Dienstag, 2. März 2010

Hamburger Arroganz

Wir Hamburger gelten ziemlich verbreitet als arrogant.
Das ist natürlich ein Vorurteil. Oder einfach Neid derjenigen, die nicht in einer Metropole von Weltrang leben. Blinzeln

Wobei es auffällt, dass die meisten Menschen, die Hamburg tatsächlich und irrtümlicherweise für eine Metropole von Weltrang halten, entweder selbst aus Hamburg stammen und extreme Lokalpatrioten sind und nicht über den Tellerand der Stadtgrenzen schauen wollen, oder, häufiger, irgendwo aus der tiefsten Provinz stammen und vom "Tor zur Welt" so angetan sind, dass sie das Tor mit der Welt verwechseln, oder, im typischen Fall, beides sind, also aus irgendeinem Provinznest nach Hamburg gezogene. Konvertiten sind bekanntlich besonders fromm, und Quiddjes die eifrigsten Lokalpatrioten.

Übrigens war die "Hamburger Arroganz" auch eine Band, die das Klischee von der Hamburger Arroganz karikierte.

Das derzeitige Problem Hamburgs ist es meiner Ansicht, dass der jetzige Erste Bürgermeister Ole von Beust nicht nur selbstherrlich und arrogant wirkt - sondern es tatsächlich auch ist.
Wer nach der real existierenden Arroganz der in Hamburg regierenden sucht, der findet sie aufgespießt zum Beispiel bei Magerfettstufe - weshalb es mir gestattet sei, das Thema etwas abseits der Aktualität zu behandeln.

Wer mich, ob dessen, was ich hier schreibe, und wie ich es schreibe, für arrogant hält, liegt damit gar nicht mal so falsch.
Ich gebe ohne Weiteres zu, dass ich arrogant bin. Womit ich nicht sagen will, dass ich immer Recht hätte. Aber sehr wohl, dass ich selber denke, ohne Rücksicht darauf, mich zwischen die Stühle zu setzen oder mich unbeliebt zu machen. Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein. Aber das ist es nicht, was die typische Hamburger Arroganz ausmacht - leider nicht.

In einem Punkt stimmt meine persönliche Arroganz mit der Hamburger Arroganz überein - das "Hamburger Understatement" (positiv formuliert). Typisches Merkmal: "nicht schlecht" anstelle von "großartig".
Es wirkt offensichtlich, je nach Situation unterkühlt (Freuen die sich denn nie?) über-anspruchsvoll (sind sind die nie zufrieden?) oder falsch bescheiden - oder zusammengenommen - arrogant.

Woher stammt die Hamburger Arroganz, rein historisch gesehen?
Vermutlich stammt sie aus der Zeit nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs und dem Zollbeitritt Hamburgs. Von 1880 bis 1914 nahm die Wirtschaft von Deutschlands "Tor zur Welt" einen enormen Aufschwung, wie es in jüngere Zeit vielleicht in einigen Boomregionen Chinas gibt. Es strömte ungeheurer Reichtum nach Hamburg.
Die Folge: die Selbstgewissheit und der Bürgerstolz des in Hamburg seit je her tonangebenden Großbürgertums schwoll ins unermessliche - und färbte auch auf Kleinbürger und sogar Teile der Arbeiterschaft ab.
Kurz: wer aus Hamburg kam, hielt sich, angesichts des ökonomischen Erfolgs seiner Heimatstadt, für "was Besseres". Hinzu kam das an sich nicht arrogante, aber oft so wahrgenommene, Gefühl, zuerst Hamburger und erst lange danach eventuell Deutscher zu sein. Eine ähnliche Mentalität fand sich so ausgeprägt wohl nur im Königreich Bayern. Reste dieses Nationalbewusstsseins haben sich bis heute gehalten.
Allerdings ist Hamburg eben ein Stadtstaat, während man sich Bayern durchaus als selbständigen und keineswegs unbedeutenden Nationalstaat vorstellen könnte. Folglich wirkt es selbstbewusst, wenn Bayern mit allen Schikanen Nation spielen - und peinlich gernegroß, wenn Hamburger so was versuchen.

