Sonntag, 26. August 2007

"Summer of Love VI" - die unvollständige sexuelle Revolution

In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren. Das Ende des chemischen Pfingstens schließt sich inhaltlich an die Beitrag LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an.
Was wäre der "Summer of Love" ohne Freiluft-Sex? Und was wäre die "wilden 60er" ohne "Sexuelle Revolution"?

Die Theoretiker
Der Begriff "Sexuelle Revolution" geht auf den Psychoanalytiker Wilhelm Reich zurück. Er schrieb sein berühmtes Buch, das ursprünglich den Titel "Die Sexualität in Kulturkampf" trug, bereits 1936. Nach seiner Emigration in die USA schrieb er eine eine erweiterte englischsprachige Fassung "The Sexual Revolution", die 1945 erschien.
Nach Reichs Auffassung bringen Doppelmoral und Unterdrückung der vitalen sexuellen Triebe Persönlichkeitsdeformationen mit sich und führen so zu Aggression und Frustration, welche verdrängt würden und sich oft in Lust an Herrschaft und Hierarchie ein Ventil schaffen müssten.
Reich war der Ansicht, dass eine Befreiung der Sexualität eine friedliche Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen mit sich bringen würde, eine gewaltfreie Revolution. Menschen, die in befriedigenden sexuellen Zusammenhängen leben, lassen sich nicht so bereitwillig wie sexuell Frustrierte in Herrschaftsstrukturen einbinden oder zu Gewalttaten mobilisieren. (Wer hier den Ursprung des bekannten Hippiespruches "Make Love, not War" sucht, liegt richtig!) Eine unterdrückte Sexualität lähmt die kreativen Potenziale eines Menschen (in dieser Hinsicht vertrat er einen anderen Ansatz als Freud) - und können deshalb der Unterdrückung durch das kapitalistische System nicht viel entgegensetzen. Reich war Kommunist - allerdings einer, der schon 1936 die UdSSR als staatskapitalistisch und strukturell faschistisch entlarvte.

Der wesentliche "Vordenker" der "68er-Bewegung" war der "Freudomarxist" Herbert Marcuse, der sich ebenfalls Gedanken um eine "sexuelle Revolution" machte und dabei in seinem Werk "Triebstruktur und Gesellschaft" einen etwas Ansatz als Reich vertrat: Marcuse zentraler Begriff dabei war der "Eros", den er als (heute verdrängtes) Lustprinzip begriff und der weit mehr umfasste als "Sexualität". Er war der Ansicht, dass es ein "befreiter Eros" nicht zum Untergang der Kultur führen würde (was Freund befürchtete), sonders dass es zu einer Selbst-Sublimierung der Sexualität käme. Dank des "befreiten Eros" und des überwundenen Realitätsprinzips (das ich ganz grob mit "Sachzwang-Denken" umreißen möchte, und dessen herrschende Ausprägung das allgegenwärtige Leistungsprinzio ist) wäre "kultiviertere" Beziehungen der Individuen untereinander möglichen. Marcuse geht von einer dem Eros innewohnenden "libidinösen Moral" aus, die nach der Abschaffung der "zusätzlichen Unterdrückung" ( und der damit verbundenen Herrschaftsformen zur Ausprägung einer befreiten Gesellschaft führen könnte. Marcuse hielt eine Überwindung der patriarchaler und institutionalisierter Kleinfamilie für möglich und nötig.

Die Liberalisierung des Sexualstrafrechts
Die "Sexuelle Revolution" der 1960er und 1970er war, gemessen an dem, was sich Reich vorstellte, allenfalls ein revolutionäres Geplänkel. Trotzdem veränderte sie die Gesellschaft grundliegend, und zwar nicht nur im "Westen".
In gewisser Hinsicht war die "sexuelle Revolution" z.B. in der DDR erfolgreicher als in der BRD. In der DDR gab es nur eine Gegenkraft, den Staat, der in Sachen sexuellen Freiheiten oft bereitwillig nachgab (bei andere Freiheiten dagegen umso weniger) und die Emanzipation der Frau schon aus Arbeitskräftemangel förderte. Im "Westen" hatten es die "sexuellen Revolutionäre" mit mehreren Gegnern zu tun, wobei die entschiedensten Gegner betont katholische Politiker, Publizisten und "Medienzaren" waren.
Was sich in der west-deutschen Gesellschaft seit den 1950 Jahren in Sachen sexuelle Selbstbestimmung alles veränderte, kann man deutlich an den Gesetzen erkennen: Bis zu den großen Strafrechtsreformen 1969 und 1973 waren außereheliche Sexualität, Homosexualität und Pornografie generell strafbar. Schutzgut war nicht die Sexuelle Selbstbestimmung, sondern die Sittlichkeit und öffentliche Moral. Neben dem § 175 StGB, nach dem jeder Schwule und jede Lesbe sozusagen mit einem Bein im Knast stand, war der "Kuppeleiparagraph" § 180 StGB besonders heikel, der die Förderung oder Tolerierung von vorehelichem Geschlechtsverkehr ("Unzucht") unter Strafe stellte. Es z. B. war unter Strafandrohung verboten, einem unverheirateten Paar ein gemeinsames Hotelzimmer zu vermieten.
Die Anhänger der "Sexuellen Revolution" waren für eine Abschaffung völlige Abschaffung des Sexualstrafrechts. Da dies auch die Streichung der Paragraphen 174 bis 176 des StGB, die den sexuellen Missbrauch von Gefangenen und Kranken sowie Abhängigen, homosexuelle Handlungen an Jugendlichen sowie den sexuellen Missbrauch von Kindern unter Strafe stellen, bedeuten würde, war diese Forderung selbst in linken und alternativen Kreisen nicht mehrheitsfähig. Als die GRÜNEN diese Forderung Anfang der 1980er Jahre noch einmal erhoben, wurde das von breiten Teilen der Presse und Öffentlichkeit als Beleg für eine pädophilenfreundliche Haltung innerhalb der GRÜNEN gesehen und von politischen Gegnern begierig aufgegriffen, was im Landtagswahlkampf 1985 zum "Kindersexskandal" führte. Tatsächlich gab es bei den GRÜNEN eine aktive pro-pädophile Gruppe, die die breite innerparteiliche Strömung für mehr sexuelle Freiheit instrumentalisierte.

Die "Pille" - und die Folgen
Es gab eine chemische Substanz, die vor allem jungen Menschen in den "wilden 60ern" mehr in Aufruhr versetzte, als Rockmusik und alle Drogen zusammen: Die "Pille".
An und für sich waren Medikamente zur Empfängnisverhütung "nur" weitere Verhütungsmittel. Aber der bloße Umstand, dass es Medikamente waren, und keine mechanischen Vorrichtungen wie Kondome oder die "Spirale" - die "Pille" verhieß die totale Emanzipation des Menschen von seiner Biologie. Was von kirchlicher, vor allem katholischer Seite gleich zum Vorwurf führte, dass die "Pille" Gottes Willen in die Hände pfuschen würde. Damit geriet die "Pille" von Anfang an in eine heftige Diskussion, die eine heftige Debatte der Sexualität, die Wiederum eine heftige Debatte über sexuelle Tabus, Familienstruktur, Patriarchat und Unterdrückung der Frau zu Folge hatte. Schließlich wurden, dank "Pille", endlich auch abseits der Fachkreise Sexualität und Vermehrung unabhängig voneinander diskutiert. Vorher hatte mehr oder weniger das Leitbild vorgeherrscht, dass der Spaß am Sex nur ein "Ausgleich der Natur" (oder Gottes) für die "Mühen von Schwangerschaft und Kinderaufzucht" seien, Sex "nur des Vergnügens wegen" also etwas "widernatürliches" sei.
Man kann sagen, dass ohne die "Pille" der "Summer of Love" nicht denkbar gewesen wäre.

