Mittwoch, 2. März 2011

Meinungsmache funktioniert

Hunderttausende wollen sich mit dem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nicht abfinden (stern.de) - Ja, Meinungsmache funktioniert - "BILD dir deine Meinung".
Und "konservative Apo"? Liebe stern.de, das müsstet ihr eigentlich besser wissen. KTG ist ein Verräter an konservativen Werten - Ehrlichkeit, Ehre, Anstand, Bescheidenheit, Fleiß? - "Konservativ" ist bei dem nur der Schnitt des Blazers!

Albrecht Müller von den "NachDenkSeiten" hat recht: Die Mehrheit der Menschen ist der gezielten Agitation oft hilflos ausgeliefert – auch dank der Unfähigkeit der Medien, Widersprüche aufzudecken und aufzuklären. Was natürlich auch den "Stern" und "stern.de" betrifft.
Meinungsmache funktioniert; mit ausreichend finanziellen Mitteln und den richtigen Verbindungen, und dem Wissen, welchen "Knöpfe" man bei wem drücken muss, kann man sich durchaus eine eigene "Bürgerbewegung" kaufen.
Aber dazu gehören noch andere, die, die sich allzu gerne belügen lassen.
Gern belügen lassen sich Aufsteiger, die gern glauben, jede hätte die gleichen Chancen gehabt. Gern belügen lassen sich die "Konservativen" (die "Radikalen der Mitte") , die zu gern glauben, ihre Doppelmoral sei normal und akzeptabel. Gern belügen lassen sich die wirtschaftlich bedrohten Mittelschichtler, wenn ihre Angst beschwichtigt und ihr Zorn auf "die da draußen" und "die Schmarotzer da unten" umgelenkt wird. Gern belügen lassen sich die Abgehängten, Armen, Chancenlosen, weil sie die Wirklichkeit schon lange nicht mehr ertragen.

Was das für Folgen hat, hat Haekelschwein schön sarkastisch auf "Netzpolitik" kommentiert.
Wer nur Boulevardmedien konsumiert, aber kaum seriöse Zeitungen oder Bücher liest, für den ist alles unterhalb von Superstars, Sensationen und Riesenwirbeln jenseits der Wahrnehmungsschwelle, für den gibt es nur total toll oder total scheiße.
Was tun? Haekelschwein schlägt vor:
Statt Häme über die Guttenberger auszuschütten, sollten sich Bildungsbürger und etablierte Parteien überlegen, wie sie die Alltagspolitik verständlicher, aber auch mal spannender und begeisternder verkaufen könnten, damit nicht nur Buchstabenfresser sich dafür interessieren, sondern auch Menschen mit weniger Abstraktionsvermögen. Warum kann eine Regierungserklärung nicht so mitreißend sein wie eine Apple-Keynote? Man kann doch politische Themen auch mal mit Schwung und Begeisterung verkaufen. Die Boulevardmedien wiederum sollten sich fragen lassen, ob Personalisierung und ständiges emotionales Dauerfeuer der einzige Weg sein muss, die Zielgruppe anzusprechen, oder ob man nicht mal ein paar Gänge zurückschalten kann; wer ständig Überwürztes isst, verliert das Gespür für die feineren Geschmacksnuancen.
Das Dumme ist nur: die Boulevardmedien verdienen ganz gut am "überwürzen", finanziell und politisch. Und "Bild" wurde nicht von Bauarbeitern, Hausfrauen und Frührentnern, die es oft nicht besser wissen, zum "Leitmedium" gemacht, sondern von denen, die sehr wohl wissen, was von "Bild" zu halten ist.

Judith Holofernes hat recht: jeder "ironischer Bildleser", der weiß, wie dieses Blatt lügt, und es trotzdem kauft, weil es "unterhaltsam / schön gaga / popkulturell oder herrlich doof" ist - oder auch, weil die BILD einen spannenden Sportteil hat - ist einer zu viel. Auch noch bezahlen für die Lügen? Nein!

Montag, 28. Februar 2011

Der Dampfzeit/Dieselzeit-Übergang

Es ist nicht einfach, die Subgenres Steampunk und Dieselpunk zeitlich abzugrenzen. Jedenfalls dann, wenn man nicht dem einfachen Schema folgt: "Steampunk bis Weltkrieg 1, Dieselpunk ab dann bis Weltkrieg 2."

Meiner Ansicht nach wäre es ohnehin besser, die verschiedenen Subgenres retrofuturistischer Alternativweltgeschichten anhand des zugrundeliegenden Lebensgefühlt bzw. Lebensstil zu qualifizieren, als anhand der verwendeten Technik. Aber die Frage, wann das Diesel-Zeitalter begann, ist nicht leicht zu beantworten, und daher interessant.

Beim Dampfzeitalter ist der Beginn relativ klar: es begann, als die Dampfmaschine so weit entwickelt war, dass man damit mehr anfangen konnte, als nur Wasser aus Bergwerken abzupumpen. Also etwa seit 1775, als James Watts Dampfmaschine entsprechend ausgereift war.

Vielleicht stehen aber eher die Erfindungen Richard Trevithicks am Anfang des richtigen Dampfzeitalters, denn erst seine gegenüber den wattschen Kondensatormaschinen kompakteren, leichteren und effizienteren Hochdruckmaschinen machten Dampfschiffe, Dampftraktoren und nicht zuletzt Dampflokomotiven erst möglich.
Trevithick 1803

Es war dann auch der Verkehr, es waren Schiffe, Traktoren und Lokomotiven, in denen der Dieselmotor die Dampfmaschine tatsächlich verdrängte. Bei Autos und Flugzeugen dominierten von Anfang an Verbrennungsmotoren, während die stationären Dampfmaschinen ab späten 19. Jahrhundert vor allem von Elektromotoren abgelöst wurden. Bei den thermischen Kraftwerken - egal, ob Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerke - sind wird auch heute noch im Dampfzeitalter, von den eher kleinen Gasturbinen und Dieselkraftwerken abgesehen. (Es ist also völlig korrekt, ein AKW "Dampfmaschine" zu nennen.) Ein Kampagne für Strom aus regenerativen Energiequellen könnte also den Slogan: "Macht Schluss mit dem Dampfzeitalter!" benutzen.

