Religion, Magie, Mythen

Mittwoch, 24. Februar 2010

Weichspül-Esokrieger

An und für sich habe ich nichts gegen die Band "Silbermond". Seit einige Wochen läuft aber ein "Silbermond"-Song im Dudelfunk, bei dem ich es sehr bedaure, nicht einfach im "Hulk"-Stil die Quelle der unfreiwilligen Dudelfunkbeschallung gründlich und nachhaltig zu eliminieren. (Dass ich Dudelfunk überhaupt - unfreiwillig - höre, verdanke ich Kollegen, die auf ein musikalisches Hintergrundrauschen bei der Arbeit nicht verzichten möchten, und auch Ladenbesitzern, die offenbar leider zurecht vermuten, dass viele ihrer Kunden auf Akustik-Smog konditioniert sind.)
Es geht um den Song "Krieger des Lichts", wobei mir weniger die nette, aber etwas nichtssagende, Melodie, als vielmehr der Text auf die Gehörnerven fällt.

Zugegeben, Silbermond erreichen bei weitem nicht die textliche Penetranz etwa eines Xavier Naidoo, mit dem sie übrigens auch schon einmal gemeinsam einen Song aufnahmen. Allerdings ist dessen, sagen wir einmal, offensiv vertretene, sagen wir mal, radikale Religiosität und seine demonstrative Betroffenheit über diese böse Welt schwer zu toppen und zumindest im deutschen Sprachraum weitgehend konkurrenzlos.

Wieso aber fällt mir der Text von "Krieger des Lichts" so sehr auf die Nerven? Immerhin ist er nicht völlig banal - was ihn von schätzungsweise 9 von 10 Popsongs oder Schlagern unterscheidet - und vielen Aussagen kann ich problemlos zustimmen.
Vielleicht liegt das an meiner im Laufe der Jahre stetig gewachsen Aversion gegen "Weichspül-Esoterik". Unter "Weichspül-Esoterik" verstehe ich eine gefällige, unverbindliche, niemanden weh tuende, nichts fordernde und allen recht sein wollende, sich vor harte Aussagen drückende Form der, nun ja, "Esoterik".

Stefanie Kloß, die Sängerin der Band, wurde von Paulo Coelho und seinem "Handbuch für den Krieger des Lichts" inspiriert. Coelho ist ein Mensch, den ich, aufgrund seines Lebensweges und seiner Haltung sehr respektiere, obwohl ich kein Fan seiner Bücher bin. Dass ich das "Handbuch für den Krieger des Lichts" nach einige Kapiteln beiseite legte, ist eine Frage meines persönlichen literarischen Geschmacks, weniger einer der schriftstellerischen, philosophischen oder spirituellen Qualität Coelhos.

Coelhos ist übrigens stark von Carlos Castaneda und seinem "Weg der Krieger" inspiriert. Castaneda hatte zwar Einiges über schamanisches Reisen zu sagen, aber war auch - so schätze ich ihn jedenfalls ein - ein notorischer Hochstapler und Fälscher. Seine Werke sollten deshalb sehr kritisch gelesen werden - aber leider werden sie nur selten kritisch gelesen.

Nach Castaneda ist "Der Weg der Krieger" eine Lebenseinstellung, die nichts mit Akten kollektiver Gewalt oder individueller Dummheit zu tun hätte - also nichts mit "Kriegführen" im alltagssprachlichen Sinne. Der Weg der Krieger soll demjenigen, der ihm folgt, körperliche, geistige und charakterliche Stärke geben, damit er die sich ihm in den Weg stellenden Schwierigkeiten erträgt und sich nicht von außergewöhnlichen Ereignissen und Wahrnehmungen aus der Bahn werfen lässt. Auf diesem Pfad erwirbt der Krieger die Energie, die er (oder sie, auch wenn Castaneda eher von einem männlichen Krieger auszugehen scheint) braucht, um in unbekannte Welten einzutreten, sich mit Unendlichkeit auseinanderzusetzen. Auch wenn Castaneda meiner Ansicht nach munter Zen-Buddhismus mit indianischer Spiritualität mischt, und ich den Verdacht habe, dass es diesen "Pfad" in der traditionellen schamanischen Kultur der Yaqui gar nicht gibt, ist das Konzept meiner Ansicht nach brauchbar und das Ziel, die Freiheit von den Konventionen der Wahrnehmung, sicherlich erstrebenswert.
Zwar ist Castaneda hochgradig "esoterisch" und nicht immer ehrlich, aber bestimmt nicht "weichgespült" - der Weg der Krieger ist hart, schwierig und voller Konflikte.

Das Konzept des "Weges der Krieger", das übrigens - siehe z. B. Zen-Buddhismus - keine Erfindung Castanedas ist - ist, das ist jedenfalls mein Eindruck, bei Coelho bereits "entschärft", bzw. sozusagen "poesiealbumtauglich" gemacht. Den letzten Schritt zur Trivialisierung machten Silbermond - ihr "Krieger des Lichts" hat meiner Ansicht nach mit einem Krieger, einem selbstbestimmten Kämpfer (im Gegensatz zum fremdbestimmten, in eine straffe Kette aus Befehl und Gehorsam eingebundenen Soldaten) herzlich wenig zu tun. Ein Krieger kämpft nur, wenn es sein muss, wenn er es als sinnvoll ansieht und wenn ein Sieg möglich ist. Der "Krieger des Lichts" á la Silbermond ist allenfalls für Lichterketten zu gebrauchen, schon für eine Sitzblockade dürfte er zu konfliktscheu sein.

Wie sich mit dieser Thematik auch musikalisch umgehen lässt, mit scharfen Konturen und Anstößen zum Weiterdenken, Weiterspinnen, Weiterreisen, zeigten vor Jahren schon Thomas D. und die "Fantastischen Vier":
Krieger,
Millionen Legionen und
Mein Schwert (Krieger Part 3).
Nur als Krieger kann man auf dem Pfad des Wissens überleben. Denn die Kunst des Kriegers ist es, den Schrecken, ein Mensch zu sein und das Wunder, ein Mensch zu sein, miteinander im Gleichgewicht zu halten.
"Juan Matus" in Carlos Castaneda - Die Reise nach Ixtlan

Dienstag, 16. Februar 2010

Fasten und "7 Wochen ohne"?

Fasten kann sinnvoll sein.
Damit meine ich durchaus nicht das Heilfasten zu medizinischen Zwecken, sondern Fasten, um eine sprituelle Erfahrung, etwa im Zuge einer Visionssuche, zu machen. Fasten fördert die Wahrnehmung, schärft die Aufmerksamkeit.

In der traditionellen (katholischen) "Fastenzeit" vor Ostern wird tatsächlich nicht gefastet - das hielte auch niemand über sieben Wochen durch - sondern es wird der Genuss bestimmter "sündige" Nahrungsmittel, vor allem Fleisch, verboten. Es ist also streng genommen kein Fasten, sondern ein Entsagen, eine Zeit der Enthaltsamkeit. Das traf sich jahreszeitlich insofern gut, da früher der Spätwinter tatsächlich eine Zeit des Mangels war.
Vermutlich geht es bei dieser Zeit der Entsagung nicht um spirituelle Erfahrung, sondern um das Einhalten von Regeln, die "man" einzuhalten hat. Im Extremfall also um ein Unterwerfungsritual. Askese aus Angst vor Gott, aus Gehorsam vor der Obrigkeit, um dem Pfarrer zu gefallen und um sich nicht dem Gerede der Nachbarn auszusetzen. Oder einfach, weil "man" als guter Katholik eben fastet, ohne den Brauch irgendwie zu hinterfragen.
In der evangelischen Kirche gibt es hingegen keine festen Fastenregeln. Obwohl Martin Luther selbst fastete, war er gegen Fasten als Verpflichtung und lehnte die Vorstellung, Askese sei ein edles Werk, das einem dem Himmel näher brächte, ab.

Seit einige Jahren gibt es eine evangelische Fastenaktion, genannt "7 Wochen ohne". Eine Aktion, deren Sinn sich mir nie so recht entschließen mochte. Nun ja, ich bin böser Heide, also muss ich auch nicht immer verstehen, was so einen Christenmenschen an und umtreibt. Ich habe jedoch den Verdacht, dass es für viele, die an "7 Wochen ohne" teilnehmen, nicht ums Fasten, sondern eine zeitweilige demonstrative Verzichts-Aktion ginge. Etwa, um sich und anderen zu beweisen, dass man ganz gut ohne Fernsehen, Fleisch, Tabak, Süßigkeiten oder Alkohol auskäme. Ein klein wenig ist das vielleicht dann doch so wie bei den Katholiken - fasten nicht für einen selbst, sondern für das Ansehen unter seinesgleichen.
Dabei ist gegen bewusste Entsagung wenig zu sagen. Aber warum dann, zum Beispiel, sieben Wochen ohne Alkohol leben und dann wieder zechen? Wenn das Trinken zum Problem wird - was nicht gleich Alkoholismus sein muss - dann ist Alkoholverzicht auf Dauer angebracht. Es kann auch sinnvoll sein, auf Dauer weniger Alkohol zu trinken. Einsehbar ist es für mich auch, für einen bestimmten Zweck und ein Ziel zeitweilig keinen Alkohol zu trinken - im Falle der Spiritualität vielleicht, weil ich einen klaren Kopf brauche.

