Freitag, 12. November 2010

Castor-Transporte nach Russland durch Hamburg?

Die Castorbehälter mit Atommüll aus dem westfälischen Ahaus, der zur Endlagerung nach Russland gebracht werden soll, soll über den Hamburger Hafen gehen. Das teilte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auf Anfrage von Radio Bremen mit. Im atomaren Zwischenlager Ahaus lagern 18 Behälter mit Müll aus einer einstigen DDR-Kernforschungsanlage. Die Castoren sollen in den russischen Atomkomplex Majak im Südural gebracht werden. Ein Termin dafür steht noch nicht fest.

An sich sind "Castor"-Transporte durch Hamburg nichts Neues.

Der Grund dafür ist das Kernkraftwerk Krümmel (KKK). Sowohl die Versorgung des 1400 MW-Siedewasserreaktors mit frischen Brennelementen (die nur schwach radioaktiv sind) wie der Abtransport der verbrauchten Brennelemente, die stark radioaktiv sind und deshalb in Castor-Behältern transportiert werden, erfolgt per Bahn. Das KKK ist an eine Nebenbahn, die Geesthacht-Bergedorfer-Eisenbahn, angeschlossen.
GBE
Der Gleisbau wurde 1990 vollständig erneuert - ohne die Castor-Transporte für die Ver- und Entsorgung der Brennstäbe des KKK wäre diese heute kaum noch benutzte Nebenbahn wohl längst stillgelegt worden.

Die Castor-Transportstrecke aus dem KKK verläuft auf der Bergedorf-Geesthachter-Bahn ab Krümmel bis Hamburg-Bergedorf, von da an auf Gleisen der DB-Netz AG über Hamburg-Rotenburgsort über Hamburg-Wilhelmsburg und Hamburg-Harburg zum Rangierbahnhof Maschen (südlich von Hamburg).

Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass diese Transporte jedes Mal von Protestdemonstrationen und Schienen-Blockaden begleitet werden. Es spricht meiner Ansicht Bände, wenn sogar Atomkraftgegner, die nicht in der Region wohnen, weder die Atommüll-Transporte noch die Proteste gegen sie kennen. Nachdem ich aber kürzlich mitbekommen habe, wie viele Menschen glauben, die mit hochradioaktivem Atommüll beladenen Castor-Behälter wurde in Gorleben unterirdisch gelagert werden, erstaunt mich in dieser Hinsicht kaum noch etwas.
Die Castor-Behälter werden im "Transportbehälterlager Gorleben" in einer 182 m langen, 38 m breiten und 20 m hohe Lagerhalle aus 2 m dickem Stahlbeton stehend aufbewahrt. Bei der Einlagerung hat der Atommüll eine Temperatur von etwa 400 Grad Celsius. Erst wenn der Müll nach einer Dauer von 20 bis 30 Jahren durch die nachlassende Aktivität auf etwa 200 Grad abgekühlt ist wäre eine eventuelle Einlagerung in einem Salzstock überhaupt möglich. Hierzu auch: Gorleben: Getrickst, getäuscht, gelogen (FR-online).

Interessant ist die Reaktion der GAL (Hamburger "Grünen"), die bekanntlich in einen Koalition mit der CDU in Hamburg mitregieren:
Castor-Transporte in Hamburg: Was tut die GAL?.
Am 10. November 2010 debattierte die Hamburgische Bürgerschaft einen Antrag der LINKEN zu den geplanten Atomtransporten. Unter dem Beifall von SPD, GAL und LINKEN verkündete die Vorsitzende des Umweltausschusses Jenny Weggen (GAL): "Wir werden alle Möglichkeiten ausreizen, damit keine Castoren durch Hamburg rollen."
Die Bremische Bürgerschaft hatte auf Druck der Bremer Linksfraktion mit den Stimmen von SPD, Grünen und LINKEN beschlossen, die bremischen Häfen für die Transporte zu sperren.
Aus Sicherheitsgründen habe man von Anfang an massive Bedenken geltend gemacht, den Transport über Bremen oder Bremerhaven abzuwickeln. Ein Transport über Bremerhaven (Bremen käme ohnehin nicht in Frage) wäre wahrscheinlich riskanter als über Hamburg - was noch lange nicht bedeutet, dass eine Verschiffung ab Hamburg unbedenklich wäre!

Es gibt, wie in Bremen, auch in Hamburg eine breite parlamentarische Mehrheit gegen den Castor-Transport nach Russland. Das Problem dabei: die CDU ist für den Transport - und die GAL hat schon einige Mal dem größeren Koalitionspartner nachgegeben.

Nachtrag: Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg lehnt eine Verschiffung ab!
DDR-Atommüll
Hamburgs Hafen soll für Atomfracht dicht bleiben
(SpOn).

