Religion, Magie, Mythen

Montag, 4. Februar 2008

Zum Ausgleich - mal eine Kinderbibel

Etwas näher angesehen, bzw. aus Neugier aus der Bücherei ausgeliehen, habe ich mir die Bibelbearbeitung "Komm, freu dich mit mir", die relativ neu ist (1999), sich an Vorschul- und Grundschulkinder wendet und sich anscheinend großer Beliebheit erfreut. (Bei Amazon: Komm, freu dich mit mir. Die Bibel für Kinder erzählt.)

Sie gehört nicht zu den (märchenbuchhaften) Nacherzählungen biblischer Geschichten, sondern ist eine Art "Religionslehrbuch", d. h. sie enthält Glaubensbelehrung in einem zwar "kindgerechten" aber deutlich predigerhaften Stil. Meiner Ansicht nach ermuntert sie weder Eltern noch Kinder dazu, sich ein eigenes Urteil zu bilden, eigenen Maßstäbe zu entwickeln - "Komm freu Dich mit mir" gibt eine feststehende Moral vor. Wer anders denkt, denkt eben falsch, bzw. "unchristlich". "Komm freu dich ..." orientiert sich übrigens nicht an der biblischen Chrolologie, sondern am Jahreskreis der christlichen Feste.

Dabei ist "Komm freu ... " keine wirklich schlechte Kinderbibel - es gibt weder die "Drohpädagogik", die Kinderbibeln fundamentalistischer Herkunft auszeichnet, noch versteckten Antisemitismus (etwa in dem Sinne, dass "die Juden" schuld am Tode Jesus gewesen seien). Sehr viel tragen neben den fröhlich-bunten Illustrationen die Bastelanleitungen und Mitmach-Spiele zur großen Beliebheit dieser "Kindergarten-Bibel" bei. (Ich habe ein klein wenig den Eindruck, dass sie eine "christliche" Antwort auf die umstrittenen "Jahreskreis"-Bücher von Diana Monson sein könnte.) Aber auch die vorgeschlagenen Gebetstexte kommen bei Rezensenten gut an. Gebete als "Pflichtübungen", selbst in "spielerischer" Form, hinterlassen bei mir grundsätzlich einen üblen Nachgeschmack. Tendenziell begünstigt so etwas Heuchelei und Scheinheiligkeit.
Für problematisch halte ich, dass dieses Buch straffe Richtlinien der "christlichen Früherziehung" vermittelt: das Lernziel ist eben nicht "Selbstbestimmung". Aber genau nach diesen straffen Richtlinien scheinen sich viele Eltern und Erzieher zu sehnen. Ganz bestimmt aber sehnt man sich in konservativen Kirchenkreisen und unter christlich-konservativen Politikern danach.

Wenn das Buch "Wo bitte geht es zu Gott?" manipulativ ist und deshalb nicht ins Kinderzimmer gehört, dann gilt das im weitaus stärkerem Maße für diese beliebte Kinderbibel

Donnerstag, 31. Januar 2008

"Bangemachen gilt nicht!" - oder: Kinderbibel für Skeptiker

Die neueste Sau, die durch mediale Dorf getrieben wird, ist ein Ferkel.
Und ich sehe nicht ein, wieso ich da nicht quertreiben sollte.

Der Reihe nach: die Bundesfamilienministerin Ursula von Leyen stellte einen einen Indizierungsantrag gegen das religionskritische Kinderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" - unter anderem mit dem (meiner Meinung nach absurden) Vorwurf des Antisemitismus begründet.

(Hierzu,vom humanistischen pressedienst : Großer Ärger um ein kleines Ferkel und Rettet das kleine Ferkel.)

Meiner erste Reaktion war es, das Buch, das glücklicherweise in der nächstgelegenen öffentlichen Bücherei vorhanden war, erst einmal zu lesen.
Das Bilderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" stammt aus dem religionskritischen Alibri-Verlag und ist für konfessionslose Eltern gedacht, die ihren Kindern eine religionskritische Sicht vermitteln wollen.
Ferkel und Igel entdecken ein Plakat, auf dem steht: "Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!" Sie fühlten sich bisher ganz wohl und wussten nicht, dass ihnen etwas fehlt. Also machten sie sich auf den Weg, um Gott zu suchen, und lassen sich von einem Rabbiner, einem Bischof und einem Mufti erzählen, was es mit Gott auf sich hat. Rabbi, Bischof und Mufti erscheinen, obgleich sie sich in den Haaren liegen, als gleichermaßen verrückt, als von Angst bestimmte Wahnsysteme.
"Ich glaub’ ja, dass es den Herrn Gott überhaupt nicht gibt! Und wenn doch, dann wohnt der bestimmt nicht in diesen Gespensterburgen!" sagt der Igel am Ende der Geschichte. (Womit er die Moschee, den Dom und die Synagoge meint.)"
Wer Gott nicht kennt, dem fehlt eigentlich nur die Angst.

Das Buch zielt, so sehe ich es, vor allem darauf ab, der religiösen Angstmache, die Drohung vorm "Lieben Gott", der alles sieht, und vor dem fundamentalistischen Wörtlichnehmen alter Mythen, etwas entgegen zu setzen. Es wendet sich an Kinder in einem Alter, in den sie nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben und wissen, dass Märchen Wahrheiten enthalten, aber nicht wortwörtlich "wahr" sind. Und an deren Eltern, Verwandte, Bekannte, an Erzieher und Lehrer.

Ach, übrigens, der Antisemitismus-Vorwurf bezieht sich auf eine Illustration, in der sich die drei Geistlichen in bester "Asterix"-Manie raufen - und der Rabbiner dem Bischof mittels einer ausgerollten Tora-Schriftrolle den Kopf nach hinten zieht. Unsere Familienursel sieht darin die Darstellung eines Versuches, den Bischof mit einer Schriftrolle zu ersticken, womit den Rabbi als "jüdischer Mordbube" in schlimmster antisemitischer Tradition darstellt würde.
(Mir fällt zu diesem Bild, dass auch auf der Website zum Ferkelbuch abgebildet ist, eher ein Kalauer ein: "Bischof in einer Opferrolle".)
Es ist offensichtlich: Um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, mit ihrem Antrag durchzukommen, musste die Ministerin zur Antisemitismus-Keule greifen. Der Alibri-Verlag bedankt sich derweil für die kostenlose Werbung. (Das Ferkelbuch verkaufte sich aber ohnehin glänzend, sogar im Vorweihnachtsgeschäft.)

Man kann zur diesem Buch auch anderer Ansicht sein. Alan Posener meint in seinem Beitrag: Wie antisemitisch kann ein Kinderbuch sein?
Denn genauso wenig, wie es jüdische, christliche oder muslimische Kinder geben dürfte, sollte es atheistische Kinder geben. Kinder sind Kinder. Die Frage, ob es einen Gott (oder hundert Götter) gibt, sollten Menschen möglichst ohne frühkindliche Indoktrination in einem Alter entscheiden, in dem sie nicht an den Weihnachtsmann und den Klapperstorch glauben – oder daran, dass ihre Eltern immer die Wahrheit sprechen.
Grundsätzlich hat Posener recht. Aber: von der Sprache her wendet sich das Buch nicht an Kleinkinder, sondern an Kinder im Grundschulalter, in dem sie normalerweise nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben. Selbst wenn das Buch ein Versuch der atheistischen Indoktrination wäre, wäre es eine "Anti-Kinderbibel" gegen tausende Kinderbibeln. Kinderbibel, in denen z. B. die Geschichte von der Sintflut, in der der liebe, unfehlbare und allmächtige Gott fast alle Menschen und Tiere ersäuft, weil es bedauert, dass er überhaupt den Menschen erschaffen hat. (Intelligente Kinder machen sich da entschieden eigene Gedanken. Etwa in dem Sinne, dass Gott wohl manchmal nicht wisse, was er wolle. Ich wüsste gerne, was Frau von der Leyen auf entsprechende Fragen ihrer Kinder antwortet bzw. antwortete.)

Sogar die fatale (unhistorische und auch nicht direkt aus den Evangelien ableitbare) Behauptung, dass die Juden die Hauptschuldigen an der Hinrichtung Jesus gewesen seien, findet sich noch heute in einigen Kinderbibeln. Die nicht wegen "Antisemitismus" auf dem Index stehen!

Sympatisch und berechtigt finde ich Chajms Ansicht:
In erster Linie scheint das Buch Kinder Respektlosigkeit vor den Überzeugungen anderer Menschen zu lehren und leistet damit einen perfekten Beitrag zur weiteren Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas in diesem Land. Das sollte man dem Autoren und dem Zeichner vorwerfen und nicht die plumpe und vorurteilsbehaftete Sicht auf das Judentum, denn das ist nur eine Facette an dem Buch.
Antisemitisch oder nur völlig daneben?

