Die 7 Todsünden der Religion in der Science Fiction

Ich bleibe beim Thema "Klischee", denn obwohl der Artikel auf dem Webportal IO9, um den es mir geht, mit The 7 Deadly Sins Of Religion In Science Fiction überschrieben ist, geht es darin nicht um "Sünden" (geschweige den Todsünden), sondern um Klischees der Science Fiction, wenn es um religiöse oder spirituelle Themen geht.

Religiöse Themen sind in einem Literaturgenre, das von der Fragestellung "Was wäre, wenn?" ausgeht, sozusagen von Anfang an präsent - schon Mary Shelleys "Frankenstein", der als erster Science Fiction-Roman gelten kann, ist ein philosophischer Roman, der auch religiöse Fragen stellt. In der SF-Massenliteratur und vor allem in SF-Filmen und (frühen) Fernsehserien herrschte allerdings lange Zeit eine deutliche Scheu vor religiösen Themen - wenn Religion überhaupt dargestellt wurde, dann meistens auf "christlich-konventionelle" Art und Weise. Das änderte sich seitdem der mit dem Buddhismus sympathisierende Humanist und Agnostiker Gene Roddenberry in den 1960er Jahren dafür sorgte, dass in seiner Fernsehserie "Star Trek" religiöse und spirituelle Themen auch auf "nicht-konventionelle" Art behandelt wurden.
Eine Serie, die sehr stark von religiösen und quasi-religiösen Aspekten profitiert, ist die neue "Battlestar Galactica"-Serie.
Allerdings haben sich auch etliche SF-Religionsklischees eingeschliffen - die sich teilweise direkt auf Roddenberrys "originale" "Star Trek"-Serie zurückführen lassen.

Charlie Jane Anders schreibt dem entsprechend auch davon, dass, wie andere Themen der Science Fiction - zum Beispiel der "Erste Kontakt", Zeitreisen oder Raumschlachten - science-fictionale Religion gut gemacht oder albern und sonderbar sein kann.

