Freitag, 5. März 2010

Warum es so viele Segelschiffe gab (1) - Im "Goldenen Zeitalter" der Niederlande

Um 1670 fuhren nicht weniger als 15.000 Schiffe unter der Flagge der Vereinigten Niederlande. Das ist keine nostalgische Legende über das Goldene Zeitalter der Niederlande oder eine barocke Übertreibung, sondern eine eher vorsichtige Schätzung. Der Finanz- ,Wirtschafts- und Marineminister des französischen Königs Louis XVI. schrieb den "Holländern" 1660 sogar 16.000 Schiffe zu. Unbestritten waren die Niederlande die führende Seefahrtsnation dieser Ära.

Jeronymus van Diest (II) - Het opbrengen van het Engelse admiraalschip de '
"Die Kaperung des englische Admiralschiffes Royal Charles" Gemälde von Jeronymus van Diest (Quelle: Wikipedia.)

Ein Grund, weshalb es diese gewaltige Anzahl Schiffe gab, lag darin, dass sie relativ klein waren.
Eines der größten Schiffe der damaligen Zeit war die Royal Charles, ein englisches Linienschiff (wie man damals die in Kiellinienformation kämpfenden Schlachtschiffe nannte), das die Niederländer 1667 erbeutet hatten. Sie wurde von den Niederländern nicht in ihre Kriegsflotte übernommen, weil sie für die seichten niederländischen Küstengewässer zu tief ging. 1673 wurde sie abgewrackt.
Die "Royal Charles" hatte eine Tragfähigkeit von ca. 1230 t, die Länge des Kiels betrug ca. 40 m, die Rumpflänge (also ohne den Bugsprit) betrug ca. 53 m, über alles war das Schiff ca. 72 m lang, die Breite betrug ca. 14 m, und der Tiefgang ca. 8 m, die Wasserverdrängung ca. 2130 t. Bewaffnet war sie mit mehr als 80 Kanonen.
Das bedeutet, dass eines der mächtigsten Kriegsschiffe der damaligen Zeit nicht größer als ein heutiges Küstenmotorschiff war!

Eines der größten Kauffahrteischiffe der Niederländischen Ostindischen Kompanie um 1660 war die "Prins Willim" - 51 m Rumpflänge, 68 m Länge über alles, 14,32 m breit, 4 m Tiefgang, 1200 t Verdrängung, und 600 Last Ladekapazität - das war doppelt so viel, wie ein durchschnittliches damaliges Seefrachtschiff tragen konnte.
Beim Vergleich dieser beiden Großsegler fällt auf, dass das Kriegsschiff extrem "in die Höhe" gebaut war, mit drei vollen Batteriedecks, während die "Prins Willim" bei fast gleicher Länge und Breite mit Rücksicht auf die niederländischen Gewässer nur halb so viel Tiefgang hatte, deshalb auch erheblich niedriger und fast 1000 Tonnen leichter war.

Die weit verbreitete Vorstellung, dass damals nur kostbare Luxusgüter über weite Seestrecken transportiert worden wären, aber niemand auf die Idee gekommen wäre, Massengüter durch die halbe Welt zu transportieren, stimmt nicht. Die Niederländer bezogen z. B. Salz aus Bonaire (südliche Karibik), das in großer Menge für die Konservierung von Lebensmitteln (Heringe, Käse) und für die Industrie, besonders Keramik (Delft) und Glas (Leerdam), gebraucht wurde. Die Tropensonne und die Sklavenausbeutung machten die Salzgewinnung in der Karibik erheblich billiger als in den einheimischen, mit Holz befeuerten Salinen. Massengüter, die einen nicht eine ganz so weiten Weg in die holländischen Häfen hatten, waren Holz aus Skandinavien und dem Baltikum (es wurden aber auch Teakholz aus den ostasiatischen Kolonien eingeführt), Getreide und auch Steinkohle. Im 17. Jahrhundert wurden auch Waren, die bisher Luxusgüter gewesen waren, für ein kaufkräftiges Bürgertum erschwinglich - womit auch Zucker, Gewürze, ab etwa 1660 auch Kaffee und Tee "Massengüter" wurden.

