Gedankenfutter

Freitag, 12. Januar 2007

"Bitte nehmen Sie Ihre nuklearen Abfälle mit nach Hause"

Die besten Satiren schreibt immer noch das Leben - wie dieses Schild an einem englischen Atomkraftwerk, das sinnigerweise in einem Naturschutzgebiet auf der Halbinsel Dungeness steht:
Please Take Your Rubbish Home.
Gefunden - zuerst in England, dann im Internet - von David. (Via: B.L.O.G.: Schräge Schilder.)

Noch was zum Thema Kernenergie: Wer sagt denn, dass man Benzin nicht durch Atomkraft ersetzen könne? Man müßte nur ein etwas älteres Konzept von Ford wieder aufgreifen: The Atomic Automobile

(Angeregt durch: Sargnagelschmiede - Gestern im Bistro-Wagen.)

Sonntag, 31. Dezember 2006

Orakelzeit

Zu Silvester versuchen viele Menschen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Vergeblich. Denn es gibt keine Zukunft, in die man blicken könnte. Die Zeit ist kein Eisenbahngleis.
Ein Orakel ist kein Blick in die Zukunft, sondern ein Blick auf die Landkarte des Möglichen.
wenn das, was ist, das ist, was war
und mir das morgen doch nicht klar
weil es im dunklen liegt verborgen
des gestern, heute, übermorgen
dann komm ich heute aus dem gestern

geh die wege die ich muß
so kommt das neue aus dem alten
und alles ist in stetem fluß
vereinigt sich im meer des lebens
und kam auch schon aus ihm hervor

ich folge nur dem lauf des flusses
der zum wassertropfen mich erkor
ob blind für seitenwege oder zeichen
oder offenen Auges frei und wild
weben die nornen mir mein schicksal

und weisen des morgens neues bild
Carola Seeler, Urd, Werdandi und Skuld

Urd - das ist, was ist. Was wir nicht ändern können. Egal, ob es heute, übermorgen oder vor 36000 Jahre geschieht.
Skuld - ist das, was “herauskommen müsste” oder “soll”, wie der Name sagt, die Konsequenz dessen, was man tut.
Werdandi - ist das, was "in unseren Händen lieg". Das, was wir tuen können.
Look no further,
Cruelest,
Almost,
always to ourselves,
It mustn't get any better
Off
It's in our hands: it always was
It's in our hands: in our hands
It's all there: in our hands
It's all there: in our hands
Well
Aren't we scaring ourselves
Unneccesarly?
Aren't we trying too hard?
'Cause it's in our hands
It's in our hands
It's all here:it`s in our hands
aus:
björk: It's in Our Hands

Für alle, denen das zu orakelhaft ist, empfehle ich diese beiden Texte zum Weiterlesen:
Duke Meyer: No Future - Warum das Germanische keine Zukunft hat
Sven Scholz: Im Zeitstrom des Lebens

Dienstag, 26. Dezember 2006

Gammeljournalismus zur Weihnachtszeit

Eigentlich hatte ich vor, in den Raunächten keine neuen Themen mehr anzufangen.
Ein paar Tage habe ich auf den Nägeln gekaut, aber dann musste er raus, mein Ärger über zwei besondere Glanzleistungen des deutschen Gammeljournalismus.

Auf das erste "Glanzstück" bin ich über einen Blogbeitrag gestoßen Grausige Riten im dunklen Tempel, denn seit seinem rapiden Qualitätsverlust lese ich den "Spiegel" nicht mehr regelmäßig.
Es ist ein langer Artikel von Matthias Schulz "Gott kam aus Ägypten". Dieser Artikel leidet an den typischen Schulzen Schwächen: vergangene Kulturen werden mit modernen Maßstäben gemessen, Fachleuten wird gern mal das Wort im Munde herumgedreht und populäre Klischees und Vorurteile werden, vor allem, wenn sie schön blutig sind, unabhängig vom Wahrheitsgehalt bedient. Besonders problematisch: dieses Mal sind es die Juden bzw. das alte Israel, das in die historische Gruselkammer gestellt wird. (Was leider ins Bild passt, da das moderne Israel ja im “Spiegel” auch immer schlechter wegkommt.)
Ich erinnere mich mit Grausen an seine polemischen Spiegel-Schwerpunktartikel über Kelten, Germanen, Wikinger oder das europäische Mittelalter. (Siehe hierzu mein Altartikel: Das Runen-Paradox.)
Was seinen "Ruf" in Fachkreisen angeht, rate ich zu einer kleinen Internet-Recherche. Es gibt sogar Wissenschaftler gleichen Namens, die sich von ihm in Rundmails distanzieren.

Das Hauptproblem bei Schulz ist jedoch, dass er ein klassischer Gesinnungsjournalist mit volkserzieherischem “Anliegen” ist.
Konkret nachwiesen läßt sich das bei seinem “legendären” Artikel “Die Germanen - Störenfriede im Nebelland”, mit der vor gut zehn Jahren Schulz zum ersten Mal von sich reden machte. Der damalige Spiegel-Resortschefs Jürgen Peterman, der Schulz´ Germanen-Artikel anregte und redigierte, sagte gegenüber Ulrich Wickert (Laut dessem Buch “Deutschland auf Bewährung”):
“Ich wollte die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebrauchen, um den Mythos um Hermann zu zerstören. Aus Angst vor einem neuen Nationalismus hat der Spiegel bei dieser Gelegenheit bewußt das Negative herausgehoben.”
Übrigens mit dem Ergebnis, dass sich nationalistische Germanenschwärmer erst recht bestätigt fühlten - nach dem Motto: “Der Spiegel lügt, um die Germanen in Misskredit zu bringen."
Wobei zu fragen wäre, welche Bedeutung der Mythos um “Hermann den Cherusker" für heutige Rechtsextremisten noch hat. Da hat der “Spiegel” wohl mit einen “Pappdrachen” gekämpft.