Hier also die sieben Fehler, die Science Fiction nach Ansicht Anders manchmal macht, wenn es um Religion geht (Übersetzung von mir M.M.) - und meinen "Senf" dazu.
1. Der Cargo-Kult. Ja, ich weiß, die Götter müssen verrückt sein. Aber ich habe Geschichten über primitive Völker, die Hochtechnologie entdecken und anfangen, sie zu verehren, satt. Oder die Nachkommen von High-Tech-Leuten, die primitiv wurden, und anfingen, die Technik ihrer Vorfahren zu verehren. So wie die Ewoks, die C-3PO verehren, oder die Wüstenleute, die in Doctor Whos "Planet Of Fire" den Raumanzug verehren. Normalerweise mit einem Unterton von: "Seht ihr? Das beweist, dass Religion Dummheit ist!" Auch furchtbar: Roboter, die ihre Erbauer anbeten oder Außerirdische, die Menschen anbeten. Oder Außerirdische, die Ferengi anbeten.
Cargo-Kulte und verwandte Erscheinungen sind ein reales gesellschaftliches Phänomen, sogar in modernen "Informationsgesellschaften". Daher sind sie ein dankbares und wichtiges Thema in der SF, wobei es, wie bei Zeitreisen oder Raumschlachten, sehr darauf ankommt, wie sie umgesetzt werden. Zwei Beispiele, die ich für sehr gelungen halte, sind der von Vormenschen angebetete schwarze Monolith in "2001 - Odyssee im Weltraum" und, als Satire auf längst sinnentleerte Traditionen, der erwähnte "heilige Raumanzug" in Dr Who. Wobei das "Cargo-Kult"-Thema meistens gar nicht die Religiösität als solche, sondern eine unkritische, blind gläubige, Form der Religion als "dumm" bzw. naiv darstellt. Oder, wie in der "Star Trek: Voyager"-Folge, in der die beiden Ferengi eine für sie höchst profitable Religion stiften, "wirtschaftorientierte" "Kirchen" wie Scientology oder die Munies aufs Korn nimmt.
2. Der billige Jesus. Es ist nicht verkehrt, wenn es eine messianische Figur in deiner Science Fiction gibt - ich will hier ja nicht den Spaß an Allem verderben - aber greife nicht einfach das Jesus-Bild aus der Luft und erwarte, dass es Sinn macht. Ja, ich meine dich, gekreuzigter Neo. Und ich blicke auf dich, Jesus H. Baltar. (Und obwohl ich das Ende von Doctor Whos "Last Of The Time Lords" mag, sehe ich auch dich an, treibender kreuzförmiger Doktor.) Die unentbehrliche TVTropes Website hat eine großartige Liste von Szenen mit "wahllos ohne Grund eingestreuter religiöser Symbolik".
Da stimme ich Anders zu. SF mit religiöser, meist christlicher Symbolik "aufzupeppen" um spirituelle Tiefe zu suggerieren, ist meistens billige Masche. Wobei es bei Dr. Who wieder satirisch gemeint sein dürfte, was dann nicht so "billig" wäre (vermute ich, ich kenne die Folge nicht).
3. Der dämliche Weltraum-Gott. Wenn wir in der Science Fiction wirklich einem Gott oder Göttern begegnen, ist es fast immer ein Reinfall. (Es gibt Ausnahmen - Star Trek: Deep Space Nine schafft es, dass unsere Helden die zeitlosen Propheten im Wurmloch treffen, ohne dass sie ihre Mystik verlieren.) Normalerweise ist aber ein Gott oder ein gottähnlicher Außerirdischer ein alberner alter Kerl mit komischem Bart. Oder es ist Jodie Fosters herablassender Vater.
Auch da hat Anders recht. (Das Team der "Stargate"-Serien kann froh sein, dass es praktisch keine Asatru-Fundamentalisten gibt ... )
4. Der Allzweck-Flicken für faule Autoren. Und hier bin ich gar nicht mit dem BSG-Finale einverstanden: die Starbuck-Sache. Die Battlestar-Autoren geben durchaus zu, dass sie Starbuck wegen des Schock-Effekt umbrachten, und dass sie sich im letzten Moment dafür entschieden hätten, sie im Finale der dritten Staffel zurückzubringen, da sie dachten, dass das "cool" wäre. Sie machten sich keine Gedanken darüber, wie sie ihre Auferstehung erklären könnten, bis sie anfingen, an der vierten Staffel zu schreiben. Und schließlich ... vermasselten sie es. Und es sieht so aus, als ob Religion die Tapete wäre, mit der sie das zukleisterten. (Bevor Starbuck das Schiff zur neuen Erde besteigt, hören wir, wie sie sich wieder einmal fragt, was sie ist. Und die Antwort scheint zu sein: Ein Engel des Lichts.) BSG ist damit keineswegs ein Einzelfall - es gibt bereits starke Hinweise darauf, dass "Lost" auf die "spirituelle Karte" setzen wird, um aus einigen der logischen Verwicklungen, in die die Geschichte sich verfangen hat, wieder heraus zu kommen.
Anders hat recht. Zu viel Autoren schreiben nach dem Prinzip: Gibt es ein Loch in der Handlungslogik, muss eben ein Wunder aushelfen.