Damit könnte Chajm Recht haben, und das gesellschaftliche Thema in Deutschland ist tatsächlich stark von Vorurteilen, Klischees und Ängsten geprägt. Aber vielleicht ist es gerade das, was den Buch seine Berechtigung gibt: es macht diejenigen Religionsvertreter lächerlich, die zwecks Verbreitung ihres Glaubens nahezu beliebig mit dem ultimativen Mittel der Angstmache arbeiten, mit der Drohung vor der "ewigen Verdammnis" im Höllenfeuer. Die "Gottesfurcht" im wörtlichen Sinne verbreiten.

Es gibt aber genügend Sektenwerber, Televangelisten, Hassprediger, die den Karrikaturen im Buch allzu ähnlich sind. Und die auch vor der Missionierung von Kindern nicht zurückschrecken. Gegen solche Kinderseelenfänger ist ein Kinderbuch wie "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" ein, denke ich, probates und wirksames Gegengift.

Donnerstag, 10. Januar 2008

"Willst du wer sein und weißt nicht wie? Probier's doch einfach mit Magie!"

Bei einer bestimmten, bisher von mir erfolgreich ignorierten Fernsehshow namens “The next Uri Geller - Unglaubliche Phänomene live” fallen mir die beiden obenstehenden Zeilen aus dem Song Aus dem prallen Heidenleben ein. Allerdings geht es bei der ProSieben-Show nicht um ichschwache oder gößenwahnsinnige (oder aus Ichschwäche größenwahnsinnige) Neuheiden, oder sich erfolgreich am Leben vorbeimeditierende esobärmliche Esoteriker, sondern um Uri Geller und Menschen, die es ihm gleichtun wollen.

Uri Geller ist für mich eine eher erbärmliche Figur. Jemand, der Gabeln biegt und dabei lügt, dass sich die Balken biegen.
Wie seine Tricks funktionieren, kann man bei der GWUP nachlesen:
Uri Geller: Showman oder PSI-Wunder? Zwar ist meiner Ansicht nach bei manchen skeptischen Ansichten, die bei der GWUP vertreten werden, etwas Skepsis angebracht, aber Gellers Magie ist längst als fauler Zauber entlarvt: Er wurde mehrfach beim Tricksen ertappt.
Die meisten der aufgeführten Tricks lassen sich mit etwas Übung gut nachahmen. Das soll aber keine Ermutigung sein bei leichtgläubigen Zeitgenossen als "Wundertäter" zu posieren, besser eignen sich Zauberkunststückchen dieser Art für Parties, Betriebsfeiern, Kindergeburtstage. Wo niemand auf die Idee käme, man hätte auf einmal wirklich "paranormale" Fähigkeiten.

Wäre Geller nun einfach nur "Showman", ein etwas unkonventioneller Bühnenmagier - es wäre nicht weiter der Rede wert. Wäre er aber jemand, der wirklich glauben würde, er hätte an sich paranormale oder magische Fähigkeiten entdeckt, hätte er seine Show nicht unverändert über 30 Jahre durchgezogen.
Was Gellers zum Ärgernis macht, ist, dass er behauptet, "gottgegebene Fähigkeiten" paranormaler Art zu haben.

Nun wil Uri Geller also den verbogenen Löffel abgeben. Gut, soll er machen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass er während der zehnteiligen Show einen Nachfolger findet, der sowohl ein besserer Trickkünstler als auch ein besserer Showman ist, denn auf beiden Gebieten ist er nicht gerade Weltklasse. Seinen Erfolg verdankt er seiner Dreistigkeit - und dem faulen Zauber eines Medienbetriebs, in dem kritische Fragen offensichtlich dann tabu sind, wenn sie eine quotenträchtige "Sensation" stören könnten. Das ist kein neues Phänomen und auch keins, das auf das Privatfernsehen beschränkt ist - Geller hatte den ersten seiner stets von kritischen Fragen unbehelligten deutschen Fernsehauftritte vor 30 Jahren im ZDF.

ProSieben legt noch etwas angewandte Scharlatanerie drauf. In der auf dem selben Sender laufenden "Galileo Mistery" Sendung über "Geister und Gespenster - Was steckt hinter dem Spuk?" (Erstsendung am 4. Januar) werden zunächst einige Spuk-Geschichten entlarvt bzw. wissenschaftlich erklärt. So weit, so gut. Dann, kurz vor dem Ende, wird für fliegende Gegenstände einfach die "Erklärung" Psychokinese bzw. Telekinese und Uri Geller als "Experte" herangezogen. Da der eigentliche Experte der Sendung, der Parapsychologe Walter von Lucadou, die Möglichkeit der Telekinese "nicht ausschließen" will, und der sonstige Eindruck der Sendung sehr rational ist, entsteht beim Zuschauer der Eindruck, an Gellers Kunststücken sei doch "was dran". Wobei in diesem Zusammenhang "ich kann Psychokinese nicht ausschließen" in etwa bedeuten dürfte: "ich habe auch keine Ahnung, was da passiert".

Bei mir entsteht eher Übelkeit, denn bei dieser Form der "Cross-Promotion" bleibt die journalistische Sorgfalt völlig auf der Strecke. (Und ein schaler Nachgeschmack, denn bisher hätte ich nicht gedacht, dass sich "Geisterjäger" von Lucadou für solche "Spielchen" hergibt.) Klar ist: Geller hat offensichtlich eine tiefliegende Abneigung gegen aufmerksame Beobachter und kritische Fragen, also sorgt man, wie einst beim "Großen Preis" und später bei Jauch, für ein unkritisch-staunendes Umfeld.
Mag sein, dass es immer Leichtgläubige gibt, die sich von Typen wie Geller gern hinters Licht führen lassen. Das ist nicht das Problem. Das Problem sind Gellers Helfer, die bei der Zuschauerverdummung mitmachen.

Wer mich näher kennt, der weiß vielleicht, dass ich es auch mit der "Magie" habe, womit ich keine Zauberkunststücke meine. Wie geht das damit zusammen, dass ich nichts von Ritualmagiern mit Fantasietiteln, Liebeszauber-Verkäuferinnen, Kommerz-Hexen, Plastikschamanen und Psi-Kräfte-Vortäuschern halte? Dass mir Magie-Paranoiker, die sich ständig magisch angegriffen fühlen, nur leid tun - es sei denn, sie gehen mir zu sehr mit ihren Geistern auf den Geist?

Ich kann an dieser Stelle versichern, dass es gut geht. Mehr später, in diesem Blog.

Nachtrag: Richtig gruselig wirds bei der Onlineausgabe des Nachrichtencomicsmagazins "Focus": Uri Geller - Der Löffelsammler.
"FOCUS Online: Und später beschlossen Sie, aus Ihren transformierenden Kräften eine Karriere zu machen?"
Ja, ja, so geht "kritischer Qualitätsjournalismus"!

Montag, 7. Januar 2008

Eine - für viele - unbequeme Wahrheit

»Der Westen ist für zwei fundamentale Fehler verantwortlich. Der eine ist Monotheismus – es gibt nur einen Gott –, und der andere ist das aristotelische Prinzip des Widerspruchs – etwas ist entweder A oder Nicht-A. Jeder intelligente Mensch in Asien weiß, dass es viele Götter gibt und dass Dinge sowohl A als auch Nicht-A sein können.«
Nakamura, japanischer Philosoph

Gefunden im sehr lesenswerten "Zeit"-Artikel Gott ist gefährlich - So human Religion auch scheinen mag: Sie birgt stets einen totalitären Kern. Fünf Thesen des Soziologen und Buchautors Ulrich Beck.

Ich bin der Ansicht, dass Beck mit allen fünf Thesen richtig liegt. Applaudieren könnte ich zu dieser Formulierung:
Zweite These: Allein die Frage: »Was ist Religion?« weist eine eurozentristische Schlagseite auf. Denn Religion wird als Substantiv gefasst, wodurch ein klar abgrenzbarer sozialer Satz von Symbolen und Praktiken unterstellt wird, die ein Entweder-oder konstituieren, man kann sie nur entweder glauben oder nicht glauben, und man kann, wenn man Mitglied einer Glaubensgemeinschaft ist, nicht zugleich einer anderen zugehören.
(Siehe auch, vor einigen Tagen: Die "alten Germanen" hatten keine Religion.)