Wenn die Agenda dieses Artikels immerhin “gut gemeint” war, kann davon bei späteren Artikeln keine Rede mehr sein. Meines Erachtens ist sein neuestes Machwerk als “Zerstörung des (angeblichen) Gründungsmythos Israels", nebst seinem Lieblingthema, der Demontage der Bibel gedacht. Dass sämtliche Antisemiten ihm dafür Beifall klatschen, ist ihm offensichtlich egal.

Hinzu kommt seine Neigung, sich an populäre “spießbürgerliche” Klischees anzubiedern. Wenn er Akteuren auf Mittelaltermärkten eine Nähe zur Sado-Maso-Szene andichtet, und Wikinger-Fans eine zur Neonazis, dann ist das vielleicht nur ärgerlich. Wenn er aber aus dem jüdischen Beschneidungsritual ein grausames Gemetzel macht (und dabei unterschlägt, dass es schon im Altertum scharfe Skalpelle gab, und sogar detailierte medizinische Beschreibungen, wie Beschneidungen damals wirklich vorgenommen wurden), dann ist das einfach nur widerlich. (Nein, ich bin kein Befürworter der routinemäßigen Beschneidung. Ich habe aber etwas gegen Grusel-Legenden, vor allem gegen solche mit antisemitischem Aroma.)
Besonders "toll" finde ich seine Darstellung der Entstehung der Thora (bzw. der 5. Bücher Mose). Da hat wohl jemand noch nie etwas von "mythologischen Texten" gehört, bzw. dass religiöse Schriften anders gelesen sei wollen, als Geschichtsbücher:
Dabei entstand eine Camouflage, eine Art Märchenbuch, das wie eine Zwiebel aus Hunderten von alten, immer wieder umformulierten Schriften und Überlieferungssträngen besteht. Die Bibel - ein Labyrinth. (…)
Ein Klima der Unterwürfigkeit, ja der Furcht geht von diesem Überwesen des Alten Testaments aus. „Emunah” („Treue”) heißt das hebräische Wort für Glauben. Gott gebärdet sich wie ein eifernder Liebhaber. Er schließt eine „Ehe” mit dem auserwählten Volk und fordert absoluten Verlass. Der semitische Gott, so sah es der Psychologe Bruno Bettelheim, war „schlimmer als selbst die schrecklichsten Gottheiten der Naturvölker”.
Irgendwie hatte ich den Bettelheim da immer anders verstanden ...
Und "Glaube" kann auch im Deutschen "Treue" bedeuten - oder "Vertrauen".

Genug darüber geärgert, denn in der "Welt am Sonntag" stieß ich auf einen Kommentar von Allan Posener zur Weihnachtszeit, den ich für "Gammeljournalismus" ganz anderer Art halte. Was Weihnachten bedeuten kann.
Was aber Weihnachten von seinen heidnischen Vorläufern abhebt, ist die Vermenschlichung und Personalisierung der Geschichte. Für Christen handelt es sich darum, dass Gott selbst von einer Frau als Mensch geboren wurde.
Nun, dass eine sterbliche Frau von einem Gott schwanger wird, findet sich in allen mir bekannten heidnischen Religionen. Joshua ben Josef hebt sich da nicht ab von Heracles, Sigbert oder Gilgamesh. Die Vorstellung, dass sich ein Gott in einem Menschen inkarniert, ist auch weit verbreitet, man denke an die indischen Avataras. Die Idee, dass Jesus mit Gott identisch ist, kam im Christentum erst relativ spät auf (Konzil von Nicea, 325), und wird bis heute nicht von allen Christen geglaubt.

Bei folgendem Satz kam mir das Frühstück wieder hoch:
Man muss nur die bluttriefenden Sagen der Germanen kennen, die Killerspiele unserer Vorfahren, um die ungeheure zivilisatorische Wirkung der Weihnachtsgeschichte zu begreifen.
Geschichtklittierend ist auch diese Behauptung:
Schließlich bindet Weihnachten Europa fest an sein jüdisches Erbe. Nazareth und Bethlehem sind ja keine Städte im mythischen Nirgendwo. Die Heilige Familie ist eine jüdische Familie, die Apostel und Evangelisten sind Juden. Mit der Weihnachtsgeschichte beginnt eine europäisch-jüdische Symbiose, die nur um den Preis der jeweiligen kulturellen Identität aufzulösen wäre.
Freundlich gesagt ist das eine "fromme Lüge" bzw. historisches Wunschdenken. Man könnte ebensogut schreiben: "Mit der Weihnachtgeschichte beginnt die christliche Judenfeindschaft" - was historisch auch nicht ganz stimmt.

Montag, 25. Dezember 2006

Reminder

reminder
It is now more than 60 years after the Second World War in Europe ended. This e-mail is being sent as a memorial chain, in memory of the six million Jews who were massacred. Now, more than ever, with Iran , among others, claiming the Holocaust to be “a myth,” it is imperative to make sure the world never forgets.
This e-mail is intended to reach six million people worldwide! Join us by e-mailing it to your friends and be a link in the memorial chain and help us distribute it around the world. Please don’t just delete it. It will only take you a minute to pass this along - Thanks!
Aufgesammelt bei Chajms Sicht

