"Bangemachen gilt nicht!" - oder: Kinderbibel für Skeptiker

Die neueste Sau, die durch mediale Dorf getrieben wird, ist ein Ferkel.
Und ich sehe nicht ein, wieso ich da nicht quertreiben sollte.

Der Reihe nach: die Bundesfamilienministerin Ursula von Leyen stellte einen einen Indizierungsantrag gegen das religionskritische Kinderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" - unter anderem mit dem (meiner Meinung nach absurden) Vorwurf des Antisemitismus begründet.

(Hierzu,vom humanistischen pressedienst : Großer Ärger um ein kleines Ferkel und Rettet das kleine Ferkel.)

Meiner erste Reaktion war es, das Buch, das glücklicherweise in der nächstgelegenen öffentlichen Bücherei vorhanden war, erst einmal zu lesen.
Das Bilderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" stammt aus dem religionskritischen Alibri-Verlag und ist für konfessionslose Eltern gedacht, die ihren Kindern eine religionskritische Sicht vermitteln wollen.
Ferkel und Igel entdecken ein Plakat, auf dem steht: "Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!" Sie fühlten sich bisher ganz wohl und wussten nicht, dass ihnen etwas fehlt. Also machten sie sich auf den Weg, um Gott zu suchen, und lassen sich von einem Rabbiner, einem Bischof und einem Mufti erzählen, was es mit Gott auf sich hat. Rabbi, Bischof und Mufti erscheinen, obgleich sie sich in den Haaren liegen, als gleichermaßen verrückt, als von Angst bestimmte Wahnsysteme.
"Ich glaub’ ja, dass es den Herrn Gott überhaupt nicht gibt! Und wenn doch, dann wohnt der bestimmt nicht in diesen Gespensterburgen!" sagt der Igel am Ende der Geschichte. (Womit er die Moschee, den Dom und die Synagoge meint.)"
Wer Gott nicht kennt, dem fehlt eigentlich nur die Angst.

Das Buch zielt, so sehe ich es, vor allem darauf ab, der religiösen Angstmache, die Drohung vorm "Lieben Gott", der alles sieht, und vor dem fundamentalistischen Wörtlichnehmen alter Mythen, etwas entgegen zu setzen. Es wendet sich an Kinder in einem Alter, in den sie nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben und wissen, dass Märchen Wahrheiten enthalten, aber nicht wortwörtlich "wahr" sind. Und an deren Eltern, Verwandte, Bekannte, an Erzieher und Lehrer.

Ach, übrigens, der Antisemitismus-Vorwurf bezieht sich auf eine Illustration, in der sich die drei Geistlichen in bester "Asterix"-Manie raufen - und der Rabbiner dem Bischof mittels einer ausgerollten Tora-Schriftrolle den Kopf nach hinten zieht. Unsere Familienursel sieht darin die Darstellung eines Versuches, den Bischof mit einer Schriftrolle zu ersticken, womit den Rabbi als "jüdischer Mordbube" in schlimmster antisemitischer Tradition darstellt würde.
(Mir fällt zu diesem Bild, dass auch auf der Website zum Ferkelbuch abgebildet ist, eher ein Kalauer ein: "Bischof in einer Opferrolle".)
Es ist offensichtlich: Um auch nur den Hauch einer Chance zu haben, mit ihrem Antrag durchzukommen, musste die Ministerin zur Antisemitismus-Keule greifen. Der Alibri-Verlag bedankt sich derweil für die kostenlose Werbung. (Das Ferkelbuch verkaufte sich aber ohnehin glänzend, sogar im Vorweihnachtsgeschäft.)

