Gammeljournalismus zur Weihnachtszeit

Eigentlich hatte ich vor, in den Raunächten keine neuen Themen mehr anzufangen.
Ein paar Tage habe ich auf den Nägeln gekaut, aber dann musste er raus, mein Ärger über zwei besondere Glanzleistungen des deutschen Gammeljournalismus.

Auf das erste "Glanzstück" bin ich über einen Blogbeitrag gestoßen Grausige Riten im dunklen Tempel, denn seit seinem rapiden Qualitätsverlust lese ich den "Spiegel" nicht mehr regelmäßig.
Es ist ein langer Artikel von Matthias Schulz "Gott kam aus Ägypten". Dieser Artikel leidet an den typischen Schulzen Schwächen: vergangene Kulturen werden mit modernen Maßstäben gemessen, Fachleuten wird gern mal das Wort im Munde herumgedreht und populäre Klischees und Vorurteile werden, vor allem, wenn sie schön blutig sind, unabhängig vom Wahrheitsgehalt bedient. Besonders problematisch: dieses Mal sind es die Juden bzw. das alte Israel, das in die historische Gruselkammer gestellt wird. (Was leider ins Bild passt, da das moderne Israel ja im “Spiegel” auch immer schlechter wegkommt.)
Ich erinnere mich mit Grausen an seine polemischen Spiegel-Schwerpunktartikel über Kelten, Germanen, Wikinger oder das europäische Mittelalter. (Siehe hierzu mein Altartikel: Das Runen-Paradox.)
Was seinen "Ruf" in Fachkreisen angeht, rate ich zu einer kleinen Internet-Recherche. Es gibt sogar Wissenschaftler gleichen Namens, die sich von ihm in Rundmails distanzieren.

Das Hauptproblem bei Schulz ist jedoch, dass er ein klassischer Gesinnungsjournalist mit volkserzieherischem “Anliegen” ist.
Konkret nachwiesen läßt sich das bei seinem “legendären” Artikel “Die Germanen - Störenfriede im Nebelland”, mit der vor gut zehn Jahren Schulz zum ersten Mal von sich reden machte. Der damalige Spiegel-Resortschefs Jürgen Peterman, der Schulz´ Germanen-Artikel anregte und redigierte, sagte gegenüber Ulrich Wickert (Laut dessem Buch “Deutschland auf Bewährung”):
“Ich wollte die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebrauchen, um den Mythos um Hermann zu zerstören. Aus Angst vor einem neuen Nationalismus hat der Spiegel bei dieser Gelegenheit bewußt das Negative herausgehoben.”
Übrigens mit dem Ergebnis, dass sich nationalistische Germanenschwärmer erst recht bestätigt fühlten - nach dem Motto: “Der Spiegel lügt, um die Germanen in Misskredit zu bringen."
Wobei zu fragen wäre, welche Bedeutung der Mythos um “Hermann den Cherusker" für heutige Rechtsextremisten noch hat. Da hat der “Spiegel” wohl mit einen “Pappdrachen” gekämpft.

Wenn die Agenda dieses Artikels immerhin “gut gemeint” war, kann davon bei späteren Artikeln keine Rede mehr sein. Meines Erachtens ist sein neuestes Machwerk als “Zerstörung des (angeblichen) Gründungsmythos Israels", nebst seinem Lieblingthema, der Demontage der Bibel gedacht. Dass sämtliche Antisemiten ihm dafür Beifall klatschen, ist ihm offensichtlich egal.

