Dienstag, 11. September 2007

Über Musik, Philosopie, Wissenschaft und Poesie

(Angeregt durch MomoRules Über Kunstwahrheit.)

Kann ein belletristisches Werk, ein Stück "schöne Literatur" zugleich ein wissenschaftliches Werk sein? Selbstverständlich! Zwar käme kein Wissenschaftler, erst recht kein Naturwissenschaftler auf die Idee, eine neue Theorie oder eine interessante neue Entdeckung in Romanform zu veröffentlichen, aber schon auf der Ebene der "Public Sciences", dem, was im deutschen Sprachraum mit dem oft etwas abschätzig klingenden Wort "populärwissenschaftlich" abgetan wird, sieht es ganz anders aus. Dahinter steckt die uralte Erkenntnis, dass für den Lernenden leichter ist, zu verstehen, wenn der "Lernstoff" in Form einer Geschichte präsentiert wird.
Nein, ich meine kein Infotainment - obwohl es sehr gut gemachtes, wirklich informierendes und dabei wirklich unterhaltsames Infotainment gibt. (Allerdings eher selten in kommerziellen Fernsehprogrammen.) Denn "etwas zu wissen" setzt sehr viel mehr voraus, als "über etwas informiert sein" - so wie "etwas verstehen" mehr voraussetzt, als "etwas zu wissen". In der Antike und im Mittelalter gab es sogar "Lehrgedichte", wenn man so will, Sachbücher in poetischer Form. Obwohl das meistens rein mnemotechnische Gründe gehabt haben dürfte - Verse lassen sich leichter auswendig lernen als Prosatext.
Aber zurück zur Populärwissenschaft. Es gibt bekanntlich renommierte Wissenschaftler, die über ihre Wissenschaft leicht verständliche Sachbücher schreiben. Manchmal lassen sich Erkenntnisse und Spekulationen am Besten in Form von Science Fiction-Geschichten an die breitere Öffentlichkeit bringen. Wenn der deutschsprachigen Wissenschaft der Begriff "Populärwissenschaft" eher negativ besetzt ist, so liegt das weniger daran, dass populäre Texte oft vereinfachen müssen (und deshalb in den meisten Fällen auch nicht zitierfähig sind), sondern oft an einen gewissen akademischen Klassenbewusstsein oder schlicht an bildungsbürgerlicher Arroganz. (Das geht bei einige so weit, dass sie etwa Karl Popper mit der Begründung, der sei nur ein "Populärphilosoph" abqualifizieren.)
Allerdings: nicht alle wissenschaftliche Erkenntnisse und erst recht nicht alle philosophische Gedankengänge lassen sich ohne "Substanzverlust" in einfachen Worten erklären. Jede Darstellung eines Gedanken in sprachlicher Form ist ein Kompromiss. Nicht von ungefähr setzen die meisten Sachbücher den "interessierten Laien" als Leser voraus, der zwar kein Fachwissen, aber außer einer ausgeprägten Neugier und einer nicht unterdurchschnittlichen Intelligenz eine gewisse Allgemeinbildung aufweist. Stephen Hawkins "Eine kleine Geschichte der Zeit" markiert ungefähr das Maximum des Niveaus, dass sich auf den Gebiet des naturwissenschaftlichen Sachbuchs ohne mathematische Formel möglich ist. Will man nur etwas tiefer schürfen, kommt man ohne Differenzialgleichungen nicht weit.
Bei der Philosophie ist es ähnlich. Die Themen, denen sich Karl Popper widmete, ließen sich mit einigem sprachlichen Geschick in gut verständliche Alltagssprache fassen. Hingegen stand Martin Heidegger vor dem Problem, dass die Alltagssprache und selbst die philosophische Fachsprache viel zu ungenau für seine Gedankengänge war. Er musste sich als Sprachschöpfer betätigen, um das bis dahin Ungedachte überhaupt benennen zu können. Allerdings schrieb er wenigstens stilistisch gut und versuchte nicht, seine Texte künstlich schwer zugänglich zu machen.
Philosophen, die über schwer verständliche Dinge in einem an ein Drahtverhau erinnernden Satzbau unter Verwendung ungebräuchlicher Vokabeln und Redewendungen schreiben, sind eine Landplage. (Wie z. B. Hegel, der ungekrönten König des undurchdringlichen Philosophendeutsch.)

Manche halten die Schriften z. B. Adornos für Belletristik. Geschliffener Stil, gesuchte Ausdrucksformen und eine gewisse absichtliche Unzugänglichkeit, eine gewollte "Gelehrsamkeit" vieler seiner Texte sprechen dafür. Geschachtelte Endlossätze und der Gebrauch ungebräuchlicher Fremdwörter, die man selbst Fremdwörterlexikon nicht findet, sprechen eher für das, was Karl Popper "Schwulst der Neodialektiker" nannte. Hinzu kommt, dass Adorno kein klassischer "Systemphilosoph" ist; nicht auf ein paar Grundgedanken logisch aufbauend das ganze Universums (und noch mehr) erklärt. Adorno auf bloße Formel reduziert? Geht nicht. (Es geht übrigens selbst bei Popper nicht. Außer man verstümmelt seine Erkenntnistheorie um entscheidende Erkenntnisse.)
Kann man in rein belletristischer Form philosophieren? Man kann! Platon verpackte seine Philosophie in spritzige Dialoge. Voltaire schrieb philosophische Romane.
Aber der "unprä-zi-seste und unwis-sen-schaft-lichs-te" Bitte im verächtlich-ausspuckend-zischelnden Tonfall ausgesprochen vorstellen! Danke! Philosoph überhaupt ist Friedrich Nietzsche. Er war unsystematisch, und zwar so weitgehend, dass er sich gelegentlich selbst widersprach. Er schrieb auf stilistisch hohem Niveau, ohne dabei unverständlich zu werden. Und das Schlimmste: er packte seine Gedanken gern in Aphorismen und Gedichte. Der Ausspruch "Dichterphilosoph" war und ist nicht immer als Lob gemeint.

Besonders gilt das für sein bekanntestes und vielleicht wichtigstes Werk: "Also sprach Zarathustra" (1883–1885). Das ist nicht nur teilweise in Aphorismen und Gedichtform verfasst, es hat sogar eine durchgehende Handlung, enthält fiktive Personen und handelt an fiktiven Orten.
Allerdings dürfte der "Zarasthustra" eines der wenige philosophischen Werke sein, für das ein berühmter Komponist einen regelrechten "Soundtrack" schrieb. Zumindest die wuchtige Anfangsfanfare des ersten Satzes dürfte jeder kennen (und hoffentlich nicht nur aus der Bierwerbung): Zarathustra tritt vor die aufgehende Sonne und beschließt, zu den Menschen herabzusteigen.








Wenn das eingebundene Video nicht läuft: hier der Link zum Stück: Also sprach Zarathustra, 1. Satz.

Nietzsche selbst meinte: "Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser ‚Zarathustra‘? Ich glaube beinahe, unter die ‚Symphonien‘." Das war nicht nur dahingesagt, die vier Teile des "Buches für jeden und keinen" entsprechen den Sätzen einer Sinfonie. Der Altphilologe Nietzsche konzipierte die Schrift als einen dionysischen Dithyrambus, einer Hymne, wie sie zu Ehren des griechischen Gottes der Ekstase, Dionysos, zu Chor und Instrumentalbegleitung vorgetragen wurde.

Richard Strauss nahm Nietzsche beim Wort. Und schrieb 1896 die Symphonie zum Buch. Er mochte Nietzsches kulturkritische Angriffe auf das deutsche "Philistertum" ("Philister" - hier: "spießiger Bildungsbürger"). Auch war er erklärtermaßen dem Christentum abgeneigt. Entscheidend war aber wohl die Sprache Nietzsches, die offensichtlich Strauss musikalisch herausforderte.