Klasse auch das:
Gegen die »Diktatur des Relativismus« kämpfend, verteidigt Papst Benedikt XVI. die katholische Hierarchie der Wahrheit, die einer Skatlogik folgt: Glaube sticht Verstand. Christlicher Glaube sticht alle anderen Glaubensarten (insbesondere den Islam). Römisch-katholischer Glaube ist der Kreuzbube, der alle anderen christlichen Skatbrüder des Glaubens sticht. Und der Papst ist der allerhöchste Trumpf im Wahrheitsskatblatt der katholischen Rechtgläubigkeit.
Der besseren Verständlichkeit halber ergänze ich meinen Beitrag:
Ulrich Beck zieht gegen das "Entweder-Oder" zu Felde, die binäre Logik (die zwar auf Aristoteles zurückging, der aber außer dieser "klassischen" Logik eine mehrwertige Logik kannte), die Tatsache also, dass die monotheistischen Religionen die Menschheit in Gläubige und Ungläubige aufspalten und damit ein fatales Freund-Feind-Schema etablieren. Also in etwas das, was der Ägyptologen Jan Assman die "mosaische Unterscheidung" nennt. (Wobei Assman nicht einfach toleranten Polytheismus gegen intoleranten Monotheismus setzt, was leider viele Neuheiden tuen.)
Letzten Endes geht diese Religionskritik auf Nietzsches zurück, auch wenn er dazu neigte, die christlich-jüdische Moral (die meiner Ansicht nach durchaus ihre Verdienste hat - wenn sie nicht absolut gesetzt wird) für so ziemlich jede zivilsatorische Fehlentwicklung verantwortlich zu machen.

Sonntag, 6. Januar 2008

Die Drei Heilige Könige waren keine Könige, nicht heilig und noch nicht mal drei

Passend zum heutigen Datum weise ich darauf hin, dass in der christlichen Bibel (dem "Neuen Testament") weder, dass sie Heilige noch Könige, noch zu dritt gewesen seien.

Das Matthäusevangelium berichtet wörtlich von Magoi aus dem Osten, die den neugeborenen König der Juden suchen, weil sie seinen Stern im Aufgang gesehen haben (Mt 2,1-2). Magoi wird im Griechischen allgemein für Magier verwendet, aber auch für die iranisch-medische Priesterkaste aus dem Priesterstamm der Mager. Von daher könnte es sich um persische oder mesopotamische (chaldäische) Sterndeuter handeln. Also keine Könige, sondern entweder zorastische Priester oder chaldäische Astrologen. Bereits die Weisen aus dem Morgenland sind eine geschönte Übersetzung, die „Könige“ der katholischen Tradition nur aus der Kirchengeschichte zu erklären. Die Dreizahl wird auf die drei Geschenke (Gold, Weihrauch, Myrrhe) zurückgeführt - auf frühen Gemälden sind zwischen zwei und acht Magoi abgebildet. Seit der Renaissance werden die drei Weisen manchmal als Jüngling, reifer Mann und Greis dargestellt, häufiger jedoch als der Bezug den zu drei damals bekannten Erdteilen Europa, Asien, Afrika, wobei der afrikanische König oft als dunkelhäutiger „Moor“ dargestellt wurde.

Damit nicht genug: Die Magier aus dem Morgenland sind Idealpersonen. Es könnte theoretisch sein, dass sie historische Vorbilder hatten, der Mythos also einen "historische Kern" hatte, aber das ist durchaus nicht erforderlich.
Bei Matthäus findet sich die Gruselgeschichte vom Kindermord von Betlehem, angeordnet von grausamen König Herodes, der um seine Macht fürchtet, weil die Sterndeuter aus dem Osten nach dem neugeborenen König der Juden fragten. Der herodenische Kindesmord ist mit Sicherheit eine Legende. Es gibt keine weiteren Quellen für die Untat: Es ist zwar belegt, dass Herodes I. ein wenig zimperlicher Herrscher war, und auch, dass er vor politischen Morden nicht zurückschreckte und sogar einige seiner Verwandten ermorden ließ. Es fällt aber auf, dass der jüdische Historiker Flavius Josephus, der alle bekannt gewordenen Verbrechen des Herodes besonderes ausführlich dargestellte (und dabei manchmal dick auftrug), nichts von einem Kindermord in Betlehem berichtet. Selbst wenn Herodes so etwas gewollt hätte: Als von Rom eingesetzter und gestützter Vasallenkönig war seine Souveränität eingeschränkt. Hätte er ein politische unkluges Massaker dieser Art angerichtet, wäre er von Rom abgesetzt worden.
Die Mehrheit der modernen Exegeten geht von einem mythologischen Motiv des Kindermords anlässlich der Ankunft eines heiligen Königs aus. Heilige Herrscher sind als Kinder offensichtlich immer bedroht, egal, ob sie Moses, Krishna, Artus, Alexander oder Jesus heißen.
Die Magoi aus dem Osten wurden offensichtlich für die Erzählung des Mythos benötigt. Außerdem gehören zu einem Herrscher, ob mythisch oder real, immer Gesandte, die ihm huldigen. Ob tatsächlich irgendwelche Sterndeuter den historischen Jesus (dessen Existenz auch nicht gesichert ist) aufgesucht haben, ist im Grunde egal.

Dienstag, 1. Januar 2008

Der Pfeil der Zeit - oder: John Constantine lebt!

Anlass ist ein Film im Fernsehen, den ich mir nicht ansehen werde (weil ich ihn schon kenne): Constantine. Er ist, nebenbei bemerkt, ein heißer Anwärter für meine kleine Rubrik "Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme"; das soll hier und heute nicht Thema sein.

Was mich am Film schwer irritierte, war nicht die geänderte Haarfarbe oder der vom Original, den bei uns viel zu wenig bekannten "Hellblazer"-Comics, abweichende Wohnort John Constantines. Tatsächlich stellt der Film das mythologische Konzept von "Hellblazer" auf den Kopf: In den Comics (er hat auch "Gastauftritte" in anderen Comics des "DC-Multiversums") lebt John Constantine in einer Welt, in der alle Götter aller Panthea gleichzeitig existieren und sich von der Verehrung der Sterblichen nähren. Deshalb kann Constantine sowohl die Hölle (im Stile fundamentalistischer Christen) aufsuchen wie sich mit einem aztekischen Totengott unterhalten. Der Film porträtiert das "Jenseits" nach christlichen Vorgaben, genauer gesagt, Vorstellungen aus dem katholische Volksglauben. Da ist es nur konsequent, dass John Constantine im Film kein Magier, Weltenwanderer und (verbitterter) Humanist ist, sondern eine Art Exorzist mit dem Auftrag der Dämonenbekämpfung.

Ich tröste mich mit der Erkenntnis, dass der John Constantine im Film jemand ganz anderes als der John Constantine im Comic ist. Wichtigstes Indiz: Constantine spricht sich in Wirklichkeit "-teine" aus, nicht "-tin" wie im Film. Schrieb ich eben "in Wirklichkeit", obwohl John Constantine eine Comic-Figur ist?
Eben dessen bin ich mir gar nicht mal so sicher. John Moore, der als sein "Erfinder" gilt, gibt an, John Constantine zwei Mal im wirklichen Leben getroffen zu haben Real-life apearances - und so verrückt es klingt: ich glaube ihm.

John Constantine (c) DC Comics
John Constantine aus "Hellblazer"

Würde ich gerade eine Science-Fiction-Story schreiben (wohlgemerkt: Science Fiction, nicht Fantasy), dann würde ich das Erscheinen Constantines in "unserem Universum" wissenschaftlich-spekulativ so erklären:

Ich greife auf eine Hypothese des Kosmologen und Astrophysikers Max Tegmark zurück, die auf der viel diskutierten "Multiversums"-Hypothese aufbaut, nach der es nicht nur dieses Universum, in den wir leben, gibt, sondern mehrere. Mehr noch: er behauptet, dass alle überhaupt möglichen Universen wirklich sind. Ihm zufolge besitzen einige von ihnen Zeit, andere nicht. Aber sie sind nicht in der Zeit. Die Zeit existiert in ihnen, nicht umgekehrt.Auf einem hochkarätig besetzten Symposium der New York Academy of Science, über das Rüdiger Vaas in der aktuellen bild der wissenschaft berichtet, setzte Tegmak seiner provokanten These noch eins drauf:
"Warum ist die Entropie so niedrig? Weil wir in einem Multiversum leben."
(Zitiert nach: bild der wissenschaft, Heft 1 / 2008, Artikel: "Die mysteriöse Richtung der Zeit" von Rüdiger Vaas.)
Das heißt: Weil es jedes mögliche Universum gibt, egal, wie unwahrscheinlich es ist, muss es auch unser Universum geben. Wir können in der überwältigenden Mehrzahl der Universen nicht existieren, weil die meisten Universen sozusagen, wie Vaas es formuliert, "totgeboren" sind - weil die ihn ihnen herrschenden Naturkonstanten etwa die Entstehung von Sternen und schweren Elementen gar nicht zulassen. Wir sollten uns also nicht über die lebensfreundlichen Bedingungen in unserem Universum wundern. Das ist genau so wenig überraschend, wie die Tatsache, dass wir auf der Erde leben und nicht auf Merkur oder Pluto, denn dort wäre es für Leben, wie wir es kennen, zu heiß oder zu kalt.
Tegmark glaubt, wie viele andere Physiker, dass die Zeit "vorwärts" läuft, weil wir in einem Universum, in dem das nicht so wäre, schlicht nicht existieren könnten.
Egal, wie umstritten Tegmarks Deutung noch ist - die Idee eines Multiversums, in dem alle Universen existieren, die überhaupt existieren können, ist für Science Fiction Autoren unbestreitbar reizvoll. Wenn es unendlich viele Universen gibt, dann existieren auch alle Universen, in denen die aus unserem Universum bekannten Naturgesetze gelten. Alle. Damit gibt es nicht nur uns unendlich oft, es würden nicht nur unendlich viele Universen existieren, in denen Hitler den 2. Weltkrieg gewonnen hätte, und ebenso so unendlich viele, in dem ich die heutige Nacht in einem Gefängnis verbracht habe, sondern auch alle "fiktiv erdachten" Universen, solange nur ihre "Schöpfer" darauf achteten, keine die Existenz von Leben gefährdenden abweichenden Naturkonstanten einzuführen, existieren. (Besonders freigiebigen Gebrauch von dieser Idee machte Robert A. Heinlein, dessen "Alterswerke" ab "The Number of the Beast" fast alle in einem Multiversum spielen, in dem alle "fiktiv erdachten" Universen existieren - also auch alle Romanfiguren Heinleins. Und selbstverständlich auch John Constantine.)