Schon als Dr. Rudolf Diesel 1892 seinen Motor zum Patent anmeldete, plante er den Einsatz als Schiffsmotor und für Lokomotiven.
1903 wurde das erste Binnenschiff mit Dieselmotor, die russische "Vandal", ein Rohöltanker, in Dienst gestellt, mit einer Maschine von A/B Dieselmotorer Stockholm. 1910 war die italienische "Romagna" das erste seegehende Motorschiff, 1911 lief die dänische M/S "Seelandia" bei Burmester & Wain vom Stapel, das erste Hochsee-Dieselmotor-Frachtschiff.
Ziemlich schnell setzte sich der Dieselantrieb bei kleineren und mittelgroßen Schiffen durch. Schon Ende der 1930er Jahre wurden mehr Motorschiffe als Dampfschiffe gebaut, um 1950 war das Zeitalter der Kolbendamfmaschine im Schiffbau zuende.
Aber nicht das Dampfschiff als solches. Als 1897 die Dampfyacht "Turbinia" mit einen von Parsons konstruierten Maschine mühelos den schnellsten Schiffen der britischen Flotte davonfuhr, begann das Zeitalter der Turbinendampfer (und ein neuer Mythos: die Begriffe "Turbine" und "Turbo-" wurden die Synonyme für "Geschwindigkeit" und "Kraft", die sie bis heute sind). Für sehr schelle und sehr große Schiffe waren Dampfturbinen bis in die 1970er Jahre praktisch alternativlos. Erst ab dieser Zeit lösten die sparsamen Großdiesel auch in den großen Tank- und Containerschiffen wie bei den schnellen Fregatten und Zerstörern der Kriegsmarinen die Turbinen ab.

Die Diesellokomotiven kamen, anders als Diesel es sich gedacht hatte, erst ziemlich spät aufs Gleis, später als die ersten Elektrolokomotive, die bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt wurden.
Das große Problem der Diesellok: der Motor muss lastfrei gestartet werden, erst nachdem der Motor hochgelaufen ist, kann eine kraftschlüssige Verbindung zu den Antriebsrädern und zur Schiene hergestellt werden. Am einfachsten geht das mit einer Reibungskupplung, wie beim LKW (dieselmechanische Lokomotive).
Die Preussische Staatsbahn bestellte 1909 eine erste Diesel-Versuchslok bei der Schweizer Diesel-Sulzer-Klose GmbH. Nach Testfahrten zwischen Winterthur und Romanshorn kam die dieselmechanische Lokomotive 1912 nach Berlin. Obwohl die Lok immerhin 883 kW / 1200 PS entwickelte und 100 km/h schnell war, gab es so viele technische Probleme, dass der Versuchsbetrieb 1914 beendet wurden. 1912 nahm die Winterthur-Romanshors Eisenbahn in der Schweiz ihre erste dieselmechanische Lok in Dienst, sie erwies sich als kommerzieller Misserfolg.
Nur bei Kleinlokomotiven und kleinen Triebwagen (Schienenbussen) bewährte sich der dieselmechanische Antrieb.

Den Durchbruch brachte erst der schon im Schiffbau erprobte dieselelektrische Antrieb - der Dieselmotor treibt einen Generator an, der den Strom für die elektrischen Fahrmotoren erzeugt.
1917–18 baute General Electric in den USA drei experimentellle dieselelektrische Lokomotiven. 1925 baute ALCO, ebenfalls in den USA die ersten dieselelektrischen Rangierloks. 1929 setzte die Canadian National Railways als erste Eisenbahngesellschaft dieselelektrische Streckenlokomotiven ein.
1932 stellte die Deutsche Reichsbahn mit dem VT 877 den ersten dieselelektrischen Schnelltriebwagen in Dienst (genannt "Fliegender Hamburger", weil er auf der Strecke Hamburg-Berlin eingesetzt wurde). Mit 175 km/h Höchstgeschwindigkeit und 160 km/h Dienstgeschwindigkeit war er schneller als die schnellsten Dampfzüge seiner Zeit.
Ab 1939 wurden in den USA dieselelektrische Güterzuglokomotiven in großer Stückzahl gebaut (Typ FT des Herstellers EMD). Heute sind die weltweit meisten Großdieselloks dieselelektrisch.

Nachdem sich die hydraulische Kraftübertragung bei Kleinlokomotiven bewährt hatte, bauten 1935 Krauss-Maffei, MAN und Voith in Deutschland die erste dieselhydraulische Streckelokomotive, die V140.
V140 1935
Dieselhydraulische Lokomotiven haben einen etwas besseren Wirkungsgrad als dieselelektrische Lokomotiven, sind leichter und haben eine bessere Traktion beim Anfahren. Allerdings sind die hydraulischen Getriebe mechanisch anspruchsvoll und galten lange Zeit als störanfällig - außer bei deutschen und finnischen Lokomotiven.

Das "goldenen Zeitalter" der Dieselloks war eindeutig die Zeit zwischen dem Ende des 2. Weltkriegs und der ersten Ölkrise Anfang der 1970er Jahre (auf modellbahnerisch: Epoche III).
So gesehen ist die Bezeichnung "Dieselpunk" für retrofuturistische Geschichten, die an die !920er, 1930er und 1940er angelehnt sind, zumindest was Eisenbahnen und Schiffe angeht, nicht ganz zutreffend.

Samstag, 26. Februar 2011

Kreativitätskiller: Angst vor Kitsch

Es gibt viele Dinge, die die Schaffenskraft hemmen, und die Angst, etwas falsch zu machen, kann sie sogar völlig töten.

Zunächst einmal gibt es einen "Gegenspieler" der künstlerischen Kreativität - es gibt noch eine andere, und zwar Kreativität im Sinne von Problemlösungskompetenz - der "innere Kritiker". Gegenspieler, nicht etwa Feind!

