Samstag, 6. März 2010

Unsere demokratischen Parteien haben Glück, dass es die NPD gibt

Es gibt in Hohlbratzenkreisen eine Verschwörungstheorie, nach der die NPD nicht nur massiv von V-Leuten unterwandert ist, sondern eigens erfunden wurde, um das "nationale Lager" durch eine Marionettenpartei zu "zersetzen". Wenn ich z. B. nach Österreich und in die Niederlande sehe, dann habe ich manchmal den klammheimlichen Verdacht, dass die NPDler nicht nur Idioten, sondern manchmal nützliche Idioten sind.

Es ist zwar irgendwo zynisch, aber in mancher Hinsicht (nicht in jeder!) bekommt es der Demokratie in Deutschland ganz gut, dass unsere größte Rechtsaussen-Partei dieser "deutschvölkische" NS-Nostalgiker-Verein ist. Die brutale und nur notdürftig pseudodemokratisch getarnte NPD ist gefährlich, sie säht Hass, weit über die Grenzen des rechtsextremen Milieus hinaus. Und sie ist in den Landtagen einfach eine Landplage.

Dennoch: So, wie die NPD sich zur Zeit darstellt und wie sie normalerweise agiert, hat sie keine Chance, über regionale Hochburgen hinaus zu einem echten politischen Faktor zu werden. Die NS-Nostalgie, die auch beim als gutbürgerlich getarnten "sächsischen Weg" offensichtlich wegen seiner Integrations- und Identifikationswirkung für die Kackbraunen unverzichtbar ist, macht die NPD für alle Nicht-Rechtsextremisten unwählbar. An alle, die sagen, sie würden "nur aus Protest" NPD wählen: wer NPD wählt, ist kein armes Opfer, sondern ein Nazi. Auch wenn er oder sie es nicht wahrhaben wollen.
Wer "nur" nationalistisch ist, autoritär denkt, erzkonservative Ansichten zur Kultur, Erziehung und Familie hochhält, und insgeheim ein klein wenig rassistisch, antisemitisch oder antiislamisch ist, der wird eine Krawalltruppe wie die NPD nicht wählen. So jemand bleibt zuhause oder wählt lieber CDU.

Stellen wir uns einfach mal vor, wir hätten, wie die Österreicher, eine ex-liberale Rechtspartei wie die FPÖ. Was gar nicht so absurd wäre, Ansätze dazu gab es in Deutschland oft genug, auch z. B. in der FDP.
Mit einer Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl wie Barbara Rosenkranz, einer Frau mit, sagen wir mal, für Neonazis recht erfreulichen Ansichten. Deren Kandidatur offen von der auflagenstärksten Zeitung unterstützt wird.

Oder was wäre, wenn wir statt der NPD wie in den Niederlanden einen schicken, modernen Rechtspopulisten wie Geert Wilders hätten. Hatten wir ja ansatzweise mal, nur dass Ronald B. Schill über seine eigene Persönlichkeit stolperte - und er nicht so konsequent auf "Verteidiger des Christlichen Abendlandes gegen die Moslem-Horden" machte, wie Wilders. (Auch die Rosenkranz sieht sich gern als Verteidigerin gegen die Moslem-Invasion. Vor über 300 Jahren, im großen Türkenkrieg, wären ihre Ansichten über die Moslem-Gefahr eventuell nachvollziehbar gewesen.)

Hoffentlich geht Wilders den Weg ins politische "Aus", den, im kleinen Rahmen, damals Schill in Hamburg ging.
Hoffentlich kriegt Frau Rosenkranz bei der Präsidentenwahl eine Klatsche, die sich gewaschen hat.

Auch der deutschen Demokratie zuliebe: wenn eine Rechtsnationale bei der FPÖ Erfolg hat, oder wenn Wilder nicht nur kommunal Wahlerfolge einfährt, dann driften die Berufsopportunisten, die es in Deutschland nicht nur in der FDP überreichlich gibt, erfahrungsgemäß auch nach "rechtsaußen" ab. Ansätze dazu sind z. B. bei unserem innenpolitisch scharfmachenden Außenminister nicht zu überhören.

Freitag, 5. März 2010

Warum es so viele Segelschiffe gab (1) - Im "Goldenen Zeitalter" der Niederlande

Um 1670 fuhren nicht weniger als 15.000 Schiffe unter der Flagge der Vereinigten Niederlande. Das ist keine nostalgische Legende über das Goldene Zeitalter der Niederlande oder eine barocke Übertreibung, sondern eine eher vorsichtige Schätzung. Der Finanz- ,Wirtschafts- und Marineminister des französischen Königs Louis XVI. schrieb den "Holländern" 1660 sogar 16.000 Schiffe zu. Unbestritten waren die Niederlande die führende Seefahrtsnation dieser Ära.

Jeronymus van Diest (II) - Het opbrengen van het Engelse admiraalschip de '
"Die Kaperung des englische Admiralschiffes Royal Charles" Gemälde von Jeronymus van Diest (Quelle: Wikipedia.)

Ein Grund, weshalb es diese gewaltige Anzahl Schiffe gab, lag darin, dass sie relativ klein waren.
Eines der größten Schiffe der damaligen Zeit war die Royal Charles, ein englisches Linienschiff (wie man damals die in Kiellinienformation kämpfenden Schlachtschiffe nannte), das die Niederländer 1667 erbeutet hatten. Sie wurde von den Niederländern nicht in ihre Kriegsflotte übernommen, weil sie für die seichten niederländischen Küstengewässer zu tief ging. 1673 wurde sie abgewrackt.
Die "Royal Charles" hatte eine Tragfähigkeit von ca. 1230 t, die Länge des Kiels betrug ca. 40 m, die Rumpflänge (also ohne den Bugsprit) betrug ca. 53 m, über alles war das Schiff ca. 72 m lang, die Breite betrug ca. 14 m, und der Tiefgang ca. 8 m, die Wasserverdrängung ca. 2130 t. Bewaffnet war sie mit mehr als 80 Kanonen.
Das bedeutet, dass eines der mächtigsten Kriegsschiffe der damaligen Zeit nicht größer als ein heutiges Küstenmotorschiff war!