Ich mag dieser radikalen Idee nicht ganz folgen, auch nicht als SF-Schreiber. Sympatischer ist mir ein neues, pfiffiges, Modell, das von der aus Albanien stammenden Physikerin Laura Mersini stammt: Sie beschreibt eine Art Selektionsmechanismus, der nur solche Universen groß und stark werden lässt, die eine niedrige Entrophie besitzen. Voraussetzung ist die Existenz vieler physikalischer Möglichkeiten - etwa die in den letzten Jahren viel diskutierte "Landschaft" der Stringtheorien; ein "heißer Anwärter" für eine Weltformel. Eine Formel, die eine enorme (aber nicht unendliche) Menge von Lösungen hat - vielleicht 10500. Jede Lösung würde einem möglichen Universum entsprechen. Für eine "anthropische" Erklärung im Stile Tegmarks wäre selbst diese enorme Zahl viel zu klein. Doch Laura Mersini hat einen Mechanismus in den quantenkosmologischen Grundgleichungen entdeckt, der wie ein Filter wirkt: In der "Landschaft" der möglichen Anfangsbedingungen für eine inflationäre Ausdehung eines Universums (die wiederum Grundvoraussetzung für eine niedrige Entropie ist) kommt es gleichsam zu einem Kampf zwischen den Eigenschaften der Materie und der Schwerkraft.
Die meisten Kombinationen dieser Größen führen entweder zu Universen, die sofort wieder kollabieren, oder solchen, die in eine zyklische Dynamik geraten, also sich in einer Ewigen Wiederkehr selbst wiederholen, sich also ebenfalls nicht entwickeln können. Nur eine bestimmte "Mischung" der Anfangsbedingungen führt zu Inflation - und damit zu Universen mit niedriger Entrophie. Aus der Fülle der theoretischen Möglichkeiten sind Universen der Art unseres Universums also ziemlich wahrscheinlich. Festzuhalten bleibt: es gibt mehr als nur ein Universum, und alle "erfolgreichen" Universen sind dem uns bekannten sehr ähnlich.
Bei all dem ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass "Zeit" eine von der Entrophie abgeleitete Größe ist - und keine elementare Eigenschaft unseres Universums oder anderer Universen. Es gilt nach wie vor "Zeit ist eine Illusion" - und wir altern nicht etwa, weil die Zeit vergeht, sondern die Zeit vergeht, weil wir altern.

Ich neige (als Amateurphilosoph, -kosmologe, und -SF-Schreiber) zu einem Modell der "offenen Wirklichkeit". Das hieße etwa: es ist durchaus möglich "in der Zeit zu reisen". Aber wäre ein Zeitreisender in der "Vergangenheit", etwa dem Jahr 1908, angekommen, dann gilt diese "Offenheit" auch für seine aktuellen Gegenwart, die Erde des Jahres 1908. Es ist ihm auch dort nicht möglich, die "Zukunft" vorherzusagen, denn es gibt sie noch nicht - und er kommt nur aus einer "möglichen" (oder virtuellen) Zukunft. Er weiß über die Zukunft "seines" 1908 nichts genaues, z. B. nützt es ihm gar nichts, wenn er die Lottozahlen oder ähnliches wüsste. Dafür hätte er aber die Chance, auf den jungen, obdachlosen Postkartenmaler Adolf Hitler in einer Weise einzuwirken, dass in dieser, nun seiner, Welt eine bestimmte schreckliche mögliche Zukunft sich niemals manifestieren wird. (Gut, ich habe keine Beweise dafür, dass es sich wirklich so verhält. Aber ich erlebe die Welt genau so.)

Zurück zu John Constantine - er hat zwei in der Welt der Comichelden seltene Eigenschaften: ersten altert er, und zwar in genau der gleichen Weise, wie ein unzweifelbar für uns realer Mensch, der wie er am 10. Mai 1953, in Liverpool, England, zu Welt kam, altert. Die zweite Eigenschaft: er ist sich der Existenz anderer, alternativer, Universen bewusst - einschließlich der "unserer" Realität.

So gesehen, ist John Constantine ein Comicheld, der leicht in "unserer" Realität existieren könnte. Jedenfalls würde ich nicht an meinem Verstand zweifeln, wenn ich ihm begegnen würde. (Während ich genau das täte, wenn mir Superman oder Mickey Maus über den Weg laufen würden.)

Samstag, 29. Dezember 2007

Die "alten Germanen" hatten keine Religion

Angeregt durch die Bertelsmann-"Studie" zur Religiösität: "Religiöse Atheisten" - oder Umfrageergebnisse nach Maß stieß ich wieder einmal auf die grundsätzliche Fragen, was eigentlich ist . Konkret: Ist Ásatrú, bzw. "nordisch-germanisches Neuheidentum" - also die "spirituelle Richtung", der ich (unter Anderem!) angehöre, eine Religion? Was automatisch die Frage nach sich zieht, ob die "alten Germanen" eine Religion hatten?

Ich neige zu der (vielleicht überraschenden) Antwort: Die "alten Germanen" hatten keine Religion. Die "alten Griechen", "alten Römer", "alten Ägypter" und andere vor-christliche Polytheisten übrigens auch nicht.

Dazu muss man zunächst wissen, was "Religion" überhaupt bedeutet.
Im Sinne der Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wäre auch einer von Armins Cheruskern, dem man den Fragebogen (in entsprechender Übersetzung) vorgelegt hätte, "religiös" gewesen. Genau so wie die meisten Römer, die sich, mit der lateinischen Fassung konfrontiert, wohl als "hochreligiös" erwiesen hätten. Aber das liegt daran, dass der Fragebogen so konzipiert ist, dass er einerseits nicht zwischen "Religiösität" und "Spiritualität" (zwei durchaus verschiedene Dinge) unterscheidet, andererseits auch das Einhalten alltäglicher religiöser Bräuche, unabhängig von der Motivation der Befragten, als Zeichen von "Religiosität" sieht. Ein Atheist, der seiner Familie zuliebe Weihnachten in die Kirche geht, zeigt also laut Fragebogen "religiöses Verhalten". Auch Meditation wird als religiöses Verhalten, ähnlich dem Gebet, gesehen. Aber - auch Atheisten meditieren, denn Meditation kann als reine Entspannungsübung praktiziert werden.
Schon der Wikipedia-Artikel Religion und mehr noch Religionsdefinition verrät, wie naiv (und "christozentrisch") der Ansatz der Bertelsmann-Stiftung ist.

Interessant ist, dass die heidnischen Römer das, was wir heute üblicherweise die "altrömische Religion" nennen, nicht mit dem Wort religio bezeichneten. Nach Cicero (De Natura Deorum 2, 72; 1. Jh. v. u. Z.) geht religio zurück auf relegere, was wörtlich "wieder auflesen, wieder aufsammeln, wieder aufwickeln", im übertragenen Sinn "bedenken, Acht geben" bedeutet. Der Bezug zu religio in der späteren Bedeutung von "Frömmigkeit" oder "Gottesfurcht" entstand dadurch, dass Cicero dabei an den Tempelkult dachte, den es sorgsam zu beachten galt. Aber vor allem bedeutete religio für ihn und seine Zeitgenossen "Rücksicht", "Bedenken", "Skrupel", "Pflicht", "Gewissenhaftigkeit". Ein gewissenhafter Mensch war im altrömischen Sinne "religiös", auch wenn er vielleicht nie im Leben einen Tempel aufsuchte.