Dienstag, 9. November 2010

Bevor der Tag zuende geht:

  • 9. November 1848 – Robert Blum wird in Wien erschossen. Anfang vom Ende der "Märzrevolution" in den Staaten des Deutschen Bundes
  • 9. November 1918 – Novemberrevolution: Maximilian von Baden verkündet die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. Friedrich Ebert wird Reichskanzler. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft vom Reichstagsgebäude aus die Deutsche Republik aus. Am selben Tag verkündet der Kommunist Karl Liebknecht vom Berliner Stadtschloss aus die deutsche Räterepublik.
  • 9. November 1923 – Hitler-Ludendorff-Putsch in München. Wurde blutig niedergeschlagen. Skandalös milde Urteile für die Putschisten.
  • 9. November 1925 - Hitler ordnet die Gründung der SS ( Schutzstaffel) an.
  • 9. November 1938 – von der NSDAP organisierte, angeblich spontane, Pogrome, auch "Reichskristallnacht": Beginn der offenen Judenverfolgung in Nazi-Deutschland.
  • 9. November 1967 - Bei der Amtseinführung des Rektors der Hamburger Universität entfalten Studenten ein Transparent mit dem Spruch "Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren". Wird zum Symbol der Studentenproteste.
  • 9. November 1969 - Die linksradikale Organisation Tupamaros West-Berlin platziert eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin. Die Bombe explodiert jedoch nicht. Später stellt sich heraus, dass die Bombe von Peter Urbach stammte, einem V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes.
  • 9. November 1989 – Öffnung der Berliner "Mauer", Anfang vom Ende der DDR
  • 9. November 2007 – Das Gesetz zur Vorratsdatenspreicherung wird mit den Stimmen von CDU und SPD vom Bundestag verabschiedet.
Schon am 8. November 1939, aber auch zum "Schicksalstag der Deutschen" gehörend: Georg Elsers Bombenattentat auf Hitler.

Sonntag, 7. November 2010

Verfahrene Situation

Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen hierzulande (und auch anderswo) ein glasklares Bild der Situation der Palästinenser haben, und natürlich genau wissen, was Israel machen müsste, damit endlich Frieden einkehrt im "nahen Osten". (Als ob der nur aus Israel und unmittelbarer Umgebung bestünde und als ob dort ansonsten tiefer Frieden herrschen würde!) Damit meine ich nicht etwa als "Antizionisten" getarnte Antisemiten, die froh sind, dass "die Juden auch nicht besser sind".

Der "Durchblick" der Stammtischstrategen und Wohnzimmer-Politiker beruht sicherlich zum Teil darauf, dass ein aus zweiter und dritter Hand vermitteltes Bild alles vereinfacht und vergröbert, weshalb alles so klar erscheint. Wichtiger ist, dass bei solchen Menschen zuerst die Weltanschauung kommt, und dass es umso schlimmer für die Wirklichkeit ist, wenn sie sich nicht daran hält. (Der von mir an sich sehr geschätzte schwedische Kriminalschriftsteller Henning Mankell gibt meines Erachtens ein Musterbeispiel für dieses Denken.)

Vor kurzem las ich bei Lila über einen bizarren und erschreckenden Vorfall:
Ein Krankenwagen des Roten Davidsterns fährt durch ein arabisches Örtche in der Nähe von Ostjerusalem. Wütender Mob schmeißt sofort mit Steinen danach. Die Unverschämtheit der Juden, ihren Krankenwagen durch diesen Ort zu fahren!
Kleiner Schönheitsfehler: der Kranke, der im Wagen drin lag und behandelt wurde, war Palästinenser.
Weiter: Noch eine Meldung

Lila vermutetet, dass, wenn die Rettungssanitäter samt Patient gesteinigt worden wären, der Patient als Märtyrer der Besatzung gefeiert worden wäre - vom Yahud zu Tode gerettet. Da ich weiß, wie weit Realitätsblindheit infolge ideologischen Denkens gehen kann, und mir keine Illusionen über Gruppendynamik mache, halte ich Lilas Vermutung für plausibel.

Ein bizzarres und trauriges Beispiel menschlicher Dummheit / Verhetztheit – und ein Musterbeispiel dafür, dass die Lage erheblich komplizierter, verfahrener, verrückter und unübersichtlicher ist, als es sich Stammtischstrategen und Wohnzimmerpolitiker fernab von Israel auch nur vorstellen wollen!

Mittwoch, 3. November 2010

Beitrag zu einem Langzeitprojekt (1)

Es geht um ein "Langzeitprojekt" der "Nornirs Ætt", über dessen Einzelheiten, vor allem spiritueller Art, ich mich nicht öffentlich auslassen möchte. Wichtig ist an dieser Stelle eine meiner Ansicht nach notwendige Voraussetzung für das Ziel dieses Projektes: Es kann nur dann Gelingen, wenn die Denkstrukturen, die - unter anderem - die Nazi-Diktatur hervorgebracht haben, gebrochen sind.