Im Alltag führte das zuverlässige und diskrete Verhütungsmittel in Tabletten- oder Drageeform zu einem entspannteren Sexualleben, sowohl innerhalb wie außerhalb der Ehen. Was dann zu einer entspannteren Diskussion sexueller Fragen führte.
Davon profitierten auch andere Verhütungsmittel: Die fortschreitende sexuelle Befreiung ließ sich, zumindest in westdeutschen Großstädten, an den Kondom-Automaten ablesen. Um 1955 gab es sie noch nicht, Kondome gab es nur in der Apotheke, "unterm Ladentisch" bei Friseuren und in einigen Drogerien, und im diskreten Versandhandel (das war lange das Hauptgeschäft des Beate-Use-Versands). Um 1960 tauchten die ersten Automaten zunächst in Männerklos auf. Schließlich, Ende der 60er, gab es sie auch im "öffentlichen Raum". Es dauerte aber noch bis zum "AIDS-Zeitalter" Anfang der 80er bis die "Gummis" auch in allen Supermärkten mit "Vollsortiment" zu finden waren.

Die Praxis der "sexuellen Revolutionäre" in Westdeutschland
"Pille", Popkultur und allgemeine Ausbruchstimmung hatte schon längst einen Wandel der Sexualmoral eingeleitet, und die offen sexualfreundliche Hippie-Subkultur stand längst in voller Blüte, als die nachmals "68er" genannte, breite "linke" Strömung, die Forderung nach sexuellen Freiheiten aufgriff. Einig taten das nicht nur verbal ("Kommune 1" usw.).

Einerseits wollte man sich - wie andere, unpolitische junge und weniger junge Menschen auch - von der bigotten Prüderie der 1950er-Jahre befreien, andererseits war die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung groß - und Marcuse und Reich zeigten, wie wichtig eine befreite Sexualität für eine befreite Gesellschaft wäre. Durch die Unterdrückung von vitalen Trieben sahen viele 68er den Menschen in seiner Persönlichkeit deformiert; die Gedanken Reichs ("Die Massenpsychologie des Faschismus") legten nahe, in der sexuellen Unterdrückung die Ursache für die Bereitschaft, anderen Menschen so Entsetzliches anzutun, wie es die Nazis taten, zu sehen.

Wichtig für das Interesse vieler "68er" an der Sexuellen Revolution war die Tatsachen, dass die "neuen sexuellen Freiheiten" - die sich die Menschen einfach nahmen, die Strafrechtsreform folgte später - vehement von kirchlich/konservativen Kreisen bekämpft wurden. Sie hatten damit einen Gegner gefunden, der auch der Gegner gesellschaftlich liberal denkender Menschen aus anderen politischen Lagern war, was zu Folge hatte, dass die auf sexuelle Befreiung gerichteten Forderungen der "68er" sehr viel stärkere gesellschaftliche Veränderungen hervorriefen, als andere Ziele. Die "68er" politisierten die "stille Sexuelle Revolution", nutzten sie für ihre Zwecke - während umgekehrt die politisierte "Sexuelle Revolution" der "unpolitischen" sexuellen Emanzipation half. Zumindest meistens.
Aus der "68er-Bewegung" rekrutierten sich auch die ersten Vertreter der "zweiten deutschen Schwulenbewegung". Allerdings taten sich selbst viele "Linke" und "Emanzipierte" damals noch mit der Schwulenemanzipation schwer. Anspruch und Wirklichkeit klafften weit auseinander.
Das war ein zentrales Problem der "Sexuellen Revolution" war. Die theoretisierenden Studenten und Junggelehrte waren in der Praxis eher sexuell verklemmt als "sexuell befreit" - was allerdings, berücksichtigt man in welchen gesellschaftlichen Klima sie aufgewachsen waren, nicht überraschen mag.
Daneben gab es auch Unverklemmte, die einfach "loslegten", vor allem unter Einfluss der Hippie-Subkultur (wobei es auch verklemmte Hippies gab). Die Schnittmenge zwischen Theoretikern und Praktikern dürfte sehr klein gewesen sein. Ein weiteres Problem waren die "Übereifrigen" und Sektierer, die einzelne Aussagen Reichs und Marcuses quasi zu Dogmen erhoben, und z. B. die Kleinfamilie mit einem Eifer attackierten, der die Position der Gegner einer befreiten Sexualität eher stärkte.
Es lag, allen Übertreibungen, Missverständnissen, Ideologisierungsversuchen usw. zum Trotzt bestimmt nicht an den "68ern", dass die "sexuelle Revolution" unvollständig blieb.

Die "Sexwelle"
Die sexuellen Revolution, die auf die Befreiung der sexuellen Bedürfnisse und letzten Endes auf grundlegende Veränderung der Gesellschaft abzielte, blieb unvollständig: sie kam über trotz allem wichtig Ansätze nicht hinaus. Es gab eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts, erste Erfolge der Schwulen- und Lesbenemanzipation, die (teilweise) sexuell liberale Hippiekultur. Vor allem aber gab es die "Sexwelle". Die liberaleren Gesetze und das allgemein "sexfreundlicher" gesellschaftliche Klima ermöglichten ab Mitte der 60er Jahre eine bisher nicht dagewesene Vermarktung der Sexualität - wobei die besonders gewinnträchtige Pornographie in der Bundesrepublik Deutschland erst 1971 legalisiert wurde. Auf Verlauf und bizarre Auswüchse der "Sexwelle" gehe ich hier nicht näher ein, es sollte aber erwähnt werden, dass die Anhänger der Sexuellen Revolution von dieser Entwicklung nicht gerade begeistert waren. Besonders kritisiert wurde, dass fast nur die überkommenen sexuellen Normen und Verhaltensweisen, also die "unbefreite" Sexualität, dargestellt und propagiert wurde, und dass das "Gefühl" gegenüber der "Orgasmus-Mechanik" ins Hintertreffen geriet. Das Frauenbild der "Sexwelle" war - vorsichtig ausdrückt - meistens arg emanzipationsfeindlich, es wurden fast nur "Männerphantasien" bedient. Sex wurde lediglich vermarktet und das ursprüngliche Ziel der Sexuellen Revolution in Sinne Reichs, die "charakterliche Selbststeuerung des Menschen" - nicht einmal angestrebt. Im Rückblick lässt sich aber sagen, dass die viel geschmähte Sexwelle doch einiges zur sexuellen Emanzipation beitrug, einfach, weil sie zur Auseinandersetzung mit Sexualität förmlich zwang. Eine Verdrängung der Sexualität hinter verschlossen Schlafzimmertüren, wie noch in den 50er Jahren, war in einer Gesellschaft, in der die Kioske voller "Softpornos" hängen, einfach nicht mehr möglich.

Der vorzeitige Abbruch der "Sexuellen Revolution"
Nicht nur gemessen an den tendenziell utopischen Maßstäben Reichs und ganz bestimmt utopischen Marcuses, sondern auch an den pragmatischen einer echten "sexuellen Selbstbestimmung", einer "befreiten Sexualität", ist die "Sexuelle Revolution" ein Torso geblieben. Schlimmer noch: spätestens seit den 80er Jahren ist auf vielen Gebieten eine "sexuelle Gegenrevolution" zu spüren, die heute, im Zuge des Rückgriffs auf "christlich-abendländische" Werte, auch gesetzgeberische Errungenschaften der "sexuellen Revolution" angreift - ich denke da z. B. an den Gesetzentwurf für den neuen §184b StGB und den neuen §182 StGB, die möglichen Konsequenzen dieser Sexualstraftrechtsreform hat "Twister" auf telepolis beschrieben: Starker Anstieg der Kinderpornographie im Netz erwartet. Wieso?
Der Begriff Kinderpornographie wird durch das Gesetz verändert, durch Kinder- und Jugendpornographie ersetzt. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass das in Diskussionen oft verwandte "Bild des penetrierten Säuglings" mit dem Bild eines fast 18-Jährigen gleichgesetzt wird, welcher sich nackt zeigt.
Eine Beschreibung des "Rollbacks" und seiner Ursachen sprengt den Rahmen dieses Artikels; ich werde mich aber des Themas wider annehmen.

Einer der Gründe dafür, dass die "Sexuelle Revoltion" ein Torso blieb, war die Macht der Gegenkräfte, von den Kirchen bis zu den überwiegend kulturell konservativen Medien. Die (die Doppelmoral lässt grüßen!) dennoch in vielen Fällen gern von der "Sexwelle" profitierten. Ein besonders drastisches Beispiel dieser Doppelmoral ist bis heute die BILD.

