einige weniger "rationale". Tatsächlich fürchtete ich sehr, verrückt zu sein - im Sinne eines schizophrenen Schubes (obwohl ich diesen Ausdruck damals natürlich noch nicht kannte). Erst Jahre später erfuhr ich, dass an und für sich solche Visionen, wie ich sie damals zum ersten Mal hatte, für Tiefenpsychologen nichts Ungewöhnliches sind, und nicht unbedingt etwas mit schweren Störungen zu tun haben müssen. C. G. Jung sah in solchen Visionen nicht unbedingt schizophrene Wahnideen; sie seien eher der klassische Ausdruck fortschreitenden Selbstfindung.
Leider wusste ich noch nichts von C. G. Jung oder Tiefenpsychologie: Wer "spinnt", der ist eben schwer krank und nicht zurechnungsfähig. Ich hatte furchtbare Angst, den Verstand zu verlieren - obwohl mich die Göttin der Weisheit ausdrücklich ermutigte, mich meines Verstandes zu bedienen.
Ich schreibe das in der Hoffnung, dass niemand bei mir eine Psychose ferndiagnostiziert. Dass ich "irgendwie verrückt" bin, gebe ich allerdings zu.

Meine Vision behielt ich für mich. Aber ich erlebte etwas, dass in Esoterikerkreisen "Channeling" genannt wird - "Durchsagen" der Göttin. Ich schrieb dass, was mir übermittelt wurde, rasend schnell auf - leider ziemlich unleserlich. Außerdem begann ich, antike Tempel - vorzugsweise im dorischen Stil - zu zeichnen. Leider hat die Zeichnung einer "idealen" Akropolis die Zeit nicht überlebt, leider, denn einige Architektur-Studenten, die sinnvoll-zufälligerweise in der selben Jugendherberge waren, zeigten sich erstaunt über die Qualität meines Entwurfes. Später zeichnete ich noch einen ganze Reihe antiker Tempel, aber die besondere Qualität dieser "inspirierten" Zeit erreichten sie nicht mehr. Interessantes Detail: ab dieser Zeit stellte ich mir antike Tempel und antike Statuen nicht mehr marmorweiß, sondern farbig bemalt vor. Ich war sehr erstaunt, als mir eine Architekturstudentin das bestätigte.
Wie ging ich damit um? Ich habe nicht zufällig das noch ziemlich engstirnige geistige Klima dieser Zeit beschrieben. Esoterik war damals etwas für "ausgeflippte Hippies" und in meiner Vorstellungswelt gab es damals nur die Alternativen "Christentum" oder "Atheismus" - und sonst nichts. (Es gab noch einige Moslems in meiner Umgebung, aber den Islam nahm ich damals als eine etwas exotische Abart des Christentums war, bloß ohne die mir sowieso nie einleuchtende Dreieinigkeit. Dann schon lieber gleich eine Götterdreiheit - ich deutete also das Christentum als insgeheim polytheistisch.) Wobei "atheistisch" für mich lange Zeit gleichbedeutend mit "vernünftig" war - trotz leiser Proteste der Göttin der Weisheit.

Ich schuf mir eine "Tarnung" für meine mystischen Erfahrungen (es kamen noch mehr dazu) und um mein daraus resultierendes verstärktes Interesse an heidnischen Gottheiten zu kaschieren. Als Science-Fiction-Fan kannte ich die Behauptungen Erich von Dänikens zur Prä-Astronautik - und es gab tatsächlich in meiner Umgebung einige Prä-Astronautik-Fans. Also las ich die Bücher von Dänikens. Es war zwar seltsam, die Götter (von deren Existenz ich tief in mir drin von da an überzeugt war) als "Astronauten" zu deuten, aber es wurde zwar belächelt, aber akzeptiert.