Angst vor Kitsch ist nicht ganz dasselbe wie das typische Tätigkeitsfeld des inneren Kritikers, der Perfektionismus, das Streben nach hohem künstlerischen Niveau. Ein Künstler, der zu früh zufrieden ist, unterfordert sich, nur wer nie ganz zufrieden ist, kann meiner Ansicht mehr als Mittelmaß schaffen.
Ist man allerdings sehr perfektionistisch veranlagt, und stellt immer höhere Ansprüche an sich selbst, kann auch das Streben, möglichst vollkommen zu sein, die Schaffenskraft ruinieren. "Perfekt" ist eine höchst subjektive Wertung, und Perfektion, Vollendung, Vollkommenheit nicht mehr ist ein Ideal, dem man sich allenfalls annähern kann, das aber letzten Endes unerreichbar ist.

Bei der Angst davor, Kitsch zu schaffen, wirken "innere Zensor" und von außen an den Künstler herangetragenen Ansprüche zusammen.

Wie ich früher schon einmal schrieb ist "Kitsch" einer der schwammigsten Begriffe der deutschen Sprache, und der Kitschvorwurf ein geradezu klassisches Totschlagargument gegen Kunst, die man aus irgendeinem Grunde für minderwertig hält.

Ich halte es mit einer älteren Definition, und halte Kitsch für falsch:
  • falsch im Ort (etwa: Erzeugnisse der Musikindustrie werden als Volksmusik ausgegeben)
  • falsch in der Zeit (etwa: besungen wird eine heile Welt, die es nicht gibt und nie gab)
  • falsch im Material (etwa: Verwendung von Klischees statt echter Gefühle - oder wörtlich genommen: Plastik oder bemalte Pappe, die so tun, als wären sie Holz.)
Adornos Definition, der Kitsch sei etwas "dümmlich Tröstendes", beziehe ich in meinen Kitschbegriff ein, obwohl Adorno vieles als "kitschig" ablehnte, was ich niemals so nennen würde.
"Kitsch" ist für mich weitgehend gleichbedeutend mit Verlogenheit, Unaufrichtigkeit gegenüber dem Leser / Hörer / Betrachter.
Kitschig ist daher auch das Immergleiche, das Vorhersehbare, nach "Schema F"-gestrickte. Auch behagliche Langeweile ist für mich Kitsch (da kommt Adorno durch), das Streben, nur ja niemanden zu verstören, seine Quelle.

Neulich lobte ich einen Roman, der angeblich der "kitschigste Seeroman aller Zeiten" sein soll: "Seefahrt ist Not" von Gorch Fock. Abgesehen davon, dass die Auswahl an verlogenen, dümmlichen und formelhaften Seeromanen so groß ist, dass sich schwerlich einer als "der kitschigste aller Zeiten" herausstellen ließe, ist die Frage, ob "Seefahrt ist Not" wirklich besonders kitschig ist.
Ich stelle die Frage so: Was ist an diesem Roman verlogen? Aus heutiger Sicht sicherlich Gorch Focks Nationalismus. Wer heute so schreiben würde, dem würde ich ohne zu zögern vorwerfen, er wäre unaufrichtig - im besten Fall Wunschdenken, im schlechtesten Fall lügenhafte Propaganda. Ich bin mir nicht sicher, ob das schon für Gorch Fock in der Zeit galt, als er "Seefahrt ist Not" schrieb. Nicht bestreiten will ich, dass der Mann später übelste Kriegspropaganda verzapft hat - aus Überzeugung, aber dennoch verlogen. Eine Lüge, an die man selbst glaubt, ist trotzdem nicht die Wahrheit. "Seefahrt ist Not" ist hingegen in der Alltagsschilderung realistisch, die Handlung grundsätzlich glaubwürdig. Solche Leute wie Klaus Mewe gab es ja wirklich, allenfalls ist sein Charakter überzeichnet.

Aber wahrscheinlich ist der Kitschvorwurf an "Seefahrt ist Not" ein Geschmacksurteil, das mit einem moralischen Urteil gekoppelt ist, und sozusagen absolut gesetzt wird.

Weil dieses Urteil "das ist Kitsch" aber mit einer moralischen Abwertung verbunden ist, mindestens mit der, unaufrichtig zu sein, ist es auch so gefürchtet. Jedenfalls dann, wenn es von einer Autorität - egal, ob es ein angesehener Literaturkritiker, ein angesehener Schriftsteller oder auch nur ein schlichter Literaturwissenschaftler - ausgesprochen wird.

"Felix Krull" schrieb in seinem satirischen "Ratgeber" "Literatur für Hochstapler":
Wenn nach dem Freudschen Mißverständnis das Böse immer auch das Wahre ist, dann darf es eben in der Literatur nichts Gutes geben, und auch nichts Schönes. Literatur tut immer so, als müsste sie all das Schlechte für diese Welt für sich reklamieren. So darf es nie ein happy end geben. Kein stilles Glück; keine normalen Menschen, die glücklich verheiratet sind und eigentlich ganz zufrieden sind, und vielleicht sogar einen einen Beruf ausüben, der ihnen auch noch Spaß macht.
Auf die Frage, ob nicht eventuell doch die erfreuliche Nähe zu einem wirklich zauberhaften Menschen auch mal Thema eines literarischen Werkes sein könnte, antwortet er:
Nein, und nochmals nein! Allein schon die Frage verrät den literarisch minderwertigen Geschmack. So etwas ist Kitsch. Und Kitsch ist der Todfeind der Literatur. All das Elendsgetue dient ja hauptsächlich der Kitsch-Prophylaxe. Natürlich erliegt die Literatur damit einem Kitsch der Negativität, um auch einmal mit einem pathetischen Genitiv zu glänzen, aber das verraten wie keinem.
Auch wenn das bezogen auf den Kulturbetrieb als Ganzes arg übertrieben ist, ist es leichter ernst genommen zu werden, wenn man auch ein ernstes Thema wählt und es es auch ernsthaft behandelt.
Das klassische Beispiel dafür ist meiner Ansicht nach Brigitte Schwaigers Erstlingsroman "Wie kommt das Salz ins Meer?", ein Buch, das seinerzeit nicht nur glänzende Kritiken erhielt, sondern auch Bestseller war.
"Kitschig" ist der Roman meiner Ansicht nach nicht, Schwaiger war in ihrem autobiographisch geprägten Werk ehrlich und beschrieb nicht als Masche eine Welt voller Enttäuschung und Monotonie, und verstörend und insofern mutig ist der Roman auch. Trotzdem: hätte Schwaiger ihre schlechten Erfahrungen in einem ironischen, schwarzhumorigen Ton verarbeitet, was, da sie heuchlerische Moralvorstellungen und die Enge kleinbürgerlicher Lebensentwürfe bloßlegt, sogar meiner Ansicht nach passen würde, wäre das Buch wohl weitaus weniger beachtet worden.