Sonntag, 3. Dezember 2006

Heine zur Wiederkehr der Alten Götter

Ein überaus kluges und geradezu prophetisches Werk Heinrich Heines ist sein langer Essay "Zur Geschichte der Religion & Philosophie in Deutschland", geschrieben zu einer Zeit, als "Deutschland" ein politischer Flickenteppich war. Ein Warnung, vor dem Konsequenzen, die aus der deutschen Nationalromantik erwachsen, wenn man sie nur konsequent zuende denkt - und sich dazu einen deutschen Nationalstaat denkt, das nationalromantisch geprägt ist. Wahrscheinlich konnte nur ein ausgewiesener Romantiker (und widerwilliger Patriot) wie Heine das kommende Unheil so klar erkennen.
In Zur Geschichte der Religion & Philosophie in Deutschland - Drittes Buch bespöttelt er geistreich die Philosophen des "deutschen Idealismus", von Kant bis Hegel, und legt deren inhumane und potenziell gefährlichen Tendenzen bloß.
Nebenbei liefert er eine einleuchtende Erklärung für das große Rätsel, wieso Kant, der so spritzig und verständlich schreiben konnte, wenn er wollte, ausgerechnet sein Hauptwerk, die "Kritik der reinen Vernunft" in einem "so grauen, trockenen Packpapierstil" geschrieben hatte.
Da ich es mit den "Alten Göttern" habe, sprach mich folgender Absatz besonders an - bitte sorgfältig lesen. Es ist nicht Heines Kommentar zum Asatrú, auch wenn es streckenweise so klingt:
"Das Christentum - und das ist sein schönstes Verdienst - hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. Jener Talisman ist morsch, und kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht; die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt, und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome. Wenn Ihr dann das Gepolter und Geklirre hört, hütet Euch, Ihr Nachbarskinder, Ihr Franzosen, und mischt Euch nicht in die Geschäfte, die wir zu Hause in Deutschland vollbringen. Es könnte Euch schlecht bekommen. Hütet Euch das Feuer anzufachen, hütet Euch es zu löschen; Ihr könntet Euch leicht an den Flammen die Finger verbrennen. Lächelt nicht über meinen Rat, über den Rat eines Träumers, der Euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen warnt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen dieselbe Revolution erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefunden. Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusche werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihren königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte. Jetzt ist es freilich ziemlich still; und gebärdet sich auch dort der eine oder der andre etwas lebhaft, so glaubt nur nicht, diese würden einst als wirkliche Akteure auftreten. Es sind nur die kleinen Hunde, die in der leeren Arena herumlaufen und einander anbellen und beißen, ehe die Stunde erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kämpfen sollen."
Heine sollte leider recht behalten. Ob es wirklich das Christentum war, das die "brutale germanische Kampflust" zähmte, lass ich einmal dahingestellt.
Ob Thor wirklich darauf aus ist, mit seinem Hmmer die gotischen Dome zu zerschlagen, wage ich, in Kenntnis der Mythen, sehr zu bezweifeln. Das steht gewissermaßen nicht in der Stellenbeschreibung des Riesen-Bekampfers und Schützers der Menschheit.
Wer, so fasse ich Heine auf, darauf aus ist, mehr als nur Dome zu zertrümmern, dass ist das grosteskt wirklichkeitsfremde, "idealistische" Bild der Deutschen von der Welt und von sich selbst. Die Mentalität des ewigen Schulmeisters. Wie in einer Annekdote über Hegel, der gesagt haben soll, wenn seine Philosophie nicht der Wirklichkeit entsprechen würde, wäre das umso schlimmer für die Wirklichkeit. Oder, im Alltag, des Bürokraten, der nicht sieht, was in seinen Vorschriften nicht vorgesehen ist. Oder des Autofahrers, auf dessen Grabstein steht: "Ich hatte Vorfahrt!"
Idealismus, schnell umschlagend in ideologisches Denken, ungezähmt durch Ethik und Moral. Die ja in der deutschen Praxis meist christliche Ethik und Moral sind.

Es stimmt, dass in der Nationalromantik, im "deutschen Idealismus" das vorhergedacht wurde, was dann unter Bismark und später in Eisen und Blut realisiert wurde. Nicht im Sinne einer Schuld, auch nicht im Sinne einer Kausalkette, noch nicht einmal, indem die Praktiker des deutschen Nationalismus sich auf diese Philosophen berufen würden - meistens wird ihre Bildung nicht so weit gereicht haben - Nationalismus ist in Deutschland vor allem Sache der Halb- (oder weniger) Gebildeten. Nein sie (am wenigsten noch Kant) schufen ein geistiges Klima, in dem totalitäres Denken (im Sinne Poppers oder Hannah Arendts) besonders gut gedieh.
Bis heute.

Ich halte den "antideutschen" Ansatz für verfehlt (auch weil er sehr deutsch daher kommt - negativer Nationalismus), aber ein gesundes Mißtrauen gegenüber dem "deutsche Wesen" ist angebracht. Oder, wie Heine seinen französischen Lesern riet:
Da Ihr, trotz Eurer jetzigen Romantik, geborene Klassiker seid, so kennt Ihr den Olymp. Unter den nackten Göttern und Göttinnen, die sich dort bei Nektar und Ambrosia erlustigen, seht Ihr eine Göttin, die, obgleich umgeben von lauter Fröhlichkeit und Kurzweil, dennoch immer einen Panzer trägt und den Helm auf dem Kopf und den Speer in der Hand behält. Es ist die Göttin der Weisheit.

Samstag, 18. November 2006

Illuminismus Teil 2: Gelehrte zwischen den Welten

(Erster Teil: Die Illuminaten-Panik)
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunders wurden nicht nur die Grundlagen der Französischen Revolution, sondern auch die der industriellen Revolution gelegt. Im Vergleich zu früheren Zeitaltern war der Fortschritt von Wissenschaft und Technik rasant - tatsächlich war die Idee des "Fortschritts" vor dieser Zeit kaum verbreitet. Die "Enthüllungen unsichtbarer Kräfte" fesselten die Aufmerksamkeit der "gebildeten Stände". Schon die Gravitationstheorie Newtons muß sensationell gewirkt haben: eine durch den leeren Raum wirkende Kraft, die Erde und Himmel im Gleichgewicht hält - welch ein Gegensatz zu den anschaulichen naiv-mechanischen Modellen, die in der Frühaufklärung verbreitet waren (z. B. versuchte Descartes die Schwerkraft mit Wirbelbewegungen im Weltäther zu erklären). Die aristotelische "Phsyik des gesunden Menschenverstands" galt nicht mehr. Da war die neu entdeckte Elektrizität - gezähmte Blitze in Menschenhand! 1783 erhoben sich erstmals Menschen in einem Ballon vom Boden ab. Die Krafte, die solche Wunder ermöglichten, konnte man weder sehen, noch riechen, noch hören. Die Europäer dieser Zeit erlebten zum ersten Mal, dass Dinge, die man gestern noch ins Reich der Magie verwiesen hätten, heute Wirklichkeit wurden.
Je mehr Geheimnisse die Wissenschaft enthüllte, um so irritierter war ein Publikum, das mit den Gesangbüchern der Kirche, nicht aber mit Lehrbüchern der Physik und Chemie aufgewachsen war. Einerseits bewirkte die Wissenschaft "magische" Dinge, andererseits entvölkerte sie den Himmel von Engeln und Dämonen, und ließen die Menschen vor der kalten Leblosigkeit des Universums erschaudern. Auch die durch die Aufklärung kritisierten, als Machtapparate entlarvten, von anscheinend vernunftwidrigen Dogmen geprägten Kirchen boten immer weniger Halt. Jean-Jacques Rousseau bedauerte schon 1750 in seinem Diskurs über die Wissenschaften und Künste den Verlust der Harmonie zwischen Mensch und Natur.

