Samstag, 26. Februar 2011

Kreativitätskiller: Angst vor Kitsch

Es gibt viele Dinge, die die Schaffenskraft hemmen, und die Angst, etwas falsch zu machen, kann sie sogar völlig töten.

Zunächst einmal gibt es einen "Gegenspieler" der künstlerischen Kreativität - es gibt noch eine andere, und zwar Kreativität im Sinne von Problemlösungskompetenz - der "innere Kritiker". Gegenspieler, nicht etwa Feind!

Angst vor Kitsch ist nicht ganz dasselbe wie das typische Tätigkeitsfeld des inneren Kritikers, der Perfektionismus, das Streben nach hohem künstlerischen Niveau. Ein Künstler, der zu früh zufrieden ist, unterfordert sich, nur wer nie ganz zufrieden ist, kann meiner Ansicht mehr als Mittelmaß schaffen.
Ist man allerdings sehr perfektionistisch veranlagt, und stellt immer höhere Ansprüche an sich selbst, kann auch das Streben, möglichst vollkommen zu sein, die Schaffenskraft ruinieren. "Perfekt" ist eine höchst subjektive Wertung, und Perfektion, Vollendung, Vollkommenheit nicht mehr ist ein Ideal, dem man sich allenfalls annähern kann, das aber letzten Endes unerreichbar ist.

Bei der Angst davor, Kitsch zu schaffen, wirken "innere Zensor" und von außen an den Künstler herangetragenen Ansprüche zusammen.

Wie ich früher schon einmal schrieb ist "Kitsch" einer der schwammigsten Begriffe der deutschen Sprache, und der Kitschvorwurf ein geradezu klassisches Totschlagargument gegen Kunst, die man aus irgendeinem Grunde für minderwertig hält.

Ich halte es mit einer älteren Definition, und halte Kitsch für falsch:
  • falsch im Ort (etwa: Erzeugnisse der Musikindustrie werden als Volksmusik ausgegeben)
  • falsch in der Zeit (etwa: besungen wird eine heile Welt, die es nicht gibt und nie gab)
  • falsch im Material (etwa: Verwendung von Klischees statt echter Gefühle - oder wörtlich genommen: Plastik oder bemalte Pappe, die so tun, als wären sie Holz.)
Adornos Definition, der Kitsch sei etwas "dümmlich Tröstendes", beziehe ich in meinen Kitschbegriff ein, obwohl Adorno vieles als "kitschig" ablehnte, was ich niemals so nennen würde.
"Kitsch" ist für mich weitgehend gleichbedeutend mit Verlogenheit, Unaufrichtigkeit gegenüber dem Leser / Hörer / Betrachter.
Kitschig ist daher auch das Immergleiche, das Vorhersehbare, nach "Schema F"-gestrickte. Auch behagliche Langeweile ist für mich Kitsch (da kommt Adorno durch), das Streben, nur ja niemanden zu verstören, seine Quelle.

Neulich lobte ich einen Roman, der angeblich der "kitschigste Seeroman aller Zeiten" sein soll: "Seefahrt ist Not" von Gorch Fock. Abgesehen davon, dass die Auswahl an verlogenen, dümmlichen und formelhaften Seeromanen so groß ist, dass sich schwerlich einer als "der kitschigste aller Zeiten" herausstellen ließe, ist die Frage, ob "Seefahrt ist Not" wirklich besonders kitschig ist.
Ich stelle die Frage so: Was ist an diesem Roman verlogen? Aus heutiger Sicht sicherlich Gorch Focks Nationalismus. Wer heute so schreiben würde, dem würde ich ohne zu zögern vorwerfen, er wäre unaufrichtig - im besten Fall Wunschdenken, im schlechtesten Fall lügenhafte Propaganda. Ich bin mir nicht sicher, ob das schon für Gorch Fock in der Zeit galt, als er "Seefahrt ist Not" schrieb. Nicht bestreiten will ich, dass der Mann später übelste Kriegspropaganda verzapft hat - aus Überzeugung, aber dennoch verlogen. Eine Lüge, an die man selbst glaubt, ist trotzdem nicht die Wahrheit. "Seefahrt ist Not" ist hingegen in der Alltagsschilderung realistisch, die Handlung grundsätzlich glaubwürdig. Solche Leute wie Klaus Mewe gab es ja wirklich, allenfalls ist sein Charakter überzeichnet.

Aber wahrscheinlich ist der Kitschvorwurf an "Seefahrt ist Not" ein Geschmacksurteil, das mit einem moralischen Urteil gekoppelt ist, und sozusagen absolut gesetzt wird.

Weil dieses Urteil "das ist Kitsch" aber mit einer moralischen Abwertung verbunden ist, mindestens mit der, unaufrichtig zu sein, ist es auch so gefürchtet. Jedenfalls dann, wenn es von einer Autorität - egal, ob es ein angesehener Literaturkritiker, ein angesehener Schriftsteller oder auch nur ein schlichter Literaturwissenschaftler - ausgesprochen wird.