Erst der im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebende christliche Apologet Lactantius führte das Wort religio zurück auf religare: "an-, zurückbinden". Damit bereitete er der noch heute üblichen Bedeutungen von "Religion" im Sinne von "Rückbindung" des Gläubigen an einen universellen göttlichen Ursprung oder an sonstige Auffassungen von Transzendenz den Weg.

Eine interessanten Ansatz vertritt Peter Möller in seinem Aufsatz: Religion und Philosophie.
Nach der Einschätzung Möllers hat Religion sechs analytisch trennbare Aspekte:
  1. Dogmatismus: Über das empirisch und rational Erkennbare hinaus werden bestimmte Glaubenssätze aufgestellt, von deren Richtigkeit ohne jeden Zweifel ausgegangen wird.
  2. Unkompliziertheit: In der Regel handelt es sich dabei um eine sehr einfache, dem Auffassungsvermögen der großen Mehrheit der Bevölkerung angepaßte, mythenhafte, märchenhafte Seinsdeutung und Voraussagen, was mit dem Menschen bzw. seiner Seele in Zukunft passieren wird.
  3. Trostpflasterfunktion: Mit dem Glauben an eine jenseitige Vergeltung, ewiges Leben, Wiedergeburt etc. tröstet die Religion viele Menschen über die z. T. gewaltigen Lebensprobleme hinweg.
  4. Ethik: Verbunden mit den religiösen Glaubenssätzen sind Angaben darüber, was gut und böse ist und damit verbunden die Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten.
  5. Kulthandlungen: Verbunden mit diesen Glaubenssätzen werden bestimmte Kulthandlungen durchgeführt, wie zum Beispiel Gottesdienste, Gebete, Rituale etc.
  6. Kirche: In der Regel gibt es eine Organisation, in der die Gläubigen zusammengefaßt sind, und die über die Reinhaltung der Lehre und über die Kulthandlungen wacht.
Gemäß Möller - und da schließe ich mich seiner Auffassung an - machen nur diese sechs Punkte zusammen Religion aus. Würde man z. B. bereits das Aufstellen nicht nachprüfbarer Glaubenssätze Religion nennen, wäre auch ein politischer Fanatiker religiös und eigentlich schon jeder etwas beschränkte, sture Mensch. Dann verlöre der Begriff Religion seinen Erklärungswert.

Zieht man die historischen Quellen und die archäologischen Befunde über die "germanische Kultur" vor der Christianisierung zusammen (was nebenbei gesagt eine gewagte Verallgemeinerung ist), dann wird klar, dass es so etwas wie eine "heidnisch germanische Kirche" nicht gab und ein Priesterwesen im römischen Sinne nicht nachweisbar ist, gar nicht zu reden von einem Klerus im Sinne der monotheistischen Großreligionen. Ebenfalls sicher sein kann man in Fragen des Dogmatismus: die Mythologie geht zwar über das empirisch und rational Erkennbare hinaus, stellt aber keine Glaubenssätze auf, es können verschiedene, sich inhaltlich widersprechende Mythen nebeneinander stehen. (Das war übrigens auch bei den Römern, Griechen, Ägyptern, Kelten usw. so.)
Nicht ganz so einfach ist die Entscheidung hinsichtlich der "Unkompliziertheit": zwar herrschte eine mythenhafte, "märchenhafte" (viele Märchen sind "gesunkene Mythen") Seinsdeutung vor, es gab auch Voraussagen, was mit dem Menschen bzw. seiner Seele in Zukunft passieren wird. Andererseits sind heidnische Weltdeutungen in der Regel eher kompliziert - es ist nicht zuletzt die relative Einfachheit des monotheistischen Christentums, die die Missionierung erleichterte und erleichtert. Hinsichtlich der Unkompliziertheit ist übrigens der Islam dem Christentum mit seinem schwer verständlichen Trinitäts-Konstrukt klar überlegen. So, wie die christliche Dogmatik, jedenfalls für den Normalgläubigen, unkomplizierter ist als die ausgeklügelte und hochabstrakte jüdischen Gesetzesgelehrsamkeit. Wäre ich PR-Fachmann, ich sähe im Islam die Religion mit dem "größten Verbreitungspotenzial". Vielleicht ist es dem Einfluss der PR-Fachleute auf die Politik zu verdanken, dass so viele "westliche" Politiker so viel Angst vor einem "übermächtig werdenden" Islam haben ...
Die "Trostpflasterfunktion" ist im germanischen Heidentum, nach allem, was wir wissen, eher schwach ausgeprägt. "Jenseitige Vergeltung", etwa in dem Sinne, dass "böse Menschen" in die Hölle kämen und ein rechtschaffender und frommer Armer ins Paradies, gibt es noch nicht einmal in den schon vom christlichen Denken beeinflussten Eddas. (In denen allerdings schon von einer "Strafbehandlung" für Meineidige die Rede ist.) Und auch Walhall ist kein "Paradies für gefallene Krieger", wie es oft heißt, sondern ein jenseitiges Trainingslager für Ragnarök. Allerdings mit zugegeben guter Verpflegung und einigem Komfort. Wobei Odin nur die zweite Wahl unter den toten Kriegern hat, die erste Wahl hat Freyja, die "Besten" kommen also nicht nach Walhall, sondern nach Folkwang. Übrigens deutet vieles darauf hin, dass sich die Vorstellung von Walhall erst nach der Völkerwanderung ausgebildet hat und auf den "Adel" und seine Krieger-Gefolgschaften beschränkt war.
Eine ethische Funktion hat die "alte Sitte" schon gehabt, wobei sich "weltliche" und "göttliche" Gesetze und Gebote nicht voneinander trennen lassen. Die klare, dualistische Unterscheidung zwischen "gut" und "böse" fehlt. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass es Kulthandlungen, Rituale usw. gab.

Also treffen zwei der sechs möllerschen Kriterien auf das "germanische Heidentum" überhaupt nicht zu, drei weitere allenfalls teilweise, nur einer, das Ausüben von Kulthandlungen, voll und ganz. So gesehen wäre das germanischen Heidentum keine Religion. Aber auch nichts völlig Anderes.

Eine andere Religionsdefinition geht auf Clifford Geertz zurück. Religion ist, folgt man Geertz, ein Symbolsystem, dessen Ziel es ist, starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu erzeugen, indem Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert werden, die mit einer solchen Aura von Faktizität ("Tatsächlichkeit") umgeben werden, dass die Stimmungen und Motivationen vollkommen der Realität zu entsprechen scheinen. Ein Vorteil von Geertz Ansatz ist, dass er auch "Politreligionen" und ähnliche zur universellen metaphysischen Glaubenssystemen geronnene Ideologien abgedeckt. Das Entscheidende ist, dass Religion beim Gläubigen den Anschein erweckt, die einzige und universelle Wahrheit zu sein.
Es lässt sich, etwas vergröbert, sagen, dass in der der Religion an etwas geglaubt wird, und zwar dergestalt, dass sich "Glauben" und "Zweifel" aneinander ausschließen. Ein Zweifel an den Aussagen der Religion - zum Beispiel an einem heiligen Buch, an der Offenbarung eines Propheten, den Worten eines charismatischen Führers - wird nicht geduldet.
Das trifft auf Heiden - offensichtlich - nicht zu: keine heiligen Bücher, keine göttlichen Offenbarungen, die nur auserwählten Propheten (und sonst niemandem) zuteil werden, keine "unfehlbaren" Religionsführer.

An dieser Stelle ließe sich einwenden, dass es zumindest im griechischen Heidentum den Vorwurf der Asebie, der "Gottlosigkeit", gab. Allerdings hatte dieser Vorwurf, wie man an den Asebie-Prozessen z. B. gegen Sokrates oder Protagoras erkennt, einen politisch-gesellschaftlichen Konnex. Die "Götter Athens" zu leugnen war gleichbedeutend mit einem Verstoß gegen den "Geist" der Polis (und umgekehrt). Die "Asebie" ist nicht mit der "Gotteslästerung" gleichzusetzen - Komödiendichter wie Aristophanes durften ausgesprochen deftig über die Götter spotten, ohne der Asebie verdächtig zu werden. Außerdem gibt es - außer einer Bemerkung über die Bestrafung "Gottloser" bei Tacitus - keine Hinweise, dass es bei den Germanen Vergleichbares gegeben hätte.

Wie dem auch sei: es gibt offensichtlich metaphysische Auffassungen, die zwar keine Religion im Sinne etwa des Christentums sind, aber ihnen in mancher Hinsicht ähneln.

Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann prägte die Begriffe "primäre und sekundäre Religion", die hier vielleicht weiter helfen.