"Krull" spricht etwas an, das er das "Freudsche Missverständnis" nennt (natürlich auch, um eine bewährte Hochstapler-Taktik zu demonstrieren: ein berühmten Name verleiht selbst banalen Erkenntnissen Beachtung). Die Wahrheit ist oft unangenehm. Der Umkehrschluss ist, dass das was unangenehm ist, wohl auch wahr sein müsse. Eine Weltsicht, die der den von Sven Scholz benannten Zynikern ähnelt, die hinter der entschiedenen Replik, die Judith Holofernes von "Wir sind Helden" auf Jung von Matts Anfrage, ob sie nicht Werbung für die BILD machen wollen, nichts als einen PR-Trick zur Selbstvermarktung vermuten können.
Wer allen "edlen Motiven" misstraut, oder jede gute Nachricht mir tiefer Skepsis aufnimmt, immunisiert sich gegen den Vorwurf, naiv zu sein. Übertragen auf die Literatur: mit viel Melancholie, Enttäuschungen, bitterbösen Abrechnungen, Misstrauen, Hass und Verbitterung lässt sich offenbar "Tiefe" und ein gewisses Niveau simulieren.

Das gilt übrigens auch für Lieder - ich denke da an Weltschmerzsimulationen der Band "Unheilig" wie "Geboren um zu leben" oder die großen Erfolge, die Xavier Naidoo mit ebenso moralinsaueren wie verquasten Texten zu melancholischen Melodien hat. Naidoo und "der Graf" haben wenig gemeinsam - außer, dass ihre Texte beim zweiten Hinhören eher banal und nicht sonderlich poetisch sind. Ich halte viele ihrer Lieder für Musterbeispiele eines "Kitsches der Negativität", der anscheinend ob seiner Negativität nicht als Kitsch wahrgenommen wird.

In einem Porträt des Galionsfigurenschnitzers Claus Hartmann im Deutschlandfunk sagte Hartmann zum Vorwurf, maritime Bildhauerei sei Kitsch:
"Wir müssen uns gegen nichts wehren. (..) ich glaube, wenn man das als Künstler anfängt, solche Dinge in seine Kreativität mit einzunehmen, dann haben wir schon verloren."
Damit hat er wahrscheinlich recht. Wer ständig Kitschprophylaxe betreibt, ist erst recht unaufrichtig, also (nach meiner Definition) kitschig. Und wer sich ständig Sorgen darüber macht, wie sein Werk bei den Mitmenschen, vor allem jenen mit Autorität, ankommt, der tötet auf die Dauer die Lust am Schaffen, am Ende die Kreativität.

Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Wofür ich niemanden außer mir selbst verantwortlich machen kann. An meinen Ängsten und Vorurteilen kann allein ich etwas ändern.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Ein "Schubladenroman", den ich nicht fertig schreiben werde

Ich schreibe - wenn auch zugegebenermaßen eher nebenbei und sporadisch - zur Zeit an zwei Romanen.

Wie es bei (Amateur-)Schriftstellern nicht unüblich ist, gibt es daneben ein paar "Schubladenromane" und eine ganze Reihe unfertiger "Schubladenromanprojekte".

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich die Romane irgendwann einmal hervorholen und überarbeiten, oder die angefangenen Projekte zu Ende schreiben werde.
Bei einem ziemlich fortgeschrittenen Projekt ist das allerdings so gut wie ausgeschlossen.

Es ist der Kriminalroman "Sonnenwende", der etwa zur Hälfte fertig ist, und von dem ich sogar die Anfangskapitel an "Testleser" gab.

Im Herbst 2009 wurde einfach während des Schreibens von den Ereignissen überrollt.

Es geht in "Sonnenwende" um einen (fast) perfekten Mord an einem Neonazi. Während einer Feier erleidet er einen Schlaganfall, an dem er wenig später stirbt. Es ist aber kein spontaner Schlaganfall, sondern ein raffinierter Giftmord - ich habe lange recherchiert, um eine Methode zu finden, mit dem sich ein Schlaganfall hervorrufen lässt, die ohne eine aufwendige biochemische Analyse nicht entdeckt werden kann. Die findet in meinem Krimi nur deshalb statt, weil ein Helfershelfer des Mörders - ebenfalls Neonazis - sich im Vollsuff verplauderte, womit ein Verdacht gegeben war.

Das Mordopfer legte ich sehr eng an den bekannten "Rechtsaußenanwalt" und Multifunktionär Jürgen Rieger an. Nun - Jürgen Rieger starb wirklich, an einem Schlaganfall, und unter Umständen, die meinem Krimi sehr ähnlich waren.
Damit war nicht nur "Rassen-Rieger", sondern auch der Plott gestorben. Wäre mein Krimi irgendwann veröffentlicht worden, hätte er unter den Verschwörungstheorien erfahrungsgemäß zugeneigten Neonazis sicherlich allerlei Spekulationen ausgelöst. Schlimmer noch ist die Möglichkeit, dass jemand die von mir erfundene Mordmethode, da sie ja beim Schlaganfall Riegers "perfekt funktioniert" hätte, wirklich ausprobieren wurde. Auch wenn ich nicht annehme, dass sie funktionieren würde - sicher bin ich mir nicht.
Am Schlimmsten wäre natürlich die Möglichkeit, dass ich mich selbst in Mordverdacht gebracht hätte. Unwahrscheinlich - aber es haben sich schon ganz andere in "Anfangsverdacht" gebracht.

