Dienstag, 14. August 2007

Unter falscher Flagge

Aus meinem Artikel Moderne Hexenjagd könnte man schließen, dass ich sehr viel von Karl Weiss und seinen in seinem Blog gesammelten Artikeln halte.
Das gilt nur bedingt.
Ich schätze Karl Weiss dafür, dass er mit Vorliebe dahin schaut, wo die "Mainstream-Medien" gerne wegsehen. Auch für seine Recherche und dafür, dass er gerne Lügen und Legenden aufdeckt.
Weniger schätze ich das meines Erachtens zu stark von Feindbildern geprägte, zu "schwarz/weiße" Weltbild vieler Weiss'scher Artikel. Dass es in den Mainstream-Medien nicht besser ist - geschenkt! Und dass ich bei verschiedenen Themen anderer Meinung bin, ebenfalls.

Ich meine jene Artikel, in dem die Schlussfolgerungen nicht ganz folgerichtig zu den bekannten Fakten passen. Ein Beispiel, in dem ich zu anderen Schlüssen komme als Weiss - bei gleicher Faktenlage: Gestatten, Terrorist, CIA!.
Die Nachricht war, dass während der G8-Gipfels die deutsche Polizei am Zaun mit Sprengstoffspürgeräten ein zur US-Delegation gehörendes Fahrzeug überprüften - und einen Koffer voller Sprengstoff fanden. Die beiden kaum deutsch sprechende Insassen des Wagens gehörten zum US-Sicherheitsdienst, die angeblich einen Test der Sicherheitseinrichtungen durchführen wollten.
Karl Weiss vermutet, dass der Test gar kein Test war, sondern dass die Agenten einen "false flag"-Anschlag planten - also ein Attentat, das jemanden anders (Al Qaida, militante Globalisierungsgegner, oder wer auch immer) in die Schuhe geschoben werden sollte.

Es stimmt schon, die CIA hat tatsächlich eine lange und unrühmliche Geschichte der "false flag"-Aktionen. Aber: es ist noch nicht einmal sicher, dass die beiden Herren CIA-Agenten waren. Nur ein Teil der "Security Agents", die den US-Präsidenten auf seinen Reisen abschirmen, sind zugleich Agenten eines Geheimdienstes. Die meisten sind schlicht eine Art Leibwächter.
Für einen Sicherheitstest war die Vorgehensweise tatsächlich dilettantisch, zumal die Vorgesetzten der Polizisten anscheinend nicht eingeweiht waren.
Allerdings wäre eine auf diese Art eingefädelter "false flag"-Aktion geradezu atemberaubend "amateurhaft" - und obwohl die CIA sich schon viele Flops und Pannen geleistet hat, mangelnde "Professionalität" verbindet man normalerweise nicht mit dem US-Auslandsgeheimdienst.
Aller Wahrscheinlichkeit würde ein '"false flag"-Attentäter für den Sprengstoffschmuggel einen Weg gewählt haben, bei dem das Risiko, mit einem Sprengstoffspürgerät oder eine empfindlichen Hundenase konfrontiert zu werden, auszuschließen ist. Möglichkeiten gäbe es viele, z. B. im Gepäck einer "über jeden Verdacht erhabenen" Person, die am Zaun einfach durchgewunken wird (das ist erstaunlich oft erfolgreich gewesen, siehe u. A. Attentat auf Hitler am 20.Juli 1944), oder, der "Klassiker": vor dem Schließen des Zaunes den Sprengstoff in einem guten Versteck deponieren. (Auf einem so großem Gelände mit mehreren verwinkelten Altbauten findet man bestimmt ein geeignetes ungestörtes Plätzchen - zumal die Attentäter wahrscheinlich "Insider-Infos" gehabt hätten.) Mir fallen noch ein paar Methoden mehr ein, aber die spare ich mir lieber für meinen nächsten Krimi auf.
Dann: wenn schon ein der Sprengstoff per Koffer eingeschmuggelt werden sollte, dann würde ich für eine gute "Legende" sorgen. Also z. B. den Test ganz offiziell anmelden - was auch den Vorteil hätte, bei weiteren Kontrollen einen Vorwand zu haben. Oder es so erscheinen zu lassen, dass der Posten, nachträglich befragt, antworten würde "also, wie echte Amerikaner kamen mir die nicht vor". Aber das wären schon "Methoden zweiter Wahl".
Ein Szenario der Wahl für einen "false flag"-Angriff wäre dies: Ein mit Sprengstoff beladener ferngesteuerter schwerer Geländewagen durchbricht gewaltsam den Zaun und fliegt in die Luft. Das hätte den Vorteil, der "Handschrift" irakischer Attentäter zu entsprechen - auch wenn die sich meistens die Fernsteuerung sparen.

Also, es spricht aus meiner Sicht wenig dafür, dass die beiden dilettantischen Sicherheitsleute etwas anderes vor hatten als einen reichlich dilettantischen Sicherheitstest - etwa, weil sie den Gerätschaften der deutschen Polizei partout nichts zutrauten. Hätte die CIA einen Anschlag geplant, wäre der nicht schon bei der ersten Kontrolle gescheitert.

Montag, 13. August 2007

Moderne Hexenjagd

Ich wollte eigentlich nur in der englischsprachigen Wikipedia etwas über Pete Townshend ("The Who") nachlesen. Dabei stieß ich auf eine Affäre, die seinerzeit auch in Deutschland Schlagzeilen machte:
Peter Townshend Police caution