Einer dieser Denkstrukturen oder besser Denkgewohnheiten, ist der Glaube an "den Staat" - hier: ganz konkret an die "Vergöttlichung" des Staates in Deutschland.
Wir müssen endlich Schluß machen mit dem alten deutschen Irrglauben, der Staat sei ein höheres Wesen, dem man sich blind anvertrauen dürfe.
Harro Schulze-Boysen, deutscher Offizier, Publizist und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, hingerichtet am 22. Dezember 1942

Xenophobie, Rassismus, "Leitkulturdebatten", Nationalismus, Antisemitismus, Homophobie, Hetze auf Minderheiten, Verachtung "sozial Abgehängter", Hass gegenüber "Außenseitern" usw. gab und gibt es leider so ziemlich überall. Dass es einen "deutschen Sonderweg" gäbe, der quasi zwangsläufig das aggressiv-imperialistische wilhelminische Deutschland und später mit Nazi-Deutschland das verbrecherischte Staatswesen der Weltgeschichte hervorbrachte, glaube ich immer weniger. Erst einmal, weil es in der Geschichte keine Zwangsläufigkeiten gibt - Brecht hatte Recht, als er seine Parabel auf Hitlers Aufstieg zur Macht Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui nannte. Die Nazis haben nicht die "Macht ergriffen", sie wurde ihnen vom deutschnationalen und konservativen Lager angetragen - aus Kalkül. Bis Ende Januar 1933 wäre die Nazidiktatur recht einfach aufzuhalten gewesen. Und die Weimarer Republik hat sich mit der Zustimmung fast aller Parteien selbst entmachtet.

Der zweite Grund ist der, dass es zwar viele Strukturen in der deutschen Gesellschaft gab, die den "Griff nach der Weltmacht" (1. Weltkrieg) und den Vernichtungskrieg Nazideutschlands begünstigten, aber eine "Kausalkette", die sozusagen von der "verspäteten Nation" über die bismarksche Reichsgründung zum 1. und 2. Weltkrieg und den Gaskammern von Auschwitz reichen würde, ist erkennbar "post festum" konstruiert. Ähnlich ist es mit dem "deutschen Nationalcharakter", den einige (auch deutsche) Schreiber schon bei den Kimbern und Teutonen festmachen wollen.

Es gibt aber tatsächlich deutsche Eigenarten, Denkgewohnheiten, die Diktatur und Machtmissbrauch sehr entgegen kommen. Eine seltsame, und auch heute noch (oder wieder) politisch wirksame deutsche Kontinuität liegt z. B. in der Überschätzung der eigenen Macht und der eigenen Möglichkeiten.
Die von Schulze-Boysen angesprochene "Vergottung" des Staates gehört für mich ohne Zweifel ebenfalls dazu.
Er hat leider immer noch recht.

Hinsichtlich anderer deutscher Denkstrukturen, etwa der Obrigkeitsgläubigkeit, hat sich seit Schulze-Boysens Tagen vieles zum Besseren gewandelt. Die quasi-religiöse Überhöhung des Staates - die auch beim wirtschaftsliberalen "Standortnationalismus" spürbar ist, nicht. Wenn von Standortnationalisten ein "schlanker Staat" gefordert wird, dann ist damit meiner Auffassung nach ein Staatswesen gemeint, dass auf maximale Effizienz getrimmt ist und dessen Zweck es ist, einer
Wesenheit namens "die Deutsche Wirtschaft" optimale Bedingen zu geben. (Natürlich ist "die Deutsche Wirtschaft" ein willkürliches ideologisches Konstrukt, das einerseits handfeste Eigeninteressen "metaphysisch" überhöht, anderseits Konflikte zwischen Interessengruppen - etwa den zwischen Großkonzernen und "Mittelstand" - verschleiert.) Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen "dem Volksganzen" der Völkischen, dem "Nationalstaat", wie ihn klassische Nationalisten vergöttern, der "deutschen Wirtschaft" einer Richtung, für die ich die historische Bezeichnung nationalliberal für treffend halte, oder auch dem Staatsbegriff der "Kasernenhofkommunisten", wie er einst in der DDR und heute noch in vielen Köpfen Linker und "Linker" steckt, ist, bei allen Unterschieden im Detail, kaum zu übersehen. Der "Staat" als Selbstzweck und zugleich höchste weltliche Autorität steckt uns Deutschen noch in den Knochen.

Erst wenn Schulze-Boysen nicht mehr Recht haben wird; wenn die deutsche Regulierungswut und ausgeprägte Paragraphengläubigkeit genau so Vergangenheit seien werden, wie "Leitkulturturdebatten" und öffentlich geschürte Verhöhnung der Verlierer, dann wird die Vergötterung des Staates, die den Untergang Nazideutschlands so mühelos überstand, beendet sein.

Meiner Ansicht nach geht die deutsche Staatsgläubigkeit zum Teil auf Luther und die Reformation zurück, sicherlich auch auf das "preußische Gesellschaftsverständnis" seit Friedrich II. und die - romantisch überhöhte - Sehnsucht nach einem (noch nicht existierenden) mächtigen deutschen Nationalstaat in der Zeit zwischen den "Befreiungskriegen" und bismarkscher Reichsgründung. Diese Reichsgründung mit Gewalt ("Eisen und Blut") und List - und die damit verbundenen "Revolution von oben" - dürfte einer der wichtigsten Faktoren bei der Herausbildung des "typisch deutschen" Staatsverständnisses sein.