Im selben Jahr, in den lange Campingferien in Nordjütland, hörte ich übrigens zum ersten Mal das Wort "Asatro" (dänische Version von "Ásatrú"). Eine Gruppe dänischer Biker - im Outfit irgendwo zwischen "Hippie" und "Rocker" - übernachtete auf dem Campingplatz. Die bizarr aufgemotzten Motorräder faszinierten mich - und die Biker waren sehr viel freundlicher als ich es aufgrund dessen, was ich von Hamburger Rockern mitbekommen (und gehört) hatte, erwartet hätte. Einer von ihnen war Lederhandwerker und bot wunderschöne verzierte Gürtel und ähnliche Ledersachen zum Verkauf an - bis auf seine Tattoos sah er so aus, wie ich mir einen Wikinger vorstellte und er trug tatsächlich einen Thorshammer. Ich verstand kaum Dänisch, aber ich bekam mit, dass es sich mit einem ziemlich verwundert dreinblickendem dänischen "Normalcamper" über "Asatro" unterhielt. Ich kannte, aus meinen Sagenbüchern, den Namen "Asathor" und vermutete, dass der "Motorradwikinger" über seinen Thorshammer geredet hätte. Erst später verriet mir ein dänischer Junge etwa in meinem Alter, der deutlich mehr Deutsch als ich Dänisch konnte, was es damit auf sich hatte. Das seien neue Heiden, die an die alten Götter glauben würden. Seltsamerweise fühlte ich mich mich durch das Wissen, dass es Menschen gab, die es, wie ich, "mit den alten Göttern" hatten, eher beunruhigt.

Warum erschien mir ausgerechnet Athena? Mein Freund Duke hat wohl recht, wenn er meint, dass die jeweilige Kultur, die einen prägt, sehr selbstverständlich und wie von selbst die Visionen und sonstigen Eindrücke vorformt.
Allerdings entsprach meine Vision nicht gerade der Kultur, in der ich aufgewachsen bin - das Hellenismos-Thema kannte ich bestenfalls als Karikatur. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich, wäre ich in einem streng katholischen Rahmen aufgewachsen, die Göttin als "Jungfrau Maria" gedeutet hätte. Warum keine germanische Göttin? Vielleicht, weil Athena genau die Göttin ist, die ich brauche - und die mich, in gewisser Weise, braucht.
Aber diese Erkenntnis - oder wie man es auch nennen mag - erreichte mich erst sehr viel später.

Mittwoch, 31. März 2010

Vor 30 Jahren - persönliche Archäologie

Aus der Rubrik: Alte Männer erzählen von von früher ... Jedenfalls kommt es mir so vor.

Manchmal lohnt es sich, beim Aufräumen einen längeren Blick in die Kartons und Mappen zu werfen. Manche "Ausgrabungen" verraten viel über den Menschen, der man selbst einmal war. Zum Beispiel dieses, leider lange Jahre unter sehr ungünstigen Bedingungen gelagerte und aus allzu vergänglichem Material bestehende, fleckige und wellig gewordene Gemälde:
Chloros (1980)

Ich malte es vor beinahe genau 30 Jahren, mit Deckfarben (einfacher Tuschkasten) auf Papier aus dem DIN A3 -"Schul- Malblock" - diese Dinger mit dem perforierten Rand. Zeitweilig auf dem Dachboden gelagert, was dem (minderwertigen und nicht einmal säurefreien) Papier gar nicht bekam.

Es ist ein Bild, das ich vor 30 Jahre in der Schule malte, und das mir trotzdem heute noch gefällt. Trotzdem, denn mir fällt bei Blick auf meine Malereien und Zeichnungen aus dieser Zeit auf, dass meine "Freizeitbilder" längst nicht so verkrampft und unbeholfen wirken, wie die Arbeiten im Kunstunterricht.
Meiner Kunstlehrerin gefiel es übrigens ganz und gar nicht. Zum Glück war es eine freiwillige Arbeit ...
Warum gefiel es meiner ansonsten sympathischen und zumindest in andere Fächern tüchtigen Kunstlehrerin nicht? Sicherlich auch wegen des Themas. Science Fiction - das ist doch kein Thema, mit dem man sich künstlerisch auseinandersetzen kann! Andererseits waren auch "engagierten" Themen - Politik, Umwelt, persönliche Krisen - nichts für sie. Ich vermute aus heutiger Sicht, dass sie einen bestimmten "Bildungskanon" im Hinterkopf hatte, welche Themen "künstlerisch relevant" sind und welche eben nicht. Der andere, heute ganz offensichtliche, damals aber nie offen ausgesprochene Aspekt: sie bewerte offensichtlich stark nach ihrem persönlichen Geschmack, konnte ihre Entscheidung als "objektiv" darstellen.
Dann gab es noch technische Details: Ganz schlimm war z. B., dass ich mit Bleistift vorgezeichnet hatte (obwohl es für eine freiwillige Arbeit keine Vorgaben gab). Sicher, "Chloros" (griechisch: "der Grüne") ist keine Meisterleistung. Das Bild zeigt aber, dass ich, wäre ich "am Ball" geblieben und hätte ich mich künstlerisch fortgebildet und vor allem sehr viel geübt, doch ein ganz annehmbarer bildender Künstler hätte werden können. (Tatsächlich ist es bedrückend, dass ich manchmal damals weitaus besser malte und zeichnete - nicht unbedingt von der Technik her, aber vom Gesamteindruck - als heute.)
Aber das war für mich indiskutabel, selbst ein Volkshochschulkurs wäre mir wie Zeitverschwendung vorgekommen. Ich hatte meinen Vater im Ohr: "Dein Malen, das ist doch wie andere puzzeln" - und ich gab ihm damals recht. Es brachte Spaß, es entspannte - und in der Kunstnote machte es sich nicht bemerkbar. Wo Kunst doch sowieso ein unwichtiges Nebenfach war, und auch noch eines, das im Gegensatz zu Sport und - manchmal - Musik Null Prestigewert unter Schülern hatte.
Erst 10 Jahren nach dem Abi (und über 12 Jahre nach "Chloros") kam ich überhaupt darauf, Malen und Zeichnen zu lernen (bei einer Kunstdozentin, die nebenbei private Kurse gab). Mit relativ bescheidenem Ergebnis. Aber Spaß gebracht hatte es schon, und puzzeln kann schließlich jeder ...