5. Grob vereinfachende Auseinandersetzungen zwischen Religion und Wissenschaft. Wie jeder, der einige Zeit in der wirklichen Welt verbracht hat, weiß, kommen Religion und Wissenschaft einigermaßen gut miteinander aus, es sei denn, du bist ein Amish oder Richard Dawkins. Aber in einigen besonders albernen Science Fiction ist jeder Tag Galileo-gegen-die-Kirche-Tag. Manchmal geschieht das in Gestalt des einen Kerls, der es wagt, zu merken, dass die Welt hohl ist oder dass Gott in Wirklichkeit ein verrückter Computer ist. Das absolut plumpste Beispiel dafür gibt es in Doctor Whos "Meglos", wo die unglaublich platte unterirdische Kultur auf Tigella in zwei Gruppen geteilt ist, die unglaublich schlecht frisierten Savants, die an die Wissenschaft glauben, und die unglaublich hässliche Kopfbedeckungen tragenden Deion, die an Religion glauben. Immer wenn die "üppige aggressive Vegetation" des Planeten über sie kommt, treffen sie sich und streiten sich ob die Wissenschaft oder die Religion alle Antworten kennen würde.
Leider gibt es Gebiete, auf denen von einem vernünftigen Miteinander zwischen Wissenschaft und Religion keine Rede sein kann, zum Beispiel die Evolutionsbiologie. Wobei sich beileibe nicht nur extreme religiöse Fundamentalisten und fanatisch atheistische Wissenschaftler gegenüber stehen - und ich Dawkins, einen sehr besonnenen und nachdenklichen Menschen, nicht als "Fanatiker" bezeichnen würde. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die Evolution heute weitaus besser belegt ist, als es das Kopernikanische Weltbild zu Galileos Zeiten war. Kreationisten und "ID"-Anhänger dürfen sich nicht wundern, wenn man sich über sie in ähnlicher Weise lustig macht, wie über Menschen, die tatsächlich Glauben, die Sonne würde um die Erde kreisen. (Bei den "junge- Erde-Kreationisten", die glauben, die Erde sei nur etwa 6000 Jahre alt, liegt sogar der Vergleich mit Anhängern der flachen Erdscheibe näher.)
Dass die Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion in der SF oft reichlich albern und einfallslos daher kommt, stimmt zwar, aber auch im wirklichen Leben verlaufen die Auseinandersetzungen zwischen Bibelwortwörtlichnehmern und dem Rest der Menschheit (egal, ob nur Wissenschaftler oder nicht, Atheist oder sogar tief religiös) in ermüdender Einförmigkeit.
6. Grob vereinfachende Wissenschaftsbeschimpfung im Namen der Religion. Es gibt nur eine Sache, die noch mehr auf die Nerven geht wie eine Strohmann-Debatte zwischen Wissenschaft und Religion, und das ist eine anti-wissenschaftliche Botschaft mit der Religion als Sprachrohr. Und dabei stört mich das schon erwähnte BSG-Finale wirklich. Wenn wir sehen, wie die Kolonisten die moderne Technik und Medizin auf dem Fuße eines anscheinend göttlichen Eingriffs aufgeben, der sie zu einem neuen Eden brachte, ist es nicht schwer, dass als eine eigenartige anti-wissenschaftliche Voreingenommenheit zu erkennen. Ja, in der New York-Szene am Schluss sagen EngelBaltar und EngelSix, dass nur unsere Eitelkeit und Gier in Verbindung mit Technik falsch sei, aber vorher wurden wir 45 Minuten lang mit einen seltsamen Zurück-zur-Natur-Thema berieselt.
In diesem Punkt bin ich wieder einer Meinung mit Anders.
7. New-Age-Mässigkeit. Wirklich, ich kann Weltraumgötter, oder Leute, die Technik anbeten, oder Wissenschafts/Religions-Streitigkeiten tolerieren ... aber ich kann mit Enya nichts anfangen. Oder mit Kristallen. Oder mit indianischen Visionssuchen. Oder mit Deepak Chopra. Oder irgend einer bastardisierten indisch/afrikanischen "Spiritualität", die von jedem wirklichen kulturellen Kontext oder echten religiösen Bedeutung gereinigt wurde. Ja, ich meine dich, Usutu aus Heroes. Wenn ich meine Aura reinigen muss, esse ich etwas Haferkleie.
Anders gebe ich zum Teil recht. Zum Teil, denn nicht alles, was irgendwann einmal irgendjemand unter "New Age" verschubladisiert hat - oder was in oft tatsächlich verflachter, kontext-entleerter und kommerzialisierter Form auf Esoterik-Messen angeboten wird - verdient es, in Bausch und Bogen als Science Fiction-Thema abgelehnt zu werden. Ob man zum Beispiel Enya mag oder nicht, ist allein eine Frage des musikalischen Geschmacks, ebenso, ob sich Musik dieses Stils für SF eignet. (Sie eignet sich meiner Ansicht nach hervorragend, aber das ist eine Frage meines Geschmacks.) Bei Kristallen kommt es darauf an, was man mit den Dingern macht - die Dilithium-Kristalle im Warp-Antrieb der "Enterprise" wird Anders wohl kaum meinen. Ayuverda hat an und für sich nichts mit dem teils esoterischen, teils pseudowissenschaftlichen "Überbau" zu tun, den Deepak Chopra auf eine tradionelle Heilkunde obenauf packt. Gerade Themen wie Visionssuche oder schamanisches Reisen können ganz ausgezeichnet in Science Fiction und Fantasy thematisiert, aber auch auf völlig alberne, ahnungslose und kitschige Weise verhacktstückt werden.
Das Problem bei esoterischen Versatzstücken in der Science Fiction liegt meiner Ansicht nach einerseits darin, dass mit esoterischen "Erklärungen" gern Plotlöcher gestopft werden (eine Variante der 4. "Sünde"), anderseits darin, dass SF-Autoren nicht immer sachkundig sind, bzw. ihr Wissen aus recht trüben Quellen schöpfen. (Der Einfluss der blavatskyschen Theosophie auf die Science Fiction wäre zum Beispiel eine gründliche Untersuchung wert.)
Wirr-Licht - 24. Okt, 11:16