Ich erinnere mich noch gut daran, mit welcher Begeisterung die Massenmedien den "Schlag gegen Kinderpornographie im Internet" meldeten: Weltweit um etwa 250 000 Menschen, davon 7000 Briten und mehr als 1400 Deutsche gerieten 2002/2003 in den Verdacht, an einem Internet-Kinderporno-Ring beteiligt zu sein. Darunter auch Prominente, was den Fall lange in den Schlagzeilen hielt. Besonders schockiert war ich darüber, dass ausgerecht Pete Townshend zu den Verdächtigen gehörte - denn er hatte sich wie kaum ein anderer Künstler gegen Kindesmissbrauch engagiert. Und noch mehr schockierte es mich, dass er sich "schuldig" bekannte - wenn es auch nur für eine "Verwarnung" reichte.
Tatsächlich war er, wie fast alle der damals im Zuge der "Operation Avanlance" (USA), "Operation Ore" (UK) oder "Aktion Pecunica" (Deutschland) in Verdacht geratenen, unschuldig. (Was bezeichnenderweise in den deutschen Medien völlig unterging. Ich wusste es jedenfalls, bis ich über Townshend nachschlug, nichts davon.)
Ein Detail des Verfahrens gegen Townshend (und hunderte andere britische Verdächtige) erinnerte mich sofort an frühneuzeitliche Hexenprozesse: Im britischen Strafrecht gibt es die Möglichkeit eines "Deals" mit der Staatsanwaltschaft: Verringerung des Strafmaßes gegen Zusammenarbeit.
Die in Zuge der "Operation Ore" Verhafteten standen schon dadurch, dass sie unter dem "dringenden Verdacht" des sexuellen Kindesmissbrauchs standen, unter enormen Druck durch öffentliche Vorverurteilungen. Schlimmer noch: es drohte ihnen, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst waren, und obwohl die Beweislage dünn" war, eine Gefängnisstrafe.
Der Deal, der ihnen vom Staatsanwalt angeboten wurde, lief darauf hinaus, dass jeder, der sich des Konsum von Kinderpornographie für schuldig erklärt, nur eine symbolische Strafe (wie Townshend) oder eine Bewährungsstrafe erhält. Die meisten Verdächtigten wussten nicht, wie unzureichend das "Beweismaterial" wirklich war, sie wollten keine (immerhin mögliche) Gefängnisstrafe riskieren - weshalb ein grosser Teil von ihnen auf den "Deal" einging.
Nun wurden diese "Geständnisse" seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft als Beweis für das Zutreffen der Anklagen gewertet. Man hätte zwar nur "kleine Fische" gefangen, aber immerhin hätte die umstrittene Aktion keineswegs "Unschuldige" getroffen. Bei Straftaten ohne öffentliche und sogar noch von der Politik geförderten Hysterie - sagen wir mal Kreditkartenbetrug, der bei "Operation Ore" auch eine Rolle spielte - wäre der Justizskandal den meisten Beobachtern sofort klar gewesen. Aber bei einen Delikt, bei dem moralische Vorverurteilung eher die Regel, als die Ausnahme sind, verdeckt die moralische Empörung oder Genugtuung die Grundsätze einer aufgeklärten Rechtspflege. (Ich selbst nehme mich von dem Hang, über jeden "geschnappten Kinderpornouser" erst mal heilfroh zu sein, ausdrücklich nicht aus - und auch nicht davon, es in solchen Fällen mit der "Unschuldvermutung" allzu genau zu nehme). Was da ablief war ein System sich selbst erfüllender Prophezeiungen, genau nach dem Muster der Hexenjagd.

Der Journalist Karl Weiss (er arbeite u. A. für die der "undogmatische Linken" zugerechnete Berliner Umschau) hat den Fall und seine Hintergründe für die "Umschau" recherchiert.
Dossier 'Operation Ore': Der grösste Polizei-, Justiz- und Medienskandal des neuen Jahrtausends, Teil 1: Der Fall „Operation Ore“

Teil 2: Die Berühmtheiten unter den Verdächtigten und die Rolle der Polizei

Teil 3: Die Rolle der Politik und der Medien.

Mein dringende Rat: unbedingt lesen! Auch - und gerade wenn - man Einiges doch anders sieht, als Karl Weiss.

Weiss weißt, sehr zurecht, auf die besonders traurige Rolle der deutschen Medien in diesem Skandal hin:
Mit anderen Worten: Nicht eine Zeitung, nicht ein grösserer Radiosender, nicht eine Fernsehstation, nicht ein angebliches Nachrichtenmagazin, nicht eine Illustrierte in Deutschland hielt es für nötig, nach der ausführlichen Berichterstattung über das Aufspüren von Hunderttausenden von angeblichen Kinderporno-Pädophilen im Internet in den Jahren 2002 und 2003 nun auch zu berichten, dass sich dies alles als völlig verfehlte Aktion gegen Opfer von Kriminellen oder mit anderen Worten als der grösste Polizei- und Justiz-Skandal (in Bezug auf die Zahl betroffener Opfer) des neuen Jahrtausends herausgestellt hat.
In Großbritannien wurde die Tatsache, dass fast alle "Verdächtigen" sich als völlig unschuldig erwiesen, immerhin thematisiert. Hinsichtlich der Schlussfolgerungen, die Weiss aus dem Skandal zieht, bin ich allerdings skeptisch. Er geht von eine (Selbst-)Gleichschaltung der deutschen Medien aus, die auf die "privilegierten Informationen" aus dem BKA nicht verzichten möchten , und deshalb nach der "Pfeife" von Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik tanzen. Mag sein. Aber warum gibt es denn - anders als in Großbritannien - keine größer Zeitung, keine Rundfunk- oder Fernsehsendung, die den Skandal aufgedeckt hätte? Für die Auflage wäre er allemal gut. Und so wichtig sind die "Exklusiv-Infos" des BKA nun nicht - abgesehen davon, dass das BKA keineswegs von allen Medien mit Samthandschuhen angefasst wird.

Ich gehe eher von einer bewussten oder unbewussten Selbstzensur aus, einer Form des "Gatekeeping", die in Deutschland nach anderen Maßstäben funktioniert als in Großbritannien. In Großbritannien herrscht zumal in den Printmedien ein für deutsche Leser manchmal verstörendes Maß an Aggressivität vor, und zwar nicht nur in den zurecht dafür berüchtigten Boulevardblättern wie "Sun" oder "Daily Mirror". Ich vermute, dass schon aus bloßer Streitlust selbst ein Skandal, der auf Kosten der "eigenen Seite" geht, nicht ungedruckt bleibt.
In Deutschland gibt es eine verbreitete Angst, Aussenseiter zu sein oder zu einem Aussenseiter abgestempelt zur werden - die Kehrseite der deutschen "Konsensgesellschaft". Wenn es nicht die Angst um "gute Beziehungen" zu Polizei und Politik ist, so sorgt die Angst davor, in der "eigenen Zunft" als "Nestbeschmutzer" zu gelten, mit den daraus absehbaren gesellschaftlichen und persönlichen Folgen, für die "Schere im Kopf". Wenn, wie in diesem Fall, praktisch alle Massenmedien in den Skandal verwickelt sind, gibt es eben niemanden, der den Skandal öffentlich aufdeckt.