Montag, 15. März 2010

"Deutsche Sporthelden"

Ich schließe mich gern der Ansicht an, dass ein Selbstbewusstsein, das sich aus dem Abgrenzen gegen andere speist, gar kein Selbstbewusstsein ist. So gesehen könnte es Patrioten, die so gerne darauf behaupten, sie seien stolz und selbstbewusst und national und die Anderen könnten uns mal, deutlich an Selbstbewusstsein mangeln. Die Erkenntnis, dass Nationalisten, die Andere nieder machen und Feindbilder pflegen, ein gestörtes Selbstbewusstsein haben, ist fast Allgemeingut. Und darüber, wie es um das Selbstbewusstsein von jemandem steht, der sein "geliebtes Vaterland" stets von bösen Feinden bedroht sieht und ständig nur von Niedergang, Zersetzung, Unterwanderung, Dekadenz usw. redet, braucht man, denke ich, gar nicht lange spekulieren.

(Und wer gar fragt: "Warum sollen wir als einziges Volk auf der Welt nicht stolz auf unsere jahrtausende alte Geschichte sein?", der braucht meiner Ansicht nach gar nicht mehr zu erzählen, wie es um sein "patriotisches Selbstbewusstsein" bestellt ist. Das ist Minderwertigkeitsgefühl in Reinform.)

Leider spricht aus der Sportberichtererstattung in den meisten mir bekannten deutschen Medien, und zwar nicht nur in der in dieser Hinsicht unübertrefflichen BLÖD - genau dieses nationale Selbstbewusstsein, das keines ist. Das übrigens keine deutsche Spezialität ist, schon gar nicht im Sport - man denke nur an bestimmte englische und niederländische Fußballfans. Oder an die Sportseiten der "Daily Mail" (die der "Sun" sollen noch schlimmer sein).
Aber diese spezielle Häme, die auf "nationale Sporthelden" niedergeht, die irgendwie die Erwartungen nicht erfüllten, die oft von genau den selben Sportredakteuren hochgeschrieben wurden, die sie nach dem "Versagen" öffentlich Niedermachen, die kommt mir schon sehr "deutsch" vor. Nicht im Sinne eines Nationalcharakters (was sollte das sein?) oder auch nur einer allgemein verbreiteten Mentalität. Sondern im Sinne einer unschönen deutschen Tradition, die sich mühelos auf nazideutsche Propaganda und wilhelminischen Hurra-Patriotismus zurückführen lässt.

Wer wird in Deutschland medialer Sportheld und wer nicht?

Ich bin ja, wie Stammleser meines Senfblogges sicher festgestellt haben werden, ein Fahrtensegel-Enthusiast. Auch wenn ich schon seit Jahren (seufz) nicht mehr selbst auf Törn war. Dabei registriere ich auch, wie herausragende Fahrtensegler in ihren jeweiligen Heimatländern behandelt werden.

Leicht - aber nur leicht - überspitzt formuliert:
Einen Weltumsegler fragt man nach der Rückkehr nach Deutschland. ob er einen Sportbootführerschein hätte. (Etwa in der Art ist tatsächlich schon passiert.) Und er oder sie schafft es mit Glück in die Fach- und Lokalpresse.
Im sport- und segelbegeisterten Britannien bekommt man dagegen einen Adelstitel. (Den echte Ritterschlag eher selten, die öffentliche Anerkennung aber schon regelmäßig.)