Über Nietzsche sind die Meinungen sehr geteilt. Manche stimmen seiner Selbstbeschreibung: "Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit" begeistert zu - andere wiederum meinen "stimmt, er hatte einen gewaltigen Knall". Dafür, dass italienischen Faschisten und deutsche Nazis ihn für sich in Anspruch nahmen, kann er am wenigsten. (Am meisten dafür kann seine Schwester und Nachlassverwalterin Elisabeth Förster-Nietzsche, die seine Briefe und seine von den Nazis besonders geschätzte, aus dem Nachlass zusammengestellte Aphorismensammlung "Der Wille zur Macht" im völkischen Sinne verfälschte.) Nietzsche schrieb vom "Übermenschen", aber er verachtete die Deutschen wegen ihres nationalen Nervenfiebers - und hielt Antisemitismus für die größte Dummheit überhaupt.

Was ich von ihm halte? Als Gesellschaftskritiker ist der "mit dem Hammer philosophierende" Nietzsche einsame Spitze. Aber er trat, gröblich verkürzt gesagt, für eine Gesellschaftsordnung ein, in der vornehme und heroische Menschen das Sagen hätten - eine sehr elitäre herrschenden Klasse. Etwas, das ich aus Prinzip überhaupt nicht schätze. Auch wenn es großartig formuliert wird.

Musik zum Denken und zu den Denkern? Keine schlechte Idee.
Bei den Denkern der Aufklärung, vor allem bei Kant, stelle ich mir Johann Sebastian Bachs mathematisch präzise Kompositionen vor. Wie Hegel klingen würde, stelle ich mir besser nicht vor. Schopenhauer - etwas melancholisches mit indisch anmutenden Sitar-Klängen. Beim amerikanische Pragmatiker William James. obwohl es zeitlich nicht passt, einfacher, gradliniger Rock'n'Roll. Popper? Nein, keine Pop-Musik, sondern Jazz. Von der kühlen, ruhigen Sorte.
Der Soundtrack zu Michael Foucaults "Überwachen und Strafen" wäre meiner Ansicht nach von Ton, Steine, Scherben. "Keine Macht für Niemand" wäre ein guter Opener!
Bei existenzialistischen Philosophen denke ich immer an Blues. Bei Satre ganz besonders "blue". Adorno, der ja auch Musikwissenschaftler war und selber komponierte, und, sehr vorsichtig formuliert, eine sehr schlechte Meinung vom Jazz hatte, an zwar faszinierende, aber schwer zugängliche Zwölftonmusik - etwa so ein richtig quer im Gehörgang liegender Schönberg.

11. September - zur Erinnerung

Vor genau 140 Jahren, am 11. September 1867, erschien in Hamburg beim Verlag Otto Meissner der erste Band von Karl Marx' Das Kapital.

Dass am 11.September 2001 Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon verübt wurden, wird in nicht allzu ferner Zukunft genau so zur bloßen "Geschichtszahl" werden wie z. B. der (vom CIA unterstützte) Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973.
Das Datum, an dem "Das Kapital" erschien, ist im Grunde genommen unwichtig. Die Welt sähe aber anders aus, wäre dieses Buch nicht erschienen.
Und sie sähe besser aus, wenn die Gedanken in diesem Buch von Lenin, Stalin, Mao und anderen "Marxisten" auch begriffen und beherzigt worden wären ...

Übrigens: Man muss kein Marxist sein, um Marx zu lesen und zu verstehen.

Samstag, 8. September 2007

Summer of Love VIII - Psychedelic Music

In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren. Das Ende des chemischen Pfingstens schließt sich inhaltlich an die Beitrag LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an. Der sechste Teil der Serie widmet sich der Unvollständigen Sexuellen Revolution, der siebte dem Hippie-Pop und Hippie-Kommerz.

Das Wort "psychedelisch" ist eine Neubildung aus den altgriechischen Worten für "Geist, Seele, Bewusstsein" ψυχή (psyché) und "Offenbarung" δήλος (délos). also etwa: "bewußtseinsoffenbahrend" oder "bewußtseinszeigend".
Der Begriff wurde 1957 vom Psychiater Humphry Osmond geprägt, als zutreffendere Bezeichnung für die bis dahin "Halluzinogene" genannten Drogen im Kontext ihrer psychotherapeutischen Anwendung. In der Psychiatrie setzte sich die Bezeichnung nicht durch, im Journalismus und dem populären Sprachgebrauch wurde um 1965 "psychedelic" und wenig später auch im deutschen Sprachraum "psychedelisch" zum Modewort. Alles und jedes, was irgendwie sinnverwirrend, surreal, meditativ, verträumt, exotisch wirkte, war "psychedelisch" - von der Lava-Lampe über Tapetenmuster im Op-Art-Stil über Yoga-Übungen bis zur schreiend bunt gemusterten Hemden. Da konnte es nicht ausbleiben, dass auch Musik "psychedelisch" genannt wurde.

"Psychedelic music" war folglich auch ein eher unscharfer Sammelbegriff, schärfere Konturen hatte lediglich der "Psychedelic Rock". Zum "Psychedelic Rock" später mehr.
Was "psychedelische Musik" zur einer solche macht, lässt sich schwer sagen, da von Folk bis Jazz höchst unterschiedliche Musikstücke als "psychedelisch" bezeichnet wurden. Einfacher sind bestimmte musikalische Stereotypen bzw. Klischees zu beschreiben, die "typisch psychedelisch" wirken. Als "typisch Psychedelic" galten spezialeffekt-betonte Produktionen (was vom simplen Wah-Wah-Effektpedal und dem sehr beliebten ebenso simplen Tape-Delay bis zum ungehemmten Herumspielen mit allen damals neuen Möglichkeiten der Studio-Technik ging), "exotische" Instrumente (vor allem Sitar, aber auch elektronische Instrumente wie das Mellotron, das Trautonium, das Electro-Theremin oder der frisch erfundene Synthesizer), und surrealistische Texte - allerdings fand sich das alles auch bei Musikern, die sich mit Händen und Füssen dagegen wehrten, das immer auch nach Haschpfeife und Räucherstäbchen riechende Etikett "psychedelic" aufgeklebt zu bekommen.

Als Beginn des"Psychedelic Pop" gilt allgemein das Album "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" von den "Beatles", was insofern stimmt, da damit diese Art Musik, die es schon früher gab, wirklich populär wurde. Schon in den 50ern experimentierten Musiker sowohl mit "psychedelischen Drogen" wie mit dadurch inspirierten neuen musikalischen Ausdrucksformen.

Es gibt psychedelische Stücke, die versuchen, die akustischen Eindrücke eines Drogentrips nachzuempfinden (das frühe Pink-Floyd Stück "Interstellar Overdrive" ist ein bekanntes Beispiel), andere beschreiben die Erlebnisse eines Trips ("Lucy in Sky with Diamonds" egal, was John Lennon und Paul McCartney behaupteten), wieder andere versuchen eine trip-ähnliche Trance zu erzeugen (bekanntestes Beispiel: "In-A-Gadda-Da-Vida" von Iron Butterfly). Das in allen Beispielen von "Trips" die Rede ist, ist unzufällig, den LSD spielte als Inspirationsdroge eine herausragende Rolle. Die "härteren" Spielarten der "Psychedelic Music" wurden dann auch, nach dem Slangausdruck "Acid" für LSD, "Acid Music" genannt; ein Begriff, der sich anders als das einst allgegenwärtige "Psychedelic" bis in die Gegenwart hielt (Acid-Jazz, Acid-Rock, Acid-House usw.).