Die Illuministen versuchten eine, wie wir heute sagen würden "ganzheitliche" Form der Erkenntnis zu finden, in der sich Weisheit und Wissenschaft miteinander versöhnen sollten. Sie forderten, dass zu Erforschung der Materie die mystische Erkenntnis, ein tiefes Verstehen des göttlichen Plans, wie sie es nannten, treten müsse. Durch mystische Erfahrungen sollten Wissenschaftler illuminiert, also erleuchtet werden; aus der Verbindung aus exakter Wissenschaft und mystischer Weisheit sollte die haute science, eine höhere Wissenschaft, entstehen. Der Schlüssel zur Erkenntnis der "Ganzheit" lag für die Illuministen im Menschen und seiner intuitiven Erkenntnisfähigkeit selbst. Sie suchten nach nicht weniger als den verborgenen Gesetzen des Lebens und der Seele, nach der kosmischen Harmonie.
Die Ähnlichkeit zwischen den Gedankengängen der Illuministen und denen des New Age der 1960-1980er Jahre ist manchmal verblüffend. Wie Teihard de Chardin oder Fritjof Capra versuchten sie den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Spritualität. Allerdings entwickelte sich das nicht mehr ganz neue New Age ziemlich schnell in Richtung einer von Harmoniesucht und einer gewissen Denkfaulheit geprägten Gebrauchs- und Konsum-Esoterik, und "Vordenker" wie Capra wendeten sich mit Grausen ab. Im 18. Jahrhundert bestand diese Gefahr nicht, obwohl es vor allem im vorrevolutionären Frankreich auch damals eine regelrechte Esoterik-Welle samt bizarrer kommerzieller Auswüchse gab. Astrologen, Schicksalsdeuter, Wunderheiler und Verkäufer von Talismanen und Amuletten gab es im Paris der 1780er Jahre gewissermaßen an jeder Straßenecke. Zauberer und Wahrsager waren im Alltag so tief verwurzelt, dass die Polizei auf sie als Spitzel noch lieber zugriff als auf die Priester. Wie bei vielen "New Age"-Esoterikern war die Beschäftigung mit dem Okkultismus oft eine Flucht vor einer scheinbar übermächtigen, als bedrückend empfundenen politischen und wirtschaftlichen Realität.

Typisch für die Illuministen war es, ähnlich den gelehrten Romantikern im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts, in alten Überlieferungen neue Bedeutungen zu erkennen. Manchmal erschlossen sich dabei neue historische Erkenntnisse, manchmal tiefe Einsichten, häufig aber auch nur (aus heutiger Sicht) abenteuerliche Um-Interpretationen und wilde Spekulationen. Ein Beispiel ist die "Wiederentdeckung" des Tarots durch den französische Universal-Gelehrten, königlichen Zensor und begeisterten Illuministen Antoine Court de Gébelin. Er "erkannte", dass die Trumpfkarten des in der italienische Renaissance entstandenen Kartenspiels Tarot (oder Tarock) "in Wirklichkeit" ein tiefes Mysterium altägyptischen Ursprungs war. In einer Mischung aus mystischer Schau, Analogieschlüssen (weil einige der Karten eine gewisse Ähnlichkeit zu ägyptischen Motiven hatten), dem bescheidenen ägyptologischen Wissen seiner Zeit, einer Schwäche für Allegorien und kühner Spekulation wurden die bunten Spielkarten zur bildhaften Niederschrift des altägyptischen "Buches Thot", einer Initationsschrift einer Mysterienreligion. Als aktiver Freimauerer war Court de Gébelin überdies mit Initiationsriten und Symbolen mit tieferer Bedeutung bestens vertraut, er "entdeckte" wohl im für ihm Neuen eben das, was er kannte. Sine "Entdeckungen" wurden in einem okkultismus-verrückten kulturellen Umfeld begeistert aufgegriffen. Schon bald baute der "Berufsesoteriker" Étteilla das "Buch Thot" in seine Bücher über die Kunst aus Spielkarten wahrzusagen ein. Auch wenn der geschäftstüchtige Étteilla mit illuminierten Weisheitslehren und Wegen zur edlen Selbsterkenntnis wenig am Hut hatte, wurde er so zum Begründer des esoterischen Tarots. Er schuf auch das erste speziell für Kartomantie gestaltete Tarot-Blatt. Vor ihm und Court de Gébelin hatte die Kartomantie übrigens ein ähnliches Ansehen wie Kaffeesatzlesen oder Bleigiessen gehabt.

Court de Gébelin war bei all dem kein versponnener Außenseiter, sondern ein seriöser und angesehener Gelehrter. Das war bei Illuministen nicht ungewöhnlich, auch Johann Georg Forster, einer der führenden Naturwissenschaftler seiner Zeit, war Anhänger des Illuminismus und beschäftigte sich ernsthaft mit der alten Geheimwissenschaft Alchemie. (Darin war er quasi ein Nachfolger der Physikers, Mathematikers und Alchemisten Isaac Newton, der ohne seinen Hang zur Zahlenmystik und zur "natürlichen Magie" möglicherweise nicht auf seine Gravitationsgesetze gekommen wäre, oder des Berufsastrologen, Sternenmystikers und Astronomen Johannes Kepler.)