Primäre Religionen haben einen tribalen Charakter, es sind "Stammesreligionen". (Oder, wenn es wie in Rom oder lange vorher in Ägypten zur Herausbildung eines Staates gekommen ist, "Nationalreligionen" - "Nation" passt in diesem Zusammenhang zwar nicht ganz, aber "Staatsreligion" hat schon eine andere Bedeutung.)
Es gibt Stammesgötter und Stammeskulte. Gesellschaft und Religion lassen sich nicht trennen, beides ist "Sitte", die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Primäre Religionen sind eher Lebensstil als Glaubensüberzeugung. Sie bestimmt durch ihre Moral und Ethik das Leben der Gesellschaft. Die Riten dienen vornehmlich der Integration der Gesellschaft, dienen also dem Zusammenleben, allgemeiner gesagt, dem Leben, das sie stärken, fördern wollen. Einer primären Religion kann man sich nur anschließen, indem man durch Riten in den Stamm selbst aufgenommen wird, oder dass der Stamm mit einem anderen ein Bündnis eingeht, dass den religiösen Austausch einschließt. Dabei kommt es jedoch nicht zu einem wirklichen Religionswechsel, selbst bei einer politischen Unterwerfung nicht, sondern zu einer Religionsvermischung.
Auch wenn Missionierung unter primären Religionen nicht vorkommt, Religionskriege unter ihnen kaum möglich sind und "fremde Götter" genau wie "fremde Menschen" zuweilen in die Stammesgemeinschaft aufgenommen wurden bzw. - in staatlich organisierten Kulturen - das Bürgerrecht erhielten, weist Assmann sogar ausdrücklich das "alte Klischee vom 'toleranten Polytheismus" zurück. Polytheistische Religionen sind genau so tolerant (oder intolerant) wie die Gemeinwesen, in denen sie praktiziert werden. So fand die - ausgeprägte und zurecht gelobte- religiöse Toleranz der Römer ihre Grenzen in der "Staatsraison": Cäsar duldete zwar die keltische "Religion" (genauer gesagt, war sie ihm gleichgültig), ließ aber die Druiden, die wesentlichen "Traditionsträger" dieser Primärreligion, brutal verfolgen - weil er in diesem "Geheimbund" eine politische Gefahr sah. Eine andere Grenze der Toleranz war, dass römischen Bürger an der Staats- und Kaiserverehrung teilnehmen mussten - wenigsten in der Form eines pro-forma Opfer für das Heil des Kaisers. Die frühen Christen verweigerten dieses Opfer, weil das die Anerkennung eines anderen Gottes neben dem Gott der Bibel bedeutet hätte. Aus römischer Sicht war das Verrat am Heil der "Staatsgemeinschaft" und folglich ein Akt der politischen Rebellion.

Für die germanische Welt zeichnet der Bochumer Religionswissenschaftler Hans-Peter Hasenfratz in dieser Beziehung ein düsteres Bild: "Alles, was außerhalb des Sippenfriedens steht, ist Feind, dazu gehört der 'Unfreie', der von seinem Herrn bußlos erschlagen werden kann." Hasenfratz schöpft diese Feststellung aus den selben Quellen, die auch "völkische" Germanenfanatiker in ihrer xenophoben (fremdenfeindlichen, wörtlich "gastängstlichen") Weltanschauung bestärken - allerdings mit umgekehrter moralischen Bewertung. Folglich könnte es auch mit der "religiösen Toleranz" der Germanen nicht weit her gewesen sein. Allerdings stammen diese Quellen entweder aus der Völkerwanderungszeit - einem jahrhundertenlangen permanenten Kriegszustand - wobei sich gerade während der Völkerwanderung auch Beispiele genau des gegenteiligen Verhaltens, der bereitwilligen Aufnahme Fremder und fremder Sitten in der Stamm, finden lassen. Die späteren Quellen stammen von christlichen Missionaren, die verständlicherweise das Heidentum in einem düsteren Licht sahen, oder aus hochmittelalterlichen Quellen, die über die "alte Zeit des Heidentums" rückblickend berichteten - wobei selbst wohlwollende Chronisten Sitten ihrer Zeit auf die "Ahnen" zurückprojektierten.
Alles in allem: Kein heidnischer Germane wurde dadurch automatisch tolerant, dass er Polytheist war. Ebensowenig wurde er dadurch automatisch intolerant, weil er einer Stammesreligion anhing.

Assmann benutzt den Begriff "Sekundärreligion" - der Religion im Sinne der oben genannten Religionsdefinitionen - anstelle älterer, unscharfer Begriffe wie "Offenbarungsreligionen", "Buchreligionen", "Hochreligionen", "Universalreligionen" oder "monotheistischer Religionen". Wobei alle diese Merkmale - es gibt eine (exklusive) Offenbarung, eine heilige Schrift, die religiöse Sphäre ist gegenüber der weltlichen abgetrennt und ihr in ethischen und moralischen Fragen übergeordnet, die religiöse Offenbarung gilt für die ganze Welt und nicht nur für ein einzelnes Volk oder eine einzelne Region, es gibt nur einen Gott - mehr oder weniger charakteristisch für Sekundärreligionen sind. Sekundärreligionen entstanden, laut Assmann, aus einer Rebellion gegen eine bestehende Primärreligion - er geht vom Beispiel der Ein-Gott-Religion des Pharaos Echnaton aus, der gegen die mit dem Staatswesen verschmolzenen polytheistische Religion bzw. die Machtfülle deren Priester, die seine Macht beschränkte, rebellierte.
"Sekundäre Religionen, Religionen im "eigentlichen Sinne" sind ursprünglich "Widerstandsbewegungen". Die Ausdifferenzierung des (im eigentlichen Sinne) Religiösen gegenüber dem Politischen und dem Moralischen ist überall aus politischen und sozialen Konflikten hervorgegangen.
Einen entscheidende Unterschied zur Primärreligion beschrieb Assmann so: "Die sekundäre Religion ist in einem ganz neuen und emphatischen Sinne Religion und vor allem: die Sekundärreligion ist 'Herzenssache'." Sie steht für sich, und der Einzelne steht vor Gott.
"Sekundäre Religionen" gehen vielleicht nicht immer auf Rebellen, aber wohl auf Reformer, Charismatiker, Propheten oder ganz neutral Stifter zurück. Während die primäre Religion zwar religiöse Spezialisten kennt (Priester, oft ist das Sippenoberhaupt "Priester", Wahrsager, Heiler u.a.) ist sie dennoch vor allem eine kollektive Angelegenheit.
Die sekundären Religionen sind dagegen in hohem Maße eine Angelegenheit des Einzelnen. Die neue Glaubenswahrheit, die hier verkündigt wird, gilt allen Menschen, nicht nur dem eigenen Volk und Stamm. Während für die primäre Religion die Immanenz im Vordergrund steht, so ist die sekundäre Religion auf Transzendenz gerichtet.
Im Monotheismus tritt der Gedanke der "Gerechtigkeit" in den Vordergrund, hat doch keine "heidnische" Religion jemals Recht und Ethos zu ihrer Hauptsache gemacht. Heidnische Rechtsvorstellungen, einschließlich des altrömischen Rechts, sind eher auf den Interessenausgleich als auf die Durchsetzung abstrakter Rechtsgüter gerichtet. Recht und Ethos liefern nur die "Rahmenbedingungen". Ein "Verbrechen ohne Opfer" oder wenigstens ohne potenzielle Opfer wäre für einen alten Römer, einen alten Griechen, einen alten Germanen ein unsinniger Rechtsbegriff gewesen. Wo kein Geschädigter, da kein Kläger und "Wo kein Kläger, da kein Richter", wie es noch im mittelalterlichen "Sachsenspiegel" stand. Man kann in der Idee einer universellen und bedingungslosen Gerechtigkeit einen Fortschritt sehen.
Für Assmann stellt sich der Monotheismus als vergeistigt und ethisiert dar. In der Regel verstehe sich der Monotheismus von einer Offenbarung her und erfordere zivilisatorisch das Buch, beruhe somit auf "Gedächtniskultur" - in schriftlosen Kulturen kann sich keine Sekundärreligion etablieren. Während die primären Religionen meistens eine tiefe Differenz zwischen dem eigenen Volk und den anderen Völkern machen, setzen universaler Glaubensüberzeugungen voraus, dass alle Menschen auf irgendeine Weise gleich und dazu berufen sind, sich der neuen Glaubenswahrheit anzuschließen. In gleicher Weise ist dem Monotheismus der Gedanke inhärent, seine Glaubensvorstellung habe universelle Gültigkeit: Gibt es nur einen Gott, dann kann der Bereich seiner Wirksamkeit nicht auf eine einzige Region und ein Volk beschränkt sein, sondern in der ganzen Welt, die seine Schöpfung ist, muss sein Name bekannt sein, muss seine Herrschaft religiös anerkannt und gepriesen werden.