In der experimentierfreudigen "Psychedelic Era" wurden erstmals "leichte" Unterhaltungsmusik und "ernster" Musik, vor allem "zeitgenössischer E-Musik", miteinander verschmolzen, was etwas anderes ist als die in 70er Jahren Mode gewesene "verpoppten Klassik", aber auch als Popmusik, die "klassisch" interpretiert wird. Diese inhaltliche Verschmelzung beschränkte sich nicht auf Anregungen durch auch für elektronische Musikinstrumente schreibenden Komponisten wie Paul Hindemith und Karl-Heinz Stockhausen. Ein zeitgenössischer "E-Komponist" mit starken Einfluss auf die psychedelische Musik war György Ligeti mit seinen "Klangflächen-Kompositionen" - bekannte Beispiele: "Atmosphères" und das Vokalstück "Lux Aeterna". Auch Elemente "klassischer Musik" fanden dank der Experimentierfreude der "Psychedelic Music" Eingang in populäre Stücke, erwähnt seien nur die Bachtrompeten und Cellos auf "Sgt. Peppers'" oder "A Whiter Shade of Pale" von Procum Harum, ein leicht psychedelisches und sehr stark von Johann Sebastian Bach beeinflusstes Stück.

Wie schon erwähnt, hat eigentlich nur der "Psychedelic Rock" als Subgenre so deutliche Konturen, dass Rockmusik-Hörer sich einigermaßen einig werden könnten, ob ein Stück dazugehört oder nicht. Typisch für den "psychedelischen" Rock-Stil der 60er waren die gegenüber damaligen Standard-Rockstücken längeren Songs, wie auch der Trend zur langen Instrumental-Solos in der Psychedelic-Ecke begann. Während "normale" Rockmusiker allenfalls Verzerrer, vielleicht auch mal Wah-Wahs einsetzten, verwendeten die "Psychedelic Rocker" zahlreiche elektronische und akustische Effekte, die oft abenteuerlich improvisiert waren. Typisch ist auch der Einsatz von Orgeln, elektronische Musikinstrumenten und "exotischen" Instrumenten - "so was" war bei "straighten" Rockern eher verpönt.
Besonderheiten gibt es auch im Rhythmus: In der Rockmusik werden die Achtelnoten normalerweise "gerade" gespielt, im Beat die erste Viertelnote (der erste Beat) betont, im Rock ’n’ Roll gibt es noch eine leichte Verschiebung zwischen den Viertelnoten nach hinten (den "Shuffle"), gelegentlich werden auch Offbeats eingesetzt - aber im großen und ganzen ist Rock rhythmisch gesehen eher simpel. Was dann auch in der 50er und 60er Jahren ein Standardvorwurf der "Jazzer" gegenüber den "Rockern" war und, jedenfalls vor der Ära der langen Drum-Solos, in Witzen über die beschränkten Fähigkeiten von Rock-Schlagzeugern Ausdruck fand, etwa: "Eine typische Rockband besteht aus drei Musikern und einem Drummer." Im "Psychedelic Rock" gibt dagegen zahlreiche Abweichungen von diesem einfachen Schema. Die "Schmanentrommel" hielt Einzug - oder zumindest Rhythmen, die der Folklore afrikanischer, alt-amerikanischer und innerasiatischer Stammesgesellschaften entlehnt wurden. Relativ oft wird der 4/4-Takt für Zwischenspiele in anderen Taktarten unterbrochen, und einige Psychedelic-Rocksongs sind sogar polyrhythmisch. Polyrhythmik ist die Überlagerung mehrerer verschiedener Rhythmen in einem mehrstimmigen Stück, die vor Jimi Hendrix und Charlos Santana (der aber nicht dem "Psychedelic Rock" im engeren Sinne zugeschlagen werden sollte) eine Domäne des Jazz war - und die dann typisches Merkmal des aus dem "Psychedelic Rock" entwickelnden, neben ihm bestehenden und sich mit diesem überschneidenden "Progressive Rock" wurde.
Reine "Studio-Bands" unter den Psychedelic-Rockbands gab und gibt es erstaunlich wenige, die meisten machten und machen auch live psychedelische Musik.

Der "Psychedelic Rock" begann im "Underground", genauer gesagt, bei mehr oder weniger dem Hippie-Lifestyle verpflichteten Garagenbands, vor allem in den USA. Das widerlegt auch die oft geäußerte Behauptung, "psychedelische Musik" hätte immer etwas mit aufwendiger Studiotechnik zu tun. Die Jungs (und ein paar Mädels) waren froh, wenn sie sich einen halbwegs "rückkopplungsfesten" Gitarrenverstärker, ein paar Effektgeräte und ein gebrauchtes 2-Spur-Tonbandgerät leisten konnten.
Die texanische Band "13th Floor Elevators" wird oft als erste "psychedelische" Rockband bezeichnet - zumindest war sie die erste, die ab 1965 mit dieser Art Musik einen gewissen kommerziellen Erfolg hatten. Bands, die noch früher solche Musik machten, wie "The Magic Mushrooms", "The Human Expression" oder "The Charlatans" sind eigentlich nur ausgesprochenen 60er-Jahre-Rock-Fans bekannt.
Zu den bekanntesten psychedelischen Rockbands der "Sechziger" gehörten "The Doors", "The Deep", "The Blues Magoos", "The Seeds", "Count Five", "Jefferson Airplane", "Soft Machine" (in der Zeit mit Kevin Ayers), "The Jimi Hendrix Experience", "Big Brother and the Holding Company", "Country Joe And The Fish", natürlich "Grateful Dead", und auch mehr oder weniger (abhängig vom Stück) die frühen "Pink Floyd".
Allerdings gingen auch andere Bands auf den "psychedelic rock trip": Die "Beatles" habe ich bereits erwähnt, andere Bands, die "Psychedelic Rock" im Repertoire hatten, waren "The Yardbirds", "The Byrds", "Love", "Iron Butterfly", "The Velvet Underground", aber auch die "Rolling Stones" ("2000 Light Years From Home"). Sogar die "Beach Boys" gaben sich psychedelisch-rockig ("Good Vibration").
Ein bleibendes Vermächtnis des "Psychedelic Rock" an die Populärkultur ist die den Auftritt begleitende Lightshow, angeblich erstmals 1966 von Pink Floyd bei einem Konzert in Essex eingesetzt.

Um 1970 ging der "Psychedelic Rock" teilweise in andere Stile auf ("Progressive Rock", "Artrock", "Glamrock". Auch der "symphonische" Hard Rock ("Hawkwind", "Deep Purple", "Black Sabbath") griff auf psychedelische Elemente zurück. Andererseit ebbte einfach nur das Interesse an der "psychedelischen" Stilrichtung ab. Etwa ab 1974 war die Ära des "Psychedelic Rock" zuende, während andere Formen "pychedelischer Musik" sich in ihren "Nischen" halten konnten - die meditative "New Age"-Musik war so eine Nische.

Aber schon gegen Ende der 1970er Jahre kam es im Zuge der Punk-Bewegung zu einem Revival, das als "Neo-Psychedelic" oder "Neo-Psychedelia" bezeichnet wurde. Auslöser des Revivals waren die Wiederveröffentlichung alter "Garagenrock"-Aufnahmen aus den 1960er Jahren auf Compilations wie z.B. der Nuggets-Compilation von Lenny Kaye oder der Pebbles-Serie und das damit einhergehende "Garagenrock-Revival" - mit dem "Garagenrock" wurde auch der frühe "Psychedelic Rock" wiederentdeckt.
Trotz dieses Revivals existiert "Neo-Psychedelic" seitdem vor allem im "Untergrund", in Form zahlreicher Amateur-Bands, unbeachtet von der "großen Rockwelt". Halbwegs bekannt wurden z. B. "Plan 9", "Three O'Clock", "The Fuzztones", "Nova Express".
Deutlich erfolgreicher waren "My Bloody Valentine" Ende der 80er.