Eines der größten Kauffahrteischiffe der Niederländischen Ostindischen Kompanie um 1660 war die "Prins Willim" - 51 m Rumpflänge, 68 m Länge über alles, 14,32 m breit, 4 m Tiefgang, 1200 t Verdrängung, und 600 Last Ladekapazität - das war doppelt so viel, wie ein durchschnittliches damaliges Seefrachtschiff tragen konnte.
Beim Vergleich dieser beiden Großsegler fällt auf, dass das Kriegsschiff extrem "in die Höhe" gebaut war, mit drei vollen Batteriedecks, während die "Prins Willim" bei fast gleicher Länge und Breite mit Rücksicht auf die niederländischen Gewässer nur halb so viel Tiefgang hatte, deshalb auch erheblich niedriger und fast 1000 Tonnen leichter war.

Die weit verbreitete Vorstellung, dass damals nur kostbare Luxusgüter über weite Seestrecken transportiert worden wären, aber niemand auf die Idee gekommen wäre, Massengüter durch die halbe Welt zu transportieren, stimmt nicht. Die Niederländer bezogen z. B. Salz aus Bonaire (südliche Karibik), das in großer Menge für die Konservierung von Lebensmitteln (Heringe, Käse) und für die Industrie, besonders Keramik (Delft) und Glas (Leerdam), gebraucht wurde. Die Tropensonne und die Sklavenausbeutung machten die Salzgewinnung in der Karibik erheblich billiger als in den einheimischen, mit Holz befeuerten Salinen. Massengüter, die einen nicht eine ganz so weiten Weg in die holländischen Häfen hatten, waren Holz aus Skandinavien und dem Baltikum (es wurden aber auch Teakholz aus den ostasiatischen Kolonien eingeführt), Getreide und auch Steinkohle. Im 17. Jahrhundert wurden auch Waren, die bisher Luxusgüter gewesen waren, für ein kaufkräftiges Bürgertum erschwinglich - womit auch Zucker, Gewürze, ab etwa 1660 auch Kaffee und Tee "Massengüter" wurden.

Es ist also leicht nachvollziehbar, dass die kleinen Vereinigten Niederlande eine zahlenmäßig große Handelsflotte brauchten. Technisch ermöglicht wurde das durch den quasi industriellen Schiffbau mit vielen standardisierten und vorgefertigten Bauteilen. Der Betrieb so vieler Schiffe war nur möglich, weil z. B. eine typische holländische Fleute, ein Schiff mit immerhin rund 300 Lasten Frachtkapazität, von nur 12 - 16 Mann gesegelt wurde. Auf gleich großen englischen Handelsschiffen dieser Zeit fuhren drei mal so große Besatzungen. Neben der optimierten Takelage trug die "Geheimwaffe" gegen die gefürchtete Mangelkrankheit Skorbut, das Sauerkraut, zum geringeren Personalbedarf niederländischer Hochseesegler bei.

Etwa 2000 der 15.000 bis 16.000 niederländischen Schiffe fuhren nach Übersee. Mindestens 3000 Frachter waren als Küstenschiffe eingesetzt, so dass von 5000 - 7000 "größeren" Kauffahrteischiffen ab etwa 20 m Länge und ab 30 Last Ladekapazität auszugehen ist. Damit ist die Diskrepanz zu anderen Quellen, die von "nur" 5000 niederländischen Schiffen ausgehen, m. E. eine Frage der Definition von "Schiff". MartinM 8. 3.'10

Der beachtliche "Rest" war "Kleinschifffahrt" - kleine Küsten- und Flussschiffe und Fischereifahrzeuge. Als "Schiff" galt dabei ein besegeltes Wasserfahrzeug ab etwa 8 m Rumpflänge mit geschlossenem Deck.

Typisch für die Nordseeregion mit ihren Wattengewässern und vielen schiffbaren Flüssen waren Plattbodenschiffe.
Plattbodenschiffe haben keinen Balkenkiel und ein flaches Unterwasserschiff. Deshalb haben sie einen geringen Tiefgang und können problemlos im Watt bei Ebbe trockenfallen.

Kutterhafen-10
Die aufgeholten Seitenschwerter eines Plattbodenschiffs. (Foto: MartinM)

Charakteristisch für Plattbodenschiffe sind die beiden Seitenschwerter. Es sind drehbar gelagerte Flächen an beiden Seiten des Rumpfes, die je nach Bedarf aufgeholt oder gefiert werden können. Sie verhindern, dass das Schiff nach Lee abdriftet. Beim Segeln wird jeweils das Leeschwert abgesenkt. Seitenschwerter sind mindestens seit dem 15. Jahrhundert bekannt.
Die Geschichte des Plattbodenschiffe lässt sich bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen: Im flämischen Brügge wurde 1899 das Wrack eines 15 Meter langen und 3,5 Meter breiten Schiffs mit flachen Boden, geklinkerten Seiten und einem wahrscheinlich rahgetakeltem Mast entdeckt, das auf das 6. bis 7. Jahrhundert datiert werden konnte.
Die Niederländer setzten Plattbodenschiffe auch in ihren karibischen und indonesischen Kolonien ein.
Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Plattbodenschiffe als Fracht- und Fischereifahrzeuge weit verbreitet, auch heute noch erfreuen sich Plattbodenjachten einer gewissen Beliebtheit.

Plattbodenschiffe sind meistens zwischen 10 und 30 Meter Deckslänge lang und haben einen bis drei Masten. Es gab zahlreiche, sich oft nur in Details unterscheidenden Typen von Plattbodenschiffen. Zu den Haupttypen gehören unter anderem Aak, Barge, Bojer, Bomme, Botter, Doughboot, Ewer, Hengst, Heuer, Hoys, Keel, Mutte, Otter, Poon, Schmack, Schokker, Scow, Somp, Tjalk, Wherry.