Das ist der Grund, weshalb die Entwicklung eines absoluten Wahrheitsbegriffes in den Sekundärreligionen (Assmann nennt sie "Die Mosaische Unterscheidung"), langfristig das pluralistische Nebeneinander des antiken Pantheons unmöglich machte und so tief in das kulturelle Gedächtnis des modernen Menschen eingegangen ist.
Für den Monotheismus ist ein hoher Preis zu zahlen, der unter Anderem in intensiven religiösen, kulturellen und politischen Auseinandersetzungen besteht.

Daraus wird klar, dass sich jede Form des Neuheidentums grundsätzlich von der "Primärreligion" der Zeit vor der Christianisierung unterscheiden muss. Im gar nicht so seltenen Fall entsteht eine Art "nichtchristlicher Kirche" inklusive Klerus, Schriftgläubigkeit und absoluten Wahrheitsanspruch. Im ungünstigsten Fall kommt noch der der primären Stammesreligion abgekuckte Glaube an "Nationalgötter" und eine "Nationalreligion" hinzu - "Ásatrú" nach dieser Lesart wäre nur etwas für Menschen "germanischen oder stammverwandten Blutes". Überschneidungen mit rechtextremer Ideologie sind unzufällig.

Im günstigsten Fall ist Neuheidentum der Versuch, Nachteile der Sekundärreligionen, der Religionen im eigentlichen Sinne, zu vermeiden, die Vorteile, die eine "Primärreligion" dem Einzelnen und der sie tragenden Gemeinschaft bietet, zu nutzen, sich viele Dinge, die in primärreligiösen Stammesgesellschaften anders als im "christlichen Abendland" üblich geregelt werden, anzusehen und von ihnen lernen. Und zwar ohne dabei Errungenschaften der Moderne wie die universellen Menschenrechte oder die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen über Bord zu geben. Das ist möglich, weil diese Errungenschaften, anders, als es die selbsternannten "Verteidiger des christlichen Abendlandes" meinen, eben nicht aus dem Christentum hervorgingen, sondern teilweise außerhalb von ihm, teilweise, wie die "Aufklärung", sogar gegen es entwickelt worden.

Was auch deutlich wurde: modernes Heidentum ist mitnichten in erster Linie oder überhaupt "Glauben an die alten Götter". Wie in den alten "Stammesreligionen" lassen sich "Alltagsethik" und "religiöse Ethik" nicht trennen: beides ist "Sitte". Und, wie ich vor kurzem auf der Julfeier der Nornirs Ætt feststellen konnte, wird diese alt-neue Sitte (Siðr) tatsächlich von Generation zu Generation weitergegeben. (Nicht in Form einer "religiösen Erziehung" oder gar einer Missionierung, sondern durch freiwillig Übernahme "der Jungen" von "den Alten".)

Um auf die Eingangsfestellung zurückzukommen: sowohl die alte "Primärreligion" wie das aufgeklärte Neuheidentum haben wenig mit Religion im eigentlichen Sinne, also Sekundärreligion im Sinne Assmanns, gemein. So wenig, dass es sich strenggenommen verbietet, von einer heidnischen Religion zu sprechen.

Der Grund dafür, dass heute üblicherweise von "heidnischen" oder "polytheistischen" Religionen die Rede ist, liegt daran, dass nicht nur bei der Bertelsmann-Stiftung, sondern sogar innerhalb der Kirchen ein Religionsbegriff üblich wurde, in dem sich sogar philosophische Systeme wie der klassische Buddhismus - der keine Aussagen über einen Schöpfergott oder über die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern macht - einbeziehen lassen. Unter einer so schwammigen Definition wie "System von letztinstanzlichen Verbindlichkeiten" lässt sich nahezu jede Metaphysik zur "Religion" umdeuten. Oder anders gesagt: abgesehen von "Klotzmaterialisten" wären alle Menschen "irgendwie religiös" - und folgt man einigen christlichen Apologeten, glauben schließlich fast alle Menschen "irgendwo" an Gott (womit implizit der Christengott gemeint ist). Dass z. B. viele Juden, Moslems, von Buddhisten und Heiden gar nicht zu reden, auf solche Umarmungsversuche, die man auch als Vereinahmungsversuche sehen kann, nicht eben freundlich reagieren, dürfte allenfalls besagte Apologeten verwundern.

Montag, 24. Dezember 2007

Besinnliches zu Heligabend ...

... entdeckte ich im Online-Archiv der"taz": Stille Nacht, Lügennacht
Heute wird in den Kirchen die Weihnachtsgeschichte verlesen. Doch um deren historische Glaubwürdigkeit ist es schlecht bestellt, sagt der Göttinger Theologe Gerd Lüdemann
Trotzdem allen Christen eine fröhliche Weihnacht!

Mittwoch, 19. Dezember 2007

"Religiöse Atheisten" - oder Umfageergebnisse nach Maß

Von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studien rufen stets ein großes Medieninteresse hervor - warum auch immer. Außerdem sagt man diesen Studien nach, dass sie nach dem Prinzip vorgehen würden, dass schon bei Auftragsvergabe das Ergebnis fest stünde.

Beide Verdächtigungen treffen anscheinend auf den "Religionsmonitor" zu. Sein angeblich sensationelles Ergebnis: Jeder fünfte Bundesbürger ist ein hochreligiöser Mensch.
Man kann da anderer Ansicht sein, wie z. B. der Humanistische Pressedienst Deutschland: „70 % der Bundesbürger religiös"? Nein. Der hpd weist darauf hin, dass dieses "sensationelle Ergebnis" lediglich auf einem terminologische Trick beruhen würde: In der Studie werden für die Religiosität der Befragten drei Gruppen unterschieden: "Nicht religiös" - "religiös" - "hoch religiös".
Nennt man diese drei Gruppen weniger spektakulär "Nicht religiös" - "religiös indifferent/unentschieden" - "religiös", dann entspräche das dem Sprachgebrauch und den Ergebnissen, die in der empirischen Sozialforschung schon seit Jahren vorliegen.

Ein weiterer hpd-Beitrag nimmt sich der Studie auf satirischem Wege an. In der Märchenstunde bei Bertelsmann füllt eine überzeugte Atheistin den Fragebogen aus - mit dem Ergebnis, dass sie "religös" sei.

Man kann übrigens auch selbst an der Umfrage Teilnehmen: Religionsmonitor. Ich habe den Fragebogen ausgefüllt - mein ersten Eindruck: Petra Daheim vom hpd hat recht, die Erhebung unterbietet sogar das Niveau von Persönlichkeitstests der Marke „Wie treu sind Sie?" in Frau im Spiegel. Oder anders ausgedrückt: es ist nicht ganz leicht, die Fragen so zu beantworten, dass man am Ende "nicht religiös" ist.

Mein Testergebnis überrascht infolge dessen auch nicht sonderlich: Ich bin "hoch religios". beten Jedenfalls irgendwie. Insofern beruhigt es mich, dass der Test anonym ist. Jedenfalls irgendwie. Wenn man in einer Großstadt wohnt und die Monitor-Seite über "Tor"- aufruft, z. B..

Als Beispiel greife ich den ersten "Kernbereich" aus meinem Testergebnis heraus - der lässt außerdem wenig bis keine Rückschlüsse auf meine Persönlichkeit zu.
Religionstest
Die Erläuterung hierzu:
Der erste Themenbereich umfasst sieben Kerndimensionen des religiösen Erlebens und
Verhaltens. Sie kommen in allen Weltreligionen vor und können bei einem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Zusammen bilden sie die Grundstruktur der Religiosität eines Menschen.
"In allen Weltreligionen" - darunter versteht man bei Bertelsmann wohl "das Christentum". Jedenfalls sind die Frage meines Erachtens darauf zugeschnitten. Notfalls passen die meisten (nicht alle) noch zum Judentum und zum Islam. Außerdem wurde einige wage, "New-Age"-mäßige Antworten zur Wahl gestellt, die vermutlich auf Buddhisten zugeschnitten sein sollen.
Im Einzelnen können Sie sich zu den sieben Balken folgende Fragen stellen:
Interesse: Wie sehr interessiere ich mich für religiöse Themen und Fragen?
Ein Atheist, der sich intensiv mit Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" befasst, käme hier auf einen hohen Wert. ;-)
Glaube: Wie stark glaube ich an Gott oder etwas Göttliches?
Die Fragen zu diesem Komplex kann ich als Polytheist nur schwer beantworten.
Öffentliche Praxis: Wie oft bringe ich meine Religiosität in Gemeinschaft mit Anderen zum Ausdruck?
Hier liegt das Problem darin, dass nicht alle "Religionen" Alltag, "profane Feiern" und "Gottesdienst" so säuberlich trennen wie die meisten christlichen Kirchen. skaal
Gebet: Wie wichtig ist für mich das Gebet?
In gewisser Hinsicht führe ich durchaus "Zwiesprache" mit den Göttern (den Elementen, anderen Wesenheiten, aber auch Tieren, Planzen, Mineralien). Nicht in dem Sinne, dass ich mich mit ihnen laut unterhalten würde. ;-) Aber das unterscheidet sich doch sehr von einer verbalisierten Bitte an einen Gott, also ein Gebet im christlichen Sinne.
Du-Erfahrung: Wie oft mache ich Erfahrungen mit einem göttlichen "Gegenüber"?
Die Antwort ist klar - siehe Balken
Meditation: Wie wichtig ist für mich Meditation?
Dito.
All-Erfahrung: Wie oft mache ich die Erfahrung mit allem Eins zu sein?
Gut, dass sie den Begriff noch mal erläutert haben, hätte ja sein können, dass es um meine Erfahrung als Amateur-Astronom geht. rotfl