Damit wären wir wieder beim Thema Verschwörungstheorien. Nicht nur, weil Forster wenig später als Anhänger der Französischen Revolution und selber Revolutionär (in Mainz) in Erscheinung trat. Als Freimauerer gehörte er nicht nur der Kasseler Loge "Zum goldenen Löwen" an, er stand auch mit der berühmten Pariser Loge "Neuf Soeurs" in Verbindung, der "Loge der Philosophen". Court de Gébelin gehörte dieser Loge an und war ihr Schriftführer, die bekanntesten Logenbrüder der "Neuf Soeurs" waren Benjamin Franklin und Voltaire.
Nun war Court de Gébelin glühender Anhänger des Messmerismus, einem Heilverfahren, das angeblich auf "animalischen Magnetismus" beruhen sollte, in Wirklichkeit aber eine Form der Hypnose war. Eine vom König eingesetzte Kommision angesehener Wissenschaftler, darunter der Chemiker Lavoisier und der Universalgelehrte Franklin, erklärte nach langwierigen Untersuchungen, dass es den animalischen Magnetismus offensichtlich nicht gab, folglich der Messmerismus ohne wissenschaftliche Grundlage sei.
Verschwörungstheoretikern kam es "verdächtig" vor, dass sowohl die erbittersten Streiter gegen vermeindlichen Aberglauben und Esoterik wie die eifrigsten Esoteriker Freimaurer waren - schlimmer noch, der Messmer-Gegner Franklin und der Messmer-Unterstützer Court de Gébelin waren hochrangie Brüder der selben Loge! Das roch für sie nach für "das dumme Volk" inszenierten Scheingegensätzen. Es kam ihnen ja auch merkwürdig vor, dass ausgerechnet der Radialaufklärer und Gründer des Illuminatenordens Adam Weishaupt Court de Gébelins Werke ins Deutsche übersetzte. Genau so merkwürdig übrigens, wie die enge "Zusammenarbeit" von Royalisten wie Lavoisier und Court de Gébelin und Revolutionären wie Franklin oder Forster, Männer, die "normalerweise" doch erbitterte Feinde gewesen seien müßten.

Der dritte und letzte Teil dieser Reihe geht auf den Illuminismus im 19. Jahrhundert ein.

Montag, 13. November 2006

Exkurs: Wer hat Angst vor den Illuminaten?

In Ergänzung zu meinem dreiteiligen Artikel über den Illuminismus versuche ich, zwei Fragen zu beantworten.
Warum sind die "lluminaten" die Weltverschwörer schlechthin?
Ein Grund ist, dass der Name "Illuminaten" - "Erleuchtete" - in so vielen so verschiedenen Zusammenhängen auftaucht. Der "Illuminismus" des 18. Jahrhunderts z. B. wurde von Verschwörungstheoretikern des frühen 19. Jahrhunderts leichtfertig mit dem Illuminatenorden gleichgesetzt. Es gibt bei mehreren Freimaurerlogen "Illuminatengrade" - die auch nichts mit "den Illuminaten" zu tun haben. Viele sehr verschieden esoterische und religiöse Gruppen nennen oder nannten sich selbst Illuminaten - z. B. die Alumbrados (span. Erleuchteten), eine christliche Sekte die vom 15. bis 17. Jahrhundert bestand und der Inquisition zum Opfer fiel, die Illuminés d'Avignon, eine freimaurerähnliche Organisation, welche im 18. Jahrhundert in Frankreich bestand, selbstverständlich auch der politisch-radikalaufklärerische Illuminatenorden des Adam Weishaupt, der von ihm sehr verschiedene esoterische lluminatenorden des Theodor Reuss, später im OTO aufgegangen, die Illuminaten von Thanateros, eine chaosmagische Gruppe der Gegenwart und viele mehr - von jenen Gruppen und Einzelpersonen, die von Außenstehenden als "Illuminaten" bezeichnet werden, gar nicht zu reden. Wer glaubt, dass sich unter der Bezeichnung "Illuminat" immer dieselbe Ideologie verbergen würde, macht den selben Denkfehler wie jemand, der die Heilsarmee unter "irreguläre Streitkräfte" einordnen oder die Berliner Zionskirche mit der zionistischen Bewegung in Verbindung bringen würde (letzteres Beispiel ist nicht allzu weit von der Realität der Verschwörungstheoretiker entfernt).
Es ist so, wie mit den angeblichen Illuminaten-Kennzeichen Pyramide (bzw. Dreieck), Pentagramm bzw. Fünfstern oder der Zahl "23" - nur wenn man annimmt, dass es tatsächlich "getarnte" Kennzeichen einer Geheimorganisation sind, und zwar immer, und auch immer dieselbe Organisation dahintersteckt, "funktioniert" die Verschwörungsangst.
Der Begriff „Illuminaten“ ist unmöglich an eine Gruppe zu binden, sowenig, wie sich Pentagramme bzw. fünfzackige Sterne an eine bestimmte Gruppe (Satanisten, Hexen, Christen, Kommunisten, Weihnachtsenthusiasten, US-Airforce usw.) binden ließe.
Der zweite Grund: Illuminat ist ein gutes Tarnwort für Bezeichnungen, bei dessen Gebrauch im Zusammenhang mit Verschwörungsvorwürfen man damit rechnen muss, wegen Verleumdung oder Volksverhetzung angeklagt zu werden. Gegen die "Illuminaten", oder die "Ostküste" kann man z. B. als Neonazi ungestraft hetzen, trotzdem weiß jeder Adressat, dass damit (angebliche) jüdische Drahtzieher "hinter den Kulissen" gemeint sind.
Wobei die Angst vor der Illuminaten-Verschwörung nicht nur unter Rechtsextremisten weit verbreitet ist. Wobei die bösen Illuminaten in den Augen hysterischer fundamentalistische Christen gern Satanisten, in denen rötgefärbter Verschwörungs-Fans dagegen eine Verschwörung von Großkapitalisten und in der von UFO-Sektieren Kollaborateure der außerirdischen Invasoren sind. Bei nicht wenige Verschwörungstheoretikern, z. B. Holey alias van Helsing sind die Illuminaten sogar zugleich Juden, Satanisten, Großkapitalisten und Marionetten der Außerirdischen (außerdem noch Freimauerer, Sozialisten, Materialisten, Esoteriker usw. usw. - eben "SIE"). Das führt nahtlos zur zweiten Frage:

Wer glaubt an die Illuminaten?
Es ist nun leider nicht so, dass nur ausgemachte politische Außenseiter, eben "Spinner", solchen Theorien anhängen würden. Dass nicht nur ausgemachte Rechtsextremisten oder abgedrehte Sektierern an die Weltverschwörung der Illuminaten glauben, erwähnte ich ja schon. Solange die Verschwörungstheoretiker keine poltischen Einfluß haben, mag das "harmlose Spinnerei" sei. Leider ist das nicht so.