Ein weitere liegt schlicht in der "Macht des Gewohnten". Was man immer auch über lebenslange Einehe, Kleinfamilie mit Hausvorstand und das Rollenmodell "treusorgende Hausfrau und Mutter" denkt - solche Ideale bieten Halt, so wenig die Realität den damit verbundenen "Heile Welt"-Vorstellungen entspricht. Auch der rigide Moralkodex der Kirchen bietet Halt und Orientierung - und der der katholischen Kirche sogar den Service der Gewissens-Erleichterung durch Beichte. Dem gläubigen Protestant steht diese Möglichkeit nicht offen - und wenn besagte Protestant dann noch einer Richtung mit besonders rigidem Moralkodex anhängt, dürfte das schlechte Gewissen zum alles beherrschenden Lebensgefühl werden. Ein schlechtes Gewissen, das (so meine Hypothese) sich im moralischen Aktionismus Luft macht.
Oft wird behauptet, ein Fehler der "68er" sei es gewesen, den "Sex politisiert" zu haben. Das sehe ich nicht ganz so. Problematisch war aber bestimmt die enge Verknüpfung linker politischer Utopien mit der Idee der sexuellen Befreiung. Dadurch konnte bei einem großen Teil der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen / erweckt werden, dass jeder, der sich für mehr sexuelle Freiheit einsetzt, ein "Linksradikaler" und ein "Feind der Familie" sei. Womit dann konservative (und reaktionäre) Medien und Parteien bis heute hausieren gehen.

Einen wesentlichen Grund für den Abbruch der "Sexuellen Revolution" sehe ich darin, dass die "Sexuellen Befreier" und große Teile die Frauenbewegung seit Anfang der 70er Jahre unnötigerweise gegeneinander arbeiteten. Tatsächlich muss man Feministinnen vom Schlage Alice Schwarzers de facto zu den "Gegnerinnen der Sexuellen Revolution" zählen, obwohl auch ihr Ideal das der sexuellen Befreiung ist. Leider waren viele Vertreter der Idee der "sexuellen Revolution" noch tief in alten patriarchalischen Vorstellungen gefangen - was in der Praxis zu "Macho-Verhalten" führte, dass von den Feministinnen natürlich nicht geduldet wurde. Noch schwerer wirkte es sich aus, dass die "Sexwelle" eine Flut frauen-verachtender Klischees produzierte, gegen die die Feministinnen sich zurecht wehrten. (Der entblößte Frauen-Po auf dem "Stern"-Titelblatt, gegen den Alice Schwarzer prozessierte, war allerdings ein vergleichsweise harmloses "Macho-Klischee".)
Wahrscheinlich waren es sogar Auseinandersetzung innerhalb der Frauenbewegung, die berüchtigten "Feminist Sex Wars", die zu dieser verhärteten Position führte: der "sexuellen Revolution" einschließlich der Toleranz gegenüber Pornographie, sadomasochistischer Praktiken und freiwilliger Prostitution ohne Zuhälter gegenüber wohlwollende (oft lesbische) Feministinnen gegen Feministinnen, die sich in erster Linie durch Männergewalt bedroht sahen, in der Angst- und Gewaltfreiheit das Ziel der sexuellen Befreiung sahen, und deshalb Pornographie, freiwillige Prostitution und BDSM in jeder Form wegen der Verknüfung von Gewalt und Sex ablehnten.
Als dann um 1978 die "Sexismus-Kampagne" begann, die Mitte der 80er in die "PorNo!"-Kampagne zum Verbot der Pornographie mündete, war der Bruch zwischen "sexuellen Befreiern" und dem "Mainstream" der Frauenbewegung längst vollzogen.
Die Idee, dass der Hauptzweck jeder Pornografie nicht die sexuelle Erregung des Betrachters, sondern die Unterdrückung der Frau sei, stammt ironischerweise aus den patriachatskritischen Diskursen der 60er-Jahre, die bei anderen Teilnehmern zur Forderung nach Freigabe der Pornographie mündeten. Interessant ist, dass schwule und lesbische Pornografie und lesbische BDSM bei der Diskussion lange Zeit weitgehend ausgeblendet blieben. Feministische Kritik an Pornografie im Sinne der PorNO-Kampagne gleicht der traditionellen Sexualmoral: jegliche Toleranz gegenüber von der "Norm" (die weiter gefasst ist als die tradionelle "Norm" -- gleichgeschlechtlicher Kuschelsex geht immerhin Ordnung) abweichenden Sexualitätsformen zu katastrophalen gesellschaftlichen Wirkungen. Also genau das Gegenteil der Positionen der "Sexuellen Revolution".

Ein weiterer, oft genannter Grund für den "Abbruch" der Sexuellen Revolution ist der "AIDS"-Schock der 80er Jahre. Ich bin allerdings der Ansicht, dass dieser Schock ohne flankierende, oft bewusst zugunsten der "traditionellen Sexualmoral" geschürte "AIDS-Panik" nicht annähernd die tatsächlich beobachteten Auswirkungen auf die sexuelle Selbstbestimmung gehabt hätte. Auf einmal gab es ein "medizinisches Argument" gegen Schwule und gegen außerehelichen Sex. Die traditionelle Sexualmoral wurden von da an nicht nur als "gesund" im moralischen, sondern auch im medizinischen Sinne propagiert.

Eine ganz andere Frage ist die nach dem Missbrauch der Ideale der "Sexuellen Revolution", z. B. durch von den Medien so genannte "Sex-Gurus" wie Otto Mühl. Aber auch das sprengt den Rahmen dieses Beitrags - aber ich werde darüber schreiben.

Naiver Schnüffel-Optimismus

Im newsblog der ct' kann man nachlesen, wie man sich im Innenministerium den Einsatz von Überwachungssoftware so vorstellt:
Innenministerium verrät neue Details zu Online-Durchsuchungen.
Das Risiko einer Entdeckung der komplexen Durchsuchung hält das Ministerium "als solches" für gering. Es könne auch durch nicht näher erläuterte technische Maßnahmen reduziert werden.
Wenn ich mir die im Artikel beschriebenen Maßnahmen so ansehe, halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass bei einem einigermaßen "computer-fitten" Verdächtigen die Untersuchung unbemerkt bleibt.
Tatsächlich soll im Vorfeld, bevor überhaupt der "Bundestrojaner" zum Einsatz kommt, ermittelt werden, wie gut das System des Verdächtigen durch Firewall und Anti-Virensoftware gesichert ist, welches Betriebssystem und welchen Browser er benutzt, wie seine Internet-Gewohnheiten sind usw.. Ich gehe jede Wette ein, dass Windows-Benutzer ohne aktuelle Anti-Virussoftware, die eine ältere "Explorer"-Version und einen lang nicht mehr gepatchten "Outlock" benutzen, immer den selben Internet-Zugang verwenden und nie Anonymisierungsdienste und Kryptographie in Anspruch nehmen, für den "Bundestrojaner" in den engere Wahl kommen - während argwöhnische und IT-kompetente Kriminelle mutmaßlich verschont bleiben.
Mit anderen Worten: laut Bundesinnenministerium soll nach dem "verlorenen Schlüssel" unter der "Straßenlaterne" gesucht werden, weil es anderswo kaum möglich sein wird.
Das verstärkt den Argwohn, dass es bei der "Online Durchsichtung" um etwas ganz anderes geht, als um Terroristen-Abwehr, Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder die gern angeführte Aufdeckung von "Kinderporno-Ringen" (wo durch Online-Fahndung bisher auch "nur" Konsumenten, nicht aber "Hintermänner", ertappt wurden).
Vielleicht geht es um Steuer- und Gebührenhinterziehung, Ebay-Betrug, "Raubkopien" und ähnliche Kleinkriminalität. Wo man dann auch mit einiger Wahrscheinlichkeit etliche unkundige oder unvorsichtige Täter finden wird. Für die man aber beim besten Willen kein Grundgesetz eingeschränkt bekommt.