Ich will damit sagen, dass es in der deutschen Öffentlichkeit einen starken Hang gibt, Sportler zu instrumentalisieren. Nur wenn ein Sportler seine ausländischen Konkurrenten deklassieren kann, und so das Minderwertigkeitsgefühl zumindest der Sporjournalisten und Sportfunktionäre kompensieren darf, ist er - oder sie - ein "Held". Dem dann auch alles verziehen wird. Ansonsten herrscht das ganz kleine Karo vor.

Nachtrag: ja, Michael Schumacher ist der Anlass. Ich bin alles andere als ein Motorsportfan, und mag ihn auch nicht besonders - aber eine unfaire Presse mag ich noch viel weniger.

(Dank an Ringfahndung für die Anregung.)

Dienstag, 2. März 2010

Hamburger Arroganz

Wir Hamburger gelten ziemlich verbreitet als arrogant.
Das ist natürlich ein Vorurteil. Oder einfach Neid derjenigen, die nicht in einer Metropole von Weltrang leben. Blinzeln

Wobei es auffällt, dass die meisten Menschen, die Hamburg tatsächlich und irrtümlicherweise für eine Metropole von Weltrang halten, entweder selbst aus Hamburg stammen und extreme Lokalpatrioten sind und nicht über den Tellerand der Stadtgrenzen schauen wollen, oder, häufiger, irgendwo aus der tiefsten Provinz stammen und vom "Tor zur Welt" so angetan sind, dass sie das Tor mit der Welt verwechseln, oder, im typischen Fall, beides sind, also aus irgendeinem Provinznest nach Hamburg gezogene. Konvertiten sind bekanntlich besonders fromm, und Quiddjes die eifrigsten Lokalpatrioten.

Übrigens war die "Hamburger Arroganz" auch eine Band, die das Klischee von der Hamburger Arroganz karikierte.

Das derzeitige Problem Hamburgs ist es meiner Ansicht, dass der jetzige Erste Bürgermeister Ole von Beust nicht nur selbstherrlich und arrogant wirkt - sondern es tatsächlich auch ist.
Wer nach der real existierenden Arroganz der in Hamburg regierenden sucht, der findet sie aufgespießt zum Beispiel bei Magerfettstufe - weshalb es mir gestattet sei, das Thema etwas abseits der Aktualität zu behandeln.

Wer mich, ob dessen, was ich hier schreibe, und wie ich es schreibe, für arrogant hält, liegt damit gar nicht mal so falsch.
Ich gebe ohne Weiteres zu, dass ich arrogant bin. Womit ich nicht sagen will, dass ich immer Recht hätte. Aber sehr wohl, dass ich selber denke, ohne Rücksicht darauf, mich zwischen die Stühle zu setzen oder mich unbeliebt zu machen. Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein. Aber das ist es nicht, was die typische Hamburger Arroganz ausmacht - leider nicht.

In einem Punkt stimmt meine persönliche Arroganz mit der Hamburger Arroganz überein - das "Hamburger Understatement" (positiv formuliert). Typisches Merkmal: "nicht schlecht" anstelle von "großartig".
Es wirkt offensichtlich, je nach Situation unterkühlt (Freuen die sich denn nie?) über-anspruchsvoll (sind sind die nie zufrieden?) oder falsch bescheiden - oder zusammengenommen - arrogant.

Woher stammt die Hamburger Arroganz, rein historisch gesehen?
Vermutlich stammt sie aus der Zeit nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs und dem Zollbeitritt Hamburgs. Von 1880 bis 1914 nahm die Wirtschaft von Deutschlands "Tor zur Welt" einen enormen Aufschwung, wie es in jüngere Zeit vielleicht in einigen Boomregionen Chinas gibt. Es strömte ungeheurer Reichtum nach Hamburg.
Die Folge: die Selbstgewissheit und der Bürgerstolz des in Hamburg seit je her tonangebenden Großbürgertums schwoll ins unermessliche - und färbte auch auf Kleinbürger und sogar Teile der Arbeiterschaft ab.
Kurz: wer aus Hamburg kam, hielt sich, angesichts des ökonomischen Erfolgs seiner Heimatstadt, für "was Besseres". Hinzu kam das an sich nicht arrogante, aber oft so wahrgenommene, Gefühl, zuerst Hamburger und erst lange danach eventuell Deutscher zu sein. Eine ähnliche Mentalität fand sich so ausgeprägt wohl nur im Königreich Bayern. Reste dieses Nationalbewusstsseins haben sich bis heute gehalten.
Allerdings ist Hamburg eben ein Stadtstaat, während man sich Bayern durchaus als selbständigen und keineswegs unbedeutenden Nationalstaat vorstellen könnte. Folglich wirkt es selbstbewusst, wenn Bayern mit allen Schikanen Nation spielen - und peinlich gernegroß, wenn Hamburger so was versuchen.