Der nach wie vor einflußreiche US-amerikanische Fernseh-Evangelist, Gründer der fundamentalistischen Christian Coalition,
und immer noch aktive Politiker Pat Robertson ist beispielsweise Anhänger der von Weltverschwörungstheorien, in denn die Illuminaten eine wichtig Rolle spielen. 1991 verfasste er ein Verschwörungstheoretisches Buch mit dem Titel "The New World Order" (Die Neue Weltordnung). Hierin vertritt er u. a. die These, dass die europäische, angeblich demokratiefeindliche Hochfinanz mit Hilfe der Weltbank und einer geplanten Weltwährung vorhabe, sich den Reichtum des US-amerikanischen Volkes anzueignen. Außerdem würden die USA bedroht von einer antichristlichen und obendrein sozialistischen Koalition aus Illuminaten, Freimaurern und New Age-Anhängern. Diese strebe eine Weltregierung, eine Weltarmee, eine Weltwirtschaft unter einer britischen Finanzoligarchie und einen Weltdiktator, dem ein Rat von zwölf Getreuen zur Seite steht, an. (Quelle: Wikipedia Pat Robertson siehe auch der ausführlichere Artikel in der englischprachigen Wikipedia: Pat Robertson)

1988 bewarb sich Robertson in der republikanischen Partei um die Kandidatur für das Amt des US-amerikanischen Präsidenten, wobei er in den Vorwahlen George H. W. Bush (senior) unterlag.

Tatsächlich ist der Alptraum eines illuminaten-gläubigen Präsidenten ausgerechnet bei einem potenziellen Gegner der USA wahr - Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad vertritt eine Weltsicht, die der Robertson (und nebenbei auch der Holeys) verblüffend ähnlich ist.

Die GANZ GROSSE jüdisch-freimaurerisch-bolschewistisch-kapitalistische Weltverschwörungstheorie (also die "klassische Illuminaten-Theorie") vertritt Hamas mit einem Eifer, der selbst "Jan van Helsing" lasch aussehen läßt - hier ein Zitat aus der offiziellen englischen Fassung der gültigen Hamas-Charta:
The Powers which Support the Enemy:
For a long time, the enemies have been planning, skillfully and with precision, for the achievement of what they have attained. They took into consideration the causes affecting the current of events. They strived to amass great and substantive material wealth which they devoted to the realisation of their dream. With their money, they took control of the world media, news agencies, the press, publishing houses, broadcasting stations, and others. With their money they stirred revolutions in various parts of the world with the purpose of achieving their interests and reaping the fruit therein. They were behind the French Revolution, the Communist revolution and most of the revolutions we heard and hear about, here and there. With their money they formed secret societies, such as Freemasons, Rotary Clubs, the Lions and others in different parts of the world for the purpose of sabotaging societies and achieving Zionist interests. With their money they were able to control imperialistic countries and instigate them to colonize many countries in order to enable them to exploit their resources and spread corruption there.

As regards local and world wars, it has come to pass and no one objects, they were behind World War I, when they were able to destroy the Islamic Caliphate, making financial gains and controlling resources. They obtained the Balfour Declaration, formed the League of Nations through which they could rule the world. They were behind World War II, through which they made huge financial gains by trading in armaments, and paved the way for the establishment of their state. It was they who instigated the replacement of the League of Nations with the United Nations and the Security Council to enable them to rule the world through them. There is no war going on anywhere, without having their finger in it.
Da kann ich nur sagen: Ewige Blumenkraft!

Sonntag, 12. November 2006

Illuminismus (Teil 1) - die Illuminaten-Panik

Um die Illuminaten ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien. Bis heute. Wie schwer es ist, diesen Theorien aus dem Weg zu gehen, mußte das US-amerikanische "Information Awareness Office" erfahren, das sich - vermutlich unbeabsichtigt - ein Logo gab, das allzu genau in das Weltbild der Verschwörungstheoretiker passte:
IAO-Logo
Auch wenn das IAO der DARPA keine Illuminaten-Organisation ist, heißt das noch lange nicht, dass ich auch nur einen Hauch von Verständnis für diese tief in die Bürgerrechte eingreifende Überwachungsbehörde und ihre Nachfolger und europäischen Gegenstücke hätte.

Der historische Illuminatenorden, auch "Bayrische Illuminaten" genannt, ist gut erforscht. Ich verweise der Einfachheit halber an den (zur Zeit der Abfassung dieses Artikels) sehr informativen Eintrag in der "Wikipedia" (ungeachtet der Tatsache, dass selbst "gemäßigte" Verschwörungstheoretiker der Wikipedia äußerst misstrauen): Illuminatenorden - und allen, die sich für Verschwörungstheorien interessieren, sei das "Verschwörungen"-Wiki empfohlen: Illuminaten und Illuminatenorden.