Hinzu kommt seine Neigung, sich an populäre “spießbürgerliche” Klischees anzubiedern. Wenn er Akteuren auf Mittelaltermärkten eine Nähe zur Sado-Maso-Szene andichtet, und Wikinger-Fans eine zur Neonazis, dann ist das vielleicht nur ärgerlich. Wenn er aber aus dem jüdischen Beschneidungsritual ein grausames Gemetzel macht (und dabei unterschlägt, dass es schon im Altertum scharfe Skalpelle gab, und sogar detailierte medizinische Beschreibungen, wie Beschneidungen damals wirklich vorgenommen wurden), dann ist das einfach nur widerlich. (Nein, ich bin kein Befürworter der routinemäßigen Beschneidung. Ich habe aber etwas gegen Grusel-Legenden, vor allem gegen solche mit antisemitischem Aroma.)
Besonders "toll" finde ich seine Darstellung der Entstehung der Thora (bzw. der 5. Bücher Mose). Da hat wohl jemand noch nie etwas von "mythologischen Texten" gehört, bzw. dass religiöse Schriften anders gelesen sei wollen, als Geschichtsbücher:
Dabei entstand eine Camouflage, eine Art Märchenbuch, das wie eine Zwiebel aus Hunderten von alten, immer wieder umformulierten Schriften und Überlieferungssträngen besteht. Die Bibel - ein Labyrinth. (…)
Ein Klima der Unterwürfigkeit, ja der Furcht geht von diesem Überwesen des Alten Testaments aus. „Emunah” („Treue”) heißt das hebräische Wort für Glauben. Gott gebärdet sich wie ein eifernder Liebhaber. Er schließt eine „Ehe” mit dem auserwählten Volk und fordert absoluten Verlass. Der semitische Gott, so sah es der Psychologe Bruno Bettelheim, war „schlimmer als selbst die schrecklichsten Gottheiten der Naturvölker”.
Irgendwie hatte ich den Bettelheim da immer anders verstanden ...
Und "Glaube" kann auch im Deutschen "Treue" bedeuten - oder "Vertrauen".

Genug darüber geärgert, denn in der "Welt am Sonntag" stieß ich auf einen Kommentar von Allan Posener zur Weihnachtszeit, den ich für "Gammeljournalismus" ganz anderer Art halte. Was Weihnachten bedeuten kann.
Was aber Weihnachten von seinen heidnischen Vorläufern abhebt, ist die Vermenschlichung und Personalisierung der Geschichte. Für Christen handelt es sich darum, dass Gott selbst von einer Frau als Mensch geboren wurde.
Nun, dass eine sterbliche Frau von einem Gott schwanger wird, findet sich in allen mir bekannten heidnischen Religionen. Joshua ben Josef hebt sich da nicht ab von Heracles, Sigbert oder Gilgamesh. Die Vorstellung, dass sich ein Gott in einem Menschen inkarniert, ist auch weit verbreitet, man denke an die indischen Avataras. Die Idee, dass Jesus mit Gott identisch ist, kam im Christentum erst relativ spät auf (Konzil von Nicea, 325), und wird bis heute nicht von allen Christen geglaubt.

Bei folgendem Satz kam mir das Frühstück wieder hoch:
Man muss nur die bluttriefenden Sagen der Germanen kennen, die Killerspiele unserer Vorfahren, um die ungeheure zivilisatorische Wirkung der Weihnachtsgeschichte zu begreifen.
Geschichtklittierend ist auch diese Behauptung:
Schließlich bindet Weihnachten Europa fest an sein jüdisches Erbe. Nazareth und Bethlehem sind ja keine Städte im mythischen Nirgendwo. Die Heilige Familie ist eine jüdische Familie, die Apostel und Evangelisten sind Juden. Mit der Weihnachtsgeschichte beginnt eine europäisch-jüdische Symbiose, die nur um den Preis der jeweiligen kulturellen Identität aufzulösen wäre.
Freundlich gesagt ist das eine "fromme Lüge" bzw. historisches Wunschdenken. Man könnte ebensogut schreiben: "Mit der Weihnachtgeschichte beginnt die christliche Judenfeindschaft" - was historisch auch nicht ganz stimmt.
Rayson (Gast) - 26. Dez, 23:01

Danke für die Infos zu Schulz. Ich würde allerdings das hier

"Die Idee, dass Jesus mit Gott identisch ist, kam im Christentum erst relativ spät auf (Konzil von Nicea, 325), und wird bis heute nicht von allen Christen geglaubt."

als wagemutige Behauptung klassifizieren. Zumindest im ersten Teil. Die Theologen heute sind sich nicht einig, welche Rolle Jesus sich selbst zugesprochen hat. Auf jeden Fall ist die Idee von Jesus als "Gott und Mensch" deutlich älter als das Konzil, das die Dreifaltigkeit festgeschrieben hat.