mal was anderes

das hier fand ich hingegen gut, MM:

http://lesenlesen.blogspot.com/search/label/Science-Fiction

postscriptum: und anakin/vader taugt nicht zu einer milton´schen luzifergestalt, auch wenn das mal so gedacht war, mit feuersee und so.

MMarheinecke - 24. Okt, 12:33

Danke für den Hinweis!

In dem Blog hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht.

Und Anakin / Vader ist eben ein "billiger Luzifer", im Sinne von Anders "billigem Jesus". Schlimmer noch: die "neue Trilogie" hat die durchaus interessanten (wenn auch bestimmt für Anders zu "new-age-mäßigen") religiösen / spirituellen Ansätze der ursprünglichen Star War-Trilogie an die Wand gefahren. (Das ursprüngliche Konzept der "Macht" - alias "Mana" ;-) ) war zwar nicht neu, aber für die "westliche" Pop-Kultur sehr ungewöhnlich - und wurde dann auf ein beliebiges Sci-Fi-Gimmick reduziert.)
Wirr-Licht - 24. Okt, 14:14

medichlorianer?

fand ich auch echt beknackt.
MMarheinecke - 24. Okt, 14:40

Sind die Midi-Chlorianer eigentlich ansteckend? Wenn ja, hätte ich eine tolle Verschwörungstheorie über den Schweinegrippeimpfstoff mit Adjuvans ...
Sebastian (Gast) - 24. Okt, 22:42

Und wie bei so vielen Sachen....

...ist es wieder einmal Die Beste Science Fiction Serie Der Welt (tm), Babylon 5, die das Thema "Religion" im nicht-literarischem Bereich wohl am besten behandelt. Die "fabrizierten" Cargo-Cults der Schatten und Vorlonen, bei dem explizit zum Vorschein kommt dass es sich bei den First Ones eben *nicht* um Götter handelt, die diversen religiösen Praktiken der unterschiedlichen Alien-Völker und vor allem die Ungewissheit, ob und wer Recht hat sind einfach nur kolossal gut. Gerade letzteres hat übrigens, neben dem Technik-Bashing, dafür gesorgt, dass mich das Final von BSG so maßlos enttäuscht hat.

Schön ist es übrigens auch, dass der überzeugte Atheist J. Michael Straczynski, der Schöpfer von Babylon 5, zwar teilweise höchst kritisch, aber immer sehr respektvoll mit dem Thema Religion umgeht. Gerade bei Star Trek (insbesondere TNG) herrscht da doch meistens die Auffassung vor, "Wer an Gott glaubt ist doof und primitiv", und das ist einfach nur billig. Und das sage ich als Agnostiker.

sven (Gast) - 25. Okt, 00:09

Babylon5 - Olé Olé. :-)
Bodecea - 25. Okt, 11:02

Hihi, ja - die Asgard bei Star Gate sind putzig. Ganz genau so stelle ich mir spontan germanische Gottheiten vor. Zum Glück haben Odin und Co imho Humor *g*.

Der tolle lesenlesenblog ist übrigens von mir und ein paar Freunden ;-). Magst du mitschreiben?

Bodecea

MMarheinecke - 25. Okt, 15:02

Danke für die Einladung!

Ja, gern, aber erst im Dezember, vorher komme ich bestimmt nicht dazu ...

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