Allerdings - mir gefällt "Sonnenwende" so gut, dass ich das halbfertige Manuskript in irgend einer Form "ausschlachten" werde.

Mittwoch, 23. Februar 2011

"Des Führers braune Haufen" und "Rassenquassler"

Es gibt zwei Ausdrücke, die als Kampfbegriffe für mich nahezu unentbehrlich sind, hier und anderswo: die "kackbraunen Kameraden" und die "Rassenquassler". (Wobei ich auf die kackbraunen Kameraden und die Rassenquassler selbst gern verzichten würde.)

Ich habe diese angemessen deftigen Ausdrücke nicht selbst erfunden.

Die "kackbraune Kameraden", gemeint sind Nazis und andere Faschisten, die darauf beharren, "keine Nazis" zu sein, auch wenn sich ihre Weltanschauung nur im mikroskopischen Details unterscheidet, habe ich von Burkhard Schröder.

Wobei Burks treffende Bezeichnung in einer langen Tradition steht.
Der Begriff "die Braunen" für "Nationalsozialisten" war schon vor 1933 üblich, denn mit Ausnahme der SS trugen alle Parteiorganisationen braune Uniformen. Das auch später offiziell als "Braunhemd" bezeichnete Parteihemd soll laut Wikipedia nur durch Zufall eingeführt worden sein: Der Ende 1923 nach Österreich geflohene Freikorps- und SA-Führer Gerhard Roßbach konnte einen größeren Posten brauner Hemden erwerben. Diese wären ursprünglich für die deutsche Schutztruppe in Afrika unter Lettow-Vorbeck vorgesehen gewesen. Nach seiner Rückkehr führte Roßbach diese Hemden in der SA ein. In der Tat ist das gelbliche NS-Braun eine "Wüstenfarbe", dunklem Khaki nicht unähnlich. Die "Erdfarbe" sollte in NS-Deutung ein Sinnbild der Verbundenheit mit "Scholle und Boden" sein.
Diese Farbe wurde von Nazi-Gegner schon in der 20er Jahren als "kackbraun", vielleicht in Verballhornung von "khakibraun", bezeichnet.
Arnold Rabbow stellte im "dtv-Lexikon politischer Symbole" die Frage, ob sich die NSDAP bei dieser Farbwahl unbewusst selbst charakterisierte und ob die SA sich nicht bewusst war, zu welchen Assoziationen ihr Sturmlied "Wir sind des Führers braune Haufen" herausforderte.

Die Fakalsprache, sonst deutlich unter Burks (und meinem) Humorniveau, ist für eine so widerliches Weltanschuung wie die der Nazis angemessen. Nazis kann man gar nicht drastisch und vulgär genug bezeichnen. Außerdem bildet der dreckige Ausdruck "kackbraun" einen reizvolle Kontrast zum "Reinheits-", "Sauberkeits-" und "Säuberungs-" Vokabular der Nazi-Propaganda und vermeidet zugleich die "Ungeziefer-" und "Krankheitserreger"-Metaphorik, mit der Nazis ihre Gegner und Opfer verhöhnen.

Der Begriff "Rassenquassler" stammt von meinem Freund und Lieblings-Schweinepriester Fjölnir Eibensang, der sich im Alltag gerne Duke Meyer nennen lässt. Es kommt an markanter Stelle im Lied Freundchen! vor, das Duke für die "Singvøgel" schrieb.
Ein Rassenquassler ist jemand, der rassistische Theorien und rassistische Praktiken wortreich vertritt. Nicht immer aus tiefer Überzeugung, manche Rassenquassler vertreten Rassismus so unachtsam, wie andere unachtsame Leute an den Schuhen anhaftenden Hundekot auf dem Teppich vertreten.
Ein Rassenquassler ist ein Rassist, wobei nicht alle Rassisten Rassenquassler sind - es gibt handlungsorientierte Rassisten, die wortlos andersfarbigen Menschen die Schädel einschlagen. Anderseits scheint es vielen Rassenquassler nicht klar zu sein, dass sie Rassisten sind. Ja, der Halbsatz: "Ich bin kein Rassist, aber ...." ist geradezu typisch für den gemeinen Rassenquassler.

Wenn sie von Rassen faseln, liegt dem eine rassistische Einstellung zugrunde, die sie für wahr halten und als "Wissen" auffassen und vermitteln. Rassequassler haben und verbreiten "rassistisches Wissen".