Und am Schluss noch etwas zum Lachen:
Auch von einer "Vertrauenskrise" der Informationsgesellschaft könne nicht die Rede sein: "Bereits heute existieren erhebliche Schwachstellen, die durch Kriminelle genutzt werden", ohne dass dies zu einer Verringerung der Internetnutzung geführt habe. Angesicht der geplanten "nur geringen Anzahl" von Online-Durchsuchungen würde generell keine "maßgeblichen Änderung der Situation der IT-Sicherheit" herbeigeführt. Insofern seien auch diesbezügliche Schadensersatzforderungen nicht zu erwarten.
Nachttrag:Und das ist auch gut: Generalbundesanwältin Monika Harms begrüßt die von Bundesinnenminister Dr. "Seltsam" Wolfgang Schäuble vehement geforderte Regelung zu Online-Durchsuchungen privater Computer.
"Wir müssen bei schwersten Straftaten eine solche Möglichkeit - selbstverständlich unter Richtervorbehalt - haben", sagte Harms der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Straftäter kommunizierten heute so verschlüsselt über das Internet, dass anders an die Informationen nicht heranzukommen sei.
(Tja, aber wer hat der guten Bundesanwältin weiß gemacht, dass es einen Unterschied machen würde, wenn man die Computer der Verdächtigen "online untersuchen" würde. Natürlich, mit einem Keylogger könnte man die Verschlüsselung umgehen. Aber in der Realität, z. B. meines Computers, wäre ein Keylogger in erster Linie ein Lieferant von Datenmüll. Abgesehen davon, dass so eine "Müllschleuder" nicht lange unentdeckt bliebe.)
"Wir müssen uns beeilen, um in der technischen Entwicklung auf Augenhöhe mit den Straftätern zu kommen."
(Das ist eine fromme Hoffnung, solange unsere "politischen Entscheider" überwiegend Computer-Analphabeten sind. Zum Vergleich: ich erwarte von keinem Politiker, der über KFZ-Steuern, Umweltschutzgesetze, die auch den Autoverkehr betreffen, oder über Autobahnbau mit entscheiden, dass er oder sie selber z. B. ein Auto reparieren kann oder über die unterschiedlichen Auto- und Motorentypen Bescheid weiß, oder auch nur gut Auto fahren könnte. Aber welche Bedeutung der Autoverkehr hat, über grundsätzlichen Fragen der Unfallverhütung, des Kraftstoffverbrauches, der Umweltbelastung, der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Autoindustrie, oder auch über Fragen des alltäglichen Straßenverkehrs sollte ein Politiker Bescheid wissen und nicht mit der Ausrede durchkommen: "Um das Auto kümmert sich mein Fahrer".

Samstag, 25. August 2007

Alles schön bunt hier ... der "Farbfernsehkrieg"

Vor genau 40 Jahren, am 25. August 1967, begann das das deutsche Farbfernsehzeitalter mit einer entlarvenden Panne: wenige Sekunden bevor der damalige Vizekanzler, Bundesaußenminister Willy Brand per Knopfdruck den "Startschuss" für das
Farbfernsehen
gab, wurde bereits im Regieraum die "Farbe aufgeschaltet". Da es allerdings nur wenige Farbfernsehzuschauer der erste Stunde gab (es gab nur 5800 angemeldete Farbgeräte), blieb das ungewollt treffende Symbol eines symbolisches Aktes dem Publikum verborgen - jedenfalls bis zum Erscheinen der Tageszeitungen am nächsten Tag: der Druckknopf war nichts als eine Attrappe.

Im selben Jahr, am 1. Oktober 1967, begann auch in Frankreich das Farbfernsehzeitalter: mit einem eigenen Farbfernsehverfahren, abgekürzt SECAM, dass mit dem deutschen PAL-Verfahren inkompatibel war. Schon 1954 startete in den USA das Farbfernsehen nach der NTSC-Norm (National Television System Committee), die allerdings gegenüber Farbtonverfälschungen durch Übertragungsfehler anfällig war, die von Hand nachjustiert werden mussten ("Never The Same Color"). SECAM (Système En Couleur Avec Mémoire) und PAL (Phase Alternation Line) beseitigten diesen Nachteil um den Preis eines größeren Schaltungsaufwands.
Zu den technischen Aspekten von PAL, SECAM und NTSC verweise ich auf die Wikipedia.

Im Streit um die verschiedenen Farbfernsehsysteme ging es nicht etwa um das technisch beste System - der Konflikt wurde von wirtschaftlichen und politischen Interessen bestimmt. Da die Fernsehsysteme Patentschutz genossen, hatte die an der Entwicklung beteiligte Industrie ein sehr starkes Interesse daran, dass "ihr" System möglichst weit verbreitetet wurde.
Die us-amerikanischen (und japanischen) Elektronikindustrie hätte es gern gesehen, wenn sich die Union der Europäischen Rundfunkanstalten (EBU) dem in jenen Ländern eingeführten NTSC-System zuzustimmen. Die meisten Mitglieder der EBU verwiesen aber darauf, dass SECAM und PAL qualitativ besser seien - was allerdings nur ein Teil der Wahrheit war: Der ohnehin nicht leicht zu erschließende Markt für die zunächst teuren Farbfernsehgeräte (sie waren anfangs etwa viermal so teuer wie Schwarzweiß-Geräte) musste sich schon über Europa erstrecken, um für einen Hersteller überhaupt interessant zu sein. Was man am wenigsten wollte, war zusätzliche Konkurrenz aus den USA und Japan auf dem "heimischen Markt" - wenn z. B. Sony unbedingt Farbfernseher auf dem europäischen Markt anbieten wollte, dann sollten die Japaner wenigsten ordentlich Lizenzen für die Patente zahlen. ("Pay Another License" für PAL oder "Système Élégant Contre l'AMérique" für SECAM.)
Bemerkenswert ist, wie lange der Streit um eine möglichst einheitliche europäische Fernsehnorm den Start des Farbfernsehens verzögerte.SECAM wäre schon Ende der 1950er Jahre einsetzbar gewesen - 1956 meldete Henri de France sein SECAM-Verfahren zum Patent an. Der französische Präsident Charles De Gaulle verfolgte seit 1958 eine Politik, die Frankreich als technologische Großmacht etablieren sollte. Das eigene Farbfernsehsystem bot De Gaulle dafür optimale Chancen, denn als einer der ersten Politiker Europas hatte er die Macht und die Möglichkeiten des Fernsehens erkannt.
Die Entwicklung von PAL war ursprünglich nicht geplant gewesen. Der Ingenieur Walter Bruch erhielt von seinem Arbeitgeber, den Telefunken-Werken, den Auftrag, sich die beiden konkurrierenden Systeme einmal näher anzusehen. Dass er ein neues Farbfernsehsystem entwickeln sollt, stand nicht in seinem Auftrag. Telefunken erkannte aber schnell die kommerziellen Möglichkeiten, die das von Bruch zunächst auf eigene Faust entwickelte System bieten würde, und schaffte es, andere Elektronikhersteller mit ins Boot zu bekommen - besonders wichtig waren dabei die niederländischen Phillips-Werke, die sich damals zum ersten transnationalen Elektronikkonzern entwickelten. (Auch das englische Akronym "PAL" sollte den "internationalen Charakter" betonen - gerade Telefunken litt - durchaus zu Recht - unter dem Image, allzu eng mit den Nazis und der Rüstungsindustrie "verheiratet" gewesen zu sein.) Da PAL SECAM qualitativ überlegen war, machte sich die "PAL-Koalition" einige Hoffnungen, dass sich ihre Entwicklung durchsetzen könnte. Telefunken startete nach der Patentanmeldung 1963 eine aufwendige internationale Werbetournee für das PAL-System.
Damit begann eine heikle politische Gradwanderung. Speziell vor dem Hintergrund des 1963 geschlossenen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages war die Konkurrenz auf fernsehtechnischem Gebiet für die Politiker beider Staaten eine brisante Situation. In Frankreich übersetzte man "PAL" damals mit "Provocation ALlemand".
1965 eskalierte der Konflikt, als ein Skandal alle bis dahin geschehenen Bemühungen um ein einheitliches europäisches System zunichte machte. Bei ihrer Zusammenkunft auf der CCIR-Konferenz in Wien, wo Techniker aus ganz Europa über ein einheitliches Farbfernsehsystem diskutieren wollten, erfuhren die Fernsehexperten aus der Presse von einem sowjetisch-französichen Vertragsschluss. Die UdSSR war mit der Einführung eines eigenen Farbfernsehsystems (NIR) gescheitert und entschied sich auch aus politischen Gründe für SECAM, denn eine Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland, die damals mit den "Ostblock"-Staaten (außer der UdSSR) keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, war problematisch, und Frankreich war bereit, die Ausfuhr von Studio- und Übertragungstechnik in den "Osten" zu subventionieren.
Zwei Tage vor der entscheidenden Konferenz waren somit für den gesamten "Ostblock" die Würfel für SECAM gefallen. Die erwartete Sogwirkung auf die westeuropäischen Staaten blieb aber aus. Trotz zahlreicher SECAM-Vorführungen auf der ganzen Welt und massivem politischen Druck war das deutsche PAL-System nicht vom Markt zu verdrängen - was auch an der Hartnäckigkeit der hinter PAL stehenden Industrie zu verdanken waren. Europa war in der Folge durch eine "Farbfernsehgrenze" getrennt, im Nahe Osten entstand sogar ein Farbsystem-Flickenteppisch (der inzwischen zugunsten von PAL bereinigt ist).
Auf den Märkten Südamerikas und Ostasiens war NTSC auch noch nicht aus dem Rennen - sein Vorteil: die Empfänger waren einfacher und damit preisgünstiger. PAL wurde als "Pay Additional Luxury" (bezahle für zusätzlichen Luxus) verspottet. Mit den sich damals durchsetzenden Transitorschaltungen verringerte sich der Preisvorteil von NTSC deutlich.

Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ist das entscheidende Hindernis bei der Konventierung unterschiedlicher Fernsehnormen nicht das jeweilige Farbfernsehverfahren. Als das Fernsehen der DDR 1969 zum 20.Jahrestag der DDR-Gründung den SECAM-Betrieb aufnahm, tauchten schon sehr bald einfache, oft selbgebastelte PAL-Adapter für das "Westfernsehen" auf. In den 1980er-Jahren waren die meisten in der DDR verkauften Farbfernseher schon werkseitig zweisystemtauglich, was die Umstellung auf PAL "nach der Wende" erheblich erleichtete. (Übrigens arbeitete das DDR-Fernsehen, wie die meisten SECAM-Länder, schon vor der Wende mit PAL, da Überblendungen in SECAM-Format nicht möglich sind und wandeln das Signal erst vor der Ausstrahlung nach SECAM um. Deshalb konnte man auch das DDR-Fernsehen nach der Wende problemlos auf PAL umstellen.) In Brasilen gab es einige Zeit lang nebeneinander PAL und NTSC, ohne das dass zu nennenswerten Probleme geführt hätte.

Schwierigkeiten bei der Konvertierung machen vielmehr unterschiedliche Abtastgeschwindigkeiten (30 Bilder pro Sekunde in den USA, 25 Bilder pro Sekunde in Europa) und Bildauflösungen (486 Zeilen in den USA, 625 Zeilen in Europa). Allerdings werden diese Schwierigkeiten mit Fortschreiten der Digitaltechnik zunehmend geringer, wie auch die Bedeutung der analogen Fernsehsysteme zusehens schrumpft. Zwischen PAL und SECAM besteht auf einem digitalen Medium kein Unterschied mehr – ein PAL-DVD-Player erzeugt aus einer "PAL-DVD" ein analoges PAL-Videosignal, ein SECAM-DVD-Player aus der gleichen DVD ein analoges SECAM-Videosignal. Fast alle PAL-DVD-Spieler erzeugen aus NTSC-DVDs ein PAL-60 genanntes PAL-ähnliches Signal, mit dem fast alle neueren PAL-Fernsehgeräte problemlos zurechtkommen.

ZEIT-Artikel von 1966 über den "Farbfernsehkrieg": Warten auf die bunte Scheibe.

Donnerstag, 23. August 2007

Weiche Weichenstellung

Weil in meinem bloggischen Umfeld gerade Subkulturen, zu denen man mal gehörte oder noch gehört, Thema sind, schreibe ich mal von einer Subkultur, zu der ich nie "richtig" gehört habe: zu der der passionierten Modelleisenbahner.
Es ist inzwischen auch schon wieder gut 20 Jahre her, da kramte staubte ich die Loks und Schienen aus frühpubertären Tagen ab und sagte mir: "Da kannst Du doch was Interessantes draus machen". Tatsächlich entwickelte ich Ambitionen und Gleispläne für "meine Traumanlage", kaufte Waggons und übte mich im Bau von Pappiermaché-Bergen, las sogar Modellbahner-Zeitschriften.

Und genau so plötzlich, wie das Modellbahn-Fieber ausgebrochen war, so hörte es wieder auf. Mit dem Bau meine "Traumanlage" fing ich nie an (fertig wird man mit so etwas ohnehin niemals). Aus zwei Gründen: zu wenig Platz, zu wenig Geld.

Man könnte sagen, die Weichen dafür, dass ich nie "richtiger" Modellbahner wurde, wurden von meinem Vater gestellt, als er mir, noch zu Grundschultagen, den Wunsch nach einer "elektrischen Eisenbahn" erfüllte. Er entschied sich für die Spurweite H0 (Maßstab: 1 : 87) und ein Produkt des Marktführers, Märklin. Nun braucht eine H0-Anlage, auf der die Züge nicht nur wie auf einem Karussell im engen Kreis herumfahren, und die nicht nur aus einem Bahnhof mit drei Weichen besteht, mehr Platz, als in meiner damaligen Wohnung zur Verfügung stand. Und obwohl ich der Meinung bin, dass die "Märklin"-Loks ihr Geld wert sind, gilt das für die mit Nichts und Keinem kompatiblen, patentgeschützten Märklin-Gleise und "Magnetartikel" wie Weichen, Signale usw. nicht.

Es ist anzunehmen, dass, hätte sich mein Vater damals für eine N-Spur-Bahn (Maßstab 1 : 160), die nur etwa den halben Platzbedarf hat, mich später doch dafür entschieden hätte, beim "Modellbahnen" zu bleiben.
Stellte er damit die Weiche für eine Entscheidung, die ich als Erwachsener fällte?

Nein. Denn: ich hätte als Erwachsener durchaus mit der "N-Bahn" (oder gar der noch kleineren "Z-Bahn") anfangen können, auch wenn da noch Einiges brauchbares H0-Material rumlag. Ein klein wenig höheres "Modellbahnfiber" hätte gereicht. Ebenso hätte es ohne Weiteres sein können, dass ich niemals auf die Idee gekommen wäre, die "alte Eisenbahn" aus den Kartons zu holen.

Die Entscheidung von damals, als ich mit glühenden Augen meine "Starterpackung" nebst einiger Extra-Wagen und Häuserbausätze geschenkt bekam, beeinflusste zwar meine Entscheidung als Erwachsener, bestimmte sie aber nicht. Die Welt ist keine Eisenbahn. Man kann jederzeit die Richtung ändern. So sehr die "Weichenstellungen" in früher Jugend das Leben auch beeinflussen.

Und das gilt nicht nur für die Frage, welche Hobbies ein Junge als Erwachsener mal haben wird.

Dienstag, 21. August 2007

Summer of Love V - das Ende des chemischen Pfingstens

In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren.
Dieser Artikel schließt sich inhaltlich an die Beitrag Summer of Love IV - LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an.

Mitte der 60er Jahre, noch bevor die "psychedelische Subkultur" ihren Höhepunkt erlebte, waren das von "Drogengurus" wie Timothy Leary beschworen "chemischen Pfingsten" so gut wie erledigt. Das "LSD-Problem" war entdeckt. Nicht, dass LSD-Gebrauch keine Probleme mit sich bringen könnte, aber an den einzelnen Drogen-User dachte jene, die LSD zur allgemeinen Bedrohung hochstilisierten, am wenigsten.
Die Krankheit schlägt zu in Beatnikschuppen am Küstenstreifen und in den Schlafsälen von College-Vorbereitungsschulen; an der University of California, Los Angeles und auf dem University-of-California-Campus in Berkeley wird sie nachgerade zu einen Besorgnis erregenden Problem. Und überall ist die Diagnose dieselbe: psychotische Erkrankung infolge unerlaubten nicht-medizinischen Gebrauchs der Droge LSD-25.
Time, Marz 1966