Es ist also leicht nachvollziehbar, dass die kleinen Vereinigten Niederlande eine zahlenmäßig große Handelsflotte brauchten. Technisch ermöglicht wurde das durch den quasi industriellen Schiffbau mit vielen standardisierten und vorgefertigten Bauteilen. Der Betrieb so vieler Schiffe war nur möglich, weil z. B. eine typische holländische Fleute, ein Schiff mit immerhin rund 300 Lasten Frachtkapazität, von nur 12 - 16 Mann gesegelt wurde. Auf gleich großen englischen Handelsschiffen dieser Zeit fuhren drei mal so große Besatzungen. Neben der optimierten Takelage trug die "Geheimwaffe" gegen die gefürchtete Mangelkrankheit Skorbut, das Sauerkraut, zum geringeren Personalbedarf niederländischer Hochseesegler bei.

Etwa 2000 der 15.000 bis 16.000 niederländischen Schiffe fuhren nach Übersee. Mindestens 3000 Frachter waren als Küstenschiffe eingesetzt, so dass von 5000 - 7000 "größeren" Kauffahrteischiffen ab etwa 20 m Länge und ab 30 Last Ladekapazität auszugehen ist. Damit ist die Diskrepanz zu anderen Quellen, die von "nur" 5000 niederländischen Schiffen ausgehen, m. E. eine Frage der Definition von "Schiff". MartinM 8. 3.'10

Der beachtliche "Rest" war "Kleinschifffahrt" - kleine Küsten- und Flussschiffe und Fischereifahrzeuge. Als "Schiff" galt dabei ein besegeltes Wasserfahrzeug ab etwa 8 m Rumpflänge mit geschlossenem Deck.

Typisch für die Nordseeregion mit ihren Wattengewässern und vielen schiffbaren Flüssen waren Plattbodenschiffe.
Plattbodenschiffe haben keinen Balkenkiel und ein flaches Unterwasserschiff. Deshalb haben sie einen geringen Tiefgang und können problemlos im Watt bei Ebbe trockenfallen.

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Die aufgeholten Seitenschwerter eines Plattbodenschiffs. (Foto: MartinM)

Charakteristisch für Plattbodenschiffe sind die beiden Seitenschwerter. Es sind drehbar gelagerte Flächen an beiden Seiten des Rumpfes, die je nach Bedarf aufgeholt oder gefiert werden können. Sie verhindern, dass das Schiff nach Lee abdriftet. Beim Segeln wird jeweils das Leeschwert abgesenkt. Seitenschwerter sind mindestens seit dem 15. Jahrhundert bekannt.
Die Geschichte des Plattbodenschiffe lässt sich bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen: Im flämischen Brügge wurde 1899 das Wrack eines 15 Meter langen und 3,5 Meter breiten Schiffs mit flachen Boden, geklinkerten Seiten und einem wahrscheinlich rahgetakeltem Mast entdeckt, das auf das 6. bis 7. Jahrhundert datiert werden konnte.
Die Niederländer setzten Plattbodenschiffe auch in ihren karibischen und indonesischen Kolonien ein.
Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Plattbodenschiffe als Fracht- und Fischereifahrzeuge weit verbreitet, auch heute noch erfreuen sich Plattbodenjachten einer gewissen Beliebtheit.

Plattbodenschiffe sind meistens zwischen 10 und 30 Meter Deckslänge lang und haben einen bis drei Masten. Es gab zahlreiche, sich oft nur in Details unterscheidenden Typen von Plattbodenschiffen. Zu den Haupttypen gehören unter anderem Aak, Barge, Bojer, Bomme, Botter, Doughboot, Ewer, Hengst, Heuer, Hoys, Keel, Mutte, Otter, Poon, Schmack, Schokker, Scow, Somp, Tjalk, Wherry.

Typisch für die meisten Plattbodenschiffe ist, dass sie sowohl seetüchtig, wie dank ihres geringen Tiefganges, "binnentüchtig" sind. Seegängige Plattbodenschiffe, z. B. Aaken, Tjalken und Ewer, verkehrten auf dem Rhein, der Weser und der Elbe, bis tief ins Binnenland.

Schiffe waren in den Niederlanden, mit ihren zahlreichen Flussläufen, Inseln und schiffbaren Kanälen, ein wichtiges regionales Transportmittel. Tatsächlich war dieses enge Wasserstraßennetz in einer Zeit, in der es noch keine Eisenbahn gab, ein enormer wirtschaftlicher Standortvorteil.

Teil 2: Die schwimmenden LKW

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