Kulturelles

Mittwoch, 7. Juni 2006

Gestern starb Billy Preston

Ein wahrhaft legendärer Sänger, Songwriter und Keyboarder. Trotzdem werden einige jetzt fragen:
"Billy wer?"
, aber ich gehe jede Wette ein, dass Ihr schon mal Preston am Piano gehört habt.
süddeutsche: Der fünfte Beatle ist tot
laut.de: Der gestern verstorbene Billy Preston war informelles Mitglied der Beatles UND der Rolling Stones.

Mittwoch, 24. Mai 2006

Robert Allen Zimmerman wird 65

besser bekannt ist er selbstverständlich unter seinem Künstlernamen Bob Dylan. In gewisser Hinsicht ist er der genaue Gegenpol zur kürzlich 60 gewordenen Cher - jedenfalls was das pressevermittelte Image angeht: Währen sie - wahrscheinlich zu Unrecht - auf die Pop-Plastikpuppe reduziert wurde, ist Dylan ein bisweilen mythisch überhöhter Musiker - was seiner komplizierten und keinesweg von Schattenseiten und Abgründen freien Persönlichkeit auch nicht gerecht wird. Schon in der 1960er Jahren wurde er zum "Sprachrohr einer Generation" hochstilliert, das er nie war und selbst nie sein wollte. Vollig realistisch schätzt er seinen relativ geringen Einfluß ein: Wer gerne seine Songs hören würde, würde sowieso seine Ansichten teilen.
Ich finde Wörter wie »Ikone« oder »Legende« sind nur andere Ausdrücke für Typen von vorgestern, von denen heute keiner mehr wirklich etwas wissen will.
Interview in DER SPIEGEL 42/1997

1997 wurde er offiziell für den Literatur-Nobelpreis nominiert - angesichts der Qualität seiner Dichtung zurecht.

Samstag, 20. Mai 2006

Stromlinie

Heute (20.Mai 2006) wird Cherilyn LaPiere Sarkisaian Bono Allman, besser bekannt als Cher, 60 Jahre alt. Oder, wie nicht nur Klatschkolumnisten kalauern, werden Teile von ihr 60. Cher, die Zeitlose. Was nicht ganz gerecht ist, auch wenn sie selbstironisch einräumt, "the poster girl of plastic surgery" zu sein. Die meisten der vielen haarsträubenden Schönheitsoperationen, die man ihr nachsagt, fanden nicht im OP, sondern in den Redaktionsräumen der Boulevardpresse statt. Urban Legends Reference Page: Claim: Cher had her lowest pair of ribs surgically removed to achieve an ultra-small waist.
Status: False.
Cher attempted to combat the story with common sense: "If that [rumor] were true," she said, "how could I do those health club commercials, in which I wear next to nothing? I'd be scarred all over. And could I wear the kind of clothes I do if I'd had all those many operations? Wouldn't there be visible scars everywhere?
Tatsächlich dürfte es zahlreiche Prominente geben, die ebenso so oft oder noch öfter unter dem Messer des Schönheitschirurgen lagen als Cher, ohne deshalb Daueropfer der Lästerkolumnisten zu werden. Selbst wenn die Ergebnisse unübersehbar und nicht immer gelungen sind: Awful Plastic Surgery.
Was den Klatsch antreibt, ist offensichtlich: Chers - jedenfalls für amerikanische Verhältnisse - extrem "gewagte" Kostüme. Agressive Erotik ruft immer zwiespältige Reaktionen, bis hin zur Doppelmoral, hervor: Gut für die Verkaufzahlen, schlecht für "Image".
Weil aber diese agressive Erotik, unter Showbiz-Bedingungen, nur mit einen attraktiven Aussehen funktioniert, und das knallharte körperliche Trainung, dem sich die Sängerin und Schauspielerin seit jeher unterwirft, auch keine ewige Jugend garantiert, war der Gang zum Schönheitschirurgen eine offensichtliche Option. Jedenfalls in einer vom "Jugendwahn" geprägten Umwelt.