Samstag, 19. Februar 2011

Von schwarzer Pädagogik und Schwarzen Puppen

Mit leichtem Gruseln las ich von der wahnwitzigen Härte, mit der "Tigermutter" Amy Chua ihren beiden Töchter auf Erfolg hin erzog. Wie ein Elisabeth von Thadden in einem Kommentar für die "Zeit" feststellte, preist Frau Chua nicht etwa die harte "chinesische Methode" an, sondern gesteht ihr Scheitern ein (Wer hat Angst vor dieser Frau?).
Ein - mögliches - Motiv Frau Chuas und ein - sehr wahrscheinlicher - Grund für das rege öffentliche Interesse an der "Mutter des Erfolgs" sind Abstiegsängste.
Die Eltern in der "Mittelschicht" sind zutiefst verunsichert angesichts einer demografisch und ökonomisch ungewissen Zukunft, wobei diese nachvollziehbaren Ängsten vor allem in Deutschland auch noch von Politik und Medien kräftig geschürt werden. Sie fürchten, dass sie den Abstieg der Kinder aus der eigenen Schicht nicht verhindern können. In dieser Situation finden Patentrezepte offene Ohren.
Besonders gut kommen Patentrezepte an, wenn sie auch von der "Elite" praktiziert werden, oder zumindest der Eindruck besteht, dass die "Erfolgsmenschen" ihre Kinder so erziehen würden. Von Thaden drückt das so aus: "Erfolgreiche Familien mit Bildung (und Ego-Macke) bringen mit etwas Glück erfolgreiche Kinder mit Bildung (und Ego-Macke) hervor."
Bernhard Bueb, der Ex-Leiter des Elite-Internats Salem, hätte mit seinem "Lob der Disziplin" sicher nicht so viel Beifall gefunden, wenn er nicht Ex-Leiter eines Elite-Internats wäre. Wäre Amy Chua nicht gerade Professorin an der Elite-Universität Yale, wäre ihr Buch höchstwahrscheinlich kein Bestseller.
Zum Erfolg des Patentrezeptes "Weg mit der Kuschelpädagogik!" gehört auch, dass die viel geschmähte "Kuschelpädagogik" relativ neuen Datums ist, während jahrhundertelang in Europa mit Härte und Strenge, bis hin zur berüchtigten "schwarzen Pädagogik", erzogen wurden. Strenge Erziehung hat damit den Bonus des Vertrauten, Traditionellen, Bewährten.

Ich las also mit leichtem Gruseln von den Methoden Frau Chuas und dachte bei mir, dass ich das Glück gehabt hätte, keine so ehrgeizige Mutter gehabt zu haben. Bis da eine irritierende Erinnerung aus meiner Kindheit aufstieg, nicht gefragt, nicht gewollt, nicht einfach verdrängbar. Ich las, dass Frau Chua, wenn es mit dem Klavierspielen nicht klappte, damit drohte, sämtliche Stofftiere ihrer Tochter zu verbrennen.
Ich war etwa fünf oder sechs Jahre alt, meine Mutter hatte beide Arme voller Plüschtiere - meine Plüschtiere - und warf sie vor meinen Augen in den Müllschlucker.
Ich habe mich vergewissert, dass die Erinnerung "echt" ist, diese kleine Episode ist also wirklich passiert.
Meine Mutter war keine ehrgeizige "Tigermutter", und es ist nicht einmal sicher, dass die rüde Entsorgung meines "Plüschtierzoos" (bis auf meine beiden Teddys) als Strafe gedacht war. Ich halte es für möglich, dass der eigentliche Grund der war, dass sie sich über die "ollen Staubfänger" ärgerte.
Kein Zweifel besteht für mich, dass meine Mutter - aus Unsicherheit und weil sie nicht besser wusste - auf "schwarze" Erziehungsmethoden zurückgriff Tradierte schwarze (und braune) Pädagogik. Eine "Familientradition" - meine Mutter wurde mit brutalen Methoden, buchstäblich mit dem Lederriemen, erzogen oder besser, zugerichtet - die sogar gute Absichten zunichte machte - meine Mutter wollte ja ihre Kinder ganz anders erziehen, als sie erzogen wurde.
Obwohl meine Mutter nicht übertrieben ehrgeizig war, wurde sie, das ist mir heute klar, von starken sozialen Abstiegsängsten getrieben. Ich möchte nicht näher auf die Natur dieser Ängste eingehen, sie waren allerdings berechtigt.

Nicht zu den damals weggeworfenen Spielsachen gehörte eine Puppe, die allerdings wohl später bei einer einer passenden Gelegenheit "verschwand". Ich nannte diese Puppe, die ein kleines Mädchen mit dunkelbrauner Haut darstellte, einfach "Negerpüppi". Eine sehr ähnliche Puppe, oder eine modernisierte Ausgabe meiner Puppe, wird auch heute noch angeboten, unter dem Namen "Toxi".

Szenenwechsel
Zur Erinnerung an den Tod des Sängers, Schauspielers und Entertainers Peter Alexander postete Karan auf facebook das Lied "Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere" aus dem gleichnamige Film von 1952:

Die kleine dunkelhäutige Sängerin an Peter Alexanders Seite ist Marie Nejar (Künstlername: Leila Negra). Damals war sie übrigens schon 22, was man kaum glauben kann.
Diese damals junge Frau interessierte mich. Ich fand einen Artikel auf taz-online aus dem Jahr 2007, der einen kleinen Einblick in eine schier unglaubliche Lebensgeschichte gibt. Wilde Marie.
Zu dem, aus heutiger Sicht, übel rassistischen Lied "Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist" heißt es da:
Ob ihr der Text nicht heute etwas seltsam vorkomme, frage ich. "Damals hatte das seinen Sinn. Wenn ich damit aufgetreten bin, kamen anschließend die Mütter, die die sogenannten Besatzungskinder hatten. Denen habe ich aus der Seele gesprochen." In den Fünfzigerjahren hatten manche deutsche Frauen Kinder von schwarzen Besatzern. Das Unglück dieser Zeit wurde dann noch drastischer, wenn die tot geglaubten Männer plötzlich wieder vor der Tür standen. Ihr Lied war eine Art Integrationshilfe, findet sie.
Ein andere Zeit. Leider scheinen sich bestimmte Dinge gar nicht oder zu langsam zu ändern, denn:
Aus Marie Nejars Sicht hat sich die Situation heute nicht wesentlich verändert. Sie höre immer wieder, dass Ausländer und Schwarze den Deutschen die Arbeit wegnehmen würden.
Marie Nejar sang auch den Titelsong eines Films, von dem ich bis dahin nichts wusste: Toxi. Ein - wie das "Negerleinlied" - sicherlich gut gemeinter, vielleicht für die damalige Zeit wichtiger, aber aus heutiger Sicht indiskutabler Film.
Der Filmhistoriker Tobias Nagl schreibt in seinem Aufsatz: Fantasien in Schwarzweiß – Schwarze Deutsche, deutsches Kino
Nach Ende des nationalsozialistischen "Rassenstaats" verschwand der offensive Rassismus des "Dritten Reichs" von den Leinwänden, nicht jedoch die Vorstellung, Deutschland sei eine "weiße" Nation. Deutlich wurde dies in der öffentlichen Debatte um die so genannten "Besatzungskinder" afro-amerikanischer Väter und weißer Mütter. Mit "Toxi" entstand 1952 zur Einschulung dieser Generation afro-deutscher Kinder ein Film, der vordergründig um "Verständnis" warb. Indem er aber die Existenz Schwarzer Deutscher ausschließlich als sozialpädagogisches "Problem" begriff, die NS-Vergangenheit verdrängte und die Mütter pathologisierte, reproduzierte er homogenierende Vorstellungen des "Weiß-Seins".
Die noch heute vorherrschende Vorstellung, nach der echte Deutsche "natürlich" "weiß" sind und Schwarze "natürlich" als "Ausländer" / "Fremde" gesehen werden.