Von charismatischen Christen wird der "7 Wochen ohne"-Aktion manchmal vorgeworfen, es wäre "Fasten light" oder "Fast-Food-Spritualität". Obwohl ich mit charismatischen Christen wohl selten einer Meinung sein dürfte, in diesem Fall leuchtet mir das schon ein.
Auf der "7 Wochen Ohne"-Website heißt es dann ja auch:
Es ging den Fastenden allerdings mehr darum, einen persönlichen, spirituellen Mehrwert zu erreichen, als nur einige Wochen dem Konsum abzuschwören.
Nun ja, selbst ein Morgenspaziergang kann, entsprechende Offenheit vorausgesetzt, eine sprituelle Erfahrung sein. Aber die Vorstellung eines "spirituellen Mehrwertes" durch zeitweilige Alkohol-Abstinenz oder Fernsehverzicht erscheint mir trotzdem ziemlich dünn zu sein.
Hier geht es nicht so sehr darum, was man weglässt in den vierzig Tagen vor Ostern, es geht ums „Ohne“. Wenn wir Sie einladen, sieben Wochen auf etwas zu verzichten, dann nicht um besonders hart oder gar asketisch gegen sich selber vorzugehen.
Echtes Fasten geht nicht ohne eine gewisse "Härte gegen sich selbst", wobei die Grenze zur Selbstquälerei nicht überschritten werden sollte, weshalb es denn auch kaum länger als ein paar Tage dauern sollte.

Erst recht bizarr, wenn auch sicher gut gemeint, ist die diesjährige Fastenaktion. sieben Wochen ohne Scheu.
Die Fastenaktion »7 Wochen Ohne« im Jahr 2010 will Sie ermuntern zum Wagnis und zum Luxus leibhaftiger Nähe. Sie will Raum schaffen, Ihnen Worte und Bilder mit auf den Weg geben, für ein Streitgespräch, einen Krankenbesuch oder eine überfällige Liebeserklärung. Für alles, was nicht in eine SMS oder E-Mail passt. »Näher!«, lautet unser Lockruf, mit dem wir Sie einladen, Robinson’sche Einsamkeiten aufzugeben, Bündnisse auszuhandeln, Überraschungsbesuche zu machen, eingeschlafene Kontakte aufzuwecken und einander die Freundschaft zu erklären. Wagen Sie sich aus der Deckung und richtig nah dran, kosten Sie beides aus: die Gänsehaut des Genusses wie der Gefahr. Erkunden Sie die eigenen Grenzen wie auch die Ihrer Nächsten, ignorieren Sie sie nicht, aber prüfen Sie eine Verlegung: hin zu mehr Berührung, mehr Begegnung, mehr Zusammen.
Ich hoffe sehr, dass es in meiner Umgebung möglichst wenig Teilnehmer an dieser Aktion gibt. Und das nicht etwa aus pathologischer Kontaktscheu, oder weil ich ein ausgesprochener Einzelgänger wäre. Aber manchmal bin ich ganz gern allein. Es gibt einige Sorten Sozialkontakt, die ich als aufdringlich empfinde - und eine, die auch meine "Grenzen erkundet", gehört, fürchte ich, dazu.

Nehmen wir doch einfach einmal "7 Wochen ohne" beim Wort, wenn es auf das "Ohne" ankommt, und nicht auf die Askese.
Wie wäre es mit freiwillig "7 Wochen ohne Arbeit" - womit ich keinen Urlaub meine? Unfreiwillig machen das mehr Menschen, als ihnen lieb ist, diese Erfahrung, und nach meine Arbeitslosigkeitserfahrungen überschreiten sieben Woche den Zeitraum, in dem das "Zuhause sein" noch als ein durchaus angenehmes "frei haben" erlebt wird. Wer sich in dieser Situation nichts zu Tun verschafft, geht dabei meiner Ansicht nach vor die Hunde. Wobei die offiziell propagierte Einstellung, doch einfach die Arbeitssuche zum "Vollzeitjob" zu machen, bei längerer Dauer, etwa von der 50. Absage an aufwärts, auch nicht wirklich psychisch hilfreich ist.
Vor der Aktion "7 Wochen ohne Waschen" würde ich eher abraten, hingegen können "7 Wochen ohne Krawatte" angenehm sein. Bei der derzeitigen Witterung nicht unbedingt empfehlenswert wäre "7 Wochen ohne Socken". Im Sommer geht so eine Aktion ganz gut. Es kommt ja schließlich nur auf das "Ohne" an ...

Sonntag, 17. Januar 2010

Gott spiegelt das Ich

Es ist in der letzten Jahren Mode geworden, abstrakte metaphysische Phänomene wie Religiosität mit den Methoden der Neurobiologie zu untersuchen - vorzugsweise mit bildgebenden Verfahren wie MRT oder PET. Schon aus dieser Formulierung ist ablesbar, dass ich diesem Ansatz gegenüber deutlich skeptisch bin und ihn für doch arg reduktionistisch halte.
Trotz meiner Skepsis gegenüber derartigen Untersuchungen erscheint mir eine dieser Untersuchungen cum grano salis bemerkenswert. Gläubige projizieren eigene Gedankenwelt auf Gott (wissenschaft-online.de).
Gläubige Menschen übertragen unbewusst ihre eigenen moralischen und ethischen Vorstellungen in den Wertecodex, den sie als von ihrem Gott gegeben betrachten. Diese spätestens seit Feuerbach im Raum stehende These wurde durch eine Studie von Nicholas Epley (University of Chicago) und seinen Kollegen erhärtet.
Die Wissenschaftler befragten ihre überwiegend christlichen Probanden zu Themen wie der Todesstrafe, Abtreibung oder gleichgeschlechtlichen Ehen. Anschließend mussten die Teilnehmer die vermutete Haltung ihres Gottes einschätzen und mit der bekannter Persönlichkeiten (wie George W. Bush, dessen Ansichten allgemein bekannt sein dürften - oder Bill Gates, bei dem man bei solchen Fragen auf Vermutungen angewiesen ist) oder des "Durchschnittsamerikaners" vergleichen. Die Probanden nahmen ihre eigene Meinung als gottesnah wahr. Ähnlich schnitt die Einstufung der Meinung von Personen ab, die ein hohes öffentliches Ansehen genießen.

Mit Gehirnscans (MRT) zeigten die Forscher, dass bei der Einschätzung der Meinung von im Mittel negativer bewerteten Durschnittsamerikanern andere Hirnareale aktiv werden, als bei der Bewertung der eigenen oder der göttlichen Meinung. Betroffen sind dabei vor allem der mittlere präfrontale Kortex, der Precuneus und die Schläfenlappen, wo unter anderem die Meinung Anderer bewertet wird. Die Aktivitätsmuster wichen besonders deutlich ab, wenn die Bewerteten von den Probanden als "ungläubig" eingestuft wurden.
Nach Ansicht der Forscher spielt das Selbst bei der Entstehung des Glaubens eine größere Rolle als bisher angenommen. Ergänzung: als bisher von vielen Neurowissenschaftlern angenommen wurde. Gott wird, das folgern die Wissenschaftler aus ihre Untersuchung, also nicht wie eine andere Person "verarbeitet", sondern ist eine Projektion der eigenen Einstellungen. Die Intuition von "Gottes Willen" scheint das Echo der eigenen Ansichten zu sein.
Der Glaube an die "göttliche Meinung" könne als Verstärker dienen, um die eigene Gedankenwelt zu bestätigen und zu rechtfertigen. Anders ausgedrückt: Gläubige verstärken ihre persönlichen Meinungen mit dem ultimativen Autoritätsargument (Gott) in ihrem Ärmel - und tun dies offensichtlich unbewusst.
Wichtig erscheint mir die Feststellung, dass Epley betont, dass die Studie ausschließlich mit überwiegend christlichen Amerikanern durchgeführt wurde, und sie deshalb nicht automatisch auf alle "Weltreligionen" übertragbar sei. Wobei es interessant ist, was das Chicagoer Team unter "Weltreligionen" versteht. Mich würde z. B. eine Vergleichsuntersuchung mit überzeugten Atheisten mehr interessieren, als etwa mit gläubigen Moslems.
"Menschen benutzen egoistische Informationen, um auf Gottes Wille zu schließen, weil sie annehmen, dass die Meinungen religiöser Wesen wahr sind, und weil jeder Mensch denkt, dass seine Meinung richtig ist", heißt es in der Studie.