Ein wichtiger Faktor für die "Vergötterung des Staates" ist das eigentümliche Verhältnis von Staat und Kirchen in Deutschland. Einerseits gibt es keine Staatskirche, anderseits sind Staat und Kirche nicht, wie in westlichen Demokratien üblich, deutlich getrennt. Die großen Kirchen spielen die seltsame Rolle einer "offiziellen moralischen Anstalt", in der politischen Praxis werden bei schwierigen ethischen Fragen gern kirchliche Organisationen quasi als "Fachbehörden" herangezogen. (Beispiel: das Embryonenschutzgesetz von 1990, in dem sich die römisch-katholische Auffassung, dass bereits die befruchtete Eizelle ein menschliches Individuum sei, durchsetzte.) Es ist fast so etwas wie ein Tauschgeschäft: die Kirchen "liefern" klare Wegweisungen und Grenzziehungen, mit den Vorteil, dass sie, jedenfalls für gläubige Christen, aus berufenem Munde kommen, und in ewigen Werten und Wahrheiten verankert sind. Als Gegenleistung für diesen politisch nützlichen Dienst erhalten die "Amtskirchen" Privilegien, die für einen Staat ohne offizielle Staatsreligion einmalig sein dürften. Die moralische Legitimation durch die Religion dürfte "göttliche" Stellung "des Staates" im deutschen Denken jedenfalls stärken.

Kein Wunder also, dass die Pfarrerstochter Angela Merkel unter großem Beifall auf der CDU-Regionalkonferenz in Berlin-Brandenburg sagte, dass wer sich nicht am christlichen Menschenbild orientiere, fehl am Platz sei. (Siehe Eigene Identität statt "Multikulti-eiapopeia" (Tagesspiegel.de).) Bei einem Treffen mit Vertretern der "Deutschen Evangelischen Allianz" (DEA) stellte Kanzlerin Merkel klar, dass sie nicht den Islam fürchte, sondern sich Sorgen um den nachlassenden christlichen Glauben in Deutschland mache.
Die Logik ist, aus Sicht einer CDU-Politikerin, nachvollziehbar: Es ist ja durchaus denkbar, islamische Organisationen nach dem Vorbild der Kirchen in das Legitimationssystem des "deutschen Staates" einzubauen. Umgekehrt liegt der Verdacht nahe, dass viele Menschen, die aus den großen etablierten Kirchen austreten, sich gar nicht von der Religion, sondern von den Amtskirchen als "Religionsbehörden" verabschieden - der anhaltende Boom der "Freikirchen" und der "neuen religiöse Bewegungen" spräche dafür.
Aber auch die "echt nichtreligiösen" Menschen unter den Konfessionsfreien sind für das "traditionelle" deutsche System der moralischen Legitimation politischen Handels durch Kirchenvertreter eindeutig "verloren". Vom Wirken der Kirchen sind sehr viele Menschen moralisch, politisch und ökonomisch enttäuscht. Vor allem haben die Kirchen, entgegen der moralischen Autorität, die ihnen auch von SPD-Politikern zugebilligt wird, nach 1945 keine Neubegründung der Moral geleistet - statt dessen wurden alte Moralvorstellungen wieder etabliert. Die Beiträge der Kirchen zu Demokratie und Rechtsstaat kann man mit der Lupe suchen.

In einer rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung (wie wir sie hoffentlich noch haben) kommt es auf die Vernunft der Politiker und auf deren Integrität, aber nicht aber deren religiöses Bekenntnis an.

Trotzdem: In gewisser Weise können die Kirchen auch meiner Ansicht nach ein Gegengewicht gegen (etwas pathetisch formuliert) moralischen Verfall sein - etwa gegen die weit verbreitete Ellenbogenmentalität und ihre ideologische Rechtfertigung, den "Sozialdarwinismus". Sie vermitteln auch Werte, die sich vom monetären Wertsystem des radikalen Kapitalismus und dem des "am Glück der Vielen" orientierten Utilitarismus deutlich - und wie ich finde, angenehm - unterscheiden. Ich verstehe unter "Werten" beispielsweise Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit - zwingend verbunden mit Tugenden wie Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit und Rücksichtnahme. Ob die Kirchen diese Werte immer überzeugend vertreten und vermitteln, ist fraglich - aber immerhin sind sie im kirchlichen Raum noch relevant.

Aber wenn die Kirchen nur bedingt als ethische Institution taugen, und wegen ihrer Rolle in einem System der "Staatsvergottung" als Institutionen problematisch sind - wer oder was könnte die "moralische Richtschnur" für politisches Handeln liefern?
Das in der deutschen Geschichte schon praktizierte Modell, dass "der Staat" (bzw. das politische System) diese Funktion gleich miterledigt, wäre im deutschen Irrglauben, der Staat sei ein höheres Wesen, dem man sich ohne Bedenken anvertrauen könne, nur konsequent. Ein Blick in die Geschichtsbücher enthüllt die Konsequenzen dieses Denkens.

Wir wäre es mit dem Weltethos?
Ich halte es für wenig hilfreich, denn das "Projekt Weltethos" wendet sich an die (großen) Religionen der Welt und berücksichtigt Menschen, die diesen Religionen fern stehen, nur am Rande.
Ein weiteres Problem karikierte ein Freund von mir, der auf einem "Weltethos"-Kongress zu Gast war, mit den Worten "Von Weltethikern wird alles gnadenlos niedertoleriert".
Wer an einem "nicht integrierbaren" Wahrheitsanspruch festhält, schließt sich selbst aus dem Kreis der Diskussions- und Gesprächswürdigen aus. Das mag bei religiösen Fundamentalisten noch verständlich sein, aber auch z. B. Naturalisten haben einen Wahrheitsanspruch, und zwar einen, der innerhalb der großen Religionen nicht konsensfähig wäre. Selbst der (bewusst eingeschränkte und vorläufige) Wahrheitsanspruch der Naturwissenschaften kollidiert mit dem "Weltethos", das einerseits im Namen der Toleranz alle Wahrheitsansprüche ausschließt, andererseits eine ziemlich genaue, im interreligiösen Dialog ermittelte, Vorstellung davon hat, was das eine Wahre und Gute ist
Alles in Allem riecht mir das Weltethos mehr und mehr nach einer Neuauflage des Modells "Kirche als Fachbehörde für ethische Fragen".