"Felix Krull" schrieb in seinem satirischen "Ratgeber" "Literatur für Hochstapler":
Wenn nach dem Freudschen Mißverständnis das Böse immer auch das Wahre ist, dann darf es eben in der Literatur nichts Gutes geben, und auch nichts Schönes. Literatur tut immer so, als müsste sie all das Schlechte für diese Welt für sich reklamieren. So darf es nie ein happy end geben. Kein stilles Glück; keine normalen Menschen, die glücklich verheiratet sind und eigentlich ganz zufrieden sind, und vielleicht sogar einen einen Beruf ausüben, der ihnen auch noch Spaß macht.
Auf die Frage, ob nicht eventuell doch die erfreuliche Nähe zu einem wirklich zauberhaften Menschen auch mal Thema eines literarischen Werkes sein könnte, antwortet er:
Nein, und nochmals nein! Allein schon die Frage verrät den literarisch minderwertigen Geschmack. So etwas ist Kitsch. Und Kitsch ist der Todfeind der Literatur. All das Elendsgetue dient ja hauptsächlich der Kitsch-Prophylaxe. Natürlich erliegt die Literatur damit einem Kitsch der Negativität, um auch einmal mit einem pathetischen Genitiv zu glänzen, aber das verraten wie keinem.
Auch wenn das bezogen auf den Kulturbetrieb als Ganzes arg übertrieben ist, ist es leichter ernst genommen zu werden, wenn man auch ein ernstes Thema wählt und es es auch ernsthaft behandelt.
Das klassische Beispiel dafür ist meiner Ansicht nach Brigitte Schwaigers Erstlingsroman "Wie kommt das Salz ins Meer?", ein Buch, das seinerzeit nicht nur glänzende Kritiken erhielt, sondern auch Bestseller war.
"Kitschig" ist der Roman meiner Ansicht nach nicht, Schwaiger war in ihrem autobiographisch geprägten Werk ehrlich und beschrieb nicht als Masche eine Welt voller Enttäuschung und Monotonie, und verstörend und insofern mutig ist der Roman auch. Trotzdem: hätte Schwaiger ihre schlechten Erfahrungen in einem ironischen, schwarzhumorigen Ton verarbeitet, was, da sie heuchlerische Moralvorstellungen und die Enge kleinbürgerlicher Lebensentwürfe bloßlegt, sogar meiner Ansicht nach passen würde, wäre das Buch wohl weitaus weniger beachtet worden.

"Krull" spricht etwas an, das er das "Freudsche Missverständnis" nennt (natürlich auch, um eine bewährte Hochstapler-Taktik zu demonstrieren: ein berühmten Name verleiht selbst banalen Erkenntnissen Beachtung). Die Wahrheit ist oft unangenehm. Der Umkehrschluss ist, dass das was unangenehm ist, wohl auch wahr sein müsse. Eine Weltsicht, die der den von Sven Scholz benannten Zynikern ähnelt, die hinter der entschiedenen Replik, die Judith Holofernes von "Wir sind Helden" auf Jung von Matts Anfrage, ob sie nicht Werbung für die BILD machen wollen, nichts als einen PR-Trick zur Selbstvermarktung vermuten können.
Wer allen "edlen Motiven" misstraut, oder jede gute Nachricht mir tiefer Skepsis aufnimmt, immunisiert sich gegen den Vorwurf, naiv zu sein. Übertragen auf die Literatur: mit viel Melancholie, Enttäuschungen, bitterbösen Abrechnungen, Misstrauen, Hass und Verbitterung lässt sich offenbar "Tiefe" und ein gewisses Niveau simulieren.

Das gilt übrigens auch für Lieder - ich denke da an Weltschmerzsimulationen der Band "Unheilig" wie "Geboren um zu leben" oder die großen Erfolge, die Xavier Naidoo mit ebenso moralinsaueren wie verquasten Texten zu melancholischen Melodien hat. Naidoo und "der Graf" haben wenig gemeinsam - außer, dass ihre Texte beim zweiten Hinhören eher banal und nicht sonderlich poetisch sind. Ich halte viele ihrer Lieder für Musterbeispiele eines "Kitsches der Negativität", der anscheinend ob seiner Negativität nicht als Kitsch wahrgenommen wird.

In einem Porträt des Galionsfigurenschnitzers Claus Hartmann im Deutschlandfunk sagte Hartmann zum Vorwurf, maritime Bildhauerei sei Kitsch:
"Wir müssen uns gegen nichts wehren. (..) ich glaube, wenn man das als Künstler anfängt, solche Dinge in seine Kreativität mit einzunehmen, dann haben wir schon verloren."
Damit hat er wahrscheinlich recht. Wer ständig Kitschprophylaxe betreibt, ist erst recht unaufrichtig, also (nach meiner Definition) kitschig. Und wer sich ständig Sorgen darüber macht, wie sein Werk bei den Mitmenschen, vor allem jenen mit Autorität, ankommt, der tötet auf die Dauer die Lust am Schaffen, am Ende die Kreativität.

Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Wofür ich niemanden außer mir selbst verantwortlich machen kann. An meinen Ängsten und Vorurteilen kann allein ich etwas ändern.

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