Typisch für die meisten Plattbodenschiffe ist, dass sie sowohl seetüchtig, wie dank ihres geringen Tiefganges, "binnentüchtig" sind. Seegängige Plattbodenschiffe, z. B. Aaken, Tjalken und Ewer, verkehrten auf dem Rhein, der Weser und der Elbe, bis tief ins Binnenland.

Schiffe waren in den Niederlanden, mit ihren zahlreichen Flussläufen, Inseln und schiffbaren Kanälen, ein wichtiges regionales Transportmittel. Tatsächlich war dieses enge Wasserstraßennetz in einer Zeit, in der es noch keine Eisenbahn gab, ein enormer wirtschaftlicher Standortvorteil.

Teil 2: Die schwimmenden LKW

Dienstag, 2. März 2010

Hamburger Arroganz

Wir Hamburger gelten ziemlich verbreitet als arrogant.
Das ist natürlich ein Vorurteil. Oder einfach Neid derjenigen, die nicht in einer Metropole von Weltrang leben. Blinzeln

Wobei es auffällt, dass die meisten Menschen, die Hamburg tatsächlich und irrtümlicherweise für eine Metropole von Weltrang halten, entweder selbst aus Hamburg stammen und extreme Lokalpatrioten sind und nicht über den Tellerand der Stadtgrenzen schauen wollen, oder, häufiger, irgendwo aus der tiefsten Provinz stammen und vom "Tor zur Welt" so angetan sind, dass sie das Tor mit der Welt verwechseln, oder, im typischen Fall, beides sind, also aus irgendeinem Provinznest nach Hamburg gezogene. Konvertiten sind bekanntlich besonders fromm, und Quiddjes die eifrigsten Lokalpatrioten.

Übrigens war die "Hamburger Arroganz" auch eine Band, die das Klischee von der Hamburger Arroganz karikierte.

Das derzeitige Problem Hamburgs ist es meiner Ansicht, dass der jetzige Erste Bürgermeister Ole von Beust nicht nur selbstherrlich und arrogant wirkt - sondern es tatsächlich auch ist.
Wer nach der real existierenden Arroganz der in Hamburg regierenden sucht, der findet sie aufgespießt zum Beispiel bei Magerfettstufe - weshalb es mir gestattet sei, das Thema etwas abseits der Aktualität zu behandeln.

Wer mich, ob dessen, was ich hier schreibe, und wie ich es schreibe, für arrogant hält, liegt damit gar nicht mal so falsch.
Ich gebe ohne Weiteres zu, dass ich arrogant bin. Womit ich nicht sagen will, dass ich immer Recht hätte. Aber sehr wohl, dass ich selber denke, ohne Rücksicht darauf, mich zwischen die Stühle zu setzen oder mich unbeliebt zu machen. Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein. Aber das ist es nicht, was die typische Hamburger Arroganz ausmacht - leider nicht.

In einem Punkt stimmt meine persönliche Arroganz mit der Hamburger Arroganz überein - das "Hamburger Understatement" (positiv formuliert). Typisches Merkmal: "nicht schlecht" anstelle von "großartig".
Es wirkt offensichtlich, je nach Situation unterkühlt (Freuen die sich denn nie?) über-anspruchsvoll (sind sind die nie zufrieden?) oder falsch bescheiden - oder zusammengenommen - arrogant.

Woher stammt die Hamburger Arroganz, rein historisch gesehen?
Vermutlich stammt sie aus der Zeit nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs und dem Zollbeitritt Hamburgs. Von 1880 bis 1914 nahm die Wirtschaft von Deutschlands "Tor zur Welt" einen enormen Aufschwung, wie es in jüngere Zeit vielleicht in einigen Boomregionen Chinas gibt. Es strömte ungeheurer Reichtum nach Hamburg.
Die Folge: die Selbstgewissheit und der Bürgerstolz des in Hamburg seit je her tonangebenden Großbürgertums schwoll ins unermessliche - und färbte auch auf Kleinbürger und sogar Teile der Arbeiterschaft ab.
Kurz: wer aus Hamburg kam, hielt sich, angesichts des ökonomischen Erfolgs seiner Heimatstadt, für "was Besseres". Hinzu kam das an sich nicht arrogante, aber oft so wahrgenommene, Gefühl, zuerst Hamburger und erst lange danach eventuell Deutscher zu sein. Eine ähnliche Mentalität fand sich so ausgeprägt wohl nur im Königreich Bayern. Reste dieses Nationalbewusstsseins haben sich bis heute gehalten.
Allerdings ist Hamburg eben ein Stadtstaat, während man sich Bayern durchaus als selbständigen und keineswegs unbedeutenden Nationalstaat vorstellen könnte. Folglich wirkt es selbstbewusst, wenn Bayern mit allen Schikanen Nation spielen - und peinlich gernegroß, wenn Hamburger so was versuchen.

Für "Hamburger Arroganz" der sympathischer Art auf dem Feld der Politik fand der ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Hennig Voscherau, ein gutes Beispiel: Seinen Amtsvorgänger Max Brauer, der vor dem 2. Weltkrieg übrigens Bürgermeister von Altona war, das bis 1937 noch nicht zu Hamburg gehörte.
Bauer kehrt nach dem Krieg aus dem New Yorker Exil zurück und wird ersten erster Nachkriegsbürgermeister Hamburgs. Kurz darauf fährt mit der britischen Besatzungsmacht Schlitten. Später, schon in der jungen Bundesrepublik, schrieb er Bundespräsident Heuss, dass Hamburger seit ca. 1270 keine Orden annehmen, die Stadt werde sich an dem neuen Bundesverdienstorden nicht beteiligen. Der Hamburger Bürgermeister werde von sich aus keine Ordensvorschläge machen.
Auch wenn die "Hanseatische Ablehnung" von Orden beim Einzelnen eher ein Zeichen von Selbstbewusstsein und Bescheidenheit ist, und durchaus eine demokratische Tugend sein kann - als politische Haltung ist sie in der Tat hochnäsig.