Tatsächlich war der radikal-aufklärerische Illuminatenorden Adam Weißhaupts zu seiner Zeit "umstürzlerisch" - er war gegen die absolutistischen Monarchien gerichtet und gegen den Einfluß der Jesuiten. Von daher war der Orden Ziel des Mißtrauens der Obrigkeiten. Nach dem Verbot des Ordens und der Veröffentlichung bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmter Papiere des Ordens brach eine erste Illuminatenhysterie aus - überall witterte man nun die Umtriebe des radikalaufklärerischen Geheimbunds. 1785 erklärte sogar Papst Pius VI. in zwei Briefen (vom 18. Juni und 12. November) an den Bischof von Freising die Mitgliedschaft im Orden als unvereinbar mit dem katholischen Glauben.
Eine zweite, deutlich heftigere Welle dieser Hysterie setzte nach der Französischen Revolution ein, als die Furcht vor den Jakobinern mit der älteren vor den Illuminaten zu einer einzigen Angstphantasie verschmolz. Die Französische Revolution erschien nicht wenigen Zeitgenossen als "Umsturz der gottgewollten Ordnung".
Die eigentliche Illuminaten-Verschwörungstheorie entstand einige Jahre später. Unabhängig voneinander versuchten zu Beginn des 19. Jahrhunderts der französische ehemalige Jesuit Abbé Barruel und der schottische Gelehrte John Robison nachzuweisen, dass nur eine Verschwörung (und nicht etwa die andauernde Unterdrückung der Bürger und Bauern, die Verbreitung der Ideen der Aufklärung, vor allem der Idee der Menschen- und Bürgerrechte, Missernten, eine schwelende Wirtschaftskrise und nicht zuletzt schlechtes "Krisenmanagement") die Revolution ausgelöst haben könnte. Die ohnehin beargwöhnten Freimaurer standen im Zentrum des Misstrauens, aber es fehlte ihnen eine zentrale Organisation, die den Umsturz von 1789 organisiert haben könnte. Die erklärtermaßen gegen die "göttliche Ordnung" (absolute Monarchie, Gottesgnadentum des Herrschers, starke Stellung des Klerus als "1. Stand") abeitenden lluminaten boten sich als "böse Drahtzieher" an.
Ihre "Beweise":
  • Fast alle bedeutenden Führer der Französischen Revolution (und auch die amerikanischen Revolutionäre von 1776) waren Freimaurer.
  • In Frankreich gab es kurz vor der Revolution tatsächlich eine Freimaurerloge die sich "Les Illuminés" nannte. Diese Gruppe war aber sehr klein und wenig einflussreich, und ging eher in eine mystische Richtung, hatte also mit der Radikalaufklärung à la Knigge und Weishaupt nichts im Sinn.
  • Johann Christoph Bode, Komponist, einflußreicher Journalist und Verleger, Freund Lessings, Radikalaufklärer, prominenter Freimaurer sowie führende Persönlichkeit bei den Illuminaten, war 1787 nach Paris gereist. Bode war zu einem Freimaurerkonvent eingeladen, der aber bei seiner Ankunft schon beendet war.
Die Illuminaten eigneten sich besonders gut für die Rolle als "böse Drahtzieher" hinter den "harmlos tuenden" Freimauerer, weil sie ein explizit politisches Programm hatten, wohingegen bei Freimaurern etwa konfessionelle, religiöse oder parteipolitische Streitgespräche bis heute unerwünscht sind. Zwar waren die meisten Illuminaten zugleich auch Freimauer, aber der Orden selbst gehörte der Freimaurerei nicht an. In den landesweiten Organisationen der Freimaurer, den Großlogen oder Groß-Orienten, arbeiteten die Illuminaten nicht mit. Tatsache war, dass die Illuminaten versuchten, die Freimaurerei zu unterwandern. Unterwandern, das, was man später den "langen Marsch durch die Institutionen" nannte, war die bevorzugte politische Taktik Weißhaupts und Knigges. Eine Taktik, die die Phantasie ängstlicher Naturen bis heute anregt.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb den Verschwörungstheoretikern um 1800 "die Illuminaten" schier allgegenwärtig und völlig rätselhaft, nicht in die "natürliche Ordnung der Dinge" passend erschienen. "Illuminaten", "Erleuchtete" wurden nicht nur den geheimnissvollen Freimauer gleichgestezt, sondern auch den "Illuministen", den Anhängern einer bemerkenswerten "Nebenströmung" der Aufklärung - dem Illuminismus. (Wobei die meisten Illuminaten nicht nur auch Freimauerer, sondern auch Illuministen gewesen sein dürften.)

Es ist, auch in Lehrbüchern und Lexika, üblich, dem überkommenen irrationalen, autoritätsgläubigen, abergläubischen und unkritische "alten Denken" den "Vernuftglauben" der Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts entgegenzusetzen. Üblich ist es auch, der Spätaufklärung Gegenbewegungen entgegenzustellen. So hätte die extreme Betonung von Ratio und Objektivität der Aufklärung die Romantik hervorgebracht, die Individualität und subjektive Erfahrung betonte und die Menschen in einer Welt, in der Werte und Regeln einzig nach Kriterien der Vernunft bestimmt wurden, als Gefangene gesehen hätte. Auch die nicht-rationalen Bewegungen im "Zeitalter der Aufklärung", wie der Okkultismus und der gegen Ende des 18. Jahrhunderts populäre Mesmerismus, werden gemeinhin als Gegenbewegungen gesehen.
Es gab demzufolge für das Zeit unmittelbar vor der Französischen Religion drei geistige Hauptströmungen: die auf Vernunft und objektive Erkenntnis bauende "nüchterne" Aufklärung, das "konservative christliche Denken" der "althergebrachten" Gesellschaft, das auf religiöse Traditionen vertraute, und schließlich die Gegenströmungen, wie die Romantik.

Nur: schon die Freimaurerei als humanitäre Initiationsgemeinschaft, die sich bewußt des "Irrationalen", der Kraft der Symbole, der mystischen Erfahrung öffnete und eine der treibenden Kräfte der Aufklärung im 18. Jahrhundert war, paßt nicht in dieses simple, zwischen "Rationalisten" und "Irrationalisten" unterscheidende Schema. Ebensowenig kann man den "Sturm und Drang" als Gegenbewegung zur Aufklärung sehen. Eher ging es dieser u. a. von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller vertretenen literarischen Epoche darum, die bloße Vernunft, die "kalte Ratio" zu ergänzen.