Und wie schon beim A'Team würde ich alle, die nicht daran glauben, dass Christus "Gott und Mensch zugleich" ist, nicht als "Christen" bezeichnen, denn gerade der Glaube daran kennzeichnet diese. Es gibt allerdings noch die Variante, die Christus diese Eigenschaft erst nach der Auferstehung zuspricht.

MMarheinecke - 26. Dez, 23:20

Dass ein gläubiger Christ das anders sehen würde ...

... habe ich mir schon gedacht. Wenn ich die Texte der Evangelien einfach mal lese, käme ich niemals auf die Idee, dass Jesus sich für Gott hält (im Sinne der Trinität) oder auch nur den Sohn Gottes. Diese Wahrnehmung ist keinesweg auf meine heidnische Verstocktheit zurückzuführen:
Der Satz: "Ich bin der Sohn Gottes", ist von Jesus selbst nicht in sein Evangelium eingerückt worden und ihn ihn als einen Satz den anderen dort einstellt, fügt dem Evangelium etwas hinzu.
Adolf von Harnack
Von Harnack gilt lt. Wikipedia als der bedeutendste protestantische Theologe und Kirchenhistoriker des späten 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts. (Ja, ich weiß, nicht Deine Konfession. Aber wenn jemand die Evangelien gründlich kannte, dann er.)
Rayson (Gast) - 27. Dez, 00:45

Und Harnack ist eben keinesfalls der Weisheit letzter Schluss. Im Text selbst steht da Einiges, was man erst einmal wegräumen müsste.
MomoRules (Gast) - 27. Dez, 10:50

@Rayson:

In der Hinsicht bin ich dann aber auch Nicht-Christ - die islamische Kritik an der Gotthaftigkeit Jesu fand ich immer ganz plausibel.

Einfach nur ein Prophet, wie der Islam glaubt, war er aber auch nicht - sondern Träger, nicht reiner Verkündiger des Göttlichen - Träger allerdings in einem anderen Sinne, als dies sowieso für alle Wesen gilt.

Das glaube ich aber auch so, weil für mich die biblische Erzählung - wie Martin auch schreibt - eben kein Geschichtsbuch ist, sondern so etwas wie eine Allgorie als Pforte hin zum Göttlichen. Jesus ist der Weg und nicht der Standpunkt, sozusagen ...

@Martin:

Hast Du zufällig diese 4-teilige ARTE-Doku zur Bibel gesehen, die jetzt zu Weihnachten lief? Habe auch nur Teile gesehen, ging auch nur um's alte Testament, aber da wurde dieses wie ein Geschichtsbuch gelesen, so, als würde man den Weltenbaum suchen und die nordischen Mythen für widerlegt halten, wenn man ihn nicht findet oder das Buttern des Weltenmeeres für wissenschaftlich nicht möglich erklären ... fand ich schon gruselig, glatter Kurzschluß zwischen heterogenen Dikurstypen.

MMarheinecke - 27. Dez, 11:33

Ja, und den "positivistischen Kurzschluß" habe ich auch bemerkt.

Gruselig fand ich dann die Diskussion mit jemanden anderen, der die Sendungen auch gesehen hatte. Als ich z. B. mit dem Auszug Moses aus Ägypten ankam, wischte er das mit dem Argument vom Tisch, das sei ja (gemäß der ARTE) Sendung widerlegt; dazu, darzulegen, welche Bedeutung dieser Mythos hat, kam ich nicht. Den Eindruck, der bei ihm von der Sendung hängenblieb, kann man so zusammenfassen: Eine Cliquee jüdischer Herrscher hat sich aus politischen Gründen ein niemals existierendes Ideal-Israel zusammenphantasiert, die Bibel sei etwa so wahr, wie die Märchen der Gebrüder Grimm, und, ganz wichtig, es waren "jüdischen Archäologen", die das bei Ausgrabungen herausgefunden hätten.