Für "Hamburger Arroganz" der sympathischer Art auf dem Feld der Politik fand der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Hennig Voscherau, ein gutes Beispiel: Seinen Amtsvorgänger Max Brauer, der vor dem 2. Weltkrieg übrigens Bürgermeister von Altona war, das bis 1937 noch nicht zu Hamburg gehörte.
Bauer kehrt nach dem Krieg aus dem New Yorker Exil zurück und wird ersten erster Nachkriegsbürgermeister Hamburgs. Kurz darauf fährt mit der britischen Besatzungsmacht Schlitten. Später, schon in der jungen Bundesrepublik, schrieb er Bundespräsident Heuss, dass Hamburger seit ca. 1270 keine Orden annehmen, die Stadt werde sich an dem neuen Bundesverdienstorden nicht beteiligen. Der Hamburger Bürgermeister werde von sich aus keine Ordensvorschläge machen.
Auch wenn die "Hanseatische Ablehnung" von Orden beim Einzelnen eher ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Bescheidenheit ist, und durchaus eine demokratische Tugend sein kann - als politische Haltung ist sie in der Tat hochnäsig.

Für viele ist Altkanzler Helmut Schmidt Musterbeispiel eines arroganten Hamburgers. Schon als schlichter Bundestagsabgeordneter verdiente er sich den Namen "Schmidt-Schnauze". Ein überlegener Debattenredner, mit unverkennbarem schneidendem Tonfall - jemand, der sich überlegen fühlt, es nicht sagt, aber es deutlich spüren lässt. Genau, wie Franz-Josef Strauß damals als typisch bayrisch galt, galt Schmidt als eben typisch Hamburg.

Es ist an und für sich nichts Schlimmes, wenn jemand auf schmidtsche Weise arrogant ist. Helmut, der alte, qualmende Knochenfisch, war und ist zwar immer noch ein elender Besserwisser, aber einer, der es sehr oft wirklich besser weiß. Es nervt, wenn ein notorischen Rechthaber wirklich Recht behält. Wie ich schrob: Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein.

Jene Form der Arroganz, hinter der Selbstherrlichkeit und Selbstverliebheit bei mangelndem Respekt für andere steckt, ist leider etwas anderes. Und leider gibt es sich auch in Hamburg. Und zwar leider nicht selten.

Diese Form der "Hamburger Arroganz", die in Selbstherrlichkeit, fehlendem Respekt vor Außenstehenden und völlig Abwesenheit von Selbstkritik bei gleichzeitiger Unfähigkeit, Kritik auch nur zu Kenntnis zu nehmen, besteht, gibt es nicht nur bei Politikern mit "Leuchturm"-Komplex. (Ole von Beusts "Leuchturmprojekte" und die Art, wie er sie durchsetzt sind mittlerweile zurecht gefürchtet.)
Sie begegnet mir in Behörden, im Geschäft und sogar bei Ärzten (einem ohnehin für Selbstherrlichkeit anfälligen Berufsstand).

Was ist das Besondere an der Hamburger Arroganz, verglichen etwa mit der gleichfalls berüchtigten Wiener Arroganz?
Ein Beispiel mag das illustrieren: es gab schon seit langem Kaffeehäuser in Hamburg, als die Wiener noch (wenn man ihren eigenen Legenden glaubt) während der 2. Türkenbelagerung Kaffeebohnen für Kamelfutter hielten. (Das war eben ein Beispiel Hamburger Arroganz - rechthaberisch, spöttisch, aggressiv.)
Ein Beispiel Wiener Arroganz wäre: Aus dem berechtigten Stolz auf die Wiener Kaffeehaustradition heraus zieht ein echter Wiener gar nicht in Erwägung, dass die Wiener Kaffeehäuser eventuell doch nicht die ersten Europas gewesen sein könnten.
(Weshalb Falco damals in der 80er die Wiener Arroganz so herrlich ironisch karikieren konnte, während die Karikatur der Hamburger Arroganz durch die gleichnamige Band manchmal gar nicht als Karikatur erkannt wurde).

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