Wichtiger als alle "Revivals" ist allemal, dass Hard Rock, Metal und sogar der Britpop stark bis sehr stark vom "Psychedelic Rock" beeinflusst wurden. "Voivod", "Alice In Chains" und "Monster Magnet" nahmen "Psychedelic Rock"-Stücke auf. "Tuxedomoon", "Psychic TV", " XTC", "Siouxsie and The Banshees", "The Cure", "Cocteau Twins" sind oft deutlich psychedelisch. Britpop-Band wie "Oasis" oder "Blur" bezogen sich direkt auf den Psychedelic Rock, ebenso "Supergrass" oder "Radiohead". "Wolfmother" und "Queens of the Stone Age" könnte man, mit einigem guten Willen, auch zum "Psychedelic Rock" rechnen.
Aber da verweise ich doch lieber auf die (englischsprachige) "Wikipedia": List of psychedelic rock artists und Neo-psychedelia.

Zur Erinnerung: am 22. September Demonstration gegen Überwachung und Vorratsdatenspeicherung in Berlin

Angesichts der traurigen Tatsache, dass die Festnahme von drei Terrorverdächtigen in Nordrhein-Westfalen von interessierten Politikern erfolgreich als "Argument" für Online-Durchsuchungen instrumentalisiert wird, sind Demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung noch wichtiger geworden.
Kurz nach der Festnahme von drei Terrorverdächtigen in Nordrhein-Westfalen fühlt sich die große Mehrheit weiterhin sicher in Deutschland, stimmt aber trotzdem für mehr Überwachung. In einer heute in Köln vorgestellten Umfrage für die ‘Tagesthemen’, erhoben von Infratest Dimap unter 1.000 Bundesbürgern, sagen 81 Prozent, dass sie sich alles in allem sicher in Deutschland fühlen. Das sind fast ebenso viele wie im Juli dieses Jahres (84 Prozent), als diese Frage zum letzten Mal gestellt wurde. Nur 18 Prozent fühlen sich derzeit eher unsicher im Land.

Am 22. September findet die große Demonstration gegen Überwachung und Vorratsdatenspeicherung in Berlin statt.
Wer nicht in Berlin wohnt, kann u. U. preisgünstig auf Bus-Initiativen aus verschiedenen Regionen Deutschlands zurückgreifen.
Weiter Infos auf netzpolitik:
Mit dem Bus zur Demonstration gegen Überwachung in Berlin

Dienstag, 4. September 2007

Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: "300"

Einen größerer Gegensatz als zum letzten "gut-doofen" Film, den ich hier besprach (Die blaue Lagune) ist kaum denkbar. Dennoch hinterließ "300" bei mir nach dem aufmerksamen Ansehen der DVD-Fassung ein ähnlich zwiespältiges Gefühl. Auch wenn "300" eindeutig unterhaltsamer ist. Jedenfalls für Typen wie mich.
Ich gestehe: Nach dem Kinobesuch war erst einmal so überwältigt, dass ich den Film glatt "gut" gefunden habe. Ich gestehe ebenfalls: viele der Filmkritiken, die beim Kinostart erscheinen, waren dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass ich mich fragte, ob diese Kritiker tatsächlich den selben Film gesehen hatten. Es ist also ganz gut ist, dass schon einige Monate vergangen sind, seitdem ich das erste Mal mit dem Film und der Kritik zum Film konfrontiert wurde.

Eine detaillierte Inhaltsangabe erspare ich mir mit einem Verweis auf die allwissende Müllhalde Wikipedia: "300" (Film). Wichtig für die Beurteilung des Films sind aber folgende Tatsachen:
  • Zack Snyder verfilmte einen Comic, "300" von Frank Miller, und zwar so vorlagengetreu wie möglich.
  • Entgegen der Angabe in "Wikipedia" beruht dieser Comic nicht auf den Chroniken des altgriechischen Historikers Herodots, sondern ist eine freie Bearbeitung der um den Thermopylen-Mythos gewachsenen Heldensage.
  • Aus diesen beiden Tatsachen folgt, dass historische Tatsachen in dem Film noch nicht einmal eine Nebenrolle spiele, weshalb es denn letzten Endes egal ist, dass es in Sparta keinen "Senat" sondern eine "Gerusia" gab, die Phalanx falsch dargestellt ist, die alten Griechen in Rüstungen kämpften, die Unterstellung von Homosexualität im alten Griechenland schwerlich eine Beleidigung war, die Perser keine Kriegsnashörner und Xerxes keine Glatze hatte usw. usw. usw..
Es ist faszinierend, wie viele Kritiker das anscheinend nicht mitbekommen haben. Es zeigt aber auch, wie sehr der politische Mythos, den die Griechen um die Perserkriege im Allgemeinen und den "Opfertod" des Leonidas und seiner Spartaner im Besonderen auf dem Heldenmythos aufbauend woben, sich gewandelt bis in die Gegenwart hielt. Noch heute wird der Kampf der Griechen gegen die zweifelsohne machthungrige, aber hochzivilisierte und bemerkenswert tolerante Großmacht Persien gern in einen Mythos der Verteidigung der Freiheit des Abendlandes gegen orientalische Despotie und Gewaltherrschaft umgedeutet.
Um es kurz zu machen: im Film steht dieser, der politische, Mythos, nicht im Mittelpunkt - der "archetypische" Heldenmythos ist bei Weitem wichtiger. In den aufgeregten Reaktionen zum Film ist es genau umgekehrt.
Anders sind Kommentare nicht zu erklären, die den Film als "reaktionäres Machwerk" oder "pro-amerikanischer Propagandafilm" oder gar als "psychologische Vorbereitung für einen Angriff auf den Iran" sehen. Das Perserreich des Films hat mit dem modernen Iran etwa so wenig Ähnlichkeit, wie der hünenhafte, athletische, mit Glatze, Ketten, Piercings zugleich barbarisch, dämonisch und majestätisch wirkende Perserkönigs Xerxes (dargestellt von Rodrigo Santoro) mit dem schmächtigen, schlecht gekleideten und erstaunlich uncharismatischen Präsidenten des Iran (dargestellt von Mahmud Ahmadinedschad).
Sicher, der Erzählkommentar aus dem Off schafft im Zusammenspiel mit den pathetischen-matialischen Sprüchen (die im Comic noch "cool" wirken) manchmal wirklich eine an einen deutschen Propaganda-Film aus dem 2. Weltkrieg erinnernde Atmosphäre. Aber es ist einigermaßen absurd, zu behaupten, der Körperkult des Filmes sei eine Art Folgeschaden der "Triumph des Willens"-Ästhetik Leni Riefenstahls. Tatsächlich bediente sich der Comic - und damit der Film - bei einer Quelle, die auch die Riefenstahl bei ihrem Olympia-Film inspirierte: dem Körperkult der griechische Antike. Archaisch und urgewaltig - so wirken die Spartaner in Millers Comic, die nicht einmal eine Rüstung brauchen, manchmal gar, dem Vorbild griechischer Vasenbilder und Plastiken aus der "klassischen" Zeit nach den Perserkriegen folgend, in idealisierter Nacktheit kämpfen. (Dass die im Comic vorkommende gelegentliche Nacktheit im Film fehlte, ist dem bizarren "moral code" der amerikanischen Filmindustrie zu verdanken: einige Hektoliter Filmblut gehen für ein "R-rating" in Ordnung - aber "full frontal nudity" hätte automatisch eine Einstufung "ab 18" zur Folge gehabt.)

Der Grund, weshalb ich den Film beim Wiederansehen "doof" fand, lag darin, dass ich beim zweiten Mal ohne die überwältigende Wirkung einer großen Leinwand und mit mitlaufendem "kritischen Verstand" sah. Und das entzaubert "reines Emotionskino", egal ob Liebesschnulze, Actionfilm oder Horrorspektakel, ziemlich gründlich.

Die Enttäuschung fängt bei der eigentlichen Stärke des Film, der Optik, an: die Schauspieler agierten ausschließlich in Studios vor blauen Wänden, auf die dann nachträglich computeranimierte Hintergründe eingefügt wurden. Die Wirkung kommt damit der Comic-Vorlage nahe, erreicht aber bei weitem nicht die Wirkung des ganz klassisch mit Aquarellfarben colorierten und deshalb sehr organisch wirkenden Originals. Wenn die erste Faszination verflogen ist, wirkt der Film recht kalt, steril und "zweidimensional", die Schauspieler wirken manchmal hölzern - klar, sie spielen "in Wirklichkeit" in einem praktisch leeren Studio. Die Farbpalette ist reduziert auf Gold, Rot, Grau - die dadurch erzielte Stilisierung erhöht die Vorbildtreue, kostet aber Atmosphäre - was man besonders merkt, wenn man zuvor etwa "Gladiator", "Troja" oder sogar"Herr der Ringe" gesehen hat, deren Schlachtszenen trotz weniger spritzendem Blut und weniger abgesäbelten Köpfen "gruseliger" wirken.
Trotz aller Vorbildtreue herrschen im Medium Film doch andere Gesetze als im Comic. Der, nebenbei bemerkt, auch nicht gerade der Beste ist, den Miller ja gezeichnet hat.

Die kleine Längen wegen der laaaangen, auf bedeutungsschwer gequälten, vor Pathos triefende Dialoge fallen auf dem heimischen Monitor mehr auf, zum Glück aber auch der unfreiwilliger Humor eben dieser Dialoge. (Überhaupt trägt unfreiwillige Komik sehr viel zur Filmerlebnis "300" bei.)
Die Länge und das langweilig-soldatische Pathos der Dialoge stört auch die Wirkung der trockenen, knappen, eben "lakonische" Ausdruckweise der Spartaner. (Lakonien ist die griechische Region, in der Sparta liegt.) Unpassend auch, dass Leonidas (Gerard Butler) viel zu oft laut brüllt - einige lakonische Textzeilen wären wirkungsvoller gewesen, wenn er sie in betont gleichgültigem Tonfall gebracht hätte. Da passt es, dass der beste absichtliche Dialog-Gag des Filmes schon uralt ist, genauer gesagt, 2454 Jahre alt: "Unsere Pfeile werden die Sonne verdunkeln!" - "Dann werden wir im Schatten kämpfen." (Aus Herodots Historien.)
Von mehr freiwilliger Gags, von etwas mehr Ironie, hätte der Film nur profitieren können.
Allerdings, Snyder meint, dass dem Zuschauer durch Ironie und vor allem durch die erkennbar übertriebene Inszenierung deutlich gemacht wird, dass die Protagonisten "moralisch bankrott" seien und deshalb keine Vorbilder sein könnten. Wenn das so ist, hat er seine Botschaft gut versteckt. Trotzdem: die völlig überzogenen Helden-Klischees und Gewaltphantasien wirken wirklich so, als ob Snyder sie einfach nur durch daumendickes Auftragen veralbern wollte. Allerdings aus reinem Spaß am Veralbern, ohne tieferen Sinn.

Wäre es ein X-beliebiger Film über einen x-beliebigen Krieg, dann würde mein leicht enttäuschtes Urteil lauten: unterhaltsames Gemetzel, bei dem es ordentlich splattert, leider mit langweiligem Soldatenpathos.
Ein unterhaltsamer, aber doofer Film.

Was ihn aber "gut-doof" macht: er versucht wenigstens, einen Mythos zu verstehen, der historisch falsch, aber auf jene Art wahr ist, auf die Mythen und Märchen ("gesunkenen Mythen") wahr sind. Der in einem "realistischen" Historienfilm nicht zu vermitteln gewesen wäre. Regisseur Snyder drückt es so aus: "Die Wahrheit kann eine gute Geschichte ruinieren."

Leider versuchte er nur dem Mythos gerecht zu werden. Und bei all dem sollte man eine Tatsache nicht vergessen, die selbst für die kriegerischen Spartaner gilt:
οὐδεὶς γὰρ οὕτω ἀνόητος ἐστὶ ὅστις πόλεμον πρὸ εἰρήνης αἱρέεται
(Niemand wird so dumm sein, dass er Krieg statt des Friedens wählt.)
Herodot, Historien

Sonntag, 2. September 2007

Von Epikur, Ende und einem erstaunlichen Gesetzentwurf

Man soll sich nicht den Anschein geben, als treibe man Philosophie, sondern man soll wirklich philosophieren. Es nützt auch nichts, uns den Anschein von Gesundheit zu geben, sondern wir müssen wirklich gesund sein.
Epikur, altgriechischer Philosoph, 341 -270 v. u. Z.

Epikur hatte recht. Es gibt eine beachtlich Zahl "Scheinriesen der Weisheit" auf der Welt, und es werden immer mehr. (Ein "Scheinriese" ist jemand, der aus der Entfernung gewaltig groß aussieht, aber aus der Nähe betrachtet nicht größer ist als andere Menschen auch. Eine wundervolle Metapher von Michael Ende.)
"Philosophie treiben" bedeutete zu Epikurs Zeiten etwas anderes als heute. Die antike Philosophie umfasste drei Gebiete: die Physik (Naturlehre, also Naturwissenschaften und Naturphilosophie), die die Logik bzw. Kanonik (Erkenntnislehre) und die Ethik (Verhaltenslehre). Und sie war meist lebenspraktisch, als Lebenshilfe gedacht.

Die Bluffer, Hochstapler und "Klugscheißer" unter jenen, die so tun, als würden sie philosophieren (bzw. selber denken) sind ärgerlich. Aber sie wissen wenigstens, dass sie nur so tun, als ob. Gefährlicher sind die, die wirklich denken, sie würden nachdenken. Z. B. gibt es eine ganze Reihe Politiker und noch mehr Politikberater, die sich den Anschein geben als würden sie "Philosophie betreiben", also z. B. logisch denken oder ethische (auf die Lebensführung gerichtete) Grundsätze beachten. Was schlimm genug wäre, wenn diese Menschen alle wüssten, dass sie das Nachdenken nur simulieren.

Ein verblüffendes Beispiel für die Vernachlässigung sowohl von anerkannten logischen wie ethischen Prinzipien liefert wieder einmal das Bundesinnenministerium:
Innenminister Schäuble will Waffenrecht lockern (netzeitung). Die Logik, einerseits "Killerspiele" (also virtuelle Waffen) zu verbieten, andererseits den Zugang zu realen Waffen zu erleichtern, erschließt sich nur schwer. Zumal Schäuble es einer legal erworbenen Schusswaffe in den Händen eines an paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie (Verfolgungswahn) Erkrankten verdankt, dass er heute im Rollstuhl sitzt. Sportschützen soll es künftig erlaubt sein, bereits mit 18 Jahren eine großkalibrige Waffe zu kaufen. Sportschützen, also Menschen, die anders als etwa Jäger nicht zwingend auf großkalibrige Waffen angewiesen sind.

Natürlich: die in einem Anfall von Aktionismus nach den Amoklauf von Erfurt verabschiedete Waffenrechtsverschärfung blieb ohne Effekt - was bei solchen mehr auf den Effekt ("Wir tun was!") als Effizienz zielenden, eher symbolischen, Maßnahmen auch nicht zu erwarten war. Und ebenso natürlich, wie bei allen Gesetzen, deren Sinn überhaupt nicht einleuchtet, darf auch bei der Waffenrechtslockerung der Hinweis auf "Europa" nicht fehlen. Es gibt , zugegeben, auch gute Ansätze im Entwurf: z. B. eine psychologische Eignungsprüfung, der sich jeder künftige Waffenbesitzer unter 25 unterziehen muss, und die die eher formelle Zuverlässigkeitsprüfung ersetzen soll. Warum aber nur die unter 25-jährigen? Und warum in aller Welt soll ein Sportschütze künftig Waffen besitzen dürfen, mit denen in seinem Schützenverein gar nicht geschossen wird?

Aber auf Logik, Ethik oder gar (auch physikalische) Sachkenntnis kommt es in der Politik wohl nicht wirklich an. Der Anschein, man "treibe Philosophie" reicht. Und Schäuble ist wahrlich nicht der einzige sich selbst überschätzende und von Freunden wie Gegnern überschätzte Politiker. Er ist "Symptom", nicht "die Krankheit".

Auch beim Waffengesetzt, wie bei der "Online-Überwachung", reicht der bloße Anschein von Logik, Ethik und Sachkenntnis anscheinend völlig aus.

Samstag, 1. September 2007

"Summer of Love VII" - Hippie-Pop und Hippie-Kommerz

In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren. Das Ende des chemischen Pfingstens schließt sich inhaltlich an die Beitrag LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an. Der sechste Teil der Serie widmet sich der Unvollständigen Sexuellen Revolution.

Im Rückblick erscheinen die späten 60er und frühen 70er Jahre als die Ära der grellbunten Pop-Farben. Wobei im Einzelnen nicht zu klären ist ist, ob die grellen, plakativen Farben der Pop-Art das Design oder das grellbunte Design die Pop-Art inspirierte. Eines ist jedenfalls klar: das kommerzielle Design und die Mode dieser Zeit machte viele Anleihen bei der Hippie-Kultur.

Eine Legende kann ich leicht widerlegen: die Einführung des Farbfernsehens 1967 hatte nichts mit der Farbenfreude der Zeit zwischen 1966 und 1974 zu tun. Schon deswegen, weil es 1967 / 1968 nur wenige Fernsehsendungen in Farbe gab (Anfangs nur vier Stunden pro Woche) und Farbfernseher etwa vier mal so teuer wie Schwarzweiß-Fernseher waren und entsprechend wenige Leute einen Farbfernseher hatten. Erst ab Mitte der 70er Jahre kann man davon ausgehen, dass Farbfernsehen "nichts Besonderes" mehr war. Das Farbfernsehen erforderte am Anfang eine sehr helle Beleuchtung, weshalb grelle Farben und strahlendes Weiß gar nicht gingen - weiße Hemden wurde, damit sie trotz greller Reflexion "natürlich" wirkten, mit kaltem Tee "gegilbt", ansonsten wurden Pastelltöne bei der Kleidung bevorzugt. Das gilt allerdings nur für Fernsehproduktionen, wenn auf Farbfilm produziert wurde, konnte man es schon "bunt" treiben. Am Rande vermerkt sei, dass es trotzdem einen Einfluss des Farbfernsehens auf die Mode gab: vor 1967 waren Kleider und Anzüge mit Pepita-Muster und kleinkarierte Hemden modern. Im analogen Farbfernsehen rufen kleinkarierte Muster allerdings lästige Moiré-Effekte hervor, weshalb sie für Auftritte vor der Fernsehkamera (bis heute) absolut tabu sind. Weil das, was z. B. von Fernsehmoderatoren getragen wird, starken Einfluss auf die Alltagsmode hat, verschwanden Pepita und andere Kleinkaros fast völlig aus dem Sortiment der Textilindustrie. (Leider sind kleinkarierte Weltbilder im Fernsehen problemlos übertragbar.)

Aber zurück zum Hippie-Kommerz. An sich eigneten sich die bescheiden lebenden, sich bewusst dem "Konsumterror" entgegenstellenden, Hippies nicht als Zielgruppe - außer vielleicht für Schallplatten.
Es gab auch Künstler - wieder vor allem Musiker - die aus der Hippie-Kultur hervorgingen, und aus diesen Wurzeln Kapital schlugen. Von denen ist hier aber nicht die Rede. Es geht auch nicht um Musiker, Künstler, Schreiber, die sich wie z. B. die Beatles von den Hippies inspirieren ließen. Selbst das Musical "Hair" zähle ich, trotz seines enormen kommerziellen Erfolgs, nicht wirklich zum "Hippie-Kommerz". Auch wenn viele Alt-Hippies das anders sehen dürften.
Es geht darum, dass die "exotische" Subkultur der Hippies sich sehr gut vermarkten ließ. Für so ziemlich alles.
Versatzstücke der Hippie-Kultur wurden in die sich nun entstehende Pop-Kultur integriert - wobei die Pop-Kultur anfangs durchaus nicht gleichbedeutend mit "Mainstream" war, in den 60er Jahre wurde sie noch als Jugendkultur betrachtet; eine der beliebtesten Rock- und Popsendungen des NDR-Rundfunks hieß schlicht "Musik für junge Leute" und galt als Teenagerprogramm. Jedenfalls so lange, bis die Hörerbriefe von über 20- und sogar über 30-jährigen nicht mehr zu übersehen waren.
Hippie-beeinflusster Pop - das waren Rock, Folk, Blues, und sogar psychedelische Musik (dazu im nächsten Teil mehr), allerdings gefällig arrangiert und "radiotauglich" gemacht.
Obwohl die Hippies von konservativen Menschen als Gammler, Chaoten und Langhaarige diffamiert wurden, war die "sanfte Rebellion" doch für den "Mainstream" akzeptabler, als z. B. die politisierenden "68er" (die eigentlich "67er" heißen müssten) - oder die martialisch wirkenden "Rocker", die bald das pauschale Image weg hatten, gewalttätig und kriminell zu sein. Hippie - das hatte etwas romantisches, abenteuerliches - und als Pazifisten sie taten niemandem absichtlich weh.
Nicht jeder konnte oder wollte Hippie sein. Aber ein wenig "auf Hippie" machen, das war ab 1967 "in". 1968 bezeichneten sich, wenn man der Wikipedia glaubt, immerhin 0,2 Prozent der U.S.-Bevölkerung als "Hippies" - die "Sympathisanten" und "Nachahmer"-Szene dürfte weitaus größer gewesen sein.

Ein Zweig des "Hippie-Kommerzes" benutzte das "Prinzip Steinbruch". Dabei ist der Übergang zu jenen Künstlern, Designern, Modeschöpfern, die sich inspirieren ließen, natürlich fließend. Die Hippies verwendeten und entwickelten "alternative" Kunstformen; entdeckten das Straßentheater neu, belebten die Folk-Music. Kulturelle und modische Einflüsse aus Indien erreichten Europa und Nordamerika damals indirekt, über trampende Hippies, die die kulturellen Vorurteile vieler "reicher" westlicher Indienreisender nicht teilten.
Typisch für den originalen Hippie-Stil war, dass sich die Geschlechter optisch anglichen. Sowohl Männer wie Frauen trugen Jeans und langes Haar. Immerhin konnte man Hippiemänner oft am Vollbart identifizieren. Es dauerte nur wenige Jahre, bis diese Merkmale der Hippie-Stils bei den "Stinknormalen" angekommen war.
Hippies bevorzugten bunte Farben und für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Kleidungsstücke: Hosen mit weitem Schlag, bestickte Westen, Batik-gefärbte Kleidung. Sowohl die ultrakurze Variante des Mini-Rocks wie sein genaues Gegenteil, der weite, bodenlange Schlabber-Rock, drangen über die Hippie-Kultur und ihre Nachahmer in die Modewelt ein. Kleidung nach indianischen, indischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Vorbild waren bei den Hippies beliebt - und zogen wenig später den "Folklore-Look" nach sich. Dabei ist die Ironie nicht zu übersehen, dass die Hippies aus
Protest gegen der "Konsumterror" selbstgemachte oder selbst "aufbereitete" gebrauchte Kleidung bevorzugten - und eben jene Textilindustrie, die sie verachteten, von der durch ihr Vorbild geprägte Mode profitierte.

Es gab aber auch eine andere Art der "Hippie-Vermarktung", die für die Art und Weise, wie "exotische" Minderheiten medial "verbraten", in die "Pfanne gehauen", dämonisiert wurden, geradezu archetypisch war. In der damaligen "Berichterstattung" der "Bild" über Hippies findet man Klischees wieder, die noch heute in der "Berichterstattung" der Boulevardmedien über "komische Außenseiter". Grundprinzip: Exotenschau und der Appell: "Was können Sie froh sein, dass Sie nicht so sind wie diese peinlichen Spinner!"
Im "Sommer of love" 1967 reisten schätzungsweise 100.000 Hippies nach San Francisco. Die Medien waren ihnen auf den Fersen, und richteten ihre Aufmerksamkeit auf den Haight-Ashbury-Distrikt. Nicht alle Medien schlachteten die "Hippiemania" in besagter Weise aus, tatsächlich machten sie die "Hippies" erst weltweit zum Begriff. Liberale und "linke" Medien sympatisierten mit den Idealen der Hippies, "love and peace", obwohl auch von dieser Seite manchmal Kritik am Lebensstil geübt wurde. Anders sah es in den konservativen Medien und vor allem der "unpolitischen" Sensationspresse aus. Sie fokussierte sich auf die "arbeitsscheue", "drogenverherrlichende" und "unsittliche" Seite. Die freie Sexualität der Hippies wurde zum Objekt (buchstäblich) sensationsgeiler Spekulationen, nach dem Prinzip: erst mutmaßen, welchen "Schweinereien" sich die "Gammler" hingeben - und ihnen anschließend jene "sexuellen Perversionen", die man selbst ihnen unterstellt hatte, zum Vorwurf machen.
In den USA führte das zur moralischen Panik unter kulturell konservativen - und die religiöse Rechte predigte Vorwürfen der Dekadenz und Gottesferne bestätigt.
In Europa sah man das etwas gelassener, vermutlich, weil die "Hippies" als "harmlos" galten.
Der Kern der Hippiephilosophie war (und ist) ein kompromisslos freiheitlicher, pazifistischer, sozialer, toleranter Individualismus - wobei es dieser Individualismus ist, der sie von vielen "Alternativlern" der späten 70er und frühen 80er Jahre abhob - aber auch eine Gemeinsamkeit zu anderen Subkulturen, wie den bereits erwähnten "Rockern" (abgesehen von der Gewaltlosigkeit) darstellte. "Spät-" und "Neo"-Hippies neigen oft zu anarchischtischen Denkweisen; sie werden gerne der legendären gesellschaftlichen Gruppe der "kulturell Kreativen" zugerechnet.

Kommerziell besonders folgenschwer war der Hang der Hippies zu teil naturreligiösen, teils esoterischen Vorstellungen. Die aus der Theosophie stammende Vorstellung von bevorstehenden "Wassermannzeitalter" wanderte über die Hippie-Subkultur von obskuren theosophischen Zirkeln in das allgemeine kulturelle Bewusstsein. Man kann sagen: ohne Hippies keine "New Age"-Welle, aber auch keine Kommerz-Esoterik.

Romanlektüre - zum 1. September

Zitat aus dem Roman "Der Feigling" von Jost Nolte:
"Was du gern tun würdest oder nicht", sagte Leutnant Daisy Silberstein, "interessiert hier niemanden. Mich zuallerletzt. Ihr habt Tante Rebekka umgebracht. Tante Rebekka und ein paar Millionen anderer wehrloser Juden. Jetzt sitzt Rebekkas Silbersteins Nichte hier seit sieben Wochen in dieser deutschen Kasernenstube, und ein ehemaliger Herrenmensch nach dem anderen tritt ein, und sagt aus, dass er keine Verbrechen begangen habe. Wenn ihn aber doch ein Verbrechen nachgewiesen wird, behaupte er, man habe ihn gezwungen, es zu begehen. So läuft es hier Tag für Tag. Fast ausnahmslos. Die Ausnahmen sind ehemalige Hitlerjungen, für die die Welt zusammengebrochen ist. Enttäuschte und gekränkte Halbstarke, die sich für die eigentlichen Leidtragenden der Weltgeschichte halten. (..)"
Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Juristen Jon Schierling, der sich in der Nachkriegszeit einen Namen als linksliberaler Publizist Ansgar Rosmer macht. Niemand weiß, dass er aus Feigheit sich zuerst an der Vergewaltigung der Justiz durch die Nazis und später dann an der Ausbeutung und Ermordung der galizischen Juden beteiligte. So, wie er aus Feigheit zum Demokraten "geläutert" wird, und sich auch aus Feigheit nicht den gut funktionierenden Seilschaften ehemaliger Nazis, die u. A. die FDP unterwandern, beteiligt.
Erst 1989, als es im Grunde zu spät ist, kommt die Vergangenheit des "mutigen Streiters für die Demokratie" ans Licht.

Manchmal trägt die romanhafte Form dazu bei, bestimmte Vorgänge besser nachempfinden zu können. Der Roman lehnt sich eng an bekannte Vorgänge einer derartigen Karriere an. Nolte nennt ausdrücklich den Fall des Germanisten Hans Ernst Schneider, einem Karrieristen im SS-"Ahnenerbe", der nach dem Krieg unter dem falschen Namen Hans Schwerte als liberaler Wissenschaftler zu beachtlichem Erfolg brachte.
Die Fiktion ermöglicht die Spekulation, die sich in realen Fällen verbietet.
Eine interessantes und sehr plausibles Detail, dass Nolte schon im Prolog erwähnt und auf dass er am Ende des Romans zurückkommt, ist, dass "Rosmer" nach dem Krieg in Vorträgen und Aufsätzen die ganze deutsche Geschichte als Misere darstellt. Durch die ganze deutsche Geschichte, angefangen von Hermann dem Cherusker über Luther, Friedrich den Großen, Bismark bis zu Hitler zieht sich bei "Rosmer" ein blutigroter Faden der Unterdrückung, Aggression, Intoleranz. Das ist nicht nur "Tarnung", Schierling glaubt das wirklich - und er legt diese deutsche Misere zu seinem Gunsten aus: Wenn Arminius bis Hitler eine gerade Linie führt, und wenn das ein "zwangsläufiger" Geschichtsverlauf war (wovon Schierling offensichtlich ausgeht) dann war Hitler und waren alle seine Mittäter, einschließlich Schierling, wenigstens halbwegs entlastet.

Weshalb ich gerade die Stelle, die ich oben zitierte, auswählte? Weil sie mich auf einen beunruhigend Gedanken brachte: Solange noch die leugnenden, verdrängenden, verfälschenden "ehemaligen Herrenmenschen" Macht und Einfluss hatten, bestimmten sie den öffentlichen Diskurs in ihrem Sinne mit. Erst nachdem sie buchstäblich weggestorben oder doch wenigstens in Rente waren, endete in der Nachkriegs-BRD die Epoche der öffentlichen Verdrängung der NS-Verbrechen. Aber die folgende Generation, die der ehemaligen Hitlerjungen, war nicht viel besser: sie erlebte sich als "eigentlichen Leidtragenden der Weltgeschichte", stilisierten sich , aus ihrer subjektiven Erleben, zu "Opfern", obwohl sie tatsächlich Täter waren (Selbstvikimisierung). Wobei man den Gedanken an "Schuld", der zu nichts führt, außer zu Entschuldigungen und Schuldprojektionen, beiseite lassen sollte. Es geht es um Mitverantwortung.
Nun stirbt auch die "Flakhelfergeneration" mit ihren Lebenlügen und ihrer Wirklichkeitsverzerrung aus. Welche Generation folgt? Ganz klar, die der Kinder des "Wirtschaftswunders". Die mit dem Mythos von Glück des Tüchtigen aufwuchs. Und die früh erfahren hat: "Frechheit siegt!" Die oft nie gelernt hat, was "Solidarität" und was "Mitleid" wirklich bedeuten. Es ist die Generation, die heute in Deutschland noch den Ton angibt, wobei der Einfluss Handvoll "Alt-68er" unter ihnen groteskt überschätzt wird. Und dann?
Wohl ist mir nicht, wenn ich an Deutschlands Zukunft denke. Auch wenn ich keinen neuen "1. September", den Beginn eines Vernichtungskrieges, befürchte.

Freitag, 31. August 2007

Die V-Theorien-Saison ist voll im Gange

Sie beginnt seit einigen Jahren gegen Ende August. In der Regel fängt es harmlos an: mit spektakulären Spekulationen in der Regenbogenpresse, deren Leser ein simpler Unfalltod, wie ihn leider Tausende jedes Jahr erleiden (ein alkoholisierter Fahrer verliert bei überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug - und das Unfallopfer war nicht angeschnallt) für die zur schier übermenschlichen Figur stilisierte Prinzessin Diana zu simpel erscheint.

Dann wird es Ernst: der Jahrestag des "11. September 2001° naht. Damit nahen denn die seit Jahren gleichen "neuen Theorien", die sich an den seit Jahren bekannten selben "Ungereimtheiten" (tatsächlichen wie vermeintlichen) aufhängen. Zettel meckert in seinem Raum über eine neue ZDF-Doku weitgehend alten Inhalts: "Es gibt eine Verschwörung der amerikanischen Regierung". Über eine angekündigte ZDF-Sendung. Ich bin nicht immer der selben Ansicht wie Zettel, aber in diesem Falle gebe ich ihm recht.

Wobei ich wahrscheinlich in einem anderen Punkt andere Meinung bin: ich halte nämlich eine durchaus offizielle Darstellung - die Theorie vom stramm durchorganisierten Terrornetzwerk Al Qaida, geleitet vom finsteren Bin Ladin aus seinem Geheimversteck, das für sämtliche Untaten islamistischer Terroristen verantwortlich ist, ebenfalls in ihrer Unterkomplexität für eine Art Verschwörungstheorie. Es dürfte völlig unterschiedliche motivierte und völlig unterschiedlich organisierte Gruppen sein, die das Mittel des Terrors für sich entdeckt haben. Das Spektrum reicht von den "hochprofessionellen" Todespiloten des 11. September über "Selbstmordkrieger" im Irak oder Palästina bis hin zu vergleichsweise diletantisch vorgehenden "Freizeitterroristen", wie bei den (verhinderten) Brandbombenanschlägen auf die deutsche Bahn letztes Jahr. Die Gemeinsamkeit: die Täter sind fanatische, zu Mord und Selbstmord entschlossene Moslems. Anzunehmen, dass diese ideologisch unterschiedlichen und unterschiedlich "professionellen" Gruppen alle Angehörige eines "Terrornetzwerkes" seien, gleicht in meinen Augen einer "Feindbildvereinheitlichung", wobei es in der Praxis ziemlich egal ist, ob sie eiskalt-berechnend oder aus Inkompetenz, Angstabwehr und Wunschdenken heraus entstand. Wobei ich Geheimdiensten, frei nach John le Carré, hohe Professionalität im Detail und grenzenlosen Dilitantismus im Gesamtbild zutraue. Und, ebenfalls mit dem britischen Spionageschriftssteller mit Geheimdiensterfahrung, mittelschwere paranoide Zwangsvorstellungen für eine übliche Berufskrankheit altgedienter Geheimdienstler halte.

Zu den Verschwörungstheorien um die Ermordung John F. Kennedys schrieb ich einmal, dass das FBI tatsächlich etwas vertuschte: nämlich die haarsträubenden Ermittlungsfehler unmittelbar nach dem Attentat. Bei den Anschlägen am 9. September 2001 war es ähnlich.

Der Grund, weshalb es noch immer so viele Verschwörungstheoretiker auf diesem Feld gibt, liegt im Nimbus der Geheimdienste. Denen man im doppelten Sinne alles zutraut.

Wer sich einmal näher mit einem realen Geheimdienst befasst hat, der erkennt schnell, dass es dort neben tatsächlich fachlich sehr fähigen - und skrupellosen, also zu "allem fähigen" - Einsatzagenten, Agentenführern und Experten sehr viel Schlamperei, interne Machtkämpfe, Eigenmächtigkeiten und Kompetenzüberschreitungen gibt. Die Geheimhaltung - auch nach innen - verhindert regelmäßig, dass solche Misstände aufgedeckt werden. Das MfS der DDR, theoretisch einer der beste Geheimdienste, die es je gab, scheiterte letztenendes an den fixen Ideen seiner teils paranoiden, teils wunschdenkenden politischen Leitung, verbunden mit einem überorganisierten und durch mangelndes Vertrauen nach innen gekennzeichneten Apparat. Bei der "Stasi" wusste nicht nur die eine Hand nicht, was die andere tat, sondern auch der Daumen wusste oft nichts über den Zeigefinger.

Sämtliche bekannt gewordenen Geheimdienst-Skandale - es sind nicht eben wenige - zeigen in Umrissen ein ähnliches Bild bei allen betroffenen Geheimdiensten. Nur ist die "Stasi" der Ausnahmefall eines Geheimdienstes, der aufgelöst und zur eingehenden Untersuchung frei gegeben wurde. Das "Stasi-Syndrom" - Wunschdenken, Angstvorstellungen, Machtmissbrauch und Allmachtsphantasien "oben", undurchsichtiges Chaos "unten" - scheint universell zu sein. (Es zeigt sich, obwohl das BKA (noch) kein Geheimdienst und das Innenministerium noch lange kein Ministerium für Staatssicherheit ist, besonders "schön" bei der derzeitigen Diskussion über die Online-Durchsuchung. Nach dem vom CCC veröffentlichten Gesetzentwurf läuft es auf de facto Gründung einer Geheimpolizei hinaus - was leider keine Verschwörungstheorie sein dürfte: CCC veröffentlicht umkämpften Gesetz-Entwurf zu Online-Durchsuchungen.)

Ich fürchte, die Toten des "11. September" sind letztlich Opfer von Inkompentenz und Chaos. So, wie die zahllosen Opfer des "War on Terror" sich auch bei politischer Inkompetenz und organisatorischem Chaos "bedanken" können. Die größte Gefahr für die offene, demokratische Gesellschaft sehe ich nicht in irgendwelchen "Machenschaften hinter der Gardine". (Obwohl es auch reale politische Verschwörungen gibt, die sich aber typischerweise auf wenige Mitwisser beschränken - während es bei dem Großverschwörungen der V-Theorien hunderte von Menschen geben müsste, die "zuviel wissen" und unmöglich alle "perfekt dichthalten" können.)
Die Gefahr sehe ich in politischer Inkompetenz und chaotischer Gesetzgebung. Und in der Angst der "Entscheider". Man ahnt bei vielen, die da mit heißer Nadel Gesetzentwürfe stricken, den Angstschweiß unterm Hemd - vor beinahe jedem.

Donnerstag, 30. August 2007

Gendoping - jetzt auch bei Wanderern?

Gendoping - das ist die neueste Methode des Raubbaus an der eigenen Gesundheit zwecks Leistungssteigerung im Sport. Dass das aber schon bei den Wanderern um sich greift, hätte ich nicht gedacht! Zumindest lässt diese Überschrift so etwas vermuten: Gentechnikfrei Wandern vom 27.7. bis 15.9.

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