Vor 30 Jahren - persönliche Archäologie

Aus der Rubrik: Alte Männer erzählen von von früher ... Jedenfalls kommt es mir so vor.

Manchmal lohnt es sich, beim Aufräumen einen längeren Blick in die Kartons und Mappen zu werfen. Manche "Ausgrabungen" verraten viel über den Menschen, der man selbst einmal war. Zum Beispiel dieses, leider lange Jahre unter sehr ungünstigen Bedingungen gelagerte und aus allzu vergänglichem Material bestehende, fleckige und wellig gewordene Gemälde:
Chloros (1980)

Ich malte es vor beinahe genau 30 Jahren, mit Deckfarben (einfacher Tuschkasten) auf Papier aus dem DIN A3 -"Schul- Malblock" - diese Dinger mit dem perforierten Rand. Zeitweilig auf dem Dachboden gelagert, was dem (minderwertigen und nicht einmal säurefreien) Papier gar nicht bekam.

Es ist ein Bild, das ich vor 30 Jahre in der Schule malte, und das mir trotzdem heute noch gefällt. Trotzdem, denn mir fällt bei Blick auf meine Malereien und Zeichnungen aus dieser Zeit auf, dass meine "Freizeitbilder" längst nicht so verkrampft und unbeholfen wirken, wie die Arbeiten im Kunstunterricht.
Meiner Kunstlehrerin gefiel es übrigens ganz und gar nicht. Zum Glück war es eine freiwillige Arbeit ...
Warum gefiel es meiner ansonsten sympathischen und zumindest in andere Fächern tüchtigen Kunstlehrerin nicht? Sicherlich auch wegen des Themas. Science Fiction - das ist doch kein Thema, mit dem man sich künstlerisch auseinandersetzen kann! Andererseits waren auch "engagierten" Themen - Politik, Umwelt, persönliche Krisen - nichts für sie. Ich vermute aus heutiger Sicht, dass sie einen bestimmten "Bildungskanon" im Hinterkopf hatte, welche Themen "künstlerisch relevant" sind und welche eben nicht. Der andere, heute ganz offensichtliche, damals aber nie offen ausgesprochene Aspekt: sie bewerte offensichtlich stark nach ihrem persönlichen Geschmack, konnte ihre Entscheidung als "objektiv" darstellen.
Dann gab es noch technische Details: Ganz schlimm war z. B., dass ich mit Bleistift vorgezeichnet hatte (obwohl es für eine freiwillige Arbeit keine Vorgaben gab). Sicher, "Chloros" (griechisch: "der Grüne") ist keine Meisterleistung. Das Bild zeigt aber, dass ich, wäre ich "am Ball" geblieben und hätte ich mich künstlerisch fortgebildet und vor allem sehr viel geübt, doch ein ganz annehmbarer bildender Künstler hätte werden können. (Tatsächlich ist es bedrückend, dass ich manchmal damals weitaus besser malte und zeichnete - nicht unbedingt von der Technik her, aber vom Gesamteindruck - als heute.)
Aber das war für mich indiskutabel, selbst ein Volkshochschulkurs wäre mir wie Zeitverschwendung vorgekommen. Ich hatte meinen Vater im Ohr: "Dein Malen, das ist doch wie andere puzzeln" - und ich gab ihm damals recht. Es brachte Spaß, es entspannte - und in der Kunstnote machte es sich nicht bemerkbar. Wo Kunst doch sowieso ein unwichtiges Nebenfach war, und auch noch eines, das im Gegensatz zu Sport und - manchmal - Musik Null Prestigewert unter Schülern hatte.
Erst 10 Jahren nach dem Abi (und über 12 Jahre nach "Chloros") kam ich überhaupt darauf, Malen und Zeichnen zu lernen (bei einer Kunstdozentin, die nebenbei private Kurse gab). Mit relativ bescheidenem Ergebnis. Aber Spaß gebracht hatte es schon, und puzzeln kann schließlich jeder ...
Eibensang (Gast) - 4. Apr, 15:42

Heya, das ist doch wunderschön - zum einen das Bild selbst, zum andern der Umstand, dass du noch eigene Bilder "von früher" hast irgendwo. Ich habe meine ganze Kindheit durch gezeichnet - und alles, alles ist weg: Ich weiß nicht mal mehr genau, wo die Berge von Papier eigentlich abgeblieben sind, wird wohl in meiner chaotischen Jugend passiert sein. Wie gern hätte ich heute noch diese Sachen (unabhängig davon, ob sie gut waren oder nicht so). Dein "prädistanziertes" Verhältnis zum Kunstschaffen kann ich gut nachvollziehen: Bei mir ging´s ähnlich zu daheim. Und konnte selber erst Künstler werden, nachdem ich mir alle "bürgerlicheren" Alternativen gründlich ruiniert hatte...

Altes erscheint einem m.E. häufig als "leichter", "kreativer" oder "freier" irgendwie - aber ich glaub, dass das ein Trugschluss ist. Man kann den eigenen Kram von früher, glaube ich, nicht betrachten (oder anhören), ohne gleichzeitig an viel mehr erinnert zu werden als das begutachtete Objekt: wenn man halt selber dessen Schöpfer ist. (Vielleicht ist das sogar ein Grund, warum Götter Menschen brauchen... Womöglich können sie sich selber ebenso schlecht reflektieren wie wir, oder haben, auf ihrer Ebene, vergleichbare Schwierigkeiten damit...:-))) Aber das führt jetzt ein bisschen weit...

Liebe Grüße
Duke

MMarheinecke - 4. Apr, 21:46

Hast recht, Duke!

Allerdings: so direkt aus der Kindheit habe ich auch nichts mehr - und dass ich noch einige alte Sachen aus dem späten Schulalter habe, ist pures Glück.
Ärgerlich ist die nicht sachgerechte Lagerung - und natürlich das minderwertige Material. Dass ich mich manchmal. gegen die Einschätzung meiner Umgebung - Schule, Eltern, "Freunde" (nicht alle, die ich damals Freunde nannte, waren welche), durchsetzte, erkennt man daran, dass in den frühen 80ern auch Bilder in Tempara auf schwerem Karton malte.
Allerdings: erst nach dem Abi setzt diese größere Sorgfalt mit einigen eigenen Werken ein. Nur ein Hobby, dachte ich mir? Ja, aber wenn andere viel Geld für ihre Briefmarken oder ihre Fotoausrüstung ausgeben, dann kann ich mir doch die paar Mark für gute Pinsel, gute Farben, guten Malkarton leisten. Immer noch ein preiswertes Hobby. Allerdings zögerte ich, wie erwähnt, lange, bis ich auf die Idee kam, dass ich mich eventuell künstlerisch weiterentwickeln könnte, und dazu durchaus von fachkundigen Lehrern. Die Kunsterzieher, die mir in der Schule über den Weg liefen, rechne ich - mir einer einzigen möglichen Ausnahme - nicht dazu. Es waren eben Kunsterzieher und keine Künstler.

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