Dass "Toxi" tatsächlich gut, sprich antirassistisch, gemeint war, geht aus einem "Spiegel"-Artikel aus dem Jahr 1952 über die Dreharbeiten und den Regisseur Robert A. Stemmle hervor: Die Leute rühren.
Wahrscheinlich war der Film damals sehr erfolgreich, anders kann ich mir den Namen "Toxi" für eine Schwarze Puppe nicht erklären.

Womit ich wieder bei mir wäre. Ich hatte zu meinem Artikel Alltagsrassismus und die Wichtigkeit des "N-Wortes" eine wichtige und für mich äußerst peinliche Diskussion, in der mich eine gute Freundin auf meinen eigenen Rassismus aufmerksam machte. Darin machte ich, übrigens unbedacht und von meiner Gefühlen überwältigt, eine verräterische Bemerkung:
Mir fällt leider nur eine Methode ein, das anerzogene "es ist OK"-Gefühl zu vermeiden: Ein starkes negatives Gefühl. Nun bin ich aber, wie die meisten Menschen, bequem. Es streng an, mir jedes Mal, wenn ich "Neger" sage oder auch nur denke, mich selbst als sklavenhalterischen, menschenverachtenden Rassisten zu visualisieren.
Sie zeigt, dass ich das Schema der autoritären "Dressurerziehung", so sehr ich mich gegen "Schwarze Pädagogik" einsetze, so verinnerlicht habe, dass mir, wenn es um mich selbst geht. keine Alternativen zur "Abschreckungspädagogik" einfallen.

Dienstag, 15. Februar 2011

Gorch Fock - ein halbvergessener Schriftsteller

In den letzten Wochen ist das Segelschulschiff der deutschen Marine, die Bark "Gorch Fock", ins Gerede gekommen. Darüber will ich nichts schreiben, denn ich hätte nichts dazu zu sagen, was andere nicht schon besser gesagt hätten. Zum oft angezweifelten Sinn der seemännischen Ausbildung auf Segelschiffen: die halte ich für sinnvoll, ich halte sie sogar für angehende Handelsschiffsoffiziere für sinnvoll, während ich am Sinn der deutschen Marine durchaus meine Zweifel habe.

Wahrscheinlich wäre der Namenspatron der Bark, dessen Bild immerhin gut 30 Jahre lang den 10 DM-Schein verzierte, ohne dieses berühmte Schiff heute ein weiterer vergessener Dichter.
Johann Wilhelm Kinau, wie Gorch Fock mit mit bürgerlichem Namen hieß, wird heute nur noch wenig gelesen. Was meiner Ansicht nach nichts über die literarischen Qualitäten seines quantitativ eher schmalen Werkes sagt.

Geboren wurde Johann Kinau am 22. August 1880 im zur Hamburg gehörenden Teil der ElbInsel Finkenwerder, damals Finkenwärder geschrieben. Sein Vater Heinrich war Seefischer. Johann fuhr mit 14 Jahren mit, war dabei ständig seekrank und erschien seinem Vater für zu schwach für die harte Arbeit an Bord. Auch eine Lehre als Krämer, wie die Einzelhändler damals genannt wurden, musste er abbrechen. Er wurde er Buchhalter und nebenbei Schriftsteller. Immerhin arbeitete er ab 1906 bei der größten deutschen Reederei, der Hamburg-Amerika-Linie.

Bekannt, zumindest in Norddeutschland, wurde er mit seinen plattdeutschen Gedichten und Liedertexten. Er versuchte, zusammen mit seinem Freund Richard Ohnsorg, dem Gründer des gleichnamigen Theaters, die plattdeutsche Sprache wenigsten in Hamburg und umto "salonfähig" und literaturfähig zu machen. Wirklich gelungen ist ihnen das nicht. "Erneuerer der niederdeutschen Literatur", wie ihn sein Bruder Rudolf Kinau, ebenfalls ein bekannter plattdeutscher Schriftsteller, nannte, war er nicht und konnte er gar nicht sein. Dazu war sein Werk zu schmal vom Umfang und zu eng vom Genre.