Für viele ist Altkanzler Helmut Schmidt Musterbeispiel eines arroganten Hamburgers. Schon als schlichter Bundestagsabgeordneter verdiente er sich den Namen "Schmidt-Schnauze". Ein überlegener Debattenredner, mit unverkennbarem schneidendem Tonfall - jemand, der sich überlegen fühlt, es nicht sagt, aber es deutlich spüren lässt. Genau, wie Franz-Josef Strauß damals als typisch bayrisch galt, galt Schmidt als eben typisch Hamburg.

Es ist an und für sich nichts Schlimmes, wenn jemand auf schmidtsche Weise arrogant ist. Helmut, der alte, qualmende Knochenfisch, war und ist zwar immer noch ein elender Besserwisser, aber einer, der es sehr oft wirklich besser weiß. Es nervt, wenn ein notorischen Rechthaber wirklich Recht behält. Wie ich schrob: Wer selbstbewusst selber denkt, hat schnell den Ruf weg, arrogant zu sein.

Jene Form der Arroganz, hinter der Selbstherrlichkeit und Selbstverliebheit bei mangelndem Respekt für andere steckt, ist leider etwas anderes. Und leider gibt es sich auch in Hamburg. Und zwar leider nicht selten.

Diese Form der "Hamburger Arroganz", die in Selbstherrlichkeit, fehlendem Respekt vor Außenstehenden und völlig Abwesenheit von Selbstkritik bei gleichzeitiger Unfähigkeit, Kritik auch nur zu Kenntnis zu nehmen, besteht, gibt es nicht nur bei Politikern mit "Leuchturm"-Komplex. (Ole von Beusts "Leuchturmprojekte" und die Art, wie er sie durchsetzt sind mittlerweile zurecht gefürchtet.)
Sie begegnet mir in Behörden, im Geschäft und sogar bei Ärzten (einem ohnehin für Selbstherrlichkeit anfälligen Berufsstand).

Was ist das Besondere an der Hamburger Arroganz, verglichen etwa mit der gleichfalls berüchtigten Wiener Arroganz?
Ein Beispiel mag das illustrieren: es gab schon seit langem Kaffeehäuser in Hamburg, als die Wiener noch (wenn man ihren eigenen Legenden glaubt) während der 2. Türkenbelagerung Kaffeebohnen für Kamelfutter hielten. (Das war eben ein Beispiel Hamburger Arroganz - rechthaberisch, spöttisch, aggressiv.)
Ein Beispiel Wiener Arroganz wäre: Aus dem berechtigten Stolz auf die Wiener Kaffeehaustradition heraus zieht ein echter Wiener gar nicht in Erwägung, dass die Wiener Kaffeehäuser eventuell doch nicht die ersten Europas gewesen sein könnten.
(Weshalb Falco damals in der 80er die Wiener Arroganz so herrlich ironisch karikieren konnte, während die Karikatur der Hamburger Arroganz durch die gleichnamige Band manchmal gar nicht als Karikatur erkannt wurde).

Samstag, 27. Februar 2010

Alternativweltromane mit Tücken

Der "Alternativweltroman" gilt zurecht als die "hohe Schule" der Science Fiction bzw. hier wohl besser: Speculative Fiction. Spekulationen, wie die Welt hätte sein können, wenn es z. B. 1917 in Russland keine Oktoberrevolution gegeben hätte, wenn Abraham Lincoln nicht ermordet oder Adolf Hitler doch ermordet worden wäre, sind nicht nur reizvoll, sondern erfordern sehr viel historisches Wissen und noch mehr Gespür dafür, wie eine "alternative Realität" glaubwürdig gestaltet werden kann.