Ich teile nicht die Ansicht, dass jeder Mensch denkt, dass seine Meinung richtig sei - jedenfalls nicht immer. Nach meiner subjektiven und durch keine Studien gedeckten Ansicht hegen die meisten Menschen zumindest gelegentlich Selbstzweifel. (Von Ideologen einschließlich religiöser Fundamentalisten, die Selbstzweifel verdrängen, weil sie Zweifel für Verrat halten, und Narzisten, denen die Fähigkeit zur Selbstkritik irgendwie abhanden gekommen ist, vielleicht einmal abgesehen.) Ich vermute, dass Atheisten stärkere und häufiger Selbstzweifel hegen, als stark religiöse Menschen - dass also neben allgemeiner Skepsis auch die Skepsis gegenüber dem eigenen Denken und Fühlen zu Atheismus oder wenigstens Agnostik führt.

Für mich selbst kann ich sagen, dass ich kein Atheist bin (auch wenn das vielleicht das Vernünftigste wäre - nur ein metaphysisches Konstrukt, und das ist die "Vernunft"), sondern mich irgendwo zwischen Pantheismus, Panpsychismus und Polytheismus bewege. (In praktische Dingen eher Polytheismus.) Dabei erscheint es mir wichtig, dass ich durchaus einer anderen Ansicht sein kann, als der eine oder andere Gott. Odin hat ja niemals behauptet, und auch niemand, der ihn kennt, würde von ihm behaupten, er sei jederzeit gerecht. Die Vorstellung, dass jemand zu Loki beten würde"dein Wille geschehe", erscheint mir so absurd, dass ich schon beim Gedanken daran vor Lachen kaum halten kann. Meinungsverschiedenheiten unter Göttern sind in jedem mir bekannten Pantheon an der Tagesordnung.
Ich vermute daher - oder stelle die religionshistorische These auf - dass die Entwicklung des Monotheismus eng mit der Unterdrückung von Zweifeln und der Kanalisierung von Selbstzweifeln zu tun hat. Lese ich z. B. Augustinus "Confessiones"- dieser spätantike Philosoph gilt immerhin als "Kirchenlehrer" - dann fällt mir auf, wie Augustinus mit Selbstzweifel (er hatte übrigens ziemlich viele) umgeht - was dazu führte, dass er sich geradezu verzweifelt an Gott klammerte, und, nachdem er aus dieser Umklammerung Gewissheit geschöpft hat, als typischer Ideologe nicht nur Zweifel, sondern auch und vor allem Zweifler bekämpfte. Der gute Mann muss ein unerträglicher Streithammel und Rechthaber gewesen sein.

Bleibt noch die Feststellung: jede Glaubensgewissheit ist rein subjektiv und allein für den Gläubigen relevant. Relevant ist allein, wie sich ein Mensch gegenüber seiner Umwelt und seinen Mitmenschen verhält. Es muss also niemand darüber besorgt sein, dass ich es mit dem altnordischen Pantheon (unter vielem anderen) habe, Neoschamanismus praktiziere oder ein pragmatisch-praktisches Verhältnis zu dem pflege, was mangels eines besseren Wortes "Magie" genannt wird. Anderseits hat niemand allein deshalb einen Symphathievorschuss, weil er oder sie ähnliche "religiöse" Auffassungen hat wie ich.

Zum Abschluss die Hauptaussagen (ich würde eher sagen: Thesen) die der Feuerbringer aus dem Schwerpunktartikeln der Januarausgabe der "Bild der Wissenschaft" destilliert:

1. Religiosität ist wahrscheinlich ein Nebenprodukt, keine Adaption. Es gibt also kein „Gottes-Gen“.

2. Religiosität hat nichts zu tun mit der höheren Kinderzahl von Anhängern bestimmter Religionen.

3. Es gibt kein Gott-Modul im Kopf, vielmehr ist Religiosität ein mögliches Resultat ganz normaler Hirnfunktionen.

4. Religion hat mit Vernunft nichts zu tun, eher im Gegenteil.

5. Wahnsinn und starke Religiosität haben viel gemeinsam.

6. Die Religiosität einer Gesellschaft hängt stark mit hoher Einkommensungerechtigkeit zusammen. Wahrscheinlich verstärkt Religiosität die Ungerechtigkeit und diese verstärkt wiederum die Religiosität.

7. Auf individueller Ebene führt eine höhere persönliche Unsicherheit und Autoritätsgläubigkeit zu mehr Glauben.

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Göttliches Geflügel zum Jahresausklang

Während der Raunächte vermeide ich unnötigen Stress. Deshalb erspare ich mir auch (weitgehend) das Festtagsprogramm im Fernsehen - womit ich mir nicht nur zahllose langweilige Rückblicks- und Ausblickssendungen, Wiederholungen abgenudelter "Festtagsklassiker", sentimental-schnulziger "Volks"- "Musik"- Sendungen, in denen unschuldige Weihnachtslieder vor laufender Kamera brutal misshandelt und vergewaltigt werden, und heuchlerische Weihnachts- und Neujahrsansprachen erspare, sondern auch seichte Silvester-Shows und die sich Jahr um Jahr gleichenden obligatorischen Jahreswechselthemen.

David Harnasch vom "Cicero" hat sich, im Gegensatz zu mir, mutig dem medialen Festtagsmüll Weihnachtsprogramm gestellt. (Ja, der Job als Fernsehkritiker ist manchmal nicht einfach.) Dabei stieß er auf eine "Wissenschafts"-"journalistische" Sendung im ZDF, die es - unglaublich, aber wahr - tatsächlich schafft, "Gallileo-Mystery" auf Pro 7 im Niveau zu unterbieten. Gott weiß, ich will kein Engel sein.

Dass auch das ZDF auf der Esoterikwelle mitschwimmt, ist ebensowenig verwunderlich, wie dass es als (kirchennaher) Sender dabei die christlich-verbrämte "Engel"-Variante bevorzugt. Erstaunlich ist allenfalls, dass das im Rahmen einer "Wissenschafts"-Doku zu Engeln geschieht, die offensichtlich weitgehend auf "trockene" Wissenschaftlichkeit (Religionswissenschaft, Kulturgeschichte usw.) verzichtet und statt dessen einer geschäftstüchtigen Eso-Autorin, die mit ihren "Engelkarten" auch eine christentums-kompatible Tarot-Imitation schuf, als "Expertin" reichlich Raum zur Selbstdarstellung gibt.

Nehmen wir einmal an, ich würde als "Experte" in so einer Sendung auftauchen. Das ist so unrealistisch nicht - zum Beispiel erhielt ich im Sommer von der "Gallileo"-Redaktion eine Anfrage, ob ich als Experte für eine Sendung über Fakire zur Verfügung stünde. Ich lehnte mit dem Hinweis ab, dass ich zwar vor Jahren einmal einen Artikel über dieses Thema verfasst hätte, aber mein damals durch Literaturrecherche erworbenes Wissen nicht wesentlich über den Inhalt des Artikels hinausginge. Anders gesagt: Es wäre pure Hochstapelei, wenn ich mich als Experte für Fakire ausgeben würde. Meine einzige "Expertise" besteht darin, zu wissen, wo man was nachschlagen kann - also eine journalistische Grundfähigkeit.

Da ich bekanntlich böser Heide bin, und es nicht so mit den Engeln habe, hätte ich mich natürlich eher zum Thema "Fylgien" geäußert. Ich fürchte aber, dass ich, wenn ich tatsächlich sinngemäß die selben Formulierungen wie Alexa Kriele gebraucht hätte, als Beispiel dafür herhalten würde, was für ein bekloppter Schwachsinn von neugermanischen Spinnern geglaubt würde.
(Abgesehen davon wäre meine Fylgia ganz schön sauer auf mich gewesen breites Grinsen.)

Sonntag, 29. November 2009

"Religiöse Rechte" im toten Winkel

Im politischen Leben der USA gibt es schon lange den Begriff der "Religious Right" oder genauer Christian Right. Er beschreibt als Sammelbegriff Menschen, die aus religiöser Überzeugung (oder auch mit nachgeschobener religiösen Begründung) politisch sehr konservative bis reaktionäre Positionen vertreten.
Der Einfluss der konservativen evangelikalen Christen auf die politische Landschaft der USA verursacht bei allen ein flaues Gefühl, die selbst keine konservative evangelikale Christen sind.