Praktisch auch die mitgelieferten Vergleichsbalken. Jedenfalls, wenn man sich sicher sein will, dass man "dazugehört" und ein "normaler, anständiger Durchschnitts-Deutscher" ist. Starke Abweichungen verstärken wahrscheinlich das Gefühl, "Außenseiter" zu sein, und das Bedürfnis, sich wenigstens äußerlich anzupassen. Was durchaus im Sinne des Auftraggebers liegen könnte.

Dass die Fragen teilweise arg "christozentrisch" sind, lässt sich z. B. hieran erkennen:
Religiöse Gebote im Alltag: Die zweite Perspektive richtet Ihren Blick auf die Frage, wie stark Sie sich in Ihrem Alltag an religiösen Geboten orientieren?
Ich für meinen Teil unterscheide nicht zwischen ethisch begründeten oder sich aus der Praxis des menschlichen Zusammenlebens ergebenden Geboten und solchen, die "religiös" begründet sind oder gar "offenbart" wurden. Von daher ist die Frage für mich nicht zu beantworten. Selbst wenn ich mich an die meisten der "10 Gebote" halte (bis auf das erste und zweite Gebot natürlich. ohne mich.)

Völlig absurd wird die Fragestellung, wenn z. B. danach gefragt ist, ob ich an "Engel" oder ob ich an "Dämomen" glauben würde (mit einer Selbsteinschätzung von "sehr" bis "gar nicht"). Ehrlicherweise müsste ich zugeben, dass ich von der Existenz von "Daimonen" überzeugt bin - im Sinne des Daimonion, das z. B. zu Sokrates sprach. Allerdings lässt die Gegenüberstellung mit "Engeln" (die in meinem Verständnis ebenfalls Daimonen sind) den Schluss, dass mit "Engeln" "Sendboten Gottes" und mit "Dämonen" "Sendboten des Teufels" gemeint sind. An so etwa glaube ich nicht.

Sinn und Zweck des "Religionsmonitors" ist es meiner Ansicht nach, den Christen im Lande (vor allen den politisch einflussreichen Exemplaren) das Bild eines im Großen und Ganzen religiös "ordentlichen" Deutschlands zu vermitteln. Also das zu erzählen, was sie gerne hören wollen. Was für die Bertelsmann-Stiftung nicht untypisch sein soll.

Samstag, 8. Dezember 2007

Das (angestrebte) Scientology-Verbot und die Aufklärung

Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich halte Scientology für eine Organisation, die unter dem Deckmantel einer "Kirche" ihre Mitglieder in Abhängigkeit hält und wirtschaftlich ausbeutet, religiös bemäntelte Kurpfuscherei auf psychotherapeutischen Gebiet betreibt, gerne konspirativ arbeitet und weder vor massiver Desinformation (d. h. Lügen, dass sich die Balken biegen) noch vor Wirtschaftskriminalität zurückschreckt. Das ist, wie gesagt, meine persönliche Meinung. Ich weiß, wovon ich schreibe, denn ich hatte vor Jahren mit der "Org" zu tun und kenne etliche "Aussteiger".

Für eines halte ich Scientology nicht - für eine unmittelbare Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschlands. Es gibt meines Wissens mittelschwer größenwahnsinnige Projekte der "Ron-BORGs", Wirtschaft und Politik zu unterwandern, mit dem Ziel "Clear Germany" (Deutschland wird scientologisch), mit dem Zwischenziel "Clear Planet" (die Erde wird scientologisch) und dem schwer zu überbietenden Endziel "Clear Universe". Letzteres verrät meiner Ansicht nach einiges über den politischen Realitätssinn der bei "normalen" Zielen durchaus pragmatisch agierenden und nicht ungefährlichen "Org". Wer Angst vor einer unmittelbar bevorstehenden Machtübernahme durch die alles unterwandernden Scientologen hat, ist meines Erachtens Opfer der nicht zu unterschätzenden "psychologischen Kriegführung" der Scientology geworden.

Ich bin der Ansicht, dass die Ziele der Scientology durchaus undemokratisch sind - von daher habe ich nichts dagegen, dass staatliche Organe ein Auge auf die Scienties haben, und das kriminelle Aktivitäten der "Org" so behandelt werden, wie organisierte Kriminalität auch sonst behandelt wird.
Aber wenn die Innenministerkonferenz erklärt: Scientology unvereinbar mit dem Grundgesetz (sueddeutsche.de) - dann halte ich das in mehrfacher Hinsicht für problematisch:
Es fehlt es an Sorgfalt hinsichtlich der vorgeschlagenen Maßnahmen:
  • Scientology reagiert erfahrungsgemäß auf Verbote mit Umorganisation und Gründung von Tarnorganisationen
  • Scientology ist durchaus in der Lage, sich im Falle eines Verbotes als "religiös verfolgte" Opfer eines "neuen Naziregimes" darzustellen - es gab bereits eine Scientology-Kampagne in den USA, in der sich Scientologen mit den in Nazideutschland verfolgten Juden verglichen, die dem Ansehen Deutschlands extrem abträglich war. Wir Deutschen haben nun einmal über sechs Millionen Leichen im Keller - und die Scienties stürzen sich ohne Skrupel auf diese "Schwäche". Die Org ist zwar ein Zwerg, aber ein Zwerg mit verdammt großer Klappe, vor allem in den USA und vor allem in der Filmindustrie. Es ist daher taktisch mehr als unklug, Scientology statt durch zähe, beharrliche Basisarbeit (die durchaus erfolgreich ist) mit dem "großen Knüppel" anzugehen.
Dann fehlt es an Reflexion hinsichtlich der eigene Motive:
  • Ein Randproblem wird zur tödlichen Bedrohung aufgeblasen. Was die Innenminister-Konferenz übrigens nicht zum ersten Mal macht.
  • Die Verbissenheit, mit der Scientology dämonisiert wird, hat selbst etwas Religiös-Verbohrtes. Parallelen zur anti-islamischen Affekten, die nicht mehr zwischen intoleranten gewaltbereiten "Dschihadisten" und "Achmed-Normal-Muslim" unterscheiden, drängen sich auf. So, als ob sich unsere Innenminister mehr als "Hüter des christlichen Abendlandes" als "Hüter der Demokratie" begreifen würde.
Die Innenminister zeigen sicher zu Recht voller Abscheu und Empörung auf die Scientologen. Die "Organisation" oder "Kirche" bzw. "Sekte" zu verbieten ist jedoch wieder einmal der aussichtslose Versuch, ein Problem zu verbieten, statt es zu lösen.

Was hilft gegen Scientology? Aufklärung! Aufklärung im Sinne von Bildungsarbeit und öffentlicher Information, Aufklärung in Sinne von Polizeiarbeit (gegenüber kriminellen Aktivitäten der "Org"), aber auch Aufklärung im philosophischen Sinne.
Das Problem, dass ich nicht nur bei der politischen Haltung gegenüber Scientology sehe, sondern auch bei der gegenüber anderen religiösen und quasireligiösen Gruppierungen, ist der weit verbreitet Glaube daran, dass die eigene (christliche) Religion im Besitz der absoluten Wahrheit ist, ein Glaube an die Überlegenheit der eigenen Überzeugungen, der die meisten politischen Überzeugungen in der Schatten stellt. Das blinde Hoffen in die Wirkung der Autorität der Staatsmacht ist auch eine Form des quasi-religiösen Glaubens.

So, wie es im Moment leider aussieht, sind unsere Innenminister eine größere Gefahr für die Verfassung als jede noch so aggressive Sekte.

Übrigens:
Politiker und Verfassungsschützer halten ein Verbot der Organisation Scientology für unwahrscheinlich. Es sei nicht Aufgabe des Staates, den Menschen die Dummheit zu verbieten, heißt es unter anderem.
aus netzeitung: Skepsis gegenüber Scientology-Verbot.

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