Besser gefällt mir da schon ein vom Einzelnen ausgehender Ansatz, wie ihn Roland Alton in Ethify Yourself vertritt. (Auch wenn Altons Ansatz auch diesen mir nicht behagenden "Patentrezept"-Beigeschmack hat.) Dem Wertekanon aus neun Werte mit dem Anspruch auf universelle Gültigkeit für einen breiten Kulturkreis kann ich jedenfalls zustimmen.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: "Godzilla" (1954)

Er ist gewissermaßen der Klassiker unter den gut-doofen Filmen. Der Film, der sehr vielen Filmfreunden als erster einfallen dürfte, wenn man sie nach einem richtig blöden Film, der aber auf seine Art richtig gut wäre, fragt:
Gojira 1954
Ishirō Hondas erster Gojira- bzw. Godzilla-Film aus dem Jahr 1954!

Godzilla war der Prototyp eines überaus erfolgreichen Genres, des Kaiju-Films, genauer gesagt, des Daikaiju-Films. ("Kaiju" heißt nichts anderes als "Ungeheuer" und "Daikaiju" "Riesen-Ungeheuer", aber die japanischen Filme dieser Art haben so viele kulturell bedingte Eigenarten gegenüber Monsterfilmen us-amerikanischer oder europäischer Machart, dass sich, wie beim "Anime", diese Bezeichnung international durchsetzte.) Die meisten Daikaiju-Filme sind, nicht nur meiner Ansicht nach, einfach nur doof, sehenswert allein durch viel unfreiwillige Komik und die manchmal imponierend geschickt gemachten, manchmal herrlich grotesk schlechten, Spezialeffekte

Aber "Godzilla" ist nicht nur doof. Dieser Film hat einige überraschende Qualitäten.
Die erste Überraschung für alle, die deutsche Unterscheidung zwischen "E-" und "U-Kultur" oder die US-amerikanische Trennung zwischen "A-", "B-" und "C-productions" verinnerlicht haben, ist, dass Honda als Regie-Assistent an mehreren anspruchsvollen und als Filmklassikern geltenden Filmen des berühmten japanischen Regisseurs Akira Kurosawa mitarbeitete und darüber hinaus ein enger Freund und Vertrauter Kurosawas war. Wahrscheinlich führte Honda bei der Episode "Der Tunnel" in Kurosawas großartigem und viel gelobten Episodenfilm "Yume" ("Träume" bzw. "Akira Kurosawas Träume")von 1990 Regie. Glaubt man der Internet Movie Database (auf die im Großen und Ganzen Verlass ist), dann führte Honda bei den Episoden "Der Tunnel", "Fujiyama in Rot" und dem Prolog und Epilog von "Der weinende Menschenfresser" Regie und schrieb für "Der Tunnel" und "Fujiyama in Rot" die Drehbücher. Auch an anderen Alterswerken des gesundheitlich schon angeschlagenen Kurosawas soll Honda entscheidend beteiligt gewesen sein - in welchen Umfang ist aber reine Spekulation. Anscheinend wird über solche Dinge in Japan, anders als etwa im klatschfreudigen Hollywood, diskret hinweggegangen. Offiziell arbeitete Honda nur als Regieassistent an den Kurosawa-Filmen "Kagemusha" (1980), "Ran" (1985), "Träume" (1990), "Rhapsodie im August" (1991) und "Madadayo" (1993) mit.

Honda konnte also auch "anspruchsvoll", auch wenn er durch seine Monsterfilme weltberühmt wurde. (Auf der offiziellen Ishiro Honda website (engl.) erfährt man, wie vielseitig der "Trash-Filmer" in Wirklichkeit war.)

