Samstag, 25. September 2010

2000 - "Don't dream it - be it!"

Eine weitere autobiographische Episode über meinen "spirituellen Weg".
1974 - Sommer der Wandlung
1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 - "Paradigmas lost"
1997 - Der Schritt aus der Besenkammer.

Tiefe
"Tiefenrausch" - von mir im Januar 2000 gezeichnet.

Das Jahr 2000 - das letzte Jahr des alten Jahrtausends. Eine kurze Zeit, in der nicht nur ich das Gefühl hatte, dass alles gut oder wenigsten besser würde. Die Türme des World Trade Centers standen noch, niemand redete von einer abstrakt erhöhten Terrorgefahr. Die "New Economy" (diese bald platzende Blase) glänzte mit coolen Startup-Firmen in umgebauten Fabriketagen. In Deutschland war die Regierung Schröder noch einige Jahre von "Agenda 2010" und Hartz-Reformen entfernt. Gut, "rot-grün" hatte den völkerrechtlich fragwürdigen Bosnien-Kriegseinsatz der Bundesluftwaffe zu verantworten, aber insgesamt schien nach den schier endlosen Kohl-Jahren ein frischer Wind zu wehen: Schwulenehe, reformiertes Ausländerrecht, Atomausstieg - "Reform" war noch kein Gruselwort, "neoliberal" übrigens auch noch nicht. Irgendwie hatten viele zwar das Gefühl, dass da irgend etwas faul war, aber ich gehörte eher nicht dazu. Ich war nach wie vor in der Science-Fiction & Fantasy-Szene aktiv, schrieb eifrig, und veröffentlichte sogar mit einigem Erfolg populärwissenschaftliche Artikel. Ja, das war vor der großen Anzeigenkrise. (Auch wenn der bekannte Witz, "Honorar" käme von "rar", auf meine Ausflüge in den Journalismus voll und ganz zutraf.)

Wie erging es mir, nachdem ich bekennender Neuheide und "moderne Hexe, männlich, nordisch-freifliegend", wie ich mich zuweilen ironisch nenne, geworden war?
In gewisser Hinsicht: erst mal ernüchtert. Nach kurzer Zeit war ich gründlich desillusioniert. Weniger wegen der schier grenzenlosen Naivität mancher, vor allem junger, Hexen - damit hatte ich gerechnet. Oder wegen des Dralls nach rechtsaußen auch bei sich verbal von Nazis abgrenzenden Heiden, vor allem germanischer und keltischer Orientierung - davon wusste ich schon früher. Über "Kommerzhexen" und autoritäre "Heidenfürsten" konnte ich nur bitter lachen.

Nein, es war eine spezielle, bei modernen Hexen und Magiern leider nicht seltene Auffassung von Magie, die mich sehr ernüchterte. Eine Auffassung, die auch in dem, was gemeinhin als Esoterik bezeichnet wird, ziemlich weit verbreitet ist. (Für Satanisten ist sie, den Eindruck hatte ich, sogar obligatorisch.) Es ist eine extrem egozentrische und deutlich egoistische Haltung, die sich gut mit dem Satz: "Ich und der Rest des Universum" skizzieren lässt.

Es geht diesen "hochspirituellen" Menschen nur um die Beziehung des Ichs (wahlweise auch des Selbsts, was in diesen Zusammenhang wenig bedeutet) mit ihrer Umwelt (oder dem, was sie dafür halten).
Im harmlosen Fall kreist dann ihr Denken nur noch um ihre eigene Lebenssinnproblematik. Das sind jene Leute, über die ich gern spotte, sie würden sich ganz entspannt am Leben vorbei meditieren.

Erstaunlich viele Hexen und "Hexen" versuchten mit großem Eifer Wunschmagie, im Eso-Jargon auch Gesetz der Anziehung genannt (um der Göttin der Weisheit willen nicht zu verwechseln mit dem Gesetz der Massenanziehung / dem Gravitationsgesetz) zu praktizieren. Obwohl diese Form der Magie manchmal funktioniert (für Skeptiker: zu funktionieren scheint), führt sie bei den Wunschmagie Praktizierenden offensichtlich oft zu einer manchmal grotesken Verzerrung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Größenwahn, oft in Verbindung mit Beziehungswahn und Verfolgungswahn und die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, sind die typischen Eigenschaften solcher ganz doll magischer Wunschdenker, pardon, Magier. (Das könnte, nebenbei, die Mentalität typischer "Heidenfürsten" und vergleichbarer Möchtegern-Gurus auf keltisch oder germanisch erklären.)
In milderen Fällen verstärkt die "einfache Bestellung beim Universum" die ohnehin weit verbreitete "jeder ist seines Glückes Schmied"-Mentalität, und zwar so, dass grundsätzlich das Opfer selbst schuld an seinem Unglück sei. Wenn die Magie nicht funzt, dann hat Hex was falsch gemacht.
Egal, ob weltfremder Dauermeditierer, von der "Machtzentrale Wohnzimmer" aus die Geschicke des Universums bestimmender Meister der Zeremonialmagie oder vernagelter Mochtegern-Papst: die "ich und der Rest des Universum"-Mentalität führt dazu, dass diese Menschen, auch wenn sie viel von "kosmischem Bewusstsein" und "alles hängt mit allem zusammen" reden, übergeordnete Perspektiven nicht mehr einnehmen wollen oder können. Alles wird gnadenlos aus der persönliche Froschperspektive gesehen, was durch den häufig bei solchen Menschen anzutreffenden ideologischen Tunnelblick zu fast völliger Realitätsblindheit führt.

