Montag, 20. August 2007

Scheinbare Widersprüche

Auf der einen Seite schaffen es die Neo-Nazis nicht, für eine für sie ideologisch wichtige "Großkundgebung" auch nur ein Zehntel der Teilnehmer der Gegendemo zu mobilisieren: npd-blog: Heß-Märsche: Viele Demonstranten gegen wenige Ewiggestrige -
auf der anderen Seite greifen am Rande eines Stadtfestes offensichtlich rassistisch motivierte Täter eine Gruppe von acht Indern an - und wieder mal: "Zahlreiche Schaulustige hatten sich den Überfall mit angesehen." npd-blog: Volksfest in Sachsen mit Hetzjagd auf Inder.
Und wieder mal das würdelose Schauspiel eines Polizeisprechers, der sich mit vielen Konjunktiven bemüht, das Offensichtliche unter den sich arg wölbenden Teppich zu kehren, wo doch selbst Mügelns Bürgermeister Deuse Klartext redet: Nach seinen Informationen seien ausländerfeindliche und rechtsextreme Parolen gerufen worden. (Nachtrag: weniger schön, dass Deuse hinterher behauptet, es gäbe am Ort keine Naziszene. Selbst wenn das stimmt, ändert das nichts. Und es entlässt ihn nicht aus seiner per Amt übernommenen Verantwortung..)

Siehe hierzu auch das tagesschau.de-Interview: "Alle Fremden sollen vertrieben werden."

Aber das ist, denke ich, nur ein scheinbarer Widerspruch.
  • Während die NPD und andere politisch agierende und agitierende Rechtsextremisten schon selber dafür sorgen, dass sie nicht unter den Teppich gekehrt werden können, hat sich bei blutigen, rassistisch / nationalistisch motivierten Übergriffen die "Imagepflege durch Verharmlosung" offensichtlich "bewährt": Schlimm ist es offenbar nicht, dass es Nazi-Schläger gibt, schlimm ist, dass die böse Presse das öffentlich macht. Schlimm fürs "Image", für den "Standort".
  • Die alten und neuen Nazi sind "Radikale der Mitte", vertreten Ansichten, die aus der Mitte der Gesellschaft stammen. So gesehen ist das Wort "rechtsextrem" unzureichend. Man kann davon ausgehen, dass unzählige "brave Bürger" heimlich das denken, was weniger Nazischläger tun. Selbst wenn sie ansonsten "unpolitisch", geschweige denn NPD-Wähler, sind.
  • Die NPD beruft sich auf eine politische Heilslehre. Sie wird dadurch, dass sie im politischen Raum agiert, auch politisch angreifbar. Der "Kampf um die Straße" zeigt: die Antifaschisten haben schlicht die besseren Argumente, wirken deshalb überzeugender und bringen erheblich mehr Leute aus fast allen politischen Lagern auf die Straße.
    Krawalle auf Volksfesten sind vorpolitisch. Da vertritt niemand eine ausformulierte politische Ideologie, da schlagen enthemmte junge Deutsche einfach zu, allenfalls mit ein paar mit Vorurteilen und rassistischen Klischees durchtränkten Sprüchen garniert. Sie lassen ihren "Gefühlen" freien Lauf - und das Gefühl heißt: unbestimmter Hass und Spaß daran, einfach "der Stärkere" zu sein, die Opfer "winseln" zu hören.
  • Dann kommt noch ein Punkt hinzu, bei dem z. B. MomoRules bestimmt anderer Meinung sein wird: Das genetische Erbe, die Natur des Menschen. Es ist uns offensichtlich "angeboren", allem Fremden erst einmal zu misstrauen - weil es während unvorstellbar langer Epochen unserer Vorzeit angezüchtet worden ist, weil es zum Überleben notwendig war. Unsere heutige "Instinktanpassung" entspricht etwa der, die auf dem Niveau der Altsteinzeit angemessen wäre. Tief im Inneren fürchten wir den, der anders ist als wir.
    Nirgendwo ist der Satz: "Zivilisation heißt Triebverzicht" so deutlich, wie auf diesem Gebiet, dem der xenophilia, der "Fremdenfreundschaft". Dabei geht es gar nicht mal um so anspruchsvolle moralische Forderungen wie nach der Feindesliebe - sondern um das schlichte, selbst "primitiven" Zivilisationen bekannte Gebot der Gastfreundschaft. Man schlägt dem Fremden nicht einfach die Keule über den Schädel, nur, weil man ihn nicht kennt. Übrigens kann das Wort "Xenophobie", normalerweise mit "Fremdenfeindlichkeit" übersetzt, besser mit "Gastangst" übersetzt werden. Das ist es, was die inwändig braunen Schläger, die Braunhäutige hassen, antreibt. Und dazu kommt eine Weltanschauung, die ihnen sagt: "Lasse Deinem Hass freien Lauf! Das ist gut so, dass ist natürlich so. Akzeptiere das Recht des Stärkeren, buckel gegenüber dem Mächtigen, trete auf den Ohnmächtigen ein, denn das ist der natürliche Kampf ums Dasein." Das ist das "Erfolgrezept" der Nazis: sie geben dem ollen Steinzeitmenschen in uns freie Hand. Wobei sie nicht die Einzigen sind, die so handeln: gerade religöse und quasi-religiöse Ideologien, die auf strenge moralische Grundsätze achten, geben ihren Anhängern auf dem Gebiet der lustvollen Gewaltanwendung gegen "die ANDEREN" freie Bahn.
    In Deutschland ist es leider so, dass es eine lange Tradition des "Erlaubt unzivilisierten Verhaltens" gibt. U. A. als "Ausgleich" für politische Unfreiheit und militärische Disziplin. Nicht nur Hitler, auch Adenauer, auch Ulbricht, auch viele unserer allein auf "Erfolg" fixierten Politiker, appellieren an den "alten Affen" in uns - bzw. die "dunkle Seite" der menschlichen Natur. Und die Verfechter eines kompromisslosen Kapitalismus tuen es auch: "Stark sein ist geil, und Verlierer haben es verdient".
Daher die - nicht nur, aber besonders ausgeprägt - in Deutschland vorhandene "Lust am Pogrom", Lust, die "Last der Zivilisation" abzuwerfen und sich wie eine Schimpansenhorde zu verhalten, die durchaus schon mal einen unvorsichtigen "Fremden" (wenn es nicht zufällig ein Weibchen in Paarungsstimmung ist) in blutige Fetzen reisst.

Die "fröhliche Fremdenhatz" spielt sich auf der Primitivebene ab. Dagegen sind die archaischen "Gesetze der Blutrache" geradezu zivilisiert zu nennen. Deshalb gebe ich Statler recht:
Und wenn es auf dieser Welt noch sowas wie Gerechtigkeit gibt, dann gehört die im Bericht erwähnte Pizzeria einer wütenden N’Dranghetta-Familie.
Nachtrag: sie gehört nicht.

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