Für "Hamburger Arroganz" der sympathischer Art auf dem Feld der Politik fand der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Hennig Voscherau, ein gutes Beispiel: Seinen Amtsvorgänger Max Brauer, der vor dem 2. Weltkrieg übrigens Bürgermeister von Altona war, das bis 1937 noch nicht zu Hamburg gehörte.
Bauer kehrt nach dem Krieg aus dem New Yorker Exil zurück und wird ersten erster Nachkriegsbürgermeister Hamburgs. Kurz darauf fährt mit der britischen Besatzungsmacht Schlitten. Später, schon in der jungen Bundesrepublik, schrieb er Bundespräsident Heuss, dass Hamburger seit ca. 1270 keine Orden annehmen, die Stadt werde sich an dem neuen Bundesverdienstorden nicht beteiligen. Der Hamburger Bürgermeister werde von sich aus keine Ordensvorschläge machen.
Auch wenn die "Hanseatische Ablehnung" von Orden beim Einzelnen eher ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Bescheidenheit ist, und durchaus eine demokratische Tugend sein kann - als politische Haltung ist sie in der Tat hochnäsig.

Für viele ist Altkanzler Helmut Schmidt Musterbeispiel eines arroganten Hamburgers. Schon als schlichter Bundestagsabgeordneter verdiente er sich den Namen "Schmidt-Schnauze". Ein überlegener Debattenredner, mit unverkennbarem schneidendem Tonfall - jemand, der sich überlegen fühlt, es nicht sagt, aber es deutlich spüren lässt. Genau, wie Franz-Josef Strauß damals als typisch bayrisch galt, galt Schmidt als eben typisch Hamburg.

Es ist an und für sich nichts Schlimmes, wenn jemand auf schmidtsche Weise arrogant ist. Helmut, der alte, qualmende Knochenfisch, war und ist zwar immer noch ein elender Besserwisser, aber einer, der es sehr oft wirklich besser weiß. Es nervt, wenn ein notorischen Rechthaber wirklich Recht behält. Wie ich schrob: Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein.

Jene Form der Arroganz, hinter der Selbstherrlichkeit und Selbstverliebheit bei mangelndem Respekt für andere steckt, ist leider etwas anderes. Und leider gibt es sich auch in Hamburg. Und zwar leider nicht selten.

Diese Form der "Hamburger Arroganz", die in Selbstherrlichkeit, fehlendem Respekt vor Außenstehenden und völlig Abwesenheit von Selbstkritik bei gleichzeitiger Unfähigkeit, Kritik auch nur zu Kenntnis zu nehmen, besteht, gibt es nicht nur bei Politikern mit "Leuchturm"-Komplex. (Ole von Beusts "Leuchturmprojekte" und die Art, wie er sie durchsetzt sind mittlerweile zurecht gefürchtet.)
Sie begegnet mir in Behörden, im Geschäft und sogar bei Ärzten (einem ohnehin für Selbstherrlichkeit anfälligen Berufsstand).

Was ist das Besondere an der Hamburger Arroganz, verglichen etwa mit der gleichfalls berüchtigten Wiener Arroganz?
Ein Beispiel mag das illustrieren: es gab schon seit langem Kaffeehäuser in Hamburg, als die Wiener noch (wenn man ihren eigenen Legenden glaubt) während der 2. Türkenbelagerung Kaffeebohnen für Kamelfutter hielten. (Das war eben ein Beispiel Hamburger Arroganz - rechthaberisch, spöttisch, aggressiv.)
Ein Beispiel Wiener Arroganz wäre: Aus dem berechtigten Stolz auf die Wiener Kaffeehaustradition heraus zieht ein echter Wiener gar nicht in Erwägung, dass die Wiener Kaffeehäuser eventuell doch nicht die ersten Europas gewesen sein könnten.
(Weshalb Falco damals in der 80er die Wiener Arroganz so herrlich ironisch karikieren konnte, während die Karikatur der Hamburger Arroganz durch die gleichnamige Band manchmal gar nicht als Karikatur erkannt wurde).

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