Es sind die dichterischen Qualitäten, Focks Umgang mit der Sprache und sein Talent, Stimmungen zu transportieren, die sein bekanntestes Werk, Seefahrt ist Not!, ein Roman mit hochdeutschem Text und plattdeutschen Dialogen, noch heute lesenswert machen. Es schildert das harte und gefährliche Leben der Finkenwerder Hochseefischer zugleich realistisch und romantisch, und unübersehbar heroisierend: Klaus Mewe, der junge Fischer, gerät zum "späten Wikinger".
Ich gebe zu: ich mag so was. Abenteuerbücher - und "Seefahrt ist not!" ist eines - leben von solchen kernigen Charakteren, von zupackenden Optimisten. Man mag es absurd finden, für sinnlosen Heroismus halten, wenn Klaus, dessen Vater von einer Fahrt nicht mehr zurückgekommen war, so besessen von der See ist, dass er immer wieder hinaus muss, bis er selbst in der Nordsee untergeht. Es ist klar, dass Klaus Mewe, genannt "Klaus Störtebeker", das Leben in vollen Zügen genießt und trotzdem (oder gerade deshalb?) immer wieder sein Leben riskiert.
Kinau war ein großer, aber kein ganz großer Abenteuerschriftsteller. Jack London und Herman Melville, die amerikanischen Meister des Seeromans, kannten auch traumatisierte oder an sich selbst zweifelnden Helden, deren Heldentum auch gerade im Sieg gegen sich selbst liegt. Kinau ist längst nicht so tief. Aber sein Klaus Mewes ist auch kein papierener Strahlemann, wie die Helden Karl Mays.
Leider finden sich auch antibritische und nationalistische Töne in diesem Buch: Kinau war auch in dieser Hinsicht ein Kind seiner Zeit: Damals, 1912, entsprachen seine vaterländischen Untertöne dem Zeitgeist einer Zeit der maritimen Aufrüstung und des Hurra-Patriotismus.
Die Hamburger Schulbehörde verteilte 5000 Exemplare an die männlichen Schüler der Hansestadt. Wäre er kein patriotischer Heimatschriftsteller gewesen, wäre das trotz der literarischen Qualitäten Focks wohl nicht geschehen.
Finkenwerder-69
Gedenkstein für Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau) in seinem Heimatort Finkenwerder. Foto: MartinM - CC-Lizenz by-nc-sa)

Kinau gehört zu den vielen, zu vielen, Künstlern, die im 1. Weltkrieg buchstäblich ihrer patriotischen Begeisterung zum Opfer fielen und viel zu jung starben. Als der Krieg 1914 ausbrach, meldete er sich freiwillig - er war immerhin 34, nur bedingt tauglich und Familienvater, er hätte nicht müssen. Für die Marine galt er als nicht tauglich, er kam zum Heer, wurde in Serbien und in Verdun eingesetzt, machte sogar Karriere: 1916 wurde er Offiziersanwärter. Im März 1916 erfüllte sich für den Mann, den die Sehnsucht nach der See nie losgelassen hatte, seinen Traum: Er wurde zur Marine versetzt, wurde Matrose auf dem Kleinen Kreuzer S.M.S. "Wiesbaden". Wenige Monate später, am 31. Mai 1916, wird die "Wiesbaden" in der Seeschlacht am Skagerrak schon zu Beginn der Schlacht durch einen Volltreffer in den Maschinenraum manövrierunfähig geschossen und sank nach einem Torpedotreffer ins Heck. Johann Kinau ertrank, seine Leiche wurde in Schweden angetrieben. In den Taschen seiner Uniform fand sich seine Kladde mit den Aufzeichnungen, die er bis zum letzten Tag führte. Er wurde zusammen mit anderen deutschen und britischen Opfern der Seeschlacht auf dem Ehrenfriedhof für Marinesoldaten am Südhang des Jorefjords bestattet, auf der Insel Steensholm, wo seine Leiche antrieb, gibt es einen Gedenkstein mit seinem Namen.

Mit dem "Heldentod" des patriotischen Dichters setzte die Glorifizierung "Gorch Focks" ein. Sein Werk und auch sein ziemlich kurzes, unheroisches Leben wurde von Nationalisten glorifiziert, so sehr, dass das literarische Werk fast völlig gegen den künstlichen nationalen Glorienschein verblasste. Kinau war Nationalist, seine "plattdeutschen Kriegsgedichte" von 1915 sprechen eine deutliche Sprache, aber zum "völkischen Dichter" wurde er erst posthum hochgejubelt.
Daher überrascht es wenig, dass die Reichsmarine 1933 ihr neu erbautes Segelschulschiff "Gorch Fock" nannte. (Die erste Gorch Fock liegt heute als Museumsschiff im Stadthafen von Stralsund.)
Die Nationalsozialisten vereinnahmten den Schriftsteller dann komplett. Es war nicht sehr schwer, Gorch Fock in die Naziideologie einzupassen, man musste nur Suchen und das eine oder andere weglassen. Es gibt eine einzige judenfeindliche Passage in seinen 20 erhaltenen Tagebüchern, aber in der Gorch-Fock-Darstellung der Nazizeit nahm sie einen prominenten Platz ein. Bei der propagandistischen Instrumentalisierung sollen Kinaus Brüder keine ruhmreiche Rolle gespielt haben.

Gorch Focks "Seefahrt ist Not!" bleibt auch nach dem Ende der Nazizeit zumindest in der Bundesrepublik Deutschland "Volksbuch" und Schullektüre. Die Namenswahl für die zweite Gorch Fock 1958 war - im Gegensatz zum Schiff selbst - nicht umstritten.
Das änderte sich erst Mitte der 1960er Jahre. 1965 erschien in der "Frankfurter Rundschau" ein Beitrag von Egbert Hoehl, der eine längst fällige Debatte über die fatale erzieherisch Wirkung von "Blut und Boden"-Literatur in westdeutschen Schulen anstieß. Hoehl meinte damit nicht die Blut-und-Boden-Literatur, kurz BluBo, der Nazizeit, sondern benutzte diesen Begriff als Polemik gegen Autoren mit nationalistischer Tendenz, wie Gorch Fock, Hermann Löns, Walter Flex und Heinrich Lersch.
Tatsächlich wurden Kinaus Werke aus den Lehrplänen getilgt. Was ich - obwohl ich einige Werke Kinaus und Löns schätze - für eine richtige Entscheidung halte. Ein Bruch mit völkischen Traditionen war überfällig, und er war in der Praxis wohl nur dadurch zu erreichen, in dem diese Texte aus dem Unterricht verschwanden.
(Hermann Löns-Gedichte habe ich trotzdem noch in den 1970er Jahren in der Schule gelernt - ob sie noch im offiziellen Lehrbuch standen, weiß ich nicht, dass unsere Lehrerin einen völkisch-nationalistischen "heimlichen Lehrplan" hatte, glaube ich nicht. Sie fand die Gedichte wohl einfach schön.)

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