Als ich so die heidnischen und hexischen Websites und Foren absurfte (auch so eine heute aus Mode gekommene Metapher), verstärkte sich ein Eindruck, den ich auch bei der Begegnung mit Hex und Heid im echte Leben hatte. Damals brandete eine Hexenwelle auf, es war (in geneigten Kreisen) chic, Hexe zu sein oder wenigstens auf Hexe zu machen. Es begann die Zeit der Kommerz-Hexen auf dem Esoterikmarkt, zum Teil direkt an die vorausgegangene Schamanen-Wellen anknüpfend.
Von spiritueller Harmonie und Toleranz war in den Internet-Trollhöhlen wenig zu spüren, eher die Lust auf einen gepflegten Flamewar. Manche Internet-Hexen erinnern sich gewiss an ein bestimmtes Forum, das allgemein als "die Grüne Kampfwiese" bekannt war.

Es gab für meinen Geschmack zu viele Möchtergerns und zu wenig Macher. Träumen ist wichtig, aber wie heißt es so schön und treffend: "Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum!"

Damals fragte ich mich oft selbstkritisch, ob ich auch zu den Möchtegerns gehören würde. Leider hieß es auch bei mir auf heidnisch-spirituellen Gebiet zu oft: "ich würde gerne" und zu selten "ich mach's".
Die Frage: "Bin ich es?" konnte ich mit "Ja" beantworten. (Ob die Antwort jeden zufrieden gestellt hätte, wage ich zu bezweifeln. Es gibt erstaunlich viele Menschen, die nicht einmal akzeptieren, dass Warzen-Besprechen geht. Auch wenn es dafür mit dem Placeboeffekt ein akzeptiertes Erklärungsmodell gibt. Damals akzeptierte ich - endlich - dass ich, wenn ich ehrlich zu mir und zu anderen bin, unweigerlich zwischen den Stühlen sitze. Oder auf dem Zaun.) Leider hat die "spirituelle Öffnung" ihren Preis: erhöhte psychische Verwundbarkeit. Hinzu kam, dass der "Zaun" zwischen skeptisch-rationalem Denken und "magischem" Denken sozusagen mitten durch mein Gehirn verläuft. Also, dass ein Teil von mir genau weiß, dass z. B. Rutengehen funktioniert (sogar aus eigener Erfahrung) und ein andere ebenso genau weiß, dass Rutengehen wissenschaftlich solide falsifiziert ist. Der Weg aus diesem Dilemma ist schwierig.
Ich lernte erst langsam, mich selbst zu schützen. Zu langsam. Aber genug gejammert.

Denn in mancher Hinsicht hatte ich es geschafft, meine Träume zu leben. Es ist im Rückblick gerade erstaunlich, wie viele Jugendträume ich nach 1989 (dem entscheidenden Wendejahr - auch für mein Verhalten) verwirklichte, wenn auch nicht die "bürgerlichen" Träume von beruflicher Karriere und materiellem Wohlstand. Besonders wichtig war es für mich, dass ich nicht mehr der kontaktarme Außenseiter von früher war, sondern "wichtige Leute" kannte - und diese Leute mich kannten. Dass ich vernetzt war. Freunde hatte.
Oder dass ich, um ein anderes Beispiel zu nennen, nicht mehr, wie viele, davon redete, mal ein Buch zu schreiben. Sondern es einfach machte.

Was ich suchte, waren Heiden, die nicht zur typischen "Heidenszene" gehörten. Die sich nicht darauf hinausredeten, "unpolitisch" zu sein. Die nicht kritiklos an angebliche "uralte Traditionen", bis zur Steinzeit und noch drei Steine weiter, glaubten. Die sich mit Magie beschäftigten, ohne den kritischen Verstand und 2500 Jahre Wissenschaft über Bord zu werfen.
Die ökofemistischen Hexen im Sinne Starhawks imponierten mir und zeigten, dass Neopaganismus politisch und emanzipatorisch sein konnte.
Was ich suchte, war eine Organisation oder Gemeinschaft, in der ich mich politische und aufklärerisch engagieren konnte, und das mit authentischer heidnischer Spiritualität zu verbinden.