Zum Inhalt: Bei der Insel Odo sinkt auf rätselhafte Weise ein Fischtrawler, auch zwei Schiffe, die die Vorfälle untersuchen sollen, erleidet dieses Schicksal. Auch die wenigen Überlebenden können nichts Genaues sagen.
Die Bewohner der Insel Odo kennen eine Legende um ein Ungeheuer namens Gojira (ゴジラ, zusammengesetzt aus "gorira (ゴリラ) "Gorilla", und "kujira" (クジラ) "Wal"), das an Land nach Nahrung sucht, wenn es im Meer keine Fische mehr findet. Nur wenn ihm junge Mädchen geopfert würden, könnte es wieder besänftigt werden. In der Nacht steigt Gojira aus dem Meer, die Insel wird teilweise zerstört.
Herbeigeeilte Wissenschaftler unter Professor Yamane entdecken gewaltige radioaktive Fußabdrücke auf der Insel. Professor Yamanes Erklärung: Gojira hätte Jahrmillionen unter Wasser verbracht und wäre von Atombombenversuchen aufgeschreckt worden. Im Seegebiet, in dem Gojira vermutet wird, wirft die Marine Wasserbomben ab, gegen den Rat von Yamane, der sich weigert, eine Methode zu finden, das Ungeheuer zu töten.
Seine Tochter Emiko besucht Dr. Serizawa, dem sie seit ihrer Kindheit versprochen ist. Dr. Serizawa hat den "Oxygen-Zerstörer" erfunden, ein Gerät, dass den Sauerstoff in seiner unmittelbaren Umgebung zersetzt und damit alles Leben vernichten kann. Da der Oxygen-Zerstörer in den falschen Händen zur einer fruchtbaren Waffe werden könnte, nimmt er Emiko das Versprechen ab, niemanden von seiner Erfindung zu erzählen.
Gojira lässt sich auf seinem Weg in Richtung Tokio weder vom Militär, das buchstäblich sein ganzes Waffenarsenal gegen das Ungeheuer verfeuert, noch von Hochspannungskabeln aufhalten. Gojira zerstört Tokio fast vollständig.
Als Emiko die Zerstörung und das Elend sieht, erzählt sie dem Marineoffizier Ogata von Serizawas Erfindung. Serizawa weigert sich so lange, den Oxygen-Zerstörer einzusetzen, bis er die Fernsehbilder der von Gojira verursachten Verwüstungen sieht.
Emiko, Ogata, Serizawa und Professor Yamane fahren mit einem Schiff auf die Bucht von Tokio, in der Gojira, nachdem er von einer Staffel Jagdflugzeuge mit Raketen beschossen wurde, untergetaucht ist. Ogata und Serizawa tauchen hinab, und setzen den Oxygen-Zerstörer ein. Von Gojira bleiben nur noch die Knochen übrig. Während Ogata wieder auftaucht, bleibt Serizawa unten, wünscht Ogata, dass er mit Emiko glücklich werden soll. Niemand soll das Geheimnis der furchtbaren Waffe kennen. Dann schneidet der junge Wissenschaftler den Luftschlauch seines Helmtauchanzugs durch.
Professor Yamane sagt am Schluss, dass, wenn die Menschheit weiterhin Atomwaffen bauen würden, noch weitaus schlimmere Ungeheuer geweckt werden könnten.

Alles in Allem ist die Story von "Gojira" zwar schlicht, aber keineswegs dumm: Eine eindringliche Parabel auf die Gefahren des Atomzeitalters, verpackt in ein modernes Märchen.
1954, als "Godjira" gedreht wurde, waren die Erinnerungen an die Schrecken der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki noch frisch.
Der unmittelbare Anlass für den Produzenten Tomoyuki Tanaka, eine Parabel auf die Gefahren des Atomzeitalters drehen zu lassen, war ein skandalöser Vorfall um den japanischen Fischtrawler Dai-go Fukuryū-maru ("Glücklicher Drache V"), der am 1. März 1954 durch den Fallout eines US-amerikanischen Kernwaffentest radioaktiv kontaminiert wurde. Alle 23 Besatzungsmitglieder erlitten eine schwere Form der Strahlenkrankheit. Der Funker Aikichi Kuboyama verstarb am 23. September 1954 daran, sechs weiter Besatzungsmitglieder erkrankten an Leberkrebs.
Eigentlich arbeitete der Produzent Tanaka an einen anderen Filmprojekt, das aber scheiterte. Das Filmunternehmen Toho verlangte von ihm daraufhin einen Film, egal welchen, der die Verluste wett machen sollte, den aber möglichst schnell!
Nach dem "Glücklichen Drachen"-Vorfall verfiel Tanaka auf die Idee mit dem durch Atombomben geweckten Monster. Das Vorbild war der Film "The Beast from 20,000 Fathoms" (1953), in dem ein im Polareis eingefrorener Dinosaurier durch einen Atomversuch "aufgetaut" wurde. Aber "Gojira" ist alles andere als eine Kopie - dafür sorgten schon die Tanakas und Hondas Erinnerungen an die atomar zerstörten Städte Hiroshima und Nagasaki, und der Einfluss der japanischen Mythologie.
Die Anfangsszene des Films, in der der Trawler "Bingo Maru" von Gojira angegriffen wird, und spätere Szenen, in denen Überlebende anderer Angriffe mit radioaktiven Verbrennung gefunden wurden, sind eng an den "Glücklicher Drache"-Vorfall angelehnt. Gojiras Angriff auf Tokio hat die Wirkung einer Atombombe - nur langsamer, und das in Ruinen liegende Tokio erinnert stark an die Bilder vom zerstörten Hiroshima. Die Allegorien sind plakativ: der "Flammenatem" des "Drachen" wird im Film "atomarer Strahl" genannt, und veranschaulicht offensichtlich die unsichtbare Wirkung der Radioaktivität, so wie die Fußspuren, in denen buchstäblich "kein Gras mehr wächst", für den Fallout stehen.