Es fällt aber, wenn man sich alte und neue Fotos aus ihrer 40 jährigen Karriere ansieht (z. B. hier) noch etwa auf: die Tochter eines Armeniers und einer Cheerokee wirkte am Anfang ihrer Karriere erheblich "nichtweißer" als später.
Nicht zufällig fiel ihrer ersten Schönheits-Op ihre markante Nase zum Opfer.
In den 70er Jahren, als sie sich noch rebellisch-hippiemäßig gab, thematisierte sie sogar ihre Abkunft. "Half Breed" aus dem Jahr 1973 ist ein eindrucksvolles Dokument jener Zeit, mit einem Text, der deutlichst auf ihre Herkunft anspielt:
My father married a pure Cherokee
My mother's people were ashamed of me
The indians said I was white by law
The White Man always called me "Indian Squaw"
cher - "half breed"
Der Titel war sehr erfolgreich, es gab sogar ein deutschsprachiges Cover, "Halbblut" von Joy Fleming.
(Nebenbei: als ich neulich "Half Breed" auf einem Oldie-Sender hörte, war ich überrascht, welch gute und interessante Musik "Plastik-Cher" mal gemacht hatte.)

Mit den Image-Wechsel von "rebellisch" zu "glamourös" änderte sich das das Schönheitsideal, dem sie nacheiferte, ins Barbiepuppenhafte, Stromlinienförmige.

Um einen etwas gewagten Bogen zum Thema Multikulti und PC zu schlagen: In den 70er spielte Cher, ob beabsichtig oder nicht, die Rolle einer "kulturellen Bereicherung" in Sinne der (damals noch nicht so genannte) Multikulturalität. Oder die der Exotin, die sich zu ihrer Exotik bekannte. "Politisch korrekt" waren die für Pop-Songs relativ kritischen Texte ohnedies. Etwas gefällige Empörung, die niemandem weh tut. Jedenfalls so lange, bis sich Ende der 70er Frauenrechtsgruppen wegen ihres (angeblichen) "Sex Sklaven"-Image einen Sturm der Empörung entfesselten - der bezeichnenderweise gerade von keineswegs feministische gesonnenen "Moralaposteln" unterstützt wurde.

Die Exoten-Rebellen-Nummer hatte sich als Sackgasse entpuppt. Kommerzieller Dauererfolg ist mit Außenseiter-Image wohl nicht zu machen. Also paßte sie sich an. Auch dem gängigen Schönheitsideal. Auch mittels Chirurgie.

Sie ist kein Einzelfall. Das spektakulärste und tragischte Beispiel im Show-Biz dürfte Michael Jackson sein, der versuchte, immer gefällig "hübscher" und immer "weißer" zu werden.

Nachtrag: Ich habe mich mal aus Neugier - und um mich abzulenken - auf diversen "Cher"-Websites umgegoogled. Einiges ist dabei ganz interessant.
Offenbar liegt der Hauptgrund, weshalb ausgerechnet über ihre Schönheis-OPs so viel gelästert wird, darin, dass Cher bei diesem Thema, bei dem anscheinend jeder heuchelt, eben nicht heuchelt. Sie gab ja auch in den 80er zu, dass sie mitunter mit (männlichen) Groupies in die Kiste steigt. Das darf "man" als Popstar - wenn man Mann ist und es bei eindeutigen Anspielungen beläßt. Die Folge: bösartiger Klatsch, "wenn die das schon zugibt, ist ihr alles zuzutrauen". Bisher war mir Cher eher unsympatisch, aber ich bin geneigt, mein Urteil über die Frau zu revidieren.
Eine weitere Sache, die ich ihr, weil sie mich sonst nicht wirklich interessiert, nicht zugetraut hätte: Ein nicht-kommerzielles Album namens not.com.mercial , das ausschließlich über das Internet vertrieben wird und das, glaubt man dieser Rezi, not.com.mercial von ihr selbst im Laufe von über 20 Jahren geschriebene, Songs enthält, die ich einer "lebenden Barbie-Puppe" wirklich nicht zugetraut hätte:
Hier wird zwar auch zum Teil über die Liebe gesungen, aber nicht im typischen Popgewand, zudem werden auch heikle Themen behandelt und kritisiert, beispielsweise der Vietnamkrieg, der Selbstmord von Curt Cobain (Nirvana), Patriotismus und die katholische Religion.

Kein Wunder also, dass die CD in Amerika sogar ein "Parental advisory"-Sticker bekam, eine Warnung, die sich sonst hauptsächlich auf den Werken von Künstlern wie 50 Cent, Marilyn Manson oder Slipknot finden lässt.
Nehme ich "alte 70er Hits" wie "Gypsies, Tramps And Thieves" und "Half Blood" hinzu, dann habe ich den Verdacht, dass ich eine respektable und eigenwillige Künstlerin auf die "Kunstfigur" Cher reduziert habe.

Mittwoch, 17. Mai 2006

Was wäre, wenn Jesus Kinder gehabt hätte? Na und?!?

Nach viel Hype und Hysterie kommt er in die Kinos - und enttäuschte die Kritiker: Der Film nach Dan Browns Bestseller" The Da Vinci Code“ ("Sakrileg"). Als Roman funktionierte das ungeheuerliche Verschwörungsgarn trotz Plausibilitätslücken, durch die man einen Supertanker steuern könnte, dank einer geschickten Kombination aus fantastischer historischer Spekulation und Rätselkrimi noch ganz gut; ein Film muß sich notgedrungen auf das Wesendliche beschränken - und das ist im Grunde herzlich wenig.

"Wenn diese Lüge erkannt wird, wird die größte Krise der Geschichte den christlichen Glauben erschüttern " - so heißt es im Roman. Und für christliche Fundamentalisten der naiveren Sorte mag das wirklich starker Tobak sein: Im "Da Vinci Code" geht es um zwei rivalisierende christliche Geheimgesellschaften. Die eine ist ein Schattenkonzil, das mit dem (real existierenden) Opus Dei zusammenhängt, die andere der Geheimbund Prieuré de Sion, angeblich eine Parallelgründung zum Templerorden (tatsächlich ein kleiner Esoteriker-Verein, gegründet 1956, der von einem französischen Geschichtsfälscher hochgestapelt wurde). Finsterlinge vom Opus Dei wollen die letzten Spuren einer verschütteten historischen Wahrheit beseitigen, während die Prieuré die Wahrheit über Jesus zumindest im Untergrund weiter überliefern: seine Ehe mit Maria Magdalena, das gemeinsame Kind, das von Jesus abstammenden Königsgeschlecht der Merowinger, das heimliche Fortbestehen der Merowinger-Dynastie bis in die Gegenwart.
Allerdings waren sich Lincoln, Baigent und Leigh, die mit ihrem Sachbuch "The Holy Blood and the Holy Grail" ("Der heilige Gral und seine Erben") diese Spekulation populär machten, der Sprengkraft der zentralen These keineswegs sicher:
Die Schlußfolgerungen, die wir zogen, waren zwar verblüffend, aber durchaus nicht erschütternd. Weder machten sie eine Neubewertung unserer persönlichen Überzeugungen nötig, noch ließen sie uns an unseren persönlichen Wertmaßstäben zweifeln.
Noch deutlicher, einige Seiten weiter:
Überhaupt ist es schwer, sich vorzustellen, wodurch sie ein Nachfahre Jesu von der übrigen Menschheit unterscheiden sollte. Er hätte in der Zwischenzeit nicht nur jegliche übernatürliche Aura eingebüßt, sondern es wäre den meisten Menschen höchst gleichgültig, ob der Sohn Gottes zu seinen Vorfahren zählt oder nicht. Nach unserer Meinung würde sogar ein "unwiderlegbarer Beweis" für ein solches dynastisches Erbe nicht für irgendwelches Aufsehen sorgen.
Diese realistische Einschätzung klingt nicht gerade nach "der größten Krise der Geschichte des christlichen Glaubens".

Nehmen wir mal probeweise an, die zentralen Thesen der "Gralstheorie" wären wahr. Müßte etwa die katholische Kirche um ihre Legitimität bangen? Würde ihr dogmatisches und theologisches Lehrgebäude in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus?
Mit Sicherheit nicht! Man muß nämlich, was Brown in seinem Roman nicht tut, und was Lincoln, Baigent und Leigh in ihren Sachbuch nicht durchhalten, mythologische bzw. religiöse und historische Quellen unterschiedlich lesen. Die Evangelien sind aber eindeutig mythische Texte. Ihre "Wahrheit" (für den Gläubigen) liegt in personalen Werten, wie Vertrauen, Weisheit, Güte, Liebe. Die adäquate Haltung gegenüber mythischen Texten wie den Evangelien ist nicht die eines kritisch-reflektierenden Abstandes, sondern diejenige der Nachfolge. Sie wollen kein historisch-biographisches Wissen darbieten, sondern Maßstäbe und Ansprüche, gekleidet in eine bildhafte Sprache.
Am konkreten Bespiel: Aus historischer Sicht stellt sich die Frage nach Jesus Auferstehung gar nicht - entweder Jesus starb am Kreuz oder er Überlebte die Kreuzigung. Die Auferstehung kann als metaphyische Glaubenswahrheit nicht Bestandteil einer methodologisch-atheistischen wissenschaftlichen Betrachtung sein.
Einiges spricht tatsächlich dafür, dass der historische Jesus verheiratet war - z. B. wird er "Rabbi" genannt, und Rabbiner müssen verheiratet sein. Aber für die metaphysische, mythologische Botschaft ist das ein unwesendliches Detail.
Hinzu kommt, dass alle "außerbiblischen" und "apokryphischen" Überlieferungen für die christliche Theologie wenig relevant sind. Der christliche Jesus ist allein der Jesus, wie er im Neuen Testament erscheint. Diesem Jesus kommt es auf Nachfolger an, nicht auf Nachkommen. Egal, wie viele Kinder der historische Rabbi Jeshua ben Josef möglicherweise hatte! Käme nun ein archäologischer Beweis dafür ans Licht, dass Jesus mit Maria Magdalena Kinder hatte, würde das zwar für einige Aufregung sorgen, aber das theologische Gebäude gerade der katholischen Kirche wäre wenig erschüttert.
Erst recht gilt das für die Abstammung der Merowinger. Die germanischen Stämme zählte auch Götter zu ihren Ahnen, Könige führten ihre Abstammung auf Wotan, Ing oder Mannus zurück. Für einen Germanenfürsten war es völlig selbstverständlich gewesen, nach der Taufe Jesus zu "seinen Ahnen" zu zählen - mythisch verstanden, nicht genetisch!

Tatsächlich dürfte es (genetische) Nachkommen der Merowinger geben, denn als die Karolinger dieses fränkische Königsgeschlecht entmachteten, brachten sie nicht alle Menschen mit "Merowingerblut" um. Es ist gut möglich, dass die französische Adelsfamilie Monpézat, aus der z. B. der dänische Prinzgemahl Henrik, Comte de Laborde de Monpézat, stammt, sich bis auf merowingische Vorfahren zurückführen läßt. Wenn die "Gralstheorie" stimmen würde, wäre Kronprinz Frederik ein heißer Anwärter auf den Thron von Jerusalem und den Thron eines Kaiser des Abendlandes. Irgendwelche Ambitionen in dieser Richtung sind seitens des dänischen Hofes nicht bekannt. Tatsächlich vermischen sich ausgerechnet die "heißesten Anwärter" auf ein "Gralskönigtum" freudig mit "bürgerlichem Blut" ...
Ob sich daran auch nur das Geringste ändern würde, wäre die "Gralsfamilien"-Hypothese wahr, darf durchaus bezweifelt werden.
Der einzige für die katholische Kirche wirklich brisante Punkt wäre die libertäre Sexualethik, die sich aus der "Gralshypothese" ergibt. Allerdings hat es in der Kirchengeschichte immer Rebellen und "Ketzer" gegeben, die mit der repressiven Sexualmoral der katholische Kirche über Kreuz lagen. Die meisten von ihnen beriefen sich auf biblische, von der Kirche anerkannte, Texte - und konnten die katholische Kirche dennoch nicht erschüttern. "Gralsanhängern" würde wahrscheinlich, selbst mit einem archäologischen Beweis im Rücken, nichts anderes übrig bleiben, als ihre eigene Kirche aufzumachen.

Also: der Vatikan hätte, selbst wenn die Gralsfamilien-Geschichte wahr wäre, wenig zu befürchten. Die dem Thriller Dan Browns zugrunde liegende Annahme hat in Wirklichkeit gar keinen Thrill.
Nichts ist es mit "der größten Krise der Geschichte des christlichen Glaubens". Allenfalls naive Fundamentalisten - die es weder im Vatikan noch im Opus Dei geben dürfte - könnte die wage Möglichkeit, dass an der Gralsgeschichte etwas dran sein könnte, ernsthaft beunruhigen.

Übrigens, folgt man den Kritiken definiert der Film nicht gerade das Spannungskino neu. schnarch

Stern online findet den Film immerhin noch unterhaltsam: Indiana Jones für Studiosus-Kunden
Spon ist da schon weniger gnädig: Mönchhausens Abenteuer
Die Welt online bringt es auf den Punkt: Viel Lärm um nichts
Sachlich, aber eindeutig, die SZ: Viel Gral um nichts
Saftiger Veriss eingehende Kritik in der NZZ online: Ausgedörrt
Auch Christiane Peitz vom "Tagesspiegel" war nicht begeistert: Die Gralsverhüter

Ich weiß schon, welchen