Mein Problem dabei war, dass Worte billig sind, und besonders billig sind sie im Internet. Wem konnte ich glauben? Die Antwort war klar: ich kannte da jemanden, der sich "heidnischer Magier" nannte, politisch dachte, ein enormes Wissen hatte, klug war, geistreich spöttisch war - und vor allem: nicht nur redete.

Kennengelernt hatte ich ihn nicht über einen Hexen- oder Heidenstammtisch oder bei einem öffentlichen Ritual, sondern 1999 auf einem Science-Fiction-Con, genauer gesagt, einem "Perry-Rhodan"-Con, dem Thorecon in Braunschweig.

Ich setzte mich schon einige Zeit mit dem Denken und der Ideologie "moderner" Rechtsextremisten auseinander. Zwar sind "Durchschnittsnazis" geistig oft schlicht gestrickt und fast alle "Rechten" bis weit ins bürgerlich-rechtskonservative Lager klassische autoritäre Persönlichkeiten - aber es gibt auch Vordenker, deren Ideen im rechtsradikalen Kreisen nachgedacht werden. Einer dieser Neonazis mit Grips, Christian Worch, war auch Fantasy-Fan und hatte sogar einige recht lesbare Geschichten geschrieben. Erstaunlicherweise waren das, anders als man meinen könnte, keine ideologiedurchtränkten Propagandamachwerke, selbst die fantasy-üblichen Machtphantasien blieben im unteren fantasy-üblichen Bereich. Um diesen auffälligen Widerspruch zu klären, herauszubekommen wie Worch "tickt", führten Klaus N. Frick, Journalist, Punk, Antifaschist (und "Perry-Rhodan"-Chefredakteur) und ein gewisser Hermann Ritter ein ausführliches Interview mit ihm. Dieses Interview wurde vom SFCD e. V. (Senioren-Fischerei-Club "Donnerangel" Science-Fiction-Club Deutschland) in gedruckter Form herausgegeben. Ich hatte, nachdem ich dieses Interview gelesen hatte, noch einige Fragen. Und wie es sich so gut traf, traf ich Klaus N. Frick (den ich bereits persönlich kannte) und seinen Freund Hermann Ritter (den ich zwar mal irgendwo gesehen hatte, aber noch nicht kannte) auf dem "Thorecon", wo ich ihnen diese Fragen auch stellte.
Dabei bekam ich mit, dass Hermann aktiver Neuheide war - und zwar unter anderem einem in Verein, dessen Website ich bisher kaum beachtet hatte: dem Rabenclan e. V..

Ich sah mir die Website des Rabenclan ein wenig genauer an, und fand dort interessante, wenn auch oft in etwas verzopftem "Gelehrtendeutsch" gehaltene, Analysen über rechtsextreme Strukturen in der deutschen Heidenszene. Genau das hatte ich gesucht! Die gelehrten Abhandlungen stammten von einem gewissen Hans Schuhmacher, offensichtlich Sozialwissenschaftler und eben so offensichtlich "links". HaSchu schrieb für das "Ariosophieprojekt der Nornirs Ætt" - die "Nornirs Ætt", das waren, wie ich erfuhr, die Ásatrú im Rabenclan.
Ich hatte es auch mit den nordisch-germanischen Göttern (ohne Athena untreu zu werden), scheute mich allerdings davor, das nach außen hin allzu sehr zu betonen: wer nordisch-germanisches Neuheidentum öffentlich praktiziert, macht sich unter Umständen verdächtig, "völkisch" gestrickt zu sein, während man als "moderne Hexe" (auch männlichen Geschlechts) schlimmstenfalls in der "Spinner"-Ecke landet. (Außer bei religiösen Fundamentalisten, für die das satanistisch ist.) Dass da jemand aktiv daran ging, dieses Bild gerade zu rücken, imponierte mir.

Mein letzten Anstoß, mich dem Rabenclan zu nähern und schließlich beizutreten, war die Domain Asatru.de, die, wenn man damals nach "Asatru" suchte, in den Suchergebnissen ganz oben stand. Sie gehört (leider) der extrem rassistischen "Artgemeinschaft".
Es gibt auch Alpträume. Einer war, dass das "metapolitische" Konzept der "modernen" Rechtsextremisten funktionieren würde, und sie die Diskurse auch außerhalb ihrer Anhängerschaft bestimmen könnten. Aber schlechte Träume fordern zugleich auf, etwas zu tun, damit sie nicht Wirklichkeit werden.
Ich fühlte mich berufen, mitzuhelfen, den "Nazitrus" das Konzept zu verderben und die "Heidenszene" aus dem Dunstkreis des "deutsch-völkischen" zu befreien. Also wurde ich "Rabe".

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