Ich vermute, dass es kein Zufall ist, dass Gojira nicht, wie sein Name nahelegt, eine Mischung aus Gorilla und Wal, oder, wie von Tanaka in Erwägung gezogen, ein Riesenkrake ist, sondern eindeutig ein feuerspeiender Drache, notdürftig als "mutierter Dinosaurier" getarnt.
Ähnlich wie in China und anders als im christlichen Europa sind Drachen in Japan keine durchweg "bösen", sondern ambivalente Wesen. Die meisten japanischen Drachen sind Gottheiten des Wassers, und sind, anders als ihre chinesischen Verwandten, nur selten geflügelt. Die Drachen aus japanischen Mythen haben oft die Fähigkeit des Gestaltwandels: Sie können sich in Menschen verwandeln, und Menschen in Drachen. (Kuriosum am Rande: Eine Eigenschaft, die sie mit vielen Drachen der nordisch-germanischen Mythologie teilen.) Der Tennō, der japanische Kaiser, nimmt traditionell eine Abstammung vom Drachenkönig und Meeresgott Ryūjin für sich in Anspruch.
Der Umstand, dass der radioaktiv kontaminierte Fischtrawler ausgerechnet nach dem Glücksdrachen Fukuryū benannt war, könnte den Anstoß gegeben haben, aus Gojira einen zornigen Meeresdrachen zu machen.
In späteren Filmen durfte Gojira (bzw. sein Artgenosse) dann auch ein "gutes", beschützendes Daikaiju sein - ganz wie es einem japanischen Meeresdrachen zukommt.

Gojira wurde aufgrund einer fehlerhaften Transskription der Katakana (Silbenschriftzeichen) in der US-Fassung zu "Godzilla".

Offensichtlich ist die Körperform Gojiras von den Theropoden, auf zwei Beinen laufenden, fleischfressenden Dinosauriern inspiriert, auch wenn seine Rückenplatten an einen Stegosaurus erinnern.
Ursprünglich wollte Eiji Tsuburaya, der Spezialeffekt-Regisseur, Gojira in Stop-Motion-Technik animieren lassen, aber der enge Terminplan ließ dieses zeitraubende und kostspielige Verfahren nicht zu. Also stieg ein Stuntman, Katsumi Tezuka, in ein schweres Kostüm aus Gummi und trampelte zwischen Gebäude-Modellen herum. Ironisch wurde diese Improvisation in Anlehnung "Stop Motion" "Suitmation" genannt, und wurde ein "Markenzeichen" der Daikaiju-Filme.

Notgedrungen führt Suitmation zu einer für Zweibeiner-Dinos untypischen Körperhaltung:
Dino vs Godzi
Diese beiden in dieser Hinsicht originalgetreuen Spielzeugmodelle zeigen den Unterschied der Körperhaltung zwischen einem Tyrannosaurier (links) und Godzilla: der Dinosaurier hält seinen Körper nahezu waagerecht, Godzilla steht aufrecht.
Was das Größenverhältnis angeht: Wie viele andere Riesenmonster (z. B. der erste "King Kong") ist Godzilla größenvariabel, je nach Umgebung schwankt seine erkennbare Höhe zwischen 30 und 150 Metern.

Der (meiner Ansicht nach einzige) Vorzug von Roland Emmerichs "Godzilla" (USA, 1998),ist dann auch die dinosauriermäßige Körperhaltung des computeranimierten Monsters, das von von Fans des japanischen Originals GINO ("Godzilla In Name Only") genannt wird.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Fremdlesen: Evolutionsbiologe wünscht größere Achtung vor Naturerbe

Die UN-Artenschutzkonferenz gehört auch meiner Ansicht nach zu jenen gut gemeinten, aber schlecht durchdachten Großkonferenzen, deren magere Ergebnisse im krassen Missverhältnis zum Aufwand, der betrieben wird, stehen.

Auf den ersten Blick wirkt die Aussage des Evolutionsbiologen Josef H. Reichholf im Interview mit D-Radio, dass die gängige These, dass täglich mehrere Dutzend Arten aussterben, nur eine Annahme sei, die sich aber auf Unkenntnis des Artenbestandes der Erde bezöge, empörend. Beim näheren Hinsehen redet Reichholf Klartext, den vor allem Politiker und Wirtschaftslobbyisten "im Norden" nicht gerne hören dürften. Und eine bestimmte Sorte Ökologisten mit geradezu religiöser Vorliebe für apokalyptische Szenarien ebenfalls nicht. Zumal Reichholf ein profilierter Artenschützer ist, und z. B. an der erfolgreichen Wiederansiedlung des Bibers in Bayern beteiligt war.
(...) Karkowsky:Landwirtschaftliche Ausbeutung, die wiederum vom Menschen natürlich verschuldet ist. Da hat diese Artenschutzkonferenz ja drei wichtige Prämissen. Erste: Weltweit sterben täglich Arten aus. Zweitens: Das muss verhindert werden, denn die Biodiversität ist wichtig. Und drittens: Der Mensch hat's verbockt. Da widersprechen Sie ja gleich zweien dieser Prämissen, oder?