Bleiben wir bei den Fakten: obwohl damals viele, die auf den Acid- Trip gingen, äußerst naiv waren, blieb die Zahl der LSD-induzierten Psychosen doch äußerst überschaubar. Tatsächlich erwies sich LSD in dieser Hinsicht sogar als "erstaunlich sicher". Es ist auch kein Zufall, dass die Time das Problem an den kalifornischen Universitäten verortete: nicht nur in Europa, sondern auch in den USA wurden die Studenten "unruhig", und am "unruhigsten" war es an den Westküsten-Unis. Gesucht wurde eine "einfache" Erklärung für das "unvernünftige Verhalten" der jungen Menschen, mit anderen Worten, ein Sündenbock. "Junge Amerikaner aus soliden Mittelschichtverhältnissen protestieren gegen aufrechte in Vietnam gegen die rote Gefahr kämpfende amerikanische Soldaten und schwärmen sogar für kommunistische Führer wie Ho Chi-Min? Die müssen doch was genommen haben!" Der von mir skizzierte Gedankengang ist noch vergleichsweise rational:
Spätestens im Herbst 1966 deuteten dann Gegner an, dass LSD wahrscheinlich langfristige Schädigungen des Gehirns hervorrufe. Ihre Beweisgundlage? Die Tatsache, dass so viele Jugendliche, nach LSD-Erfahrung, wenig Verlangen zeigten, sich dem koropativ-provinziellen Lebensstil anzupassen, den ihre Eltern sich zu Eigen gemacht hatten.
aus: Jay Stevens: Storming Heaven - zitiert nach: Daniel Pinchbeck: Den Kopf aufbrechen (Breaking Open the Head)

Gefördert wurde die "LSD-Panik", gewollt oder ungewollt, durch die Massenmedien: ist ein Thema erst einmal "in den Schlagzeilen", wird es so lange wie möglich "am Kochen gehalten". Im Falle LSD wurde jetzt jeder Nervenzusammenbruch, jede Notaufnahme und jeder Suizidversuch, der sich mit LSD in Verbindung bringen ließ, zur Nachricht. Wie in ähnlichen Fällen üblich, versäumten die Medien, diese einzelnen "Schreckensmeldungen" in den Kontext von ähnlichen. aber weitaus häufigeren Zwischenfällen z. B. bei Alkoholmissbrauch oder den damals noch häufigen tödlichen "Unfällen" bei Barbituratmissbrauch zu stellen.

Warum waren "die 60er" aber wirklich so "unruhig"? Ein Grund lag bestimmt darin, dass durch den Übergang zwischen einer noch durch Kolonialherrschaft, Goldstandarts und Schutzzollpolitik geprägten "alten" Weltwirtschaft und jenem Freihandels-System, dass wir heute "globalisierte Weltwirtschaft" nennen, eine Lücke der ökonomischen Unbestimmtheit klaffte - salopp gesagt: Wirtschaftspolitiker und "Wirtschaftsführer" konnten kaum noch sagen wo es längs geht. Hinzu kamen technische Neuerungen - von der Satellitentechnik über Düsenflugzeuge bis zu den ersten Computern in Verwaltung und Produktion - die damals einerseits mit übersteigert optimistischen Erwartungen, anderseits aber auch mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren Verunsicherung kommentiert wurden. Dann spielte das vielleicht wichtigste Ereignis der jüngeren Menschheitsgeschichte, ein Nicht-Ereignis, eine große Rolle: der Atomkrieg fand nicht statt. Auch wenn die breite Öffentlichkeit noch über viele haarsträubende Details der Kubakrise des Jahres 1962 in Unklaren gelassen wurde: Es wurde vielen Menschen klar, dass es verdammt knapp gewesen war - und dass entgegen der Zivilschutz-Propaganda keiner "davongekommen" wäre. Das Risiko "Atomkrieg", die Möglichkeit des Endes der Menschheit, ließ sich nicht mehr verdrängen oder, wie noch wenige Jahre zuvor, verniedlichen. Hinzu kam der Generationenkonflikt, der vor allem in Europa, und hier vor allem in Deutschland weit über die üblichen Reibereien zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern hinausging: die "Nachkriegsgeneration" wurde erwachsen. Und sie stellte Fragen, die die Kriegsgeneration ihnen nicht beantworten konnte oder wollte. In Deutschland die Frage nach den Verbrechen der Nazizeit - damals wurde der später missverstanden Slogan geprägt: "Trau keinem über 30". Im Deutschland des Jahres 1967 bedeutete das konkret: Jeder, der älter als Jahrgang 1937 war, konnte, in der einen oder anderen Weise, "NS-belastet" oder wenigstens, durch Schule und HJ, "NS-indoktriniert" sein. All das - und noch einiges mehr - hatte zur Folge, dass "die Zukunft" nicht mehr als "Verlängerung der Vergangenheit" denkbar war.

Aber das war als Erklärungsmodell dafür, dass die "Jugend" teils rebellierte, teils "ausstieg", vermutlich zu kompliziert und, für die Konservativen, zu unbequem.

Diese Zeit der Unsicherheit, der auf einmal nicht mehr "planbaren" Zukunft, wurde von vielen, vor allem jüngeren Menschen als Signal für einen kulturellen Aufbruch gesehen. (Sogar im "Ostblock" war davon immerhin so viel zu spüren, dass z. B. die DDR-Führung hektisch versuchte gegenzusteuern.) Alles schien auf einmal möglich zu sein, manche merkten, das Mystik und Magie auf ihre Weise "real" waren - ein geistiger Aufbruch, der leider in die "New Age Esoterik" mündete, die dann oft in purer Konsum-Esoterik versandete. Diese zeitweise Wiederkehr des mystisch-intuitiven Denkens verstärkte die Neugier auf Halluzinogene, die wiederum das mystisch-intuitive Denken förderten. In nüchterner Psychologen-Sprache wirkt LSD (und wirken viele - nicht alle - halluzinogene Drogen) als unspezifischer Verstärker psychischer und sozialer Prozesse. Set und Setting - Umgebung und seelische Befindlichkeit - sind deshalb von entscheidender Bedeutung. Grob geschätzt würde ein verträumter, mystisch denkender Hippie durch Trip-Erfahrung noch verträumter und mystischer, während LSD bei in militärischen Bahnen denkenden Menschen anstatt mystischer Offenbarungen eher bizarre Attentats- und Kriegsszenarios hervorruft. Eine Faustregel: wovon ein Mensch nachts träumt, dass erlebt er auf LSD-Trip. Vielleicht hat LSD "revolutionäre Utopien" angestoßen, wenn auch auf andere Weise, als es die LSD-Gegner an die Wand malten.
In den 60er Jahren blieb das Streben nach "schamanischem Wissen", nach anhaltender Bewusstseinserweiterung, nach der Erforschung des "inner space" letztlich erfolglos und bis auf die New Age-Welle weitgehend folgenlos. Das ist außer auf die Kriminalisierung der "bewusstseinserweiternden" Drogen vom Marihuana aufwärts meiner Ansicht nach auch auf den zu unernsten (im Sinne der "Partydrogen") und zu naiven, zu oberflächlichen und vor allem zu wenig sachkundigen Umgang mit Halluzinogenen zurückzuführen. Vielleicht hätte das "chemische Pfingsten" auch ohne staatliche Verbote nach wenigen Jahren geendet.

In erster Linie wurde LSD "Opfer" einer angst-gesteuerten Politik. Es war vor allem die Angst vor Kontrollverlust über "die Jugend", aber auch das unter Politikern beliebte "Pappdrachentöten", das zuerst zur Dämonisierung und dann zum Verbot führte. (Ein "Pappdrache" ist eine selbst heraufbeschworene Bedrohung, die dann "mutig" bekämpft wird - also eine Kreuzung aus "Papiertiger" und "Strohmann".) Ein Hauptargument für ein LSD-Verbot, nämlich das, dass die Substanz keinen therapeutischen Nutzen hätte, kam ausgerechnet von den Psychiatern, aus deren Reihen einige der größten LSD-Enthusiasten der vorangegangenen Jahre stammten.
Der Grund lag vermutlich darin, dass auch die Psychiatrie in ihrer breiten Mehrheit zu einen Paradigmenwechsel nicht bereit war; einem Paradigmenwechsel infolge der beim therapeutischen und experimentellen Gebrauch gewonnen Erfahrungen, die die gängigen Modelle des menschlichen Geistes infrage stellten. Vereinfacht gesagt, zog sich die Psychiatrie in die "sichere" Richtung, Richtung Neurologie, zurück, wobei die Neurologie interessanterweise sehr von den Drogenexperimenten (und den Experimenten an damals neuen Psychopharmaka aus der Klasse der Neuroleptika und Antidepressiva) profitierte. Heute noch neigen sehr viele Psychiater zu rein biologischen Erklärungsmodellen für psychische Störungen, wobei leider oft soziale und psychologische Ursachen unter den Tisch fallen. Der oft beklagte "Graben" zwischen Ärzten (Psychiatern) und Nicht-Medizinern (Psychologen) wird dadurch nicht eben kleiner.
Um es kurz zu machen: der "Zeitgeist" in der Psychiatrie wandte sich innerhalb weniger Jahre von "LSD ist ein wertvolles Therapeutikum" zu "LSD ist therapeutisch ohne erkennbaren Nutzen".