Verlagstexte gelten zurecht als wenig aussagekräftig für einen Roman - vor allem, wenn es um so ein anspruchsvolles Genre wie den Alternativweltroman geht.
Dennoch vermute ich, dass eine alternativhistorische Romanreihe, deren Prämisse auf der Verlagswebsite so vorgestellt wird, nichts taugt - zumindest nicht als Alternativhistorie:
Im Jahre 1918 schlägt „Die Schwarze Macht“ mit nie da gewesener Härte die Arbeiter- und Soldatenaufstände in Deutschland nieder. Das unterversorgte deutsche Heer entscheidet im Frühjahr 1919 mit der Eroberung von Paris den ersten Weltkrieg für sich.
Nach drei Jahrzehnten des Friedens entdecken deutsche Satelliten im Jahre 1949, dass die USA Anreicherungsanlagen für Uran bauen, um Atomwaffen herzustellen. Kaiser Friedrich IV. entschließt sich zur Bombardierung. Der Zweite Weltkrieg beginnt… und damit eine neue Zeitrechnung in der Geschichtsschreibung der Alternativweltromane.
Ausgangspunkt ist, dass Deutschland den ersten Weltkrieg gewonnen hätte. Das ist eine nicht ganz einfache Annahme angesichts der Tatsache, dass der Stabschef Erich von Falkenhayn den deutschen Reichskanzler Bethmann-Hollweg schon im Dezember 1914, also kein halbes Jahr nach Kriegsausbruch, darüber informierte, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen wäre. Die Regierung Bethmann-Hollweg (und wahrscheinlich auch der Kaiser) lehnten einen Verhandlungsfrieden trotzdem als "unannehmbar" ab. Das war das Todesurteil für einige hunderttausend Menschen. Es wurde nämlich nach 1914 nicht besser: je länger der Krieg sich hinzog, desto unwahrscheinlicher wurde ein deutscher Sieg. Spätestens ab 1917 war es dann praktisch unmöglich, auch nur halbwegs glimpflich aus dem Krieg herauszukommen. Schließlich musste auch die Oberste Heeresleitung zugeben, dass der Krieg verloren war, wobei die de facto Militärdiktatoren Ludendorf und Hindenburg sich aus der Verantwortung stahlen.
Alles in allem: wer das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg siegen lassen will, muss sich etwas einfallen lassen.
Der Autor, der unter dem bezeichnende Namen "Heinrich von Stahl" schreibt, macht es sich hingegen offensichtlich einfach. Die Annahme, der Krieg hätte doch noch gewonnen werden können, wenn nur die Aufstände im Jahr 1918 energisch niedergeschlagen worden wären, ist nur dann plausibel, wenn man die "Dolchstoßlegende" zumindest für teilweise wahr hält. (Das deutsche Heer sei "im Felde unbesiegt" geblieben und habe erst durch oppositionelle "vaterlandslose Gesellen" aus der Heimat einen "Dolchstoß von hinten" erhalten.)
Zwar räumt "von Stahl" ein, dass das deutsche Heer "unterversorgt" war (die Nachschubsituation war in Wirklichkeit im Oktober 1918 so verzweifelt, dass das Heer praktisch kampfunfähig war), aber dass das abgekämpfte Heer trotzdem irgendwie in der Lage gewesen wäre, Paris einzunehmen, riecht verdächtig nach nationalistischem Wunschdenken.
Noch mehr nach Wunschdenken riecht die Handlung 1949. Wie aus der Verlagswebsite hervorgeht, unterstellt "von Stahl", dass das Deutsche Kaiserreich zu diesem Zeitpunkt etwa ein technisches Niveau hätte, das dem der USA 1969 entspräche (es wird gerade ein bemannter Mondflug vorbereitet). Wichtiger ist aber für einen nationalen Wunschdenker, dass es einen "anderen" 2. Weltkrieg gibt, und dass es dieses Mal ein "gerechter Krieg" ist - schließlich basteln die Amerikaner an der Atombombe.

Ich habe mich dafür entscheiden, die Website des in Rede stehenden Verlages nicht zu verlinken, und auch seinen Namen und den der Romanserie nicht zu nennen, weil ich für ihn nicht noch mehr Werbung machen möchte.

"Das Monster ist da" - Angst frisst Freiheit auf!

Ein beängstigende Beobachtung vom Forum zur
Petion: Aufhebung des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) (via svenscholz.)
Habe versucht auf meiner Arbeitsstelle, auf das Problem ELENA aufmerksam zu machen, leider erfolglos.
Das Problem ist Angst hier zu zeichnen.
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Bei mir war das Gleiche ich hatte in mehreren Firmen versucht das zu verbreiten (selbst über den Betriebsrat). Es war als rede ich mit Wachsfiguren. Ich habe hunderte e-Mails geschrieben um die Leute zu mobilisieren - alles was ich erntete ist 5 Mitzeichner 5 Leute die sich um ihre Zukuft gedanken machen. Was mir aufgefallen ist, alle die ich angesprochen habe, haben Angst. Das Monster - Blos nichts falsches machen - ist schon da. Es ist nicht Lichtjahre entfernt, es ist bereits eingeführt!
Ich habe alles angeschrieben, was mir in den Sinn gekommen ist - Jede Radiostation - das TV - alle Zeitungen - NICHTS wirklich NICHTS nichtmal eine Antwort, dass da was angekommen ist.
ELENA - der "Elektronische Entgelt-Nachweis", ist schlimm für Demokratie und offene Gesellschaft- wie schlimm, erfährt man beim AK Vorratsdatenspeicherung ELENA

Noch schlimmer ist aber die Angst, sich "verdächtig" zu machen. Der Effekt war schon beim Protest gegen das "Zugangserschwernisgesetz" ("KiPo-Stopp-Schild" und die "Zensursula"-Kampagne dagegen) spürbar. Die Menschen haben Angst vor Repressionen, Angst vor dem Staat und vor allem Angst um den Arbeitsplatz und vor sozialen Abstieg. Massive Drohungen sind dabei gar nicht nötig.

Die Reaktion der Menschen bestätigt, dass ELENA - wie übrigens auch die Vorratsdatenspeicherung, das Zugangserschwernisgesetz oder die ständige Präsenz von Überwachungskameras - schon durch ihr bloßes Vorhandensein Verhaltensänderungen bewirkt - und zwar nicht "nur" am Arbeitsplatz.
Das Prinzip ist das des "Panopticon" des englischen Philosophen Jeremy Bentham, das "perfekten Gefängniss" in dem die Gefangenen zwar nicht ständig beobachtet werden, aber sich nie sicher sein können, im Moment nicht überwacht zu werden. Jederzeit könnten sie beobachtet und für als falsch gewertete Handlungen bestraft werden. Sie werden sich immer so verhalten, als ob sie genau beobachtet würden, auch wenn die Überwachung in der Praxis nicht allumfassend sein kann.