Nicht, dass ich die Sendungen so verstanden hätte, aber dass so ein Eindruck bei einem intelligenten, wissbegierigen, allerdings formell "ungebildeten" Menschen entstehen konnte, gibt mir zu denken.
Rayson (Gast) - 27. Dez, 14:54

Natürlich ist die Bibel kein Geschichtsbuch. Aber auch kein Text, aus dem man sich à la carte das passende Menü zurechtsucht.
MMarheinecke - 28. Dez, 06:42

"Aber auch kein Text, aus dem man sich à la carte das passende Menü zurechtsucht." - Genau das werfe ich z. B. Schulz vor. Darin gleicht er, mit umgekehrten Vorzeichen, den "Bible-Thumpern", die für alles, was sie meinen und machen, auf den jeweils "passenden" Bibelspruch verweisen. Mythologische Texte entstanden in einer bestimmten historischen Situation und, vor allem, mit Bezug auf andere mythologische Texte.
Rayson (Gast) - 28. Dez, 13:56

Klar - die Eliminierung des Kontexts ist ein alter Trick nicht nur von "Gammeljournalisten", sondern auch von Sensationsbüchern, die vorgeben, endlich "die Wahrheit hinter XY" herausgefunden zu haben.
Sven (Gast) - 28. Dez, 15:26

Das alte Problem, wenn nicht mehr zwischen spiritueller und materieller "Wahrheit" unterschieden werden kann. Oder vielleicht anders: Wenn man vergisst, dass Wahrheit etwas relatives ist. Und sozusagen Augustinus als Dogma über alles gestülpt.
Nemesis (Gast) - 28. Dez, 20:13

Nun in dieser ARTE-Doku wird das Alte Testament eben nicht für ein Gesichtsbuch gehalten. Das tut die biblische Archäologie, gerade die Widerlegungen richten sich gegen die Annahme.
Man sollte die zwei Bücher von Israel Finkelstein lesen, es ist alles gut geschildert.
MMarheinecke - 28. Dez, 21:16

Ohne die Bücher zu kennen, hatte ich den Eindruck, dass seine Erkenntnisse im ARTE-Vierteiler auf einige handliche Thesen zurechtgestutzt wurden. Ich kann MomoRules Eindruck, dass da Kategorien durcheinandergerieten, nicht widersprechen. Dem unbefangenen Zuschauer vermittelt sich wirklich der Eindruck, weite Teile der Bibel (und zwar ausgerechnet die Thora) seien bewußt erfundene "Märchenbücher".
Die "Bibelarchäologie" (es gab da mal einen Bestseller "Und die Bibel hat doch recht") ist im Großen und Ganzen ein ziemlich schlimmes Beispiel einer Kategorieverwechselung; es gibt bei den "Bibelarchäologen" allerdings auch einen durchaus produktiven Ansatz: die Suche nach dem "historischen Kern" eines Mythos. Das klappt bei der Arthus-Sage, das klappt bei der Illias, das klappt auch bei einigen Angaben der Bibel. Auch Finkelstein hat, wenn ich es richtig verstehe, einen ähnlichen Ansatz: einfach mal nachgraben und nachsehen, ob die literarischen Angaben stimmen.