1966 wurde LSD in den USA verboten. 1968 wurde durch die Food and Drug Administration auch jede weitere Forschungsarbeit untersagt.

1967 wurde LSD in der Bundesrepublik Deutschland den Vorschriften des Opiumgesetzes, dem Vorläufer des heutigen Betäubungsmittelgesetzes, unterstellt. Eine Nutzung ist seitdem nur mit besonderer Erlaubnis möglich. Bis weit in die 90er Jahre wurden diese Sondererlaubnisse durch die "Bundesopiumstelle" äußerst restriktiv gehandhabt.

LSD fällt seit 1971 außerdem unter das Verbot der UN-Konventionen über psychotrope Substanzen ("Convention on Psychotropic Substances"). Die Konferenz, die die internationale Ächtung der halluzinogenen Drogen nach sich zog, war von einen ökonomisch begründete Zwist zwischen zwei Gruppen gekennzeichnet. Auf der einen Seite standen vor allem Nationen mit einer leistungsfähigen pharmazeutischen Industrie, die einen kontrollierten Gebrauch von Halluzinogenen befürworteten, während sich die Gegengruppe um Ländern formierte, in denen pflanzliche Drogen wie Cannabis, Coca oder Schlafmohn (Opium) angebaut wurden. Die drogenanbauenden Länder litten sehr unter der restriktiven Anti-Drogen-Konvention von 1961 und forderten, sozusagen als Vergeltung, harte Gesetze gegen synthetische Drogen. Am Ende führte der zu einem Streit zwischen Industrienationen und "Entwicklungsländern" hochstilisierte Konflikt zu einem "faulen Kompromiss": die verabschiedete Konvention war zugunsten der pharmazeutischen Industrie deutlich "weicher" als die bestehende Anti-Drogen-Konvention gegen "Drogen vom Acker", und zwar in etwa nach dem Schema, dass Drogen, die ohnehin "suspekt" waren, wie LSD, aber auch das pflanzliche (aber wirtschaftlich bedeutungslose) Mescalin, völlig geächtet wurden, während Psychopharmaka und selbst die umstrittenen Amphetamine weitgehend legal blieben.

Siehe auch Gedanken über die gefühlte Gefährlichkeit von Drogen

Montag, 20. August 2007

Scheinbare Widersprüche

Auf der einen Seite schaffen es die Neo-Nazis nicht, für eine für sie ideologisch wichtige "Großkundgebung" auch nur ein Zehntel der Teilnehmer der Gegendemo zu mobilisieren: npd-blog: Heß-Märsche: Viele Demonstranten gegen wenige Ewiggestrige -
auf der anderen Seite greifen am Rande eines Stadtfestes offensichtlich rassistisch motivierte Täter eine Gruppe von acht Indern an - und wieder mal: "Zahlreiche Schaulustige hatten sich den Überfall mit angesehen." npd-blog: Volksfest in Sachsen mit Hetzjagd auf Inder.
Und wieder mal das würdelose Schauspiel eines Polizeisprechers, der sich mit vielen Konjunktiven bemüht, das Offensichtliche unter den sich arg wölbenden Teppich zu kehren, wo doch selbst Mügelns Bürgermeister Deuse Klartext redet: Nach seinen Informationen seien ausländerfeindliche und rechtsextreme Parolen gerufen worden. (Nachtrag: weniger schön, dass Deuse hinterher behauptet, es gäbe am Ort keine Naziszene. Selbst wenn das stimmt, ändert das nichts. Und es entlässt ihn nicht aus seiner per Amt übernommenen Verantwortung..)

Siehe hierzu auch das tagesschau.de-Interview: "Alle Fremden sollen vertrieben werden."

Aber das ist, denke ich, nur ein scheinbarer Widerspruch.
  • Während die NPD und andere politisch agierende und agitierende Rechtsextremisten schon selber dafür sorgen, dass sie nicht unter den Teppich gekehrt werden können, hat sich bei blutigen, rassistisch / nationalistisch motivierten Übergriffen die "Imagepflege durch Verharmlosung" offensichtlich "bewährt": Schlimm ist es offenbar nicht, dass es Nazi-Schläger gibt, schlimm ist, dass die böse Presse das öffentlich macht. Schlimm fürs "Image", für den "Standort".
  • Die alten und neuen Nazi sind "Radikale der Mitte", vertreten Ansichten, die aus der Mitte der Gesellschaft stammen. So gesehen ist das Wort "rechtsextrem" unzureichend. Man kann davon ausgehen, dass unzählige "brave Bürger" heimlich das denken, was weniger Nazischläger tun. Selbst wenn sie ansonsten "unpolitisch", geschweige denn NPD-Wähler, sind.
  • Die NPD beruft sich auf eine politische Heilslehre. Sie wird dadurch, dass sie im politischen Raum agiert, auch politisch angreifbar. Der "Kampf um die Straße" zeigt: die Antifaschisten haben schlicht die besseren Argumente, wirken deshalb überzeugender und bringen erheblich mehr Leute aus fast allen politischen Lagern auf die Straße.
    Krawalle auf Volksfesten sind vorpolitisch. Da vertritt niemand eine ausformulierte politische Ideologie, da schlagen enthemmte junge Deutsche einfach zu, allenfalls mit ein paar mit Vorurteilen und rassistischen Klischees durchtränkten Sprüchen garniert. Sie lassen ihren "Gefühlen" freien Lauf - und das Gefühl heißt: unbestimmter Hass und Spaß daran, einfach "der Stärkere" zu sein, die Opfer "winseln" zu hören.
  • Dann kommt noch ein Punkt hinzu, bei dem z. B. MomoRules bestimmt anderer Meinung sein wird: Das genetische Erbe, die Natur des Menschen. Es ist uns offensichtlich "angeboren", allem Fremden erst einmal zu misstrauen - weil es während unvorstellbar langer Epochen unserer Vorzeit angezüchtet worden ist, weil es zum Überleben notwendig war. Unsere heutige "Instinktanpassung" entspricht etwa der, die auf dem Niveau der Altsteinzeit angemessen wäre. Tief im Inneren fürchten wir den, der anders ist als wir.
    Nirgendwo ist der Satz: "Zivilisation heißt Triebverzicht" so deutlich, wie auf diesem Gebiet, dem der xenophilia, der "Fremdenfreundschaft". Dabei geht es gar nicht mal um so anspruchsvolle moralische Forderungen wie nach der Feindesliebe - sondern um das schlichte, selbst "primitiven" Zivilisationen bekannte Gebot der Gastfreundschaft. Man schlägt dem Fremden nicht einfach die Keule über den Schädel, nur, weil man ihn nicht kennt. Übrigens kann das Wort "Xenophobie", normalerweise mit "Fremdenfeindlichkeit" übersetzt, besser mit "Gastangst" übersetzt werden. Das ist es, was die inwändig braunen Schläger, die Braunhäutige hassen, antreibt. Und dazu kommt eine Weltanschauung, die ihnen sagt: "Lasse Deinem Hass freien Lauf! Das ist gut so, dass ist natürlich so. Akzeptiere das Recht des Stärkeren, buckel gegenüber dem Mächtigen, trete auf den Ohnmächtigen ein, denn das ist der natürliche Kampf ums Dasein." Das ist das "Erfolgrezept" der Nazis: sie geben dem ollen Steinzeitmenschen in uns freie Hand. Wobei sie nicht die Einzigen sind, die so handeln: gerade religöse und quasi-religiöse Ideologien, die auf strenge moralische Grundsätze achten, geben ihren Anhängern auf dem Gebiet der lustvollen Gewaltanwendung gegen "die ANDEREN" freie Bahn.
    In Deutschland ist es leider so, dass es eine lange Tradition des "Erlaubt unzivilisierten Verhaltens" gibt. U. A. als "Ausgleich" für politische Unfreiheit und militärische Disziplin. Nicht nur Hitler, auch Adenauer, auch Ulbricht, auch viele unserer allein auf "Erfolg" fixierten Politiker, appellieren an den "alten Affen" in uns - bzw. die "dunkle Seite" der menschlichen Natur. Und die Verfechter eines kompromisslosen Kapitalismus tuen es auch: "Stark sein ist geil, und Verlierer haben es verdient".
Daher die - nicht nur, aber besonders ausgeprägt - in Deutschland vorhandene "Lust am Pogrom", Lust, die "Last der Zivilisation" abzuwerfen und sich wie eine Schimpansenhorde zu verhalten, die durchaus schon mal einen unvorsichtigen "Fremden" (wenn es nicht zufällig ein Weibchen in Paarungsstimmung ist) in blutige Fetzen reisst.