Und warum sind die Leute so "feige"? Leider oft aus Erfahrung. Mit der Kontrollmentalität in Unternehmen und Behörden hat wahrscheinlich jeder schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht - oder wenigstens von Menschen gehört, die aufgrund "aufmüpfigen" Verhaltens sanktioniert wurden. (Frei nach Mao : "Strafe einen, erziehe hundert!")
Es wäre naiv, darauf zu vertrauen, dass gesammelte Daten nicht missbraucht würden. Unter diesen Umständen - das muss man leider sagen - erfordert Widerspruch Mut. Noch nicht so viel wie in eine Diktatur, aber weitaus mehr, als noch vor wenigen Jahren.
Und genau das zeigt, wie sehr unsere Demokratie schon auf den Hund gekommen ist.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Weichspül-Esokrieger

An und für sich habe ich nichts gegen die Band "Silbermond". Seit einige Wochen läuft aber ein "Silbermond"-Song im Dudelfunk, bei dem ich es sehr bedaure, nicht einfach im "Hulk"-Stil die Quelle der unfreiwilligen Dudelfunkbeschallung gründlich und nachhaltig zu eliminieren. (Dass ich Dudelfunk überhaupt - unfreiwillig - höre, verdanke ich Kollegen, die auf ein musikalisches Hintergrundrauschen bei der Arbeit nicht verzichten möchten, und auch Ladenbesitzern, die offenbar leider zurecht vermuten, dass viele ihrer Kunden auf Akustik-Smog konditioniert sind.)
Es geht um den Song "Krieger des Lichts", wobei mir weniger die nette, aber etwas nichtssagende, Melodie, als vielmehr der Text auf die Gehörnerven fällt.

Zugegeben, Silbermond erreichen bei weitem nicht die textliche Penetranz etwa eines Xavier Naidoo, mit dem sie übrigens auch schon einmal gemeinsam einen Song aufnahmen. Allerdings ist dessen, sagen wir einmal, offensiv vertretene, sagen wir mal, radikale Religiosität und seine demonstrative Betroffenheit über diese böse Welt schwer zu toppen und zumindest im deutschen Sprachraum weitgehend konkurrenzlos.

Wieso aber fällt mir der Text von "Krieger des Lichts" so sehr auf die Nerven? Immerhin ist er nicht völlig banal - was ihn von schätzungsweise 9 von 10 Popsongs oder Schlagern unterscheidet - und vielen Aussagen kann ich problemlos zustimmen.
Vielleicht liegt das an meiner im Laufe der Jahre stetig gewachsen Aversion gegen "Weichspül-Esoterik". Unter "Weichspül-Esoterik" verstehe ich eine gefällige, unverbindliche, niemanden weh tuende, nichts fordernde und allen recht sein wollende, sich vor harte Aussagen drückende Form der, nun ja, "Esoterik".

Stefanie Kloß, die Sängerin der Band, wurde von Paulo Coelho und seinem "Handbuch für den Krieger des Lichts" inspiriert. Coelho ist ein Mensch, den ich, aufgrund seines Lebensweges und seiner Haltung sehr respektiere, obwohl ich kein Fan seiner Bücher bin. Dass ich das "Handbuch für den Krieger des Lichts" nach einige Kapiteln beiseite legte, ist eine Frage meines persönlichen literarischen Geschmacks, weniger einer der schriftstellerischen, philosophischen oder spirituellen Qualität Coelhos.

Coelhos ist übrigens stark von Carlos Castaneda und seinem "Weg der Krieger" inspiriert. Castaneda hatte zwar Einiges über schamanisches Reisen zu sagen, aber war auch - so schätze ich ihn jedenfalls ein - ein notorischer Hochstapler und Fälscher. Seine Werke sollten deshalb sehr kritisch gelesen werden - aber leider werden sie nur selten kritisch gelesen.

Nach Castaneda ist "Der Weg der Krieger" eine Lebenseinstellung, die nichts mit Akten kollektiver Gewalt oder individueller Dummheit zu tun hätte - also nichts mit "Kriegführen" im alltagssprachlichen Sinne. Der Weg der Krieger soll demjenigen, der ihm folgt, körperliche, geistige und charakterliche Stärke geben, damit er die sich ihm in den Weg stellenden Schwierigkeiten erträgt und sich nicht von außergewöhnlichen Ereignissen und Wahrnehmungen aus der Bahn werfen lässt. Auf diesem Pfad erwirbt der Krieger die Energie, die er (oder sie, auch wenn Castaneda eher von einem männlichen Krieger auszugehen scheint) braucht, um in unbekannte Welten einzutreten, sich mit Unendlichkeit auseinanderzusetzen. Auch wenn Castaneda meiner Ansicht nach munter Zen-Buddhismus mit indianischer Spiritualität mischt, und ich den Verdacht habe, dass es diesen "Pfad" in der traditionellen schamanischen Kultur der Yaqui gar nicht gibt, ist das Konzept meiner Ansicht nach brauchbar und das Ziel, die Freiheit von den Konventionen der Wahrnehmung, sicherlich erstrebenswert.
Zwar ist Castaneda hochgradig "esoterisch" und nicht immer ehrlich, aber bestimmt nicht "weichgespült" - der Weg der Krieger ist hart, schwierig und voller Konflikte.

Das Konzept des "Weges der Krieger", das übrigens - siehe z. B. Zen-Buddhismus - keine Erfindung Castanedas ist - ist, das ist jedenfalls mein Eindruck, bei Coelho bereits "entschärft", bzw. sozusagen "poesiealbumtauglich" gemacht. Den letzten Schritt zur Trivialisierung machten Silbermond - ihr "Krieger des Lichts" hat meiner Ansicht nach mit einem Krieger, einem selbstbestimmten Kämpfer (im Gegensatz zum fremdbestimmten, in eine straffe Kette aus Befehl und Gehorsam eingebundenen Soldaten) herzlich wenig zu tun. Ein Krieger kämpft nur, wenn es sein muss, wenn er es als sinnvoll ansieht und wenn ein Sieg möglich ist. Der "Krieger des Lichts" á la Silbermond ist allenfalls für Lichterketten zu gebrauchen, schon für eine Sitzblockade dürfte er zu konfliktscheu sein.

Wie sich mit dieser Thematik auch musikalisch umgehen lässt, mit scharfen Konturen und Anstößen zum Weiterdenken, Weiterspinnen, Weiterreisen, zeigten vor Jahren schon Thomas D. und die "Fantastischen Vier":
Krieger,
Millionen Legionen und
Mein Schwert (Krieger Part 3).
Nur als Krieger kann man auf dem Pfad des Wissens überleben. Denn die Kunst des Kriegers ist es, den Schrecken, ein Mensch zu sein und das Wunder, ein Mensch zu sein, miteinander im Gleichgewicht zu halten.
"Juan Matus" in Carlos Castaneda - Die Reise nach Ixtlan

Montag, 22. Februar 2010

"Gesunder" Nationalismus und "Hermann"

Ich weiß nicht mehr, von wem der Ausspruch war, es gäbe ebenso wenig einen gesunden Nationalismus wie es gesunden Krebs gäbe. So, wie es es gibt gutartige und bösartige Tumore gibt, gibt es auch vergleichsweise harmlose und mörderisch bösartige Formen des Nationalismus - aber "gesund" kann eine nationalistische Weltsicht meines Erachtens niemals sein. Warum?

Jeder Nationalismus - der durchaus etwas anderes ist, als die Zuneigung zur vertrauten Kultur und Sprache - also auch der "gesunde" Nationalismus, basiert darauf, dass eine "Wir"-Gruppe, etwas "Eigenes", eine Nation oder eine nationale Minderheit oder ein Volk, oder eine Volksgruppe konstruiert wird. Denn "kulturelle Indentität" ist immer "schmuddelig", "verschmiert", "gemischt". Klare Grenzen gibt es nur da, wo sie absichtlich gezogen wurden, und "ethnische Reinheit" nur da, wo "etnisch gesäubert" wurde (also: zwangsumgesiedelt, zwangsbekehrt usw. wurde - oder schlicht und brutal: massenhaft die "nicht passenden" ermordet wurden).

Dieser Konstruktion des Eigenen ist auf die Beschwörungen des Anderen angewiesen, des "Fremden" - besonders wirksam ist der "nationale Zusammenhalt", wenn der "Fremde" ein "Feind" ist.

Vor gut einem Jahr schrob ich drüben auf den Seiten von "Nornirs Ætt":
Arminius ist nicht „Hermann“
.
Mir war schon klar, dass nicht erst seit den "Befreiungskriegen" gegen Napoleons, also der Zeit, in der Heinrich von Kleist sein Propagandastück "Hermannschlacht" verfasste, der Kampf der (sich bestimmt nicht als "Germanen" fühlenden) Cherusker unter Arminius gegen die Römer im Sinne des nationalistischen Feindbildkonstrukts instrumentalisiert wurde. Ich kannte ja schließlich auch z. B. Ulrich von Huttens und Martin Luthers Ansichten zu "Hermann", den "alten Deutschen" und "Rom".

Trotzdem war ich über Johann Elias Schlegels Drama "Hermann. Ein Trauerspiel", erschienen 1743, also zu einer Zeit, in der von einem deutschen Nationalstaat keine Rede sein konnte, und in des es, so dachte ich bisher, keinen "nationalen Feind" gab, überrascht:
"Wer Rom nicht hassen kann, kann nicht die Deutschen lieben. / Was theilest du dein Herz? Sey Treu mit ganzen Trieben: / Sey römisch oder deutsch! Itzt wähle deinen Freund: / Rom, oder deinem Volk sey günstig oder feind."
Das geht im Grunde über die "Nationalpropaganda" Kleists und seiner Zeitgenossen hinaus - denn das Motiv der "Zweckpropaganda" fehlt.

Es ist also offensichtlich so, dass eine deutsche nationale Identität schon zu einer Zeit, in der es "objektiv", von der politischen und gesellschaftlichen Situation her, anscheinend keinen Grund für so ein Konstrukt gegeben haben kann, durch einen ausschließenden Gegensatz zu einem "Erzfeind" konstruiert wurde.
Mir ist nicht klar, was Schlegels Motive waren. Klar ist, dass er an den "antirömischen Affekt" der Reformationszeit (immerhin 200 Jahre früher!) anschloss - und der war antikatholisch motiviert. Also nicht im späteren Sinne "kulturnationalistisch".

Offenbar konnte schon ein Dichter des Rokkoko sich "deutsche kulturelle Identität" nicht ohne "Feindbildkonstrukt" vorstellen. Vielleicht liegt es an dieser Tradition, dass der deutsche Nationalismus sich immer wieder als besonders bösartig erwiesen hat.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Murphys Gesetz und olympische Schadenfreude

Als kleiner Kontrast, und damit das Abendessen wieder schmeckt, ein eher harmloser Fall von "Murphys Gesetz":
Überall hervorragende Pistenbedingungen (t-online vom 17.02.2010).
In den USA meldeten am Valentinstag 50 Staaten Schnee auf ihrem Terrain – eine solche Schneedecke gab es dort zuletzt 1977. Auch Europa kann sich nicht über zu wenig Schnee beklagen. In den meisten Skigebieten der Alpen sind die Bedingungen hervorragend. Sogar im südlichsten Skigebiet Europas, der Sierra Nevada an der spanischen Mittelmeerküste, wurde eine Schneehöhe von vier Metern gemeldet.
Es gibt aber ein Wintersportgebiet, in dem frühlingshafte Temperaturen herrschen, und wo es in niedrigeren Lagen regnet - richtig: Vancouver. Was den Organisatoren der Olympischen Winterspiele einiges Kopfzerbrechen und mir klammheimliche Freude bereitet.
Wieso ich mich ob dieser für Wintersportfans ungünstigen Nachrichten klammheimlich freue, obwohl ich mich durchaus für Wintersport interessiere, wird vielleicht klar, wenn man einen längeren Blick in dieses sehr empfehlenswerte Blog wirft: Annett Vancouver. Darin berichtet eine junge deutsche Autorin und Journalistin über ihr Leben in der westkanadischen Metropole. Und man erfährt interessante Dinge, die es nicht bis in die internationalen Medien schaffen.
Eine kleine Kostprobe:
Montag, 15. Februar 2010 Ich chatte mit einem Bekannten aus Deutschland. Er schaut zeitgleich die Originalübertragung der Wettkämpfe der Snowboarder im deutschen Fernsehen an. Ich überlege einen kurzen Moment, ihm zu erzählen, dass allein dafür, dass der KUNSTSCHNEE im Fernsehen so schön echt aussieht, eine Menge Geld ausgegeben wurde: Man hat ihn für unglaubliche 10 Mio Dollar BLAU färben lassen. Und wie viel hat der Transport bzw. die Erzeugung gekostet? Der Berg Cypress ist seit Mitte Januar wegen Schneemangels gesperrt – der Regen hat vor Wochen schon alles weggewaschen, jetzt sind locker 7 Grad plus und die Osterglocken blühen. Er will, glaub ich, davon nichts hören, sondern guckt nur auf die Loopings der Jungs. Der Chat wird recht schweigsam für eine Weile.
Währenddessen laufen vor dem Fenster der Bibliothek wieder Demonstranten vorbei. Eine weitere Anti-Olympics-Demonstration.
Aber davon wird im Fernsehen sicher nichts berichtet werden …
Oder:
Samstag, 13. Februar Ich wache auf, weil über der Stadt Kampfhubschrauber kreisen. Dazu immer wieder, wie auch in den letzten Tagen, Kampfflugzeuge.
Zu wissen, dass für die Sicherheitsvorkehrungen während der Olympischen Spiele über 100 Mio Dollar ausgegeben werden, verdirbt mir die Laune. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Kulturfonds für die nächsten Jahre um 90 % gekürzt werden, Schulgelder etc. ebenfalls gestrichen. Für diese Spiele wird das Land bitter bezahlen.

Im Fernsehen wird über die ersten Ausschreitungen berichtet. Ich erkenne die Reggaemusiker von der Granvillestreet wieder (und gucke neugierig, ob ich auch auf den Fernsehbildern zu sehen bin). Offensichtlich gehörten sie doch zu den Protestanten. (Hey Jungs, schaut euch mal Kreuzberger Randale an!). Außerdem scheinen ein paar Scheiben bei einem der großen Souvenirläden (Hudson Bay, eine große Kaufhauskette) eingeschlagen worden zu sein. Dafür all die Aufregung?

Mein buddhistischer Freund erzählt mir, dass er zwar auch gegen die Spiele ist und die Protestierenden verstehen kann, aber man darf keinen Groll im Herzen hegen. Man soll gütig und nachsichtig sein … sagt Buddha.
Ich versuche, zu verstehen.
Natürlich ist das sehr subjektiv, und ob es immer den Tatsachen entspricht, kann ich nicht nachprüfen. Es ist aber ein netter - und dabei auch noch gut zu lesender - Kontrast zu der Olympia-Jubel-Berichterstattung; zu einer künstlich befeuerte Euphorie, die weder durch einen tödlichen Unfall noch durch zahlreiche Doping-Skandale gebremst wird.

Bestätigung von Murphys Law - unser Präsi & das Zensursula-Gesetz

"Wenn etwas schief gehen kann, geht es auch schief."
"Murphys Law" ist, dem Ursprung nach, weder ein "Naturgesetz", noch Ausdruck eines tiefen Pessimismus. Es stammt aus dem Denken der Luftfahringenieure, Menschen, für die "Safty First"" aus gutem Grund oberstes Gebot ist (oder jedenfalls sein sollte). Eine pragmatische Erfahrungsregel: "Blindes Vertrauen ist gefährlich".

Dieses Gesetz" ist zumindest in der Politik und zumindest in Deutschland eine zuverlässige Faustregel: man kann sich darauf verlassen, dass unsinnige, bürgerrechtsfeindliche und handwerkliche Gesetze, die wirklich niemand vernüftigerweise wollen will, auch in Kraft gesetzt werden. Diese Gesetze scheitern dann regelmäßig vor dem Verfassungsgericht, was aber nur ein schwacher Trost sein sollte - denn sie werden dann so nachgebessert, dass sie gerade eben noch verfassungsgemäß sind.

Daher kam mir bei dieser Nachricht heute Nachmittag der Kaffee hoch: (Heise) "Bundespräsident unterzeichnet Websperren-Gesetz".
Es wurde wohl es nicht zufällig heute unterzeichnet, denn am "poltischen Aschermittwoch" sind die politisch Interessierten abgelenkt, so dass es möglichst wenige Leute mitbekommen. Das ist der Teil des Ärgernisses, der geplant sein dürfte. Der Rest ist pures Chaos.
Warum hat Köhler das Gesetz unterzeichnet? Er darf die Unterschrift verweigern, wenn das Gesetz dem Grundgesetz nicht entspricht - oder wenn es formal nicht korrekt zu Stande gekommen ist. Tatsächlich hat er von dieser Möglichkeit schon einige Male Gebrauch gemacht.
Hat die Prüfung aber ergeben, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist, hat der Bundespräsident es zu unterschreiben. Anderseits war bisher das Gesetz verfassungsrechtlich durchaus umstritten. Tatsächlich hat Köhler ein Gesetz unterzeichnet, das - angeblich - keiner wollte und das bestimmt keiner mehr braucht. Das Gesetz zwingt, wenn es dann entgegen dem Versprechen (den mehr ist es nicht, und es ist meiner Ansicht nach im Ernstfall nichts Wert) doch angewendet werden sollte, die Provider, eine Zensurinfrastruktur aufzubauen. Wobei es sehr fraglich ist, ob das Zensurgesetz überhaupt technisch umsetzbar.

Die einzig sinnvolle Konsequenz aus der
AK Zensur fordert sofortige Aufhebung des Internet-Sperr-Gesetzes und kündigt Verfassungsbeschwerde an.

Darüber sollte eine andere, noch größere Gefahr, über die viel zu wenig diskutiert wird, nicht übersehen werden: Jugendmedienschutz: Internetfilter durch die Hintertür? (netzpolitik)

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