Im Geistesleben des 18. Jahrhunderts vermischten sich tatsächlich zwei scheinbar gegensätzliche Strömungen. Einerseits die Emanzipation von Wissenschaft und Philosophie aus den Fesseln religiöser Bevormundung, anderseits ein Hang zur Mystik, ja zur Magie. Manchmal bestand das Nebeneinander mystischer und wissenschaftliche Neigung in ein und derselben Person.
Die geistige Heimat vieler dieser Grenzgänger zwischen den geistigen Strömungen war eine heute weitgehend vergessenen, aber machtvollen Unterströmung der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts, der bereits erwähnte Illuminismus.
Einer zu Unrecht vergessenen Strömung, denn nicht zuletzt durch den Illuminismus wurden auch die modernen Naturwissenschaften und die technischen Entwicklungen in den Kulturbegriff einbezogen.

Wegen ihres sich den üblichen Schublade verweigernden "Grenzgängercharakters" und weil es so viele "geheimnisvolle Persönlichkeiten" unter ihnen gab, die sich sagar mit Magie beschäftigten, wurde die Illuministen oft beargwöhnt.

Mehr zur Philosophie und Geschichte des lluminismus im 2. Teil dieser Reihe: Gelehrte zwischen den Welten

Freitag, 10. November 2006

Weshalb unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist

Ein Text, der mir aus der Seele spricht: Untod
Ich habe nämlich die Befürchtung, dass ich wirklich ein Riesenidiot werde, wenn ich zu lange einen spiele.
via: Udos Lawblog

Zu einem verwandten Thema, auf Metalust & Subdiskurse: Attitude und Habitus frisch gebügelter, weißer Hemden.

Samstag, 4. November 2006

Auch Eugenik war mal Konsens

Che vergleicht in seinem Blog das Schreckgespenst der "demographischen Zeitbombe" mit dem Schreckgespenst der "eugenischen Zeitbombe" in den 1920er Jahren und deckt dabei die Parallelen auf.
Methusalem - vom Unfug einer Debatte (Unbedingt lesen!)

Che erkennt richtig, das die "Euthanasie" nicht der wirre Wahn der Nazi war, sondern Ergebnis eines damaligen Herrschaftsdiskurses in den Humanwissenschaften und z.T. auch in der Volkswirtschaft und der politischen Publizistik. Man mag sich an Ches sozialistischer Terminologie stoßen (ich tue es nicht!), aber es besteht kaum ein Zweifel daran, dass es beim eugenischen Gesamtprogramm nicht um das Lösen eines tatsächlichen Problems ging, sondern darum, die Bevölkerung nach den Erfordernissen "kapitalistischer Verwertungsbedürfnisse" zu optimieren. Die Parallelen zu den Programmen gegen die "vergreisende Gesellschaft" liegen auf der Hand.
Wobei solche Bevölkerungsoptimierungs-Utopien beileibe nicht auf "kapitalistische Verwertungsbedürfnisse" beschränkt waren. Auch Kommunisten waren zeitweilig sehr auf dem "Eugenik-Trip", nicht nur unter Stalin, Mao oder Pol Pot.
Man kann verallgemeinert sagen, dass eugenische Gesellschaftsutopien und auf sie gerichtet Programme dort gedeihen, wo der einzelne Mensch in erster Linie als
"Menschenmaterial"
, als "Mittel zum Zweck", als "Rad in der Maschine" gesehen wird. Von daher war es kein Zufall, dass diese Vorstellungen in Nazi-Deutschland, in einem Staat, der zugleich knallhart kollektivistisch ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles!") und knallhart kapitalistisch auf maximale Produktivität und Effizienz gerichtet war ("Mein Mitgefühl galt allein der Produktionsziffer", Albert Speer) am grausamsten und konsequentesten realisiert wurden.

Eine weitere Hochburg der eugenische Programme war Nordeuropa, vor allem Schweden, mit und ohne rassistische Vorstellungen von der Überlegenheit der "nordischen Rasse".

In Dänemark war ein Eugenik-Gesetz schon 1929 verabschiedet worden, Schweden folgte 1935. Zuvor hatte eine staatliche Kommission die vermehrten Ausgaben für die Pflege von Schwachen und Hilfsbedürftigen bemängelt und schlußfolgerte: "Daher ist es kein großer Schritt, die Geburt von Individuen, die sich selbst und anderen zur Last fallen werden, zu verhindern."
Die Eugenik-Gesetzgebung in den nordischen Ländern folgte fast immer aus der "linken", vor allem sozialdemokratischen, Tradition der Eugenik, die nicht mit der nationalsozialistischen gleichgesetzt werden darf. Eugenik war Bestandteil eines human gemeinten, in der Folgen aber oft ziemlich inhumanen Programms der präventiven Medizin (zur Hebung der "Volksgesundheit") bis zur auch Zwangs-Eugenik gegen "unverantwortliche Minderwertige". Allerdings läßt sich diese nicht-rassistische Eugenik-Tradion vor allem in Schweden nicht sauber von der (meist uneingestanden) rasstistischen trennen.
Zwangssterilisationen gab es in Schweden bis in die 50er Jahre, noch bis 1970 wurden Sozialarbeiter und Familienfürsorger dazu angehalten, Personen, die sich ihrer Meinung nach nicht fortpflanzen sollten, zu melden
(Hierzu: Heilpädagogik in Schweden - Eugenik und Rassenhygiene
Sozialdemokratisches Reinheitsgebot (aus "jungle world").
Wikipedia-Artikel zur Eugenik)
(Diese skandinavische Eugeniktradition trug offensichtlich viel zur Diskriminierung der "Lebensbornkinder" im Nachkriegs-Norwegen bei. Siehe: Ducktators und Nachtrag zum Thema norwegische Deutschenkinder.)

Oft vergessen wird auch, dass das extrem biologistische Programm der Zwangsterilisierungen und "Gnadentode" nicht nur und nicht einmal in erster Linie von Biologen vertreten wurde. Die Bedeutung der "Erbkrankheiten" wurde völlig überschätzt. Es ist nämlich so, dass selbst bei behinderten Frauen zu 90 % kein Risiko einer Weitergabe der Behinderung besteht. Das war sogar schon um 1930 bekannt; auch aus der von Eugnikern so gern herangezogenen Tierzucht.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 7170 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren