Mittwoch, 24. Februar 2010

Weichspül-Esokrieger

An und für sich habe ich nichts gegen die Band "Silbermond". Seit einige Wochen läuft aber ein "Silbermond"-Song im Dudelfunk, bei dem ich es sehr bedaure, nicht einfach im "Hulk"-Stil die Quelle der unfreiwilligen Dudelfunkbeschallung gründlich und nachhaltig zu eliminieren. (Dass ich Dudelfunk überhaupt - unfreiwillig - höre, verdanke ich Kollegen, die auf ein musikalisches Hintergrundrauschen bei der Arbeit nicht verzichten möchten, und auch Ladenbesitzern, die offenbar leider zurecht vermuten, dass viele ihrer Kunden auf Akustik-Smog konditioniert sind.)
Es geht um den Song "Krieger des Lichts", wobei mir weniger die nette, aber etwas nichtssagende, Melodie, als vielmehr der Text auf die Gehörnerven fällt.

Zugegeben, Silbermond erreichen bei weitem nicht die textliche Penetranz etwa eines Xavier Naidoo, mit dem sie übrigens auch schon einmal gemeinsam einen Song aufnahmen. Allerdings ist dessen, sagen wir einmal, offensiv vertretene, sagen wir mal, radikale Religiosität und seine demonstrative Betroffenheit über diese böse Welt schwer zu toppen und zumindest im deutschen Sprachraum weitgehend konkurrenzlos.

Wieso aber fällt mir der Text von "Krieger des Lichts" so sehr auf die Nerven? Immerhin ist er nicht völlig banal - was ihn von schätzungsweise 9 von 10 Popsongs oder Schlagern unterscheidet - und vielen Aussagen kann ich problemlos zustimmen.
Vielleicht liegt das an meiner im Laufe der Jahre stetig gewachsen Aversion gegen "Weichspül-Esoterik". Unter "Weichspül-Esoterik" verstehe ich eine gefällige, unverbindliche, niemanden weh tuende, nichts fordernde und allen recht sein wollende, sich vor harte Aussagen drückende Form der, nun ja, "Esoterik".

Stefanie Kloß, die Sängerin der Band, wurde von Paulo Coelho und seinem "Handbuch für den Krieger des Lichts" inspiriert. Coelho ist ein Mensch, den ich, aufgrund seines Lebensweges und seiner Haltung sehr respektiere, obwohl ich kein Fan seiner Bücher bin. Dass ich das "Handbuch für den Krieger des Lichts" nach einige Kapiteln beiseite legte, ist eine Frage meines persönlichen literarischen Geschmacks, weniger einer der schriftstellerischen, philosophischen oder spirituellen Qualität Coelhos.

Coelhos ist übrigens stark von Carlos Castaneda und seinem "Weg der Krieger" inspiriert. Castaneda hatte zwar Einiges über schamanisches Reisen zu sagen, aber war auch - so schätze ich ihn jedenfalls ein - ein notorischer Hochstapler und Fälscher. Seine Werke sollten deshalb sehr kritisch gelesen werden - aber leider werden sie nur selten kritisch gelesen.

Nach Castaneda ist "Der Weg der Krieger" eine Lebenseinstellung, die nichts mit Akten kollektiver Gewalt oder individueller Dummheit zu tun hätte - also nichts mit "Kriegführen" im alltagssprachlichen Sinne. Der Weg der Krieger soll demjenigen, der ihm folgt, körperliche, geistige und charakterliche Stärke geben, damit er die sich ihm in den Weg stellenden Schwierigkeiten erträgt und sich nicht von außergewöhnlichen Ereignissen und Wahrnehmungen aus der Bahn werfen lässt. Auf diesem Pfad erwirbt der Krieger die Energie, die er (oder sie, auch wenn Castaneda eher von einem männlichen Krieger auszugehen scheint) braucht, um in unbekannte Welten einzutreten, sich mit Unendlichkeit auseinanderzusetzen. Auch wenn Castaneda meiner Ansicht nach munter Zen-Buddhismus mit indianischer Spiritualität mischt, und ich den Verdacht habe, dass es diesen "Pfad" in der traditionellen schamanischen Kultur der Yaqui gar nicht gibt, ist das Konzept meiner Ansicht nach brauchbar und das Ziel, die Freiheit von den Konventionen der Wahrnehmung, sicherlich erstrebenswert.
Zwar ist Castaneda hochgradig "esoterisch" und nicht immer ehrlich, aber bestimmt nicht "weichgespült" - der Weg der Krieger ist hart, schwierig und voller Konflikte.

Das Konzept des "Weges der Krieger", das übrigens - siehe z. B. Zen-Buddhismus - keine Erfindung Castanedas ist - ist, das ist jedenfalls mein Eindruck, bei Coelho bereits "entschärft", bzw. sozusagen "poesiealbumtauglich" gemacht. Den letzten Schritt zur Trivialisierung machten Silbermond - ihr "Krieger des Lichts" hat meiner Ansicht nach mit einem Krieger, einem selbstbestimmten Kämpfer (im Gegensatz zum fremdbestimmten, in eine straffe Kette aus Befehl und Gehorsam eingebundenen Soldaten) herzlich wenig zu tun. Ein Krieger kämpft nur, wenn es sein muss, wenn er es als sinnvoll ansieht und wenn ein Sieg möglich ist. Der "Krieger des Lichts" á la Silbermond ist allenfalls für Lichterketten zu gebrauchen, schon für eine Sitzblockade dürfte er zu konfliktscheu sein.

Wie sich mit dieser Thematik auch musikalisch umgehen lässt, mit scharfen Konturen und Anstößen zum Weiterdenken, Weiterspinnen, Weiterreisen, zeigten vor Jahren schon Thomas D. und die "Fantastischen Vier":
Krieger,
Millionen Legionen und
Mein Schwert (Krieger Part 3).
Nur als Krieger kann man auf dem Pfad des Wissens überleben. Denn die Kunst des Kriegers ist es, den Schrecken, ein Mensch zu sein und das Wunder, ein Mensch zu sein, miteinander im Gleichgewicht zu halten.
"Juan Matus" in Carlos Castaneda - Die Reise nach Ixtlan

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