Reichholf:Ja, im Grunde genommen allen dreien. Denn der Mensch, das ist mir zu allgemein. Es sind eben bestimmte wirtschaftliche Interessen von reichen Ländern, die Hauptverursacher sind und den Hauptgrund liefern für die Entwicklungen; und dass täglich oder jährlich so und so viele Arten aussterben, ist eine Annahme, eine Art Hochrechnung, die sich aber auf Unkenntnis des Artenbestandes der Erde bezieht. Die Arten, die wir kennen, die können wir erfassen, und nach allem, was mir bekannt ist, ist in den letzten zehn Jahren so gut wie keine einzige bekannte Art ausgestorben. Wir haben also ein großes Missverhältnis zwischen dem tatsächlichen Kenntnisstand, und der besagt, seit dem 19. Jahrhunderts ist die Rate des Aussterbens von Tier- und Pflanzenarten rückläufig und in unserer Zeit fast auf Null gegangen ...
( ...) Wir haben diese Erfolge und wir haben sie bei solchen Arten, die vorher aktiv verfolgt wurden, deren Ausrottung eigentlich jahrhundertelang das Ziel war im Falle der Wölfe oder bei den Adlern und anderen Greifvogelarten oder Raubtieren. Das hat sich geändert, das ist einer der ganz großen Erfolge des Artenschutzes im Speziellen und des Naturschutzes ganz allgemein.

Aber die Vorstellung, dass alles schlechter würde in der Natur, die ist dennoch weit verbreitet gerade in unserem Land, obwohl die Verhältnisse sich nicht bei uns verschlechtern - da sind sie besser geworden -, sondern in Regionen, die wir eben mit unserer Art zu wirtschaften ausbeuten. Und das liegt uns so fern und deswegen schwingt, so mein Eindruck, in solchen Großkonferenzen das schlechte Gewissen ganz entscheidend mit.
Das ganze Interview: Reichholf: Artensterben ist "nicht mehr als eine Vermutung"

Montag, 25. Oktober 2010

Die Hörnern der Kühe und die bio-dynamische Landwirtschaft

Es gibt viele traditionelle und wenig hinterfragte Methoden in der Landwirtschaft, die genau betrachtet Tierquälerei sind. Damit befasste sich vor Kurzem das u. A. das FAZ Wissenschaftsblog Planckton: Fohlen-Brandzeichen im Bundesrat: In den neuen Tierschutzdebatten geht es um archaische, aber lange geduldete Methoden.

Eine der erwähnte archaischen Methoden ist die weit verbreitete Enthornung von Rindern. Wobei es - anders als für das veraltete Brandzeichen - durchaus rationale Gründe dafür gibt, wieso vor allem Milchkühen die Hörner entfernt werden - denn sie können sich mit ihren natürlichen Waffen gegenseitig verletzen.
Die hornlose Kuh (merkur-online)
Wolle ein Landwirt Rinder mit Hörnern halten, müsse er den Stall so konzipieren, dass die Tiere mehr Platz haben. „Das scheitert aber oft an der Wirtschaftlichkeit“, so Wachinger.
Daher ist es kein Wunder, dass sogar die meisten Bio-Bauern - wenn auch oft mit schlechtem Gewissen - den Kälbern die Hornanlagen ausbrennen.

Eine Ausnahme sind allerdings die biologisch-dynamischen Landwirte. In der anthroposophisch orientierten Landwirtschaft können Kühe ihre Hörner behalten. Und damit hätte ich einen Anschluss an meinen Artikel über Rudolf Steiner gefunden
Die Hörner von Kühen auf Demeter-Höfen dürfen nicht entfernt werden, dies ist laut Demeter-Richtlinien nicht gestattet. In besonders begründeten Ausnahmefällen ist das Enthornen zulässig, hierfür muss eine zeitlich befristete Ausnahmegenehmigung von der Organisation eingeholt werden.

Das ist im Sinne des Tierschutzes gut begründbar. Aber Steiner ging es, als er diese Regel formulierte, nicht in erster Linie um Tierschutz. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, dass bei Steiner oft Vernunft, mystisches Denken, Intuition und ausgemachte Spinnerei nahtlos ineinander übergehen. (Mit "Spinnerei" meine vor allem Steiners Neigung, einfach frei vor sich hin zu assoziieren - an sich eine gute Voraussetzung für kreatives Denken - aber dann die so gefundenen Gedankenketten nicht zu reflektieren, geschweige dann, (selbst-)kritisch zu hinterfragen.)

Auf die Frage, wieso die Kuh eigentlich Hörner hätte, gab Steiner folgende Antwort:
Die Kuh hat Hörner, um in sich hineinzusenden dasjenige, was astralisch-ätherisch gestalten soll, was da vordringen soll beim Hineinstreben bis in den Verdauungsorganismus, so dass viel Arbeit entsteht gerade durch die Strahlung, die von Hörnern und Klauen ausgeht, im Verdauungsmechanismus.
Rudolf Steiner, 4. Vortrag "Kräfte und Substanzen, die in das Geistige hineingehen: Die Düngungsfrage", S. 97 unten, aus: "Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft" (pdf)

Das ist keine Parodie, und auch kein böswilliger Versuch meinerseits, Steiner durch ein durch aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat als abgedrehten Esoterik-Spinner darzustellen.
Die vollständig Antwort Steiners auf die Frage "Haben Sie schon einmal nachgedacht, warum die Kühe Hörner haben, oder gewisse Tiere Geweihe haben?" findet sich auf den Seiten 96 - 98.

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