Wir im gesellschaftlich weitgehend säkularen Deutschland neigen gerne dazu, die "Religiöse Rechten" für ein Phänomen des "Bibelgürtels" der USA zu halten. Weit gefehlt!

Tatsächlich haben die "großen Kirchen" in Deutschland eine politische und gesellschaftliche Machtstellung inne, die demokratisch nicht legitimiert ist. Ein Beispiel: In Deutschland müssen die Kirchen keine Spenden oder Mitgliedsbeiträge für sich sammeln, weil der Staat sie als Steuern für sie eintreibt. Deshalb sind sie auch nicht darauf angewiesen, so lautstark für sich Reklame zu machen, wie die Kirchen in der USA - dem ersten Land der Erde, in dem die Trennung von Staat und Kirche in die Verfassung aufgenommen wurde. Tatsächlich ist die Kirchensteuer nur die Spitze des Eisbergs im "Kirchenstaat Deutschland" Wer finanziert die Jesus GmbH? (jungle world)
Es gibt keinen vernünftigen Grund für die weitreichenden Privilegien der Kirchen.

Eine Hochburg der deutschen "Religiösen Rechte" ist interessanterweise Hessen. Nicht, weil es in Hessen besonders viele besonders fromme konservative Christen gäbe. Auch nicht, weil die hessische CDU, ähnlich der bayrischen Schwesterpartei CSU das "C" im Parteinamen besonders herausstellen würde.
Nein, der Einfluss konservativer Christen funktioniert nach dem auch von anderen Gruppierungen bekannten Prinzip des Klüngeln, Filzens und Einblasens. Er funktioniert vor allem aufgrund schon lange "eingeschliffener" Strukturen. Er funktioniert übrigens über Konfessiongrenzen hinweg - was konservative Christen eint, ist ihre Abneigung gegen alle, die der Idee einer "chrlstlichen Leitkultur" oder einer "christlichen Wertegemeinschaft" nichts abgewinnen können.
Es war wohl alles andere als ein Zufall, dass gerade in Hessen 2007 die damalige Kultusministerin Karin Wolff auf die eines amerikanischen "Christian Right" aus dem tiefen Süden "würdige" absurde Idee kam, man möge im Biologie-Unterricht auch die biblische "Schöpfungslehre" behandeln. Kreationismus im Biologie-Unterricht (hpd).
Das wäre in etwa so, als sollte in Erdkunde oder Astronomie auch das geozentrische Weltbild behandelt werden, weil es nun einmal besser mit den Aussagen der Bibel übereinstimmt, als das nach der Kopernikanischen Wende in der glaubensfernen Naturwissenschaft üblich gewordene. Ich stelle mir vor, was geschähe, wenn ich als Politiker fordern würde, dass in Biologie unterrichtet werden möge, wie Odin, Hœnir und Loðurr die ersten Menschen Askr und Embla aus am Strand angetriebenen Baumstämmen, einer Eibe und einer Ulme, schufen. Ich gehe jede Wette ein, dass ich nicht nur Minuten später alle Ämter los wäre und das Parteiausschlussverfahren eingeleitet würde, sondern unter Umständen müsste ich sogar mit einer Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik rechnen. Und das, obwohl ich "nur", genau wie Frau Wolff, wissenschaftliche Theorien und Mythologie durcheinander geworfen hätte.

Eine Struktur, die zwar nicht "religiös rechts" ist, aber sehr zum gedeihen religiös-konservativer Seilschaften beiträgt, ist die veröffentlichte Meinung.
Ich halte es auch nicht für einen Zufall, dass im hessischen Landtagswahlkampf im Januar 2009 der Linke-Kandidat Günter Biernoth in der Presse in die "Spinner-Ecke" gestellt wurde:
Auch ein Hexenmagier kandidiert (FR)
Üble Nachreden und Hexenkult: Linke in Hessen zerlegt sich (Bild.de)
Austritte erschüttern Hessens Linke (SpOn) unter: "Kuriose Leute arbeiten für die Fraktion"
Verraten und verkauft - Streit und Austritte bei der Linksparte (sueddeutsche.de)
Heidnischer 'Priester' will für 'Linke' in den hessischen Landtag (kath.net)

Nachtrag: Besonders hämisch äußerte sich eine Anti-"Linke" "Initiative" im hessischen Wahlkampf: DIE LINKE - Mit "schwarzer Magie" in den Landtag?

Günter Biernoth ist schon seit Jahrzehnten politisch engagiert, bei der SPD, den "Grünen" und schließlich bei der "Linken", und war lange Zeit aktiver Gewerkschaftler. Er ist allerdings auch Wicca und betreibt einen kleinen Hexenladen - vom Sortiment her in etwa mit einem Esoterik-Laden der soliden Sorte vergleichbar. Der Antwort der Parteichefin Ulrike Eifle ist eigentlich nichts hinzuzufügen: "Wenn es nicht offen sexistisch, rassistisch oder neoliberal ist, dann ist es seine Privatsache."
Eigentlich, denn hier greift eine weitere Struktur, die sich vor allem in der Kohl-Ära herausgebildet hatte, und die sicher auch vom (schlechten) Vorbild der US-Wahlkämpfe beeinflusst wurde: Politik als "Personality Show", in der das Privatleben der Politiker wichtiger ist als etwa ihre politischen Positionen, ihre Sachkenntnisse oder ihre Leistungen (und Fehlleistungen). Damit rückt etwa die Frage, ob jemand Katholik, Atheist oder Wicca ist, für die Medien in den Mittelpunkt des Interesses. Das starke Medieninteresse an solche Fragen verstärkt wiederum die Tendenz, Kandidaten nach nicht-politischen, nicht-fachlichen Kriterien wie z. B. der "richtigen Religionszugehörigkeit" auszuwählen. (Zur Abwechslung könnte man ja mal andere Dinge aus den USA übernehmen, z. B. eine Trennung zwischen Staat und Kirchen, die diesen Namen auch verdient. Oder eine Offenlegungspflicht der Einkommen der Abgeordneten, die diesen Namen verdient.)
Zum Vergleich stelle man sich einmal vor, eine Zeitung hätte thematisiert, dass ein CDU-Kandidat und engagierter Christ eine christliche Buchhandlung oder einen Devotionalienhandel betreiben würde. Auch bei einem "Grünen"-Kandidaten mit "New-Age"-Esoterikladen hätte sich die Skandalsierung sicher in Grenzen gehalten. Die Kombination "böse Linkspartei" und "komische Religion, vielleicht Satanist oder, weil Heide, Nazi-Mystiker" war ein gefundenes Fressen.
Tendenzen zu einem religiös begründeten Konservativismus gibt es auch im benachbarten Thüringen, wo mit Dieter Althaus ein aktiver Förderer des Kreationismus Ministerpräsident war, und die derzeitige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht Mitglied in der evangelikalen missionarisch tätigen Organisation Pro Christ ist.

Ich halte es daher auch nicht für einen Zufall, dass mit Kristina Köhler ein Mitglied der sehr konservativen Selbständigen Evangelisch-Lutherische Kirche neue Bundesfamilienministerin wurde. Einerseits gilt Frau Köhler in Familienangelegenheiten als relativ liberal - jedenfalls im Vergleich zum in den Unionsparteien nach wie vor sehr stark präsenten konservativ-patriarchalischen Familienbild.
Anderseits ist ihre Position gegenüber dem Islam - nicht nur dem politisch radikalen Islamismus - die ihr sogar den (hoffentlich unerwünschten) Beifall der Anti-Islamisten des Blogs "Politically Incorrect" eintrugen - ohne ihren ausgeprägt christlich-konservativen Standpunkt kaum zu verstehen. Ich vermute, dass der christlich-konservative "Stallgeruch" ein entscheidender Faktor bei ihrer steilen Karriere ist.