Die "fröhliche Fremdenhatz" spielt sich auf der Primitivebene ab. Dagegen sind die archaischen "Gesetze der Blutrache" geradezu zivilisiert zu nennen. Deshalb gebe ich Statler recht:
Und wenn es auf dieser Welt noch sowas wie Gerechtigkeit gibt, dann gehört die im Bericht erwähnte Pizzeria einer wütenden N’Dranghetta-Familie.
Nachtrag: sie gehört nicht.

Samstag, 18. August 2007

Hartz IV Empfänger: Nicht nur passiv vor dem Fernseher

Für eine Studie der Universität Leipzig wurden 199 Menschen über 40, die im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB II) als "hilfebedürftig" eingestuft worden sind, nach ihren alltäglichen Arbeitstätigkeiten befragt.
Entgegen dem geläufigen Vorurteil verbringen die meisten der Befragten keineswegs ihre gesamte Zeit passiv vor dem Fernseher: Viele führen einen eigenen Haushalt, sorgen für Kinder und ältere Angehörige, einige gehen einer geringfügig bezahlten Erwerbsarbeit oder Nebenjob nach und/oder engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen, Initiativen, in einer Kirchengemeinde, Partei oder Gewerkschaft.
idw: Wird Arbeit von Hartz IV-Empfängern anerkannt?
Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass gesellschaftliche Anerkennung nicht ausschließlich davon abhängt, ob jemand auf dem "ersten Arbeitsmarkt", also nach landläufiger Vorstellung "richtig", arbeitet. Interessant ist auch, dass "Hartz-IV"-EmpfängerInnen, die angeben, dass sie selbst über ihre Arbeit entscheiden können, durch ihr gesellschaftliches Umfeld besser anerkannt werden, als diejenigen, die angeben fremdbestimmt zu handeln.
Dr. Göttling folgert daraus: "Erstens erscheint es aus arbeitspsychologischer Sicht grundsätzlich nicht sinnvoll, Bezieher staatlicher Leistungen unter Androhung von Sanktionen in beliebige 'Maßnahmen' zu vermitteln. Zweitens sollten Mitarbeiter, ob bezahlt oder unbezahlt, die Möglichkeit haben, Arbeitsaufgaben und -beziehungen ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend mitzugestalten. Den Einzelnen stellt sich dabei natürlich immer die Aufgabe, die eigenen Interessen auch zu äußern und entsprechende Handlungsspielräume einzufordern."

Kernkraftwerk Erde?

Viele Jahre ignorierten die meisten Geophysiker die Aussenseiter-Theorien von Marvin Herndon von der Transdyne Corporation in San Diego. Seine Behauptung, im Erdmittelpunkt hätte sich auf natürliche Weise ein Kernreaktor gebildet, klingt tatsächlich äußerst spekulativ. Doch seitdem Herndon in Zusammenarbeit mit dem renommierten Oak Ridge National Laboratory im Jahr 2001 zeigen konnte, dass sein Georeaktor das Verhältnis des Heliumisotops He-3 zu He-4 im Erdmantel erklären kann, werden etablierte Geophysiker zunehmend auf ihn aufmerksam.
Hat Herndons recht, dann wären die Erde und die anderen inneren Planeten nicht aus dem Zusammenstoß von zahllosen Meteoriten entstanden – wovon die Standardtheorie ausgeht - sondern sie wären die Überreste von Jupiter-ähnlichen Gasriesen, deren Gashülle von der nahen Sonne buchstäblich "weggeblasen" wurde.

Längerer Artikel über Herndorns Theorie auf wissenschaft.de:
Sitzt im Mittelpunkt der Erde ein natürlicher Kernreaktor?

Mittwoch, 15. August 2007

Nach Grönland - den Gletschern beim Tauen zusehen?

Professor Lembke, vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, bewertet die Reise von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesumweltminister Gabriel nach Grönland positiv. Und nicht etwa, weil er heimlich hofft, dass die Merkel in eine Gletscherspalte fallen oder "Siggy Pop" es mit einen freilebenden Artgenossen seines PR-Terminopfers Knut zu tun bekommen könnte. Nein, er findet, es sei lehrreich für die Politiker. Jedenfalls behauptet er das im Interview mit der dpa Forscher: Klimawandel wird auf Grönland besonders sichtbar - allerdings sagt er auch, dass der Rückgang der Gletscher in den Alpen mindestens genau so gut zu sehen ist.
Meiner Ansicht sogar noch besser: denn der Sermeq Kujalleq bei Ilulissat, einer der aktivsten Gletscher der Erde, Besuchsziel unserer coolen Politiker, hat sich, anders als die Alpengletscher, nicht zurückgezogen!
Aber die landschaftliche Kulisse ist atemberaubend schön - gibt einfach mehr her als so ein olles Eisbärgehege in Berlin. Oder so ein popeliger Alpengletscher, wo auch Hans und Franz hinfährt. Wenn man richtig polemisch ist, kann man mal nachrechnen, wie groß der CO2 Ausstoß für diesen PR-Flug ist, an einen Ort, an dem vom Klimawandel rein optisch und ohne dramatischen Kommentar aus dem Off nichts zu erkennen ist. Tatsächlich unterscheidet sich das Programm der Kanzlerin und des U-Ministers, bis auf ein paar Höflichkeitstermine bei grönländischen Politikern, nicht sonderlich von dem einer entsprechenden Pauschalreise an den "Eisfjord bei Ilulissat an der Disko-Bucht".

Dass auch Deutschland sich am "Run auf die Rohstoffe der Arktis", zu dem Russland ein schönes Fernsehspektakel am arktischen Meeresboden lieferte (das augenscheinlich mit ein paar eingeschnittenen Tauchboot-Szenen aus "Titanic" aufgesext wurde) ist eher unwahrscheinlich.
Apropos "Titanic" - der berühmteste Eisberg der Seefahrts- und Film-Geschichte kalbe wahrscheinlich am Sermeq Kujalleq bei Ilulissat (das damals noch Jakobshavn hieß).

Auch die Parole "besuchen Sie Grönlands Gletscher, solange es sie noch gibt" überzeugt irgendwie nicht. Heinz Miller, ebenfalls vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, meint jedenfalls: "Bis das Grönlandeis schmilzt, vergehen mehr als tausend Jahre". Was kein Grund zur Entwarnung ist, aber sehr wohl ein Grund, nicht gerade nach Grönland zu fliegen, wenn man auf den Klimawandel aufmerksam machen will. Aber es macht sich halt gut, wenn man das Sommerloch mit ein paar schönen Bildern aus der Arktis füllen kann. Und keine Demonstranten weit und breit. Und mit positivem Medienecho ist auch noch zu rechnen.

Was dieses als Staatsbesuch getarnte touristische Event zu einem geradezu klassischen Beispiel für "Unpolitik" macht.

Nachtrag:
Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der den 2-Tage-Grönland-Trip von Merkel und Gabriel kritisiert:
Unmittelbar vor Beginn der Grönland-Reise von Kanzlerin Angela Merkel hat die Opposition davor gewarnt, in der Umweltpolitik allein auf symbolisches Handeln zu setzen. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte der dpa: «Die Reise ist eine Flucht in die Inszenierung.»
Stimmt auffällig!
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte: «Das ist Symbolik, gut für die Fotografen.»
Guido W. ist nicht unbedingt ein Politiker, den ich wählen würde, aber wo er recht hat, hat er recht!

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