Problematisch wird es erst, wenn jemand die Funde im Sinne der (historischen) "Bestätigung" oder "Widerlegung" eines Mythos interpretiert (in ursprünglicher Wortbedeutung, den "Mythos von der Überlegenheit von Breitreifen" kann man tatsächlich widerlegen.) Beispiel: Troja gab es wirklich, den trojanischen Krieg gab es wahrscheinlich. Aber niemand käme auf die Idee, darin eine Bestätigung der in der Illias enthaltenen Göttermythen zu sehen. Viele "Bibelarchäologen" machen genau diesen Fehlschluß. Anderes Beispiel: Atlantis, so wie es Platon beschrieb (als beinahe kontinentgroße Insel im Atlantik, als hochentwickelte Zivilisation "9000 Jahre vor Solon") kann es nach den Erkenntnissen der Archäologie, der Geologie und der Althistorik nicht gegeben haben. Daraus folgt nicht, dass Platons "Kritias" als philosophische Schrift dadurch "widerlegt" würde, auch nicht die Widerlegung Atlantis' als Konzept eines (möglichen) Staatswesens (Atlantis-Utopie, der positiven Utopie des idealisierten Athens der "Vorzeit" gegenübergestellt) und noch einmal jene Versuche, "historische Kerne" (bzw. historische Vorbilder) in Platons Schilderungen zu finden. "Atlantis ist ein Mythos" besagt nicht: (Fehlschluß 1) "Atlantis ist eine freie Erfindung Platons" und selbst wenn Atlantis tatsächlich die freie Erfindung Platons wäre, wird dadurch z. B. Platons Staatsphilosophie nicht diskretiert (Fehlschluß 2).
Ich weiß nicht, ob Finkelstein einen entsprechenden Fehlschluß macht. Die ARTE-Sendung macht zumindest den ersten Fehlschluß. Und der "Spiegel" macht sogar den zweiten, indem er die Bibel generell, auch als "philosophische Schrift" und Gesetzbuch des alten Israels, diskreditiert.
MMarheinecke - 28. Dez, 21:39

Israel Finkelstein

Ich habe ein wenig nach dem Archäologen Israel Finkelstein "gegoogled", auf dessen Aussagen sowohl die ARTE-Doku wie auch der Spiegel-Text zurückgreifen.
Der Mann ist, danach zu urteilen, ein seriöser Wissenschaftler, aber er ist mit seine Schlußfolgerungen (wohlgemerkt: nicht seinen Grabungsergebnissen!) ein ausgesprochener Außenseiter.
Das heißt z. B. dass Finkelsteins Chronologie von der Mehrheit der Archäologen abgeleht wird. Was nichts über den Wahrheitsgehalt seiner Chronologie aussagt, aber es ist schon ein wenig unredlich, Finkelsteins Fundinterpretationen als "Stand der Forschung" zu präsentieren.

Nemesis (Gast) - 29. Dez, 10:17

Es ist ja auch nicht so, als wären diese Erkenntnisse schlagartig aufgetreten. Finkelstein forscht ja schon seit Jahren, was schlagartig ist, ist die Wahrnehmung. Sowas kommt doch erst jetzt ins TV. Im akademischen Olymp wird sowas ja schon seit längerem diskutiert.
Was zu Assmann, nun ich glaube sein Ansatz ist sehr viel versprechend. Er hat auch im Laufe der Jahre auch einiges revidiert, wenn er auch von der Kernthese immer noch ausgeht. Ich würde sagen, das die Darstellung im Spiegel alles herunterbricht. Ich würde in vielem seiner These sogar zustimmen, denn sein Hauptmerk gilt ja dem Monotheismus, und nich so sehr das es eine "jüdischer" ist. Wenn der Islam als erster Monotheismus aufgetreten wäre, würden wir jetzt alle diese Diskussion nicht führen und einstimmig den Artikel im Spiegel für sehr gut halten. Ich halte die "mosaische Unterscheidung" für sehr plausibel, wenn man das sehr allgemein nimmt.
MomoRules (Gast) - 29. Dez, 10:57

@Nemesis:

Die Doku hat im wesentlichen auf die politische Funktion religiöser Erzählungen abgehoben. Das kann auch historisch immer der Fall sein, daß religiöse Erzählungn eine politische Funktion haben, aber, ganz wie Sven schreibt, das sagt über die spirituelle Dimension von Erfahrung, auch historischer Erfahrung, rein gar nix aus.