Einen interessanten Aspekt der deutschen Neigung, christlich-konservative Einflüsse einfach auszublenden, zeigt ein kleines Gedankenexperiment des "Science Bloggers" und Astronomen Florian Freistetter: Kommunistische Kinderbücher?.
Während politische indoktrinierende Bücher für Vorschulkinder zurecht allgemein abgelehnt werden, sehen die meisten Menschen religiöse Bücher, wie etwa die beliebten Kinderbibeln, für Kindergartenkinder offensichtlich nicht als Problem. Genausowenig wie ein Fünfjähriger eine vernünftige und objektive Vorstellung vom Kommunismus erhalten kann, kann er religiöse Vorstellungen objektiv einschätzen.
Please don't label me
Ein häufiger Einwand ist, dass die biblischen Geschichten von den Kindern lediglich als Geschichten, etwa wie Märchen, wahrgenommen würden. Es wäre schön, wenn das immer so wäre.
Ich bin der Ansicht, dass für Kinder mythologische Texte, und das sind viele Märchen nun einmal ("gesunkene Mythen" im Sinne Jakob Grimms), Fabeln und Parabeln wichtig sind - auch und gerade für die Vermittlung von Werten. Dennoch stelle ich Kinderbibeln und Märchenbücher nicht auf die gleiche Stufe.
Bei Märchen besteht nämlich ein gesellschaftlicher Konsens, dass es sich dabei nicht um wörtlich zu nehmende Beschreibungen historischer oder naturwissenschaftlicher Tatsachen handelt.
Ein Kind bekommt in unserer Gesellschaft zwangsläufig mit, dass Märchen eben "nur" Geschichten sind, die vielleicht "irgendwo" wichtige Dinge und Wahrheiten enthalten, aber dass es die böse Hexe aus Hänsel und Gretel oder den König Drosselbart "in echt" gar nicht gibt.
Bei der Bibel ist das anders. Dieser mythologische Text ist für viele Menschen weit über die Kreise der Fundamentalisten im engeren Sinne historische oder - siehe Kreationismus - sogar naturwissenschaftliche Realität. Wenn das Kind Pech hat, hört es erst sehr spät in seinem Leben von anderen Ansichten zum Realitätsgehalt der Bibel.
So gesehen ist ein Buch, das Kinder "den christlichen Glauben vermitteln" will, immer auch ein Mittel der Indoktrination.

Freitag, 23. Oktober 2009

Die 7 Todsünden der Religion in der Science Fiction

Ich bleibe beim Thema "Klischee", denn obwohl der Artikel auf dem Webportal IO9, um den es mir geht, mit The 7 Deadly Sins Of Religion In Science Fiction überschrieben ist, geht es darin nicht um "Sünden" (geschweige den Todsünden), sondern um Klischees der Science Fiction, wenn es um religiöse oder spirituelle Themen geht.

Religiöse Themen sind in einem Literaturgenre, das von der Fragestellung "Was wäre, wenn?" ausgeht, sozusagen von Anfang an präsent - schon Mary Shelleys "Frankenstein", der als erster Science Fiction-Roman gelten kann, ist ein philosophischer Roman, der auch religiöse Fragen stellt. In der SF-Massenliteratur und vor allem in SF-Filmen und (frühen) Fernsehserien herrschte allerdings lange Zeit eine deutliche Scheu vor religiösen Themen - wenn Religion überhaupt dargestellt wurde, dann meistens auf "christlich-konventionelle" Art und Weise. Das änderte sich seitdem der mit dem Buddhismus sympathisierende Humanist und Agnostiker Gene Roddenberry in den 1960er Jahren dafür sorgte, dass in seiner Fernsehserie "Star Trek" religiöse und spirituelle Themen auch auf "nicht-konventionelle" Art behandelt wurden.
Eine Serie, die sehr stark von religiösen und quasi-religiösen Aspekten profitiert, ist die neue "Battlestar Galactica"-Serie.
Allerdings haben sich auch etliche SF-Religionsklischees eingeschliffen - die sich teilweise direkt auf Roddenberrys "originale" "Star Trek"-Serie zurückführen lassen.

Charlie Jane Anders schreibt dem entsprechend auch davon, dass, wie andere Themen der Science Fiction - zum Beispiel der "Erste Kontakt", Zeitreisen oder Raumschlachten - science-fictionale Religion gut gemacht oder albern und sonderbar sein kann.

Hier also die sieben Fehler, die Science Fiction nach Ansicht Anders manchmal macht, wenn es um Religion geht (Übersetzung von mir M.M.) - und meinen "Senf" dazu.
1. Der Cargo-Kult. Ja, ich weiß, die Götter müssen verrückt sein. Aber ich habe Geschichten über primitive Völker, die Hochtechnologie entdecken und anfangen, sie zu verehren, satt. Oder die Nachkommen von High-Tech-Leuten, die primitiv wurden, und anfingen, die Technik ihrer Vorfahren zu verehren. So wie die Ewoks, die C-3PO verehren, oder die Wüstenleute, die in Doctor Whos "Planet Of Fire" den Raumanzug verehren. Normalerweise mit einem Unterton von: "Seht ihr? Das beweist, dass Religion Dummheit ist!" Auch furchtbar: Roboter, die ihre Erbauer anbeten oder Außerirdische, die Menschen anbeten. Oder Außerirdische, die Ferengi anbeten.
Cargo-Kulte und verwandte Erscheinungen sind ein reales gesellschaftliches Phänomen, sogar in modernen "Informationsgesellschaften". Daher sind sie ein dankbares und wichtiges Thema in der SF, wobei es, wie bei Zeitreisen oder Raumschlachten, sehr darauf ankommt, wie sie umgesetzt werden. Zwei Beispiele, die ich für sehr gelungen halte, sind der von Vormenschen angebetete schwarze Monolith in "2001 - Odyssee im Weltraum" und, als Satire auf längst sinnentleerte Traditionen, der erwähnte "heilige Raumanzug" in Dr Who. Wobei das "Cargo-Kult"-Thema meistens gar nicht die Religiösität als solche, sondern eine unkritische, blind gläubige, Form der Religion als "dumm" bzw. naiv darstellt. Oder, wie in der "Star Trek: Voyager"-Folge, in der die beiden Ferengi eine für sie höchst profitable Religion stiften, "wirtschaftorientierte" "Kirchen" wie Scientology oder die Munies aufs Korn nimmt.
2. Der billige Jesus. Es ist nicht verkehrt, wenn es eine messianische Figur in deiner Science Fiction gibt - ich will hier ja nicht den Spaß an Allem verderben - aber greife nicht einfach das Jesus-Bild aus der Luft und erwarte, dass es Sinn macht. Ja, ich meine dich, gekreuzigter Neo. Und ich blicke auf dich, Jesus H. Baltar. (Und obwohl ich das Ende von Doctor Whos "Last Of The Time Lords" mag, sehe ich auch dich an, treibender kreuzförmiger Doktor.) Die unentbehrliche TVTropes Website hat eine großartige Liste von Szenen mit "wahllos ohne Grund eingestreuter religiöser Symbolik".
Da stimme ich Anders zu. SF mit religiöser, meist christlicher Symbolik "aufzupeppen" um spirituelle Tiefe zu suggerieren, ist meistens billige Masche. Wobei es bei Dr. Who wieder satirisch gemeint sein dürfte, was dann nicht so "billig" wäre (vermute ich, ich kenne die Folge nicht).
3. Der dämliche Weltraum-Gott. Wenn wir in der Science Fiction wirklich einem Gott oder Göttern begegnen, ist es fast immer ein Reinfall. (Es gibt Ausnahmen - Star Trek: Deep Space Nine schafft es, dass unsere Helden die zeitlosen Propheten im Wurmloch treffen, ohne dass sie ihre Mystik verlieren.) Normalerweise ist aber ein Gott oder ein gottähnlicher Außerirdischer ein alberner alter Kerl mit komischem Bart. Oder es ist Jodie Fosters herablassender Vater.
Auch da hat Anders recht. (Das Team der "Stargate"-Serien kann froh sein, dass es praktisch keine Asatru-Fundamentalisten gibt ... )
4. Der Allzweck-Flicken für faule Autoren. Und hier bin ich gar nicht mit dem BSG-Finale einverstanden: die Starbuck-Sache. Die Battlestar-Autoren geben durchaus zu, dass sie Starbuck wegen des Schock-Effekt umbrachten, und dass sie sich im letzten Moment dafür entschieden hätten, sie im Finale der dritten Staffel zurückzubringen, da sie dachten, dass das "cool" wäre. Sie machten sich keine Gedanken darüber, wie sie ihre Auferstehung erklären könnten, bis sie anfingen, an der vierten Staffel zu schreiben. Und schließlich ... vermasselten sie es. Und es sieht so aus, als ob Religion die Tapete wäre, mit der sie das zukleisterten. (Bevor Starbuck das Schiff zur neuen Erde besteigt, hören wir, wie sie sich wieder einmal fragt, was sie ist. Und die Antwort scheint zu sein: Ein Engel des Lichts.) BSG ist damit keineswegs ein Einzelfall - es gibt bereits starke Hinweise darauf, dass "Lost" auf die "spirituelle Karte" setzen wird, um aus einigen der logischen Verwicklungen, in die die Geschichte sich verfangen hat, wieder heraus zu kommen.
Anders hat recht. Zu viel Autoren schreiben nach dem Prinzip: Gibt es ein Loch in der Handlungslogik, muss eben ein Wunder aushelfen.
5. Grob vereinfachende Auseinandersetzungen zwischen Religion und Wissenschaft. Wie jeder, der einige Zeit in der wirklichen Welt verbracht hat, weiß, kommen Religion und Wissenschaft einigermaßen gut miteinander aus, es sei denn, du bist ein Amish oder Richard Dawkins. Aber in einigen besonders albernen Science Fiction ist jeder Tag Galileo-gegen-die-Kirche-Tag. Manchmal geschieht das in Gestalt des einen Kerls, der es wagt, zu merken, dass die Welt hohl ist oder dass Gott in Wirklichkeit ein verrückter Computer ist. Das absolut plumpste Beispiel dafür gibt es in Doctor Whos "Meglos", wo die unglaublich platte unterirdische Kultur auf Tigella in zwei Gruppen geteilt ist, die unglaublich schlecht frisierten Savants, die an die Wissenschaft glauben, und die unglaublich hässliche Kopfbedeckungen tragenden Deion, die an Religion glauben. Immer wenn die "üppige aggressive Vegetation" des Planeten über sie kommt, treffen sie sich und streiten sich ob die Wissenschaft oder die Religion alle Antworten kennen würde.
Leider gibt es Gebiete, auf denen von einem vernünftigen Miteinander zwischen Wissenschaft und Religion keine Rede sein kann, zum Beispiel die Evolutionsbiologie. Wobei sich beileibe nicht nur extreme religiöse Fundamentalisten und fanatisch atheistische Wissenschaftler gegenüber stehen - und ich Dawkins, einen sehr besonnenen und nachdenklichen Menschen, nicht als "Fanatiker" bezeichnen würde. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die Evolution heute weitaus besser belegt ist, als es das Kopernikanische Weltbild zu Galileos Zeiten war. Kreationisten und "ID"-Anhänger dürfen sich nicht wundern, wenn man sich über sie in ähnlicher Weise lustig macht, wie über Menschen, die tatsächlich Glauben, die Sonne würde um die Erde kreisen. (Bei den "junge- Erde-Kreationisten", die glauben, die Erde sei nur etwa 6000 Jahre alt, liegt sogar der Vergleich mit Anhängern der flachen Erdscheibe näher.)
Dass die Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion in der SF oft reichlich albern und einfallslos daher kommt, stimmt zwar, aber auch im wirklichen Leben verlaufen die Auseinandersetzungen zwischen Bibelwortwörtlichnehmern und dem Rest der Menschheit (egal, ob nur Wissenschaftler oder nicht, Atheist oder sogar tief religiös) in ermüdender Einförmigkeit.
6. Grob vereinfachende Wissenschaftsbeschimpfung im Namen der Religion. Es gibt nur eine Sache, die noch mehr auf die Nerven geht wie eine Strohmann-Debatte zwischen Wissenschaft und Religion, und das ist eine anti-wissenschaftliche Botschaft mit der Religion als Sprachrohr. Und dabei stört mich das schon erwähnte BSG-Finale wirklich. Wenn wir sehen, wie die Kolonisten die moderne Technik und Medizin auf dem Fuße eines anscheinend göttlichen Eingriffs aufgeben, der sie zu einem neuen Eden brachte, ist es nicht schwer, dass als eine eigenartige anti-wissenschaftliche Voreingenommenheit zu erkennen. Ja, in der New York-Szene am Schluss sagen EngelBaltar und EngelSix, dass nur unsere Eitelkeit und Gier in Verbindung mit Technik falsch sei, aber vorher wurden wir 45 Minuten lang mit einen seltsamen Zurück-zur-Natur-Thema berieselt.
In diesem Punkt bin ich wieder einer Meinung mit Anders.
7. New-Age-Mässigkeit. Wirklich, ich kann Weltraumgötter, oder Leute, die Technik anbeten, oder Wissenschafts/Religions-Streitigkeiten tolerieren ... aber ich kann mit Enya nichts anfangen. Oder mit Kristallen. Oder mit indianischen Visionssuchen. Oder mit Deepak Chopra. Oder irgend einer bastardisierten indisch/afrikanischen "Spiritualität", die von jedem wirklichen kulturellen Kontext oder echten religiösen Bedeutung gereinigt wurde. Ja, ich meine dich, Usutu aus Heroes. Wenn ich meine Aura reinigen muss, esse ich etwas Haferkleie.
Anders gebe ich zum Teil recht. Zum Teil, denn nicht alles, was irgendwann einmal irgendjemand unter "New Age" verschubladisiert hat - oder was in oft tatsächlich verflachter, kontext-entleerter und kommerzialisierter Form auf Esoterik-Messen angeboten wird - verdient es, in Bausch und Bogen als Science Fiction-Thema abgelehnt zu werden. Ob man zum Beispiel Enya mag oder nicht, ist allein eine Frage des musikalischen Geschmacks, ebenso, ob sich Musik dieses Stils für SF eignet. (Sie eignet sich meiner Ansicht nach hervorragend, aber das ist eine Frage meines Geschmacks.) Bei Kristallen kommt es darauf an, was man mit den Dingern macht - die Dilithium-Kristalle im Warp-Antrieb der "Enterprise" wird Anders wohl kaum meinen. Ayuverda hat an und für sich nichts mit dem teils esoterischen, teils pseudowissenschaftlichen "Überbau" zu tun, den Deepak Chopra auf eine tradionelle Heilkunde obenauf packt. Gerade Themen wie Visionssuche oder schamanisches Reisen können ganz ausgezeichnet in Science Fiction und Fantasy thematisiert, aber auch auf völlig alberne, ahnungslose und kitschige Weise verhacktstückt werden.
Das Problem bei esoterischen Versatzstücken in der Science Fiction liegt meiner Ansicht nach einerseits darin, dass mit esoterischen "Erklärungen" gern Plotlöcher gestopft werden (eine Variante der 4. "Sünde"), anderseits darin, dass SF-Autoren nicht immer sachkundig sind, bzw. ihr Wissen aus recht trüben Quellen schöpfen. (Der Einfluss der blavatskyschen Theosophie auf die Science Fiction wäre zum Beispiel eine gründliche Untersuchung wert.)

Montag, 17. August 2009

Das Ende der Kirchensteuer ist nah ...

Die Kirchensteuer in ihrer deutschen Form ist seit eh und je ein fragwürdiges Konstrukt: sie verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Staat und Kirche - weshalb der staaliche Kirchensteuereinzugs eigentlich durch ein kircheneigenes Beitragssystem abgelöst werden müsste.
Eigentlich. Denn das bisherige System ist für die Leitung und Verwaltung der großen Kirchen (nicht etwa die einzelnen Kirchenmitglieder) überaus bequem. Dass die Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer gekoppelt ist, und die Kirchen deshalb von der jeweiligen Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik abhängig sind, scheint nur wenige zu stören.

Vermutlich weil der Status Quo so bequem ist, geht trotz des - angeblichen - Sommerlochs (die britische Bezeichnung "silly season" trifft das Phänomen sowieso besser) ein möglicherweise folgenschweres Gerichtsurteil weitgehend unter:
Sterbeglocke schlägt für die Kirchensteuer (sz online):
Es war ein leiser Klang, doch er war unüberhörbar: Mitte Juli schlug das Sterbeglöcklein für die deutsche Kirchensteuer. Das Verwaltungsgericht Freiburg entschied, es sei zulässig, sich der Steuer zu verweigern, gleichzeitig aber auf der fortgesetzten Mitgliedschaft in der Kirche zu beharren. Sollte in den kommenden Instanzen und schließlich auch in der kirchlichen Gerichtsbarkeit das Urteil Bestand haben, müssten die Fundamente des heiklen Verhältnisses von Staat und Kirche völlig neu gegossen werden.

Auslöser war ein Austritt der besonderen Art. Im Juli 2007 erklärte der Freiburger Kirchenrechtler Hartmut Zapp vor dem Standesamt seine Abkehr von der Kirche, hielt aber in einer Zusatzerklärung fest, sein Schritt beziehe sich ausschließlich auf die Körperschaft öffentlichen Rechts. Der Glaubensgemeinschaft fühle er sich weiter zugehörig. Aus durchaus frommen Gründen wagte er die rebellische Tat. Weder pekuniäre noch kirchenkritische Motive gaben den Ausschlag. Nicht länger aber soll mit Exkommunikation bestraft werden, wer die Kirchensteuer ablehnt, ohne auch den Glauben zu negieren. Der Körperschaftsaustritt sollte einen Präzedenzfall schaffen.
Ob damit ein Schritt zur wirklichen Trennung von Staat und Kirche eingeleitet ist, bleibt noch abzuwarten.

Montag, 6. Juli 2009

"Hexen-"Verfolgung - ein afrikanisches Problem, das in unseren Medien nicht stattfindet

Es ist eine Schande, dass das Thema “Hexen-”Verfolgung in Westafrika in unserer Presse untergeht - oder auf der "Kuriositäten-Ebene" abgehandelt wird. Es geht dabei schließlich um Kindesaussetzungen, Misshandlungen - und Mord!
Terror gegen Kinderheim für "Hexenwaisen" in Nigeria (nichtidentisches)

Ich habe das, mitsamt einer schnellen und groben Übersetzung des zugrundliegenden Schreibens der Hilfsorganissation Stepping Stones Nigeria im Gjallarhorn weitergebloggt.

Zur Problematik der "Hexenkinder" in Nigeria:
UNICEF and partners bring hope to children accused of ‘witchcraft’ in Nigeria

Children in Nigeria branded "witches" and abused.

Samstag, 6. Juni 2009

Moraltheologischer Fehlschluss

Es ist bekanntlich ein naturalistischer Fehlschluss aus einer beobachteten biologischen Tatsache, etwa der Evolution, moralische Grundsätze für das menschliche Verhalten ableiten zu wollen.

Dem umgekehrter Fehlschluss unterliegen zumeist christliche Apologeten, deren Argumentation darauf hinausläuft, die Evolutionstheorie aus "moralischen Gründen" zu diskreditieren. In der platten Form "die Evolutionstheorie widerspricht den christlichen Moralvorstellungen, also muss ein Christ sie ablehnen" findet man ihn bei Fundamentalisten - eine genaue Umkehrung des naturalistisches Fehlschlusses: was unmoralisch ist, kann es in der Natur nicht geben.

Eine Variante findet sich in einem Vortrag des früheren Pressesprechers des Vatikans, Thomas D. Williams an der Universität Witten/Herdecke.
Keine Moralpredigt.
„Hilft Religion dabei, moralischer zu leben?” Um diese Frage zu beantworten, müsse er die Unterschiede zwischen Moral bei Christen und Atheisten deutlich herausheben. Der Theologe beleuchtet zunächst die Frage nach dem Leben nach dem Tod. „Wenn der Mensch nur über seine rein biochemische Zusammensetzung definiert wird”, so Williams, „dann wäre sein Wert sehr reduziert.” Er glaube, dass alle Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, ihre Mitmenschen besser behandeln würden.
Ein extremes, aber reales Gegenbeispiel ist ein islamistisch motivierter Selbstmordattentäter, der zum einen fest damit rechnet, nachdem er sich selbst und andere in Luft gesprengt hat, ins Paradies einzugehen, und der ferner seinem Gott zumutet, dass er jene unter seinen Opfern, die es verdienen, in die Hölle wirft, aber eventuelle unschuldige Opfer ins Paradies eingehen lässt.*) Ein anderes Beispiel: "Bringt sie alle um, Gott wird die Seinen erkennen," soll 1209 der päpstliche Legat geantwortet haben, als ein Kommandeur zögerte, den Dom von Béziers anzünden zu lassen, weil sich vielleicht ja auch "Rechtgläubige" und nicht nur "böser Ketzer" (Katharer), in ihn geflüchtet hätten. In beiden Fällen ist das gegen moralische Grundsätze auch des Islam bzw. Christentum gerichtete mörderische Handeln nur durch den festen Glauben an ein Leben nach dem Tod und die ebenso feste Überzeugung, Vollstrecker des Willens ihres Gottes zu sein, möglich. Außerdem liegt das ethische Verhalten von Atheisten und Religiösen nach mehreren Studien insgesamt nahe beieinander - allerdings halten sich religöse Menschen oft für moralisch überlegen, ohne es zu sein.

In der Frage nach der Willensfreiheit und der Moral greift Williams zu einem Strohmann-Argument:
Auch an den freien Willen würden Materialisten nicht glauben. „Sie sagen, dass alle Handlungen nur Reaktionen auf äußere Umstände seien”, so der Medienfachmann. Wenn der freie Wille aber im Leben eines Menschen fehle, dann fehle auch die Möglichkeit, moralisch zu handeln. „Dann gibt es kein Gut und Böse, jeder wäre dann halt so, wie er ist.”
Die wenigsten Materialisten leugnen die Existenz des Willens, und selbst jene Hirnforscher, die bewusste Entscheidungen für empirisch widerlegt halten und das Bewusstsein für ein nachgeordnetes Phänomen, eine Illusion, halten, halten Menschen deshalb nicht automatisch für Automaten, in denen wie in einem Computer einfach ein Programm abläuft. Wie auch immer: Wenn ein freier Wille existiert, dann haben auch extreme Deterministen einen freien Willen, und wenn es keine freien Willen gibt, dann haben eben auch Gläubige keinen freien Willen. In jedem Falle - egal ob mit freiem Willen oder ohne, ob gläubig oder nicht, ist offensichtlich moralisches Handeln möglich.

Kommen wir nun zu dem Punkt, bei dem Williams ähnlich argumentiert wie Evolutionsgegner, die die Evolutionstheorie aus moralischen Gründen ablehnen. Obwohl er eigentlich kein Evolutionsgegner ist:
Die Moral des Menschen habe sich natürlich entwickelt. „So jedenfalls glauben Christen.” Aber auch in diesem Punkt macht Thomas D. Williams eklatante Unterschiede zu nichtgläubigen Menschen aus: „Bei ihnen steht die Evolution im Mittelpunkt.”. Auch die Moral sei dann das Ergebnis der Evolution. „Sie glauben, dass Gott damit nichts zu tun hätte.” Aber mit diesem Ansatz sei Moral nicht möglich.
Anders formuliert: Williams ist davon überzeugt, dass Moral nicht ohne Gott möglich sei, also kann Moral auch nicht das Ergebnis einer Evolution ohne göttlichen Eingriff sein.

Thomas D. Williams kommt zum Schluss, dass die Frage nach Glaube oder Nichtglaube keinen Einfluss auf das moralische Verhalten eines Menschen habe. Da gebe ich ihm Recht. Hingegen lügt er - anders kann ich es leider nicht nennen - wenn er behauptet:
"Werte wie Demokratie, Gleichheit und Freiheit sind biblische Werte.” Deswegen würden Christen großzügiger mit ihrem Geld und mit ihrer Zeit umgehen.
Erst einmal ist die Demokratie kein Wert, sondern ein politisches System, das erstmals von Heiden praktiziert wurde, und zwar in der attischen Demokratie. Auch die Thing-Demokratie gab es auf Island und der Isle of Man schon vor der Christianisierung. Dann stimmt es nicht, dass die Ideen der Freiheit und Gleichheit biblische Werte wären - es gab und gibt sie bekanntlich auch in Kulturen, in den die Bibel, auch indirekt, keine Einfluss hat. In der europäischen Geistesgeschichte ist es zwar tatsächlich so, dass die jüdische Idee der Gleichheit aller Menschen vor Gott entscheidend dazu beitrug, auch die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zu etablieren - was aber nicht bedeutet, dass die Idee, allen Menschen stünden die gleichen Rechte zu, immer und überall auf biblisches Denken zurückgeht. Anderseits darf nicht verschwiegen werden, dass eine extreme Form der Ungleichheit und Unfreiheit, nämlich die Sklaverei, in der Bibel nicht angetastet wird - es wird lediglich behauptet, dass ein Sklave vor Gott nicht weniger Wert sei, als ein Freier. Ein eindeutiges Gebot, etwa: "Du sollst keinen anderen Menschen als dein Eigentum betrachten" gibt es nicht - im Gegenteil, es gibt eine Unzahl von Vorschriften zur Behandlung von Sklaven. Das noch größer Fass der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann mache ich gar nicht erst auf.

Und dass Christen großzügiger mit ihrem Geld und mit ihrer Zeit umgingen, entspricht einfach nicht den Tatsachen. Es spricht einiges dafür, dass stark moralorientierte Menschen, dann, wenn Großzügigkeit in ihrem Wertesystem eine Tugend ist, großzügiger mit Geld und Zeit umgehen, als solche, die sich um Werte nicht scheren. Das ist aber unabhängig davon, ob jemand religiös ist oder nicht. Großzügigkeit mit Geld und Zeit ist auch auch in den meisten heidnischen Gesellschaften (genauer gesagt: in allen, die ich kenne) eine Tugend - aber längst nicht in allen Varianten des Christentums (zugegeben, im Katholizismus ist Freigiebigkeit eine Tugend).

*)Wäre ich ein Gott, würde ich dem Kerl was husten, aber gewaltig!

Sonntag, 31. Mai 2009

Heillose Neuheiden?

Manchmal höre ich morgens den "Deutschlandfunk". Und ab und an kommt es sogar vor, dass ich sogar bei der "Morgenandacht" hinhöre. Meistens, weil irgend ein Wort mich aufhorchen ließ. Wie neulich, als ich noch vor der ersten Tasse Kaffee, also nicht vollständig wach, das Stichwort "aggressive Neuheiden" hörte.

Dank dem Manuskript-Archivs des "Medienbeauftragten der EKS" fand ich den Text dieser Morgenandacht wieder: Es ist die Morgenandacht vom 30. April 2009, von Pastor Karl-Martin Unrath, St. Wendel.

Wenn ich mir so ansehe, auf welche Sorten Neuheiden sich der gute Herr Pastor bezieht, kann ich seinen Standpunkt bis zu einem gewissen Grade nachvollziehen:
(...) Nein, vor dem offensiven Atheismus ist mir nicht bange. Vor einem aggressiven Neuheidentum allerdings schon. Nicht, weil das neue Heidentum für die Kirche gefährlich werden könnte. Das kann es nicht. Aber es ist gefährlich für die Menschen.
In einer Fernseh-Talkshow sitzt eine junge Frau, eine Hexe, wie sie sich selbst vorstellt. Man könne bei ihr beispielsweise einen Rachezauber kaufen, wirbt sie. Neben ihr ein Priester der allgermanischen heidnischen Front, offen antisemitisch und gewaltverherrlichend. Ein Satanist aus Berlin komplettiert die unheilige Dreifaltigkeit. Satanismus ist Körperarbeit, sagt er. Und es wird deutlich, dass "Körperarbeit" eine Umschreibung für sexuelle Besessenheit ist.
Also eine Kommerz-Hexe auf Leichtgläubigen-Fang, ein inwändig kackbrauner "Blut & Boden"-Kasper von der Allgermanischen Heidnischen Front und ein Satanist. Wobei Satanisten typischerweise etwa so viel mit Heidentum zu tun haben, wie Kirchenschiffe mit Schifffahrt. Typischerweise: denn es gibt immer Ausnahmen:
Kirchenschiff02
Ein Kirchenschiff

Die Frage, wieso keine seriöseren Vertreter der Neuheidentums in der Talkshow zu Gast waren, ist leider leicht zu beantworten: Weil Heiden im Fernsehen allzu oft nach Strich und Faden in die Pfanne gehauen werden (ein besonders übles Beispiel: Odin gab mir den Befehl), ist die Neigung der meisten Neuheiden, im Fernsehen aufzutreten, eher gering. Es gibt zwar erfreuliche Ausnahmen von der "alles bizarre Spinner"-Nummer, besagte Talkshow gehört aber sicher nicht dazu.
Dann sitzt da noch ein kirchlicher Sektenbeauftragter. Der Mann kennt sich aus, hat alles schon einmal gehört. Trotzdem – die Drei machen ihn schier sprachlos.
Kann ich mir bei jemandem z. B. von der EZW nicht so recht vorstellen. Einen Profi wie z. B. den Esoterik-Experten Matthias Pöhlmann überrascht meines Erachtens so leicht nichts. Es sei denn, die Sprachlosigkeit ist gespielt. Etwas Show gehört zur Talkshow immer dazu.
Schließlich fragt er: Meinen Sie wirklich, dass in dem, was sie da vertreten, Heil liegt? Darauf der Berliner Satanist: Wat für´n Heil denn? (...)
Eine inhaltlich andere Antwort von einem Satanisten hätte mich auch überrascht. Dem völkische Blut & Boden "Germanen" fällt zum Wort "Heil" sicherlich so Einiges ein, wahrscheinlich auch einiges, was er in einer Talkshow sicherheitshalber mit Blick auf den Paragraphen 86 a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) nicht ausspricht. Der "Hexe" würde ich glatt so eine Antwort zutrauen: "Heil habe ich gerade nicht auf Lager, ich kann es aber bestellen."

Was könnte aber ein seriöser Neuheide, z. B. von der Heilsgemeinschaft "Nornirs Ætt", auf die Frage nach dem Heil antworten? Ich würde dem Sektenbeauftragten antworte: "Selbstverständlich liegt in dem, was ich da vertrete, Heil."

Was ist aber dieses "Heil"?
Duke Mayer hat hierauf eine Antwort versucht, in der ich meine Ansicht gut wiederfinde. Eine ausführliche Antwort, die sich nicht auf ein kurzes Talkshow-Statement eindampfen lässt:
Heil (1) und Heil (2).
Der Einfachheit halber, und weil ich mich nicht hinter Dukes Rücken verstecken will, gehe ich von der Antwort Pastor Unraths aus. Die ist nämlich gar nicht mal so schlecht:
Heil, das ist Versöhnung statt Rachezauber, Frieden statt Gewaltverherrlichung, Freiheit statt Besessenheit.
Ja, das ist Heil - und noch viel mehr! Heil ist kein Zustand, den einer für sich allein haben kann. Es ist das Glück, der Erfolg, das Gedeihen, die wir uns gegenseitig geben. Der Pastor würde mir sicher auch zustimmen, wenn ich ergänze, dass Heil stets verbindlich ist. Seine Annahme hat immer Konsequenzen. Und von alleine, ohne eigenes Handeln, kommt kein Heil.
Heil, das ist im Leben und im Sterben Vertrauen auf die Liebe Gottes.
Da würde ich dem guten Herrn Pastor sagen: "Es stimmt (auch wenn ich mehreren Göttern vertraue) - aber was wir nie darüber vernachlässigen sollten: Heil ist auch im Leben und im Sterben Vertrauen aufeinander."
Ob es die Götter - oder Gott - wirklich gibt, lässt sich, da sowohl ein Gottesbeweis, wie ein Beweis der Nichtexistenz der Götter logisch nicht möglich ist, nicht sagen. (Das ich ab und an mit den Göttern spreche, und sie auf verschiedene Art antworten, ist kein Beweis, dass es sie wirklich gibt und wenn ja, dass es wirklich Götter sind. Es ist aber auch kein Beweis dafür, dass ich an Wahnvorstellungen leide.)
Die Frage nach dem Leben nach dem Tod ist schwer zu beantworten (allerdings werden ich die Antwort darauf totsicher und früh genug erhalten, weshalb ich darauf wenige Gedanken verschwende). Es besteht aber vergleichsweise wenig Zweifel daran, dass es unsere Mitmenschen und ein Leben vor dem Tod gibt. Daher ist Gottvertrauen gut, aber ohne Vertrauen in meine Mitmenschen zu wenig.

Pastor Unrath fürchtet sich vor einem aggressiven Neuheidentum. Und wenn ich mir so die Leute von der "Allgermanischen Heidnischen Front" ansehe, von "Nazitrus" wie in "Rasse-Jürgen" Riegers "Artgemeinschaft" gar nicht zu reden, dann kann ich das verdammt gut verstehen.
Allerdings ist für viele dieser kackbraunen Kameraden die germanische Mythologie nur reine Deko. Odin und Thor, Walküren und Einherjer als scheinbar unbelastete Folie zum Ausagieren von Macho- und Machtphantasien. Sicher, Mythen sind für die Blut & Boden-Leute und erst recht für Nazitrus wichtig - aber ihr "Germanentum" ist eine Ideologie der Gewalt, der Durchsetzung des Stärkeren, ganz im Sinne des Sozialdarwinismus. In diesem Sinne, durch dunkle braune ideologische Brillengläser, nehmen sie germanische Mythologie wahr und interpretieren sie entsprechend. Zum Beispiel zeichnet sich Thor, Fruchtbarkeitsgott und Beschützer der Menschen, durch die braune Brille gesehen vor allem durch Macht und Gewalt aus. Wer gar meint, Thor würde mit seinem Hammer allen Widerstand in Trümmer und Scherben schlagen, oder gar "das deutsche Volk vom verderbenden Ungeziefer" reinigen, der hat die braune Optik schon längst verinnerlicht. Unter "Heil" verstehen die Braunheiden sowieso etwas anderes als ich.

Neonazis und andere Rechtextremisten sind gefährlich - unabhängig davon, ob sie Heiden sind oder nicht. Kommerz-Hexen sind eine Gefahr - für den Geldbeutel. Wie gefährlich Satanisten sind, hängt von den jeweiligen Satanisten ab - bei sexualisierter Gewalt (nicht mit einvernehmlichem BDSM zu verwechseln) hört jedenfalls jeder Spaß auf.

Pastor Unrath hat Recht: für die Kirche sind noch so aggressive Neuheiden keine Gefahr - selbst, wenn sie Kirchen anzünden. Für einzelne Menschen schon - aber weil diese Neuheiden aggressiv sind, nicht, weil sie Heiden wären.

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