Man kann zur diesem Buch auch anderer Ansicht sein. Alan Posener meint in seinem Beitrag: Wie antisemitisch kann ein Kinderbuch sein?
Denn genauso wenig, wie es jüdische, christliche oder muslimische Kinder geben dürfte, sollte es atheistische Kinder geben. Kinder sind Kinder. Die Frage, ob es einen Gott (oder hundert Götter) gibt, sollten Menschen möglichst ohne frühkindliche Indoktrination in einem Alter entscheiden, in dem sie nicht an den Weihnachtsmann und den Klapperstorch glauben – oder daran, dass ihre Eltern immer die Wahrheit sprechen.
Grundsätzlich hat Posener recht. Aber: von der Sprache her wendet sich das Buch nicht an Kleinkinder, sondern an Kinder im Grundschulalter, in dem sie normalerweise nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben. Selbst wenn das Buch ein Versuch der atheistischen Indoktrination wäre, wäre es eine "Anti-Kinderbibel" gegen tausende Kinderbibeln. Kinderbibel, in denen z. B. die Geschichte von der Sintflut, in der der liebe, unfehlbare und allmächtige Gott fast alle Menschen und Tiere ersäuft, weil es bedauert, dass er überhaupt den Menschen erschaffen hat. (Intelligente Kinder machen sich da entschieden eigene Gedanken. Etwa in dem Sinne, dass Gott wohl manchmal nicht wisse, was er wolle. Ich wüsste gerne, was Frau von der Leyen auf entsprechende Fragen ihrer Kinder antwortet bzw. antwortete.)

Sogar die fatale (unhistorische und auch nicht direkt aus den Evangelien ableitbare) Behauptung, dass die Juden die Hauptschuldigen an der Hinrichtung Jesus gewesen seien, findet sich noch heute in einigen Kinderbibeln. Die nicht wegen "Antisemitismus" auf dem Index stehen!

Sympatisch und berechtigt finde ich Chajms Ansicht:
In erster Linie scheint das Buch Kinder Respektlosigkeit vor den Überzeugungen anderer Menschen zu lehren und leistet damit einen perfekten Beitrag zur weiteren Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas in diesem Land. Das sollte man dem Autoren und dem Zeichner vorwerfen und nicht die plumpe und vorurteilsbehaftete Sicht auf das Judentum, denn das ist nur eine Facette an dem Buch.
Antisemitisch oder nur völlig daneben?

Damit könnte Chajm Recht haben, und das gesellschaftliche Thema in Deutschland ist tatsächlich stark von Vorurteilen, Klischees und Ängsten geprägt. Aber vielleicht ist es gerade das, was den Buch seine Berechtigung gibt: es macht diejenigen Religionsvertreter lächerlich, die zwecks Verbreitung ihres Glaubens nahezu beliebig mit dem ultimativen Mittel der Angstmache arbeiten, mit der Drohung vor der "ewigen Verdammnis" im Höllenfeuer. Die "Gottesfurcht" im wörtlichen Sinne verbreiten.

Es gibt aber genügend Sektenwerber, Televangelisten, Hassprediger, die den Karrikaturen im Buch allzu ähnlich sind. Und die auch vor der Missionierung von Kindern nicht zurückschrecken. Gegen solche Kinderseelenfänger ist ein Kinderbuch wie "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" ein, denke ich, probates und wirksames Gegengift.
Jari (Gast) - 1. Feb, 14:44

...kann ich die ganze Aufregung um das Buch überhaupt nicht nachvollziehen. Genausowenig die Angst vor Atheismus und die heilige Kuh "religiöse Gefühle". Ich vermute dahinter Angst vor berechtigter Kritik und eventuell daraus folgender Konseuquenzen, wie zB. Menschen die Selberdenker werden. Wenn jemand kritische Fragen zu unterbinden versucht, hat er Angst, dass der Fragende recht haben könnte und noch schlimmer, dass andere das merken. Kritik an Religionen und ideologische Systeme darf nicht mundtot gemacht werden, weil angeblich Gefühle verletzt werden.

Und das mit der areligiösen Kleinkinderziehung ist m.E. nichts als Illusion: Ein Kind mag intentionale Erziehung erfahren oder auch nicht, aber viel prägender ist m.E. die Sozialisation eines Menschen. Ein Kind das in einer christlichen Familie und Gesellschaft aufwächst, wird sozusagen "von selbst" christlich geprägt. Es wird dann vermutlich christlich denken, fühlen und vielleicht auch glauben und wenns das nicht will, muss es sich lösen.

Köppnick - 1. Feb, 18:54

Ich hab's bestellt,

zusammen mit einem zweiten Buch desselben Autors. Erst werde ich es lesen und danach verschenken. Danke für den Tipp.

Jari (Gast) - 2. Feb, 22:03

Ich ebenfalls...

...die haben mit ihrem Versuch das Buch zu indizieren und so die Verbeitung zu unterbinden vermultich genau das Gegenteil erreicht. :-)

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