Daß genau diese spirituelle Dimension mit keinem Wort Erwähnung fand (zumindest, soweit ich es verfolgt habe), das war das Problem der ganzen Doku-Reihe. Das ist so, als würde man eine Doku über James Brown machen und dessen Musik nicht erwähnen, sondern nur seine potenziellen oder tatsächlichen Knast-Aufenthalte schildern.

Nemesis (Gast) - 29. Dez, 12:14

Die spirituelle Dimension kann man in so einer Doku wohl kaum überblicken. In den Büchern wird auch das kollekive Gedächtnis (Assmann) angesprochen und thematisiert, aber für die empirische Wissenschaft Archäologie (was die Ausgrabungen betrifft) dürfte das primär nicht relevant sein. Im zweiten Schritt aber kann sowas thematisiert werden.
Wenn man bedenkt, das politische Ideologien sich mit Mythen (ganz neutral gemeint) legitimieren und das sehr großen Einfluß auf das Handeln hat, dürfte die Distanz zur spirituellen Dimension bei der Archäologie sogar sehr wünschenswert sein.
Forschung von Finkelstein richtet sich im ersten Schritt gegen eine biblische Archäologie, die ja das sehr wörtlich nimmt, was da steht. Die Ergebnisse (darüber kann man sicherlich streiten) können dann im weiteren Schritten für die Deutungen herangezogen werden. Es kann ja auch sein, das solche Ergebniss spirituelle Deutungen unplaubiel machen, sie sogar falsifizieren. Spirituelle oder religiöse Dimensionen sind nicht immung gegen solche Ergebnisse und sollten auch nicht abgeschottet werden. Auch die historisch-kritische Bibelwissenschaft hat viel von der ursprünglichen Theologie und dem Bibelverständniss demontiert. Das jetzt die Archäologie nachzieht, hat wohl erst damit zu tun, das auch die Ausgrabungstechniken besser werden. Das ist schon etwas schwieriger als Textkritik zu betreiben.
MMarheinecke - 29. Dez, 13:05

Äpfel und Birnen

Es kann ja auch sein, das solche Ergebniss spirituelle Deutungen unplaubiel machen, sie sogar falsifizieren.
Sicher. Die Eroberungszüge Josuas in Kanaan kann man ebensogut getrost als "ahistorisch" bezeichnen, wie die Vorstellung, dass das Schilfmeer sich wirklich vor Moses & Anhang geteilt hätte.
Auch Atlantis kann als "falsifiziert" gelten. Oder der Nibelungenschatz. Und Geoffrey von Monmouths "Geschichte der Könige von Britannien" kann als historische Chronik als längst widerlegt gelten. Was nichts an Monmouths zentraler Bedeutung für die abendländische Kultur ändert (Arthus-Mythos).

Als ehemaliger Grabungshelfer kann ich bestätigen, dass bei Ausgrabungen entschieden mehr Schweiß vergossen wird, als bei der Textkritik. Der apparative Aufwand ist ebenfalls sehr viel größer. Aber ich würde daraus nicht schließen, dass Textkritik einfacher ist.
MomoRules (Gast) - 29. Dez, 13:17

@Nemesis:

Wie willst Du denn spirituelle Gehalte falsifizieren?

Die sind eine andere Ebene als Tatsachenwahrheiten, und der Exodus - die Flucht vor Unterdrückern und die Suche nach dem gelobten Land - ist eben auch anders lesbar als als historische Tatsachenwahrheit. Vom goldenen Kalb mal ganz zu schweigen.

Und man kann Religion ebenso wenig über politische Funktionsbestimmungen begreifen, wie man Sex auf biologische Prozesse reduzieren kann. Weil man dann eben die Erfahrungsdimension außer acht läßt. Läßt man die spirituelle Dimension weg, dann ist das sogar im engeren Sinne falsch, und die ist auch mit Sicherheit kein Zweites, Abkünftiges. Das ist sie noch nicht mal bei den christianisierten Sklaven in Nordamerika gewesen, soweit ich informiert bin, man korrigiere mich.

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