Interessantes zum Thema "Selbstzensur" gab es neulich auf shifting reality: Ideologie und öffentliche Meinung.

Noch mal zur "Hexenjagd": Das Grundproblem ist die fehlende Trennung zwischen der "juristischen" und der "moralischen" Sphäre. Allzu oft wird nämlich versucht, moralische Wertmaßstäbe mittels Strafgesetzbuch "durchzusetzen". Lange Zeit galt z. B. Homosexualität in der "Mehrheitsmeinung" als "moralisch falsch" - und wurde als "Straftat" verfolgt - obwohl beim Sex unter Männer (oder unter Frauen) beidseitige Freiwilligkeit vorausgesetzt keinen "Geschädigten" geschweige den ein "Opfer" gibt.
Dieses ist eines der wenigen Gebiete, auf dem ich der Demokratie, vor allem der Basisdemokratie, misstraue. Gerade Länder mit traditionell sehr demokratischer Rechtssprechung, wie die USA, neigen dazu, "moralische Werte" mittels Strafrecht durchzusetzen.

Aber nicht nur in den USA. Auch in Deutschland. Die jetzige (wie der vorherigen) Bundesregierung hat eine Vorliebe dafür, über die "Europakurve", also wegen angeblicher EU-Vorgaben, Gesetze zu verschärfen, wenn sie Parlamentsdebatte vermeiden möchte, die in der Öffentlichkeit Unruhe auslösen könnten. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass der "schwarze Peter" in Brüssel ist - auch wenn, wie im Falle der Vorratsdatenspeicherung, der Einwanderungsgesetze, aber auch der Anti-Diskriminierungsgesetze, die deutschen Gesetze erheblich über die "europäischen Vorgaben" hinaus gehen.
Im jüngsten Falle eines unter "Europa-Vorwand" zur Verschärfung anstehenden Gesetzes ist die "Moral-Komponente" unübersehbar:
es geht um die deutsche Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses zum Sexualstrafrecht (Bundestagsdrucksache 16/3439). Die Absicht dieser Richtlinie ist zu begrüßen, nämlich eine wirksamere Bekämpfung der Kinderpornographie und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Doch die Bundesregierung schießt mit ihrem Entwurf zum § 184b StGB (Kinder- und - das ist neu - Jugendpornographie) weit darüber hinaus - vor allem mit der Anhebung des Schutzalters von 14 auf 18 Jahre. (Der neue 184b StGB
Danach würde sich ein junger Mann strafbar machen, der der sexy (bzw. "unnatürlich geschlechtsbetonte") Fotos von seiner 17jährigen Freundin besitzt. Dass das kein konstruierter Fall ist, zeigt ein Beispiel aus den USA, wo im Bundesstaat Florida eine entsprechende Schutzalter-Regelung bereits gilt (bzw. galt - das Gesetz wurde inzwischen vom US-Supreme Court für nicht verfassungsgemäß erklärt): Minderjähriges Pärchen, das sich bei sexuellen Aktivitäten fotografierte, wurde wegen Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie in den USA verurteilt.

Warum aber versuchen Politiker, sowohl in den USA wie bei uns, "scharfe" Sexualstafgesetze durchzubringen, selbst wenn sie verfassungswidrig sein sollten und diese Gesetze eine öffentliche Debatte nicht überstehen würden?
Ich vermute: weil sie sich "im Recht" sehen bzw. paternalistisches Rechtsverständnis haben, durch das sie sich befugt sehen, den "verlotterten Sitten" per Strafgesetzbuch Einhalt zu gebieten. Und außerdem sind Gesetze, mit dem angeblich der (angeblich) zunehmenden Kinderpornographie und des (angeblich) alarmierend angewachsenen Sexualstraftaten gegen Kinder (seit Jahrzehnten stagnierend, laut offizieller Kriminalitäts-Statistik) "nun endlich Schluss gemacht" wird, populär. Jedenfalls solange man sie nicht zu genau ansieht.
I(Den Beitrag von Karl Weiss zum Thema: Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, Teil 1 halte ich dennoch, was die gewählten Beispiele angeht, für überzogen. Trotz einiger "gnadenloser Richter".)

Freitag, 10. August 2007

70 Jahre Marihuana-Verbot in den USA - ein fragwürdiges Jubiläum

Am 2. August hatte das generelle de facto Verbot von Hanfprodukten für den menschlichen Konsum in den USA sein 70-jähriges Jubiläum. Es verbot nicht nur den Gebrauch von Cannabis als Droge (Marihuana, Haschisch), sondern ab 1941 auch den als Medikament. Fast alle wichtigen Staaten folgten dem Vorbild der USA, auch in Deutschland ist Cannabis nach wie vor als "nichts verkehrsfähig" gelistet (es darf, anders als etwa Opiate, nicht vom Arzt verschrieben werden - auch wenn es neuerdings für einige Präparate Ausnahmen gibt.) Laut Betäubungsmittelgesetz (BtMG) der Besitz von Pflanzenteilen und Saatgut von Hanf verboten - ausgenommen sind nur THC-arme Faserhanf-Sorten. Selbst deren Anbau ist nur mit Sondergenehmigung und unter strengen Auflagen erlaubt.

Am 2 August 1937 unterschrieb US-Präsident Franklin D. Roosevelt den irreführend so genannten "Marijuana Tax Act". Tatsächlich handelte es sich um eine verschleierte Cannabis-Prohibition - verschleiert, da (zunächst) eine enorm hohe Strafsteuer von 100 Dollar pro Gramm erhoben wurde. Das trieb die Produzenten in die Illegalität, was wiederum ein generelles, mit hohen Strafen verbundenes, Verbot zufolge hatte.
Wie viele fragwürdige Gesetze wurde das Cannabis-Verbot ohne große parlamentarische Debatte "durchgewunken". Vorangegangen war eine heute oft grotesk wirkende Anti-Marihuana Kampagne (ein Klassiker der unfreiwilligen Komik ist der Anti-Cannabis-Film Reefer Madness aus dem Jahr 1937). Sie schreckte weder vor faustdicken Lügen hinsichtlich der Wirkung noch vor rassistischen Klischees zurück. Selbst in der "amtlichen" Propaganda des Federal Bureau of Narcotics (FBN) wurden Schwarze, Mexikaner und andere Minderheiten, denen der Großteil des Konsums zugeschrieben wurde, bezichtigt z. B. im Rausch weiße Frauen zu vergewaltigen. Der "bekiffte und deshalb faule Mexikaner" tauchte auch nicht ganz zufällig als "komische" Randfigur in zahlreichen US-Western und -Krimis aus den 30er Jahren auf.

Hanfrauchen ("starker Tobak", "Knaster", "Orient") war bis in die 30er Jahre auch in Deutschland ein zwar nicht massenhaft verbreitetes, aber auch nicht ungewöhnliches, Laster. Bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts war Cannabis, gewöhnlich in Form von alkoholischen Extrakten, ein leicht verfügbares und häufig verschriebenes Medikament. Ab 1929 war Cannabis in Deutschland apothekenpflichtig, erst 1971 wurde es in das "Opiumgesetz" aufgenommen und damit verboten. Seine Wirksamkeit für medizinische Zwecke wurde seit den 80er Jahre "wiederentdeckt".

Es darf nicht verschwiegen werden: "ganz harmlos", wie viele meinen, sind Marihuana und Haschisch nicht. Es gibt durchaus ein gewisses Risiko, (psychisch) abhängig zu werden. Möglicherweise ist mit Cannabiskonsum ein erhöhtes Risiko für dafür anfällige Menschen, eine Psychose zu entwickeln, verbunden. Weil THC im Körper nur langsam abgebaut wird, ist auch das erhöhte Risiko für in Unfälle nicht zu unterschätzen. Und da der "starke Tobak" tief inhaliert wird, ist das Risiko eine chronische Bronchitis zu bekommen, ebenso wie das Lungenkrebsrisiko, deutlich erhöht. Dauerkonsumenten klagen oft über nachlassendes Gedächtnis und zunehmende Gleichgültigkeit. Allerdings: diese psychischen Folgen bilden sich bei Abstinenz fast immer zurück. Verglichen mit Alkohol sind die Negativ-Wirkungen also eher gering (siehe auch meine Gedanken über die gefühlte Gefährlichkeit von Drogen).

Wenn Cannabis nicht wegen seiner Gefährlichkeit verboten wurde, weshalb dann?
Der "Krieg gegen das Hanf" begann während der "Prohibitionszeit", dem generellen Alkoholverbot in den USA zwischen 1917 und 1933. Die Prohibition ging einher mit einem generellen Misstrauen gegen alle "Genussgifte" bis hin zum Koffein. Auch weil einige Alkohol-Trinker auf Marihuana umsattelten, wurde Cannabis zunehmend als eine Gefahr für die Gesellschaft angesehen.
Bekannt ist aber auch, dass die Baumwollfarmerverbände der Südstaaten versuchten, ihren Marktanteil gegenüber dem Hanf zu vergrößern. Sie wiesen gern auf die Rauschwirkung des Konkurrenzproduktes hin und unterstützten Bestrebungen zum Verbot. Hinzu kam ab Anfang der 30er Jahre die Anti-Hanf-PR des "Hearst News Network" des Medienzars William Randolph Hearst. Vermutlich befürchtete Hearst wegen einer preisgünstiger werdenden Papierproduktion mit Hanf hohe finanzielle Verluste - Hearst besaß eigene Papierfabriken und hatte u. A. in die kanadische Holzindustrie investiert. Eher in den Bereich der "Verschwörungslegenden" verweise ich die Vermutung, dass der Chemiekonzern DuPont das de-facto-Verbot forderte, weil er den Absatz seiner Kunstfasern Nylon und Rayon fördern wollte. Rayon ist eine halbsynthetische Kunstseide, das erst 1935 erfundene vollsynthetische Polyamid 6,6 - Nylon - ging an 1938 als Material für extrem reißfeste Spezialseile und für Fallschirme, aber auch als Seiden-Ersatzstoff für Damenstrümpfe in die Produktion. Beide Fasern überschneiden sich, bis vielleicht auf Nylon-Seile, nur wenig mit den Anwendungen von Hanf. Wenn DuPont Anti-Hanf-Kampagnen unterstützte, dann vermutlich eher zugunsten der Medikamentensparte des Chemiekonzerns.
Sehr viel plausibler ist die Vermutung, dass nachdem 1933 in den USA die Alkoholprohibition aufgehoben worden war, der damit verbundene riesige staatliche Verfolgungsapparat ohne sinnvolle Beschäftigung war. Niemand gibt gerne einen angesehenen Job auf, vor allem nicht während der anhaltenden Wirtschaftskrise. Als treibende Kraft hinter dem US-Cannabisverbot gilt heute der Vorsitzende des "Bureau of Narcotics" (und spätere Vorsitzender der UN-Drogenkommission) Harry J. Anslinger, der vor 1933 im "Prohibition Bureau" für die Durchsetzung des Alkoholverbots zuständig gewesen war.
Ein weitere Faktor war, dass Marihuana als typisches Rauschmittel einer wenig angesehenen Minderheit (Latinos) und als "Unterschichtdroge" galt. Der generell genussmittelfeindliche Puritanismus tat ein Übriges.
Obwohl die USA in Sachen Cannabisverbot Vorreiter waren, gab es ähnliche Entwicklungen auch in Europa. Vermutlich auf Drängen von Ägypten, das seinerseits damit gedroht hatte, die Einfuhr von Kokain und Heroin aus Europa zu verbieten, schlug 1911 die italienische Regierung auf der Opiumkonferenz vor, Cannabis zusammen mit Opium, Morphin und Kokain den gleichen strengen Regelungen und Strafen zu unterwerfen. Eine erkennbare Parallele zu den USA war, das Ägyptens wichtigster Exportartikel Baumwolle war - viele europäischen Staaten förderten den Hanfanbau, um von Baumwollimporte unabhängiger zu werden. Die Genfer Opiumkonferenz von 1925 beschloss, dank der Hartnäckigkeit des ägyptischen Delegationsleiters El Guindy, dass Cannabis zu verbieten sei. In der Folge wurde Cannabis ab den 20er Jahre in mehren europäischen Staaten zu einer illegalen Droge erklärt. Als Lobbyist eines Cannabis-Verbots galt der Chemiekonzern Bayer, der um seinen Heroin-Absatz gefürchtet haben soll – Heroin wurde damals noch von Bayer legal produziert. (Interessanterweise wurde auf der ersten Opiumkonferenz 1925, ein staatenübergreifendes Heroin-Verbot diskutiert, welches ausschließlich politisch und nicht medizinisch motiviert war. 1931 gab Bayer dem politischen Druck nach und stellte die Produktion ein.) Vielleicht fürchte Bayer aber auch um seinen Aspirin-Umsatz, denn Haschisch-Tinkturen waren bis in die 30er Jahre ein gängiges "Allerweltsschmerzmittel".
Vor und während des 2. Weltkriegs erlebte der Hanf als Faserpflanze eine letzte "Hochblüte". Nach dem Krieg setzte die Anti-Cannabisstimmung wieder ein, was sich auch auf den Faserhanfanbau auswirkte - er wurde in vielen Ländern praktisch verboten, wahrscheinlich sehr zu Freude der Bauwoll-, Holzzellulose- und auch Chemiefaser-Produzenten. Man sollte sich allerdings davor hüten, hier die "alleinigen Drahtzieher" der Cannabis-Prohibition zu vermuten: Nachdem das Hanf einmal "geächtet" war, und nachdem es in den Fokus einer ängstlichen und puritanischen "öffentlichen Meinung" (die es sehr ausgeprägt auch in der jungen Bundesrepublik Deutschland gab) geraten war, war seine weitere Kriminalisierung ein "soziologischer Selbstläufer".

Eine weitere Verbotswelle gegen Hanf schwappte in den 60er Jahren um die Erde. Diese Welle steht in Zusammenhang mit der "Drogenwelle" innerhalb vom "Etablishment" beargwöhnter nonkonformistischer Subkulturen, namentlich der Hippies. (Zu diesem Thema arbeitet ich an einem neuen Artikel.)

Die gesellschaftlichen Grenzen der Toleranz
Cannabis ist - trotz Verbot - eine weitgehend geduldete "Alltagsdroge". Einer völligen Legalisierung steht aber die Grundstruktur unserer Gesellschaft entgegen - eine Grundstruktur, die auch schon zur Marihuana-Prohibition vor 70 Jahren beitrug. Die Droge "Hasch", "Pot", "Gras" usw. passt nicht zum Idealbild, dass unsere Gesellschaft sozusagen von sich selbst hat.
Ich verdeutliche das an einem Zitat der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren:
Im Zusammenhang mit dem genannten Amotivationssyndrom zeigt sich ein zunehmendes allgemeines Desinteresse, gepaart mit verminderter Belastbarkeit. Der Konsument zieht sich immer mehr in sich zurück und wird sich selbst und den Aufgaben des Alltags gegenüber immer gleichgültiger: Er fühlt sich den Anforderungen der Leistungsgesellschaft allmählich immer weniger verpflichtet, aber auch immer weniger gewachsen, und schert mehr und mehr aus seinem bisherigen sozialen Gefüge aus.
Obwohl das Amotivationssyndrom bei Gelegenheitskiffern ebenso selten auftritt wie das alkoholbedingte Gegenstück bei Menschen, die zum Feierabend mal ein Bier trinken, ist es ein Schreckgespenst ersten Ranges. Es gibt einen "moralischen Druck", dass "man" sich den Anforderungen der Leistungsgesellschaft gefälligst zu stellen hat. Wer eine Droge nimmt, die dazu führen kann, dass "man" sich diesen Anforderungen nicht mehr stellen mag oder kann, handelt also moralisch falsch. In stark protestantisch geprägten Gesellschaften, wie denen der USA, ist dieses Denken besonders ausgeprägt. Für für die Alkoholprohibition, wurde z. B. mit "Horrorstatistiken" geworben wurde, die die Ausfälle an Arbeitszeit durch Alkohol dramatisierten.
Wie auch beim Alkohol ist nicht unbedingt gesagt, dass leichter Cannabiskonsum die "berufliche Leistungsfähigkeit" beeinträchtigt. Nicht jeder ist schließlich Berufskraftfahrer, Pilot, Lokführer oder muss potenziell gefährliche Werkzeuge oder Maschinen bedienen.
"Kiffen" wird immer noch oft mit "Aussteiger"-Subkulturen, mit "Leistungsverweigerern", in Verbindung gebracht. Daraus resultiert der verbreitete, Umkehrschluss, dass "Haschen" die Ursache dafür sei, dass Menschen "Aussteigen" oder "Rumgammeln". Tatsächlich ist es aber so, dass eine gewisse Motivationslosigkeit ("Null Bock"-Mentalität) ein gängiges Motiv für fortgesetzten Cannabiskonsum ist - ähnlich dem "Frusttrinken".

Was hat das Cannabis-Verbot gebracht?
Eines ist gewiss: es hat den Marihuana- und Hasch-Konsum nicht eindämmen können. Nicht überraschend, denn auch durch Alkoholprohibition hat sich noch kein Land "trockenlegen" lassen. Ein weiteres Indiz für die Unwirksamkeit einer sehr restriktiven Hanfpolitik: Die Niederländer selbst konsumieren trotz der liberalen Politik nicht mehr Cannabis pro Person und Jahr als etwa die Deutschen oder andere Europäer.

Der Konsum ist in Deutschland nicht strafbar, bei Besitz "geringer Mengen" wird das Verfahren routinemäßig eingestellt. In den meisten Staaten der USA ist das anders, hier gilt eine strikte "Zero Tolerance"-Politik, was man bei "Horrorzahlen" zur "Drogenkriminalität" aus den USA berücksichtigen sollte:
In 2005 (the most recent figures available), U.S. law enforcement made an all-time record 786,545 marijuana arrests -- 89 percent for possession, not sale or trafficking.
Aufgrund von Cannabisdelikten Verurteilte machen heute etwa 3,5 % der insgesamt ca. 1,2 Millionen amerikanischen Gefängnisinsassen aus, wobei die Strenge der Bestrafung von Bundesstaat zu Bundesstaat recht unterschiedlich ausfällt. Übrigens ist in 11 Bundesstaaten der medizinische Gebrauch von Cannabis wieder erlaubt. In Kanada wird seit 2003 Cannabis zur medizinischen Verwendung staatlich kontrolliert an bedürftige Patienten abgegeben.
Schätzungen der US-Bundesregierung weisen darauf hin, dass der Marihuana-Gebrauch von 1937 bis heute um das 40-fache zugenommen hat. (Wobei allerdings für die 30er-Jahre davon auszugehen ist, dass Marihuana damals oft "frisch vom Hanffeld" oder aus "eigenem Anbau" stammte und die Dunkelziffer des Konsums deshalb sehr hoch war.)
Nach Angabe des Leiters des Marijuana Policy Project (MPP) in Washington, D.C., Rob Kampia, ist es der Marihuana-Prohibition zu "verdanken", dass Drogenhanf die finanziell ertragreichste Pflanze der USA wurde. Das MPP verweist dabei auf eine auf amtliche Angaben beruhende Studie, das die durch Marihuana-Verkauf erzielte Gewinnsumme größer ist, als die durch Mais und Weizenverkauf zusammengenommen. So gesehen ist die Cannabis-Prohibition, wie einst die Alkohol-Prohibition, de facto eine Subventionierung für die kriminelle "Unterwelt".

Donnerstag, 9. August 2007

Franz Alt entpuppt sich wieder mal als alter naiver Alternativer

Franz Alt behauptet in seinem Artikel Keine Angst vor Biosprit.
Was in die Tanks der Auto fließt, können wir nicht essen.
und zeichnet auch sonst ein recht rosiges Bild vom Einsatz von Agrar-Diesel und Agrar-Alkohol als Treibstoffe.

Nun, leider wird Agrar-Alkohol zumeist (noch) aus Pflanzen gewonnen, die bisher in erster Linie als Nahrungsmittel angebaut wurden. Angeblich wird bereites rund ein Viertel der US-Maisproduktion für die Treibstoffgewinnung genutzt (Wirtschaftswoche: Steigende Lebensmittel-Preise erzürnen die Amerikaner). Ob die Preissteigerungen für Mais in erster Linie darauf zurückzuführen sind, ist zwar fraglich, ohne Preisseffekt bleibt die "Maisverspritung" aber sicher nicht. Und überhaupt nicht fraglich ist, dass gestiegene Maispreise vor allem für das benachbarte Mexiko ein soziales Problem ersten Ranges sind.

Noch größer ist das Problem im Agrarsprit-Vorreiterland Brasilien. Die Energiepflanzen - vor allem Zuckerrohr - werden in riesigen Monokulturen angepflanzt, mit allen bekannte ökologischen Nachteilen. Hinzu kommt, so kritisiert der internationale Kleinbauernverband La via Campesina, dass nicht die Kleinbauern, sondern Großgrundbesitzer vom Energiepflanzenboom profitieren – auf Kosten von vielen Millionen Kleinbauern, die gerade in in Brasilien schon lange buchstäblich ums Überleben kämpfen.

Beim "Biodiesel" gibt es ein Problem, über das ich schon vor über eineinhalb Jahren bloggte - nämlich, dass für seine Herstellung im großen Umfang importiertes Palmöl eingesetzt wird, und dass für neue Palmöl-Plantagen Regenwald abgeholzt wird: Biokraftstoff ist schlecht für den Regenwald und Den Teufel mit dem Belzebub ... .

Alt jubelt:
Jetzt bekommen die Bauern endlich höhere Preise für ihre wertvollen Produkte. Sie haben eine Alternative zur bisherigen Lebensmittelproduktion. Bald könnte Schluss sein mit der Überproduktion und dem Vernichtungswahnsinn am Lebensmittelmarkt.
Ja, es könnte sinnvoll sein - da die EU-Landwirtschaft tatsächlich Überschüsse produziert. Aber: In der Europäischen Union sollen bis 2020 insgesamt zehn Prozent des Treibstoffes durch Agrar-Alkohol bzw. -Diesel ersetzt werden. Selbst für dieses vergleichsweise bescheidene Ziel reicht die Anbaufläche innerhalb der EU-Grenzen nicht aus, wenn man bei der herkömmlichen "Verspritung" bzw. Ölveresterung bleibt.
Aber statt das nahende Ende des Wahnsinns zu begrüßen, wird in Deutschland schon wieder gejammert: Die Flächen reichen nicht aus, um alle Autos mit Biosprit zu betanken!
Sie reichen nicht einmal für 10 % der Autos aus!
Wer will das denn? Biosprit ist selbstverständlich nur ein Teil der Lösung. Elektroautos, Wasserstoffautos, Hybridautos und vor allem kleinere, sparsamere Autos kommen hinzu.
Stimmt. Und auch der von Alt angesprochene Ausbau der öffentlichen Verkehrmittel dürfte sinnvoll sein.

Das Grundproblem bleibt aber, dass "Biotreibstoff" fast ausschließlich aus primären Agrarrohstoffen gewonnen wird - aus dem "Hauptprodukt" der angebauten Pflanze, das zugleich Nahrungmittel ist: Rapsöl, Maiskörner, Rohrzucker, Palmöl usw. . Sinnvoller ist es, die Biotreibstoffe aus sekundären Argarrohstoffen (z. B. Maisstroh) oder gar aus Abfällen zu gewinnen. Technisch machbar ist es, z. B. berichtete "nano" vor einiger Zeit über Treibstoff aus Müll.

Sehr lesenswert was im amerikanischen "Rolling Stone" online zu "Biosprit" steht: Ethanol Scam: Ethanol Hurts the Environment And Is One of America's Biggest Political Boondoggles

Dienstag, 7. August 2007

"Die Entdeckung der Langsamkeit" im Slapstick

Heute überlegte ich mir, ob ich über den 140. Geburtstag Emil Noldes oder den 50. Todestag Oliver Hardys bloggen sollte. Obwohl Todestage normalerweise nicht fröhlich stimmen, entschied ich mich für "den Dicken". An Noldes Leben und Schaffen hängen so viele düstere Aspekte, die einfach nicht verschwiegen oder verharmlost werden dürfen, dass jeder Artikel über den dank Hitlers spießigem Kunstverständnis verhinderten Nazi-Künstler in geistige Schmutzarbeit ausartet.

Die Filme des Komiker-Duos Laurel & Hardy erinnern mich dagegen daran, dass man das Leben nicht zu ernst nehmen sollte. Damit war die Wahl klar.
Oliver "Babe" Hardy starb am Morgen des 7.August 1957 im Alter von 65 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Er wurde in der Freimaurer-Sektion eines Friedhofs mit dem ansprechenden Namen "Valhalla Memorial Park" in Hollywood begraben. (Auch wenn für Hardy ein "Folkvang Memorial Park"vielleicht angemessener wäre.)
Einen sehr schöner Artikel über Hardys Leben und Schaffen steht in der "Welt online": Ein Dickerchen namens Babe.
Das "Gehirn" des Komiker-Duos Laurel & Hardy, Stan & Ollie, "Dick & Doof", war Stan Laurel, genialer Gag-Erfinder und gelegentlicher Regisseur. Hardy war aber der größere Schauspieler, der aus kleinsten Anregungen vollkommene Szenen improvisieren konnte.

Ich bin sicher nicht der Einzige, der vermutetet, dass es Hardys Talent, aus alltäglichen Begebenheiten witzig-absurde Szenen zu machen, entscheidend waren für das "Markenzeichen" und Qualitätsmerkmal des legendären Duo "Stan & Ollie": den "slow burn", den Gag mit Zeitzünder, den langsam und genüsslich gespielten Witz.
Fast alle Slapstick-Komiker setzen auf Geschwindigkeit. Ganz extrem war das bei den hektischen Stummfilmkommödien der 20. Jahre, die nicht nur so wirken, als seien sie im Zeitraffer gedreht, sondern es oft tatsächlich waren. Rasantere Schnittfolgen gab es erst im Video-Zeitalter. Tempo und infantile Lust an der Zerstörung halfen über die oft einfallslose Situationskomik hinweg. Nicht zu Unrecht nannte man diese Schnellfeuer-Slapstick-Kurzfilme "Mad Movies".
Nur wenige Filmkomiker setzten sich über dieses simple Erfolgsrezept hinweg. Charlie Chaplin und Buster Keaton versuchten es erfolgreich mit inhaltlich niveauvolleren Gags. Laurel und Hardy blieben dagegen dem Slapstick treu - und "zivilisierten" ihn mit gekonntem Timing und glänzender Schauspielkunst. In ihren "Rachefeldzügen", Raufereien und Rivalitäten bleiben sie, allen Zerstörungsorgien zum Trotz, irgendwo immer Gentlemen, die nie wirklich Böses wollen. Anders als andere Komiker, deren Karriere in der Stummfilmzeit begannen, konnten sie ihren Erfolg im Tonfilm sogar noch steigern - zum Slapstick kam der grotesk-witzige Dialog. Sie drehten noch Filmkommödien als die "Mad Movies" längst Filmgeschichte waren. Auf die Dauer langweilen Chaos und Hektik mit wenig Substanz nur. Die "Mad Movies" waren Filme zum einmaligen Ansehen, während man über "Dick und Doof" noch beim 10. Mal lachen kann.

In den 20er Jahren gab es Begriffe wie "Entschleunigung" noch nicht, und das allgemeine Wehklage über Stress lag noch fast ein halbes Jahrhundert in der Zukunft. Hektik und Tempo waren modern. Erst die Weltwirtschaftskrise und die "große Depression" bremsten für eine Weile die Illusion, dass "immer schneller" und "immer mehr" auch "immer besser" heißen müssen. In der Musik dieser Zeit spürt man das Faible für Geschwindigkeit, nicht nur im Schlager und Jazz, sogar in der "ernsten" Musik (z. B. Arthur Honeggers Pacific 231, inspiriert von der Fahrt einer schweren Schnellzug-Dampflok). Es war die Zeit der Stromlinen-Loks und der ersten Stromlinien-Autos, der Turbinen-Schnelldampfer, der ersten Raketenautos, -Schlitten, -Flugzeuge, der ersten Transatlantik-Flüge, der dynamisch wirkenden expressionistischen Kunst, der Zeitungen, die drei oder vier Ausgaben am Tag hatten. Da war die Entdeckung des Regisseurs Leo McCarey, dass es auch im Slapstick ein Andante gibt, schon fast revolutionär. Und Laurel und Hardy waren für die langsame Komik die ideale Besetzung.

Noch ein Wort zum von mir verwendeten, zum geflügelten Wort gewordenen Romantitel "Die Entdeckung der Langsamkeit". Kenner des (teilweise) biographischen Romans von Sten Nadolny über den Seeoffizier und Polarforscher Sir John Franklin wissen natürlich, dass Franklin nicht "die Langsamkeit" für sich entdeckte, sondern aus der "Not" (er war - allerdings nur im Roman - ein körperlich langsam reagierender Mensch) eine "Tugend" machte (er war - auch in der Realität - besonders gründlich und beharrlich).
Das Komiker-Duo Laurel und Hardy entspricht eher dem historischen Franklin, der sich aus freier Entscheidung für langsames Vorgehen entschied, als dem "von Natur aus" langsamen Franklin Nadolnys.

Montag, 6. August 2007

Schäubles Amtsvorgänger kritisiert geplante Online-Durchsuchung

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum schrieb für die online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" einen Kommentar, in dem er den Sinn der Online-Durchsuchung hinterfragt und auf die Gefahren für die Bürgerrechte hinweist:
Der große Hacker: Der Staat schränkt mit Online-Durchsuchungen die Freiheit ein.
In Nordrhein-Westfalen ist die Online-Durchsuchung bereits Teil des Landesverfassungsschutzgesetzes. Gehard Baum hat, weil dieses Gesetz mit dem dem Grundgesetz unvereinbar ist, dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Sonntag, 5. August 2007

Reinkarnieren nur noch mit staatlicher Erlaubnis

Den "lebenden Buddhas" Tibets wurde untersagt ohne vorherige Erlaubnis der chinesischen Regierung zu reinkarnieren.
Times online: China tells living Buddhas to obtain permission before they reincarnate

Was wie ein Witz klingt, ist seitens der atheistischen chinesischen Regierung bitter ernst gemeint. Das Verbot ist Teil neuer Gesetze, die die Autorität Beijings über die widerstrebende und tief buddhistische einheimische Bevölkerung Tibets stärken sollen.
Gemäß der am 1. September in Kraft tretenden Vorschrift sind so genannte reinkarnierte lebende Buddhas, die keine Genehmigung der Regierung haben, illegal und ungültig.

Die neuen Vorschriften der Behörde für religiöse Angelegenheiten soll den Einfluss des im Exil lebenden Dalai Lamas einschränken - auch wenn dieser erst vor Kurzem in Hamburg öffentlich verkündete, dass er nicht vor hätte, im chinesischen Machtbereich "neugeboren" zu werden.
Tatsächlich sind die reinkarnierten Lamas, die Tulkus, ein wichtiger Machtfaktor im religiösen und gesellschaftlichen Leben Tibets. Sie leiten oft religiöse Gemeinden und beaufsichtigen die Ausbildung der Mönche. Deshalb verbietet Beijing es jedem, der nicht in China lebt, an der Suche nach einem lebenden Buddha teilzunehmen. Das zielt vor allem auf den Dalai Lama ab, der damit von seiner traditionellen wichtigen Rolle beim Erkennen und Anerkennen einer Reinkarnation ausgeschlossen werden soll.

China besteht schon bisher darauf, dass nur die Regierung die beiden wichtigsten Geistlichen des tibetischen Buddhismus, den Dalai Lama und den Panchen Lama, im Amt bestätigen kann.
Als der Dalai Lama im Mai 1995 bekanntgab, dass eine Suche in Tibet in Zusammenarbeit mit einem prominenten Abt die Reinkarnation des 1989 verstorbenen 10. Panchen Lamas identifiziert hätte, erzürnte das Beijing. So bizarr es auch klingen mag, die atheistischen Behörden veranlassten eine neue Suche und schickten ein hochrangiges Mitglied des Politbüros nach Lhasa, um die Endauswahl zu überwachen.
Der vom Dalai Lama ausgewählte Junge ist "verschwunden". Der Abt, der mit dem Dalai Lama zusammengearbeitet hatte, wurde inhaftiert, sein Verbleib ist ungeklärt.
Allerdings reinkarnieren auch nicht so hochrangige tibetische Lamas innerhalb und außerhalb der Grenzen der Volksrepublik China. Mit den neuen Vorschriften hat China bei der Ernennung der meisten hochrangigen Lamas das letzte Wort.
Tibet-Experten vermuten, dass die neuen Vorschriften außerdem den Einfluss neuer Lamas beschränken sollen.

Warum mischen sich atheistische Politiker in einen mystisch-religiösen Vorgang ein?
Die für mich naheliegende Erklärung ist die Angst vor Kontrollverlust. Sie treibt auch bei unseren Politikern, unseren Wirtschaftsführer, Behördenchefs und Verbands-Funktionären regelmäßig unschöne und die Bürgerrechte gefährdende Blüten.
Wie das erst in einer im Kern immer noch totalitären Diktatur sein wird, kann sich, denke ich, jeder nicht völlig politisch Naiver gut vorstellen.
Aus diesen Grunde toleriert Beijing zwar die katholische Religion - nicht aber die Autorität des Papstes über die chinesischen Katholiken. Es gibt in der VR China keine höhere Instanz als das Politbüro, schon der Gedanke, dass in irgendeiner Frage von einiger Bedeutung irgendjemand anders das letzte Wort haben könnte, ist einfach im System nicht vorgesehen.
Sollten die Mitglieder des Politbüros tatsächlich so denken, wie offiziell behauptet wird, dass sie so denken würden, sind sie Leninisten: Religion ist nicht nur, wie Marx schrieb, "Opium des Volkes" (im Sinne einer "Droge", die die harte Realität erträglich macht) sondern "Opium für das Volk" (eine betrügerische Inszenierung, um das Volk zu gängeln). Im Falle Tibets kommt die traditionelle enge Verbindung zwischen Religion und Politik hinzu - Religion hier also im leninistischen Verständnis eine besonders "harte Droge", während andere, politisch abstinente, Formen der Religion "weiche Drogen" sind, die das nachmaoistische China nicht wirklich stören, weil sie eher als "Beruhigungsmittel" wirken. Beijing handelt meines Erachtens nach der selben Logik, wie eine westliche Regierung im "Krieg gegen die Drogen", wenn sie weder den "Konsum" unterbinden, noch der "Großdealer" habhaft werden kann, weil diese im Ausland sitzen: Er gibt kontrolliert "Ersatzdrogen" aus, um das Problem wenigstens einzudämmen. Von der Regierung ernannte und kontrollierte Geistliche sind sozusagen "religionspolitisches Methadon".

Hinzu kommt, das vermute ich, dass China eine völlig andere Geschichte hat, als "der Westen" mit seinen Religionskriegen und bis zur "Aufklärung" permanenten (danach sporadischen) Machtkämpfen) zwischen "geistlichen" und "weltlichen" Autoritäten. "Die Lehren der Geschichte" sehen für einen chinesischen Politiker, in einem Land, in dem es seit der Ch'in-Dynastie (seit ca. 220 v. u. Z.) keine von nicht staatlich "beamtete" Geistlichkeit gab, völlig anders aus, als für "westliche" Politiker. Selbst Lenin und seine Nachfolger berücksichtigten bei ihrer atheistischen Religionspolitik die lange Geschichte der orthodoxen Kirche als eigensinniger Machtfaktor in Russland, so wie sie auch den Verlauf des jahrhundertelangen "Investiturstreites" zwischen Kaiser und Papst im Westen Europas kannten. Selbst ein Stalin wäre nicht auf die Idee gekommen, den Metropoliten von Russland nach eigenem Gusto zu ernennen - was genau der Installation des ihnen genehmen Panchen Lamas durch das chinesische Politbüro entspricht, weil er wusste, dass so ein "Marionettengeistlicher" keinerlei Autorität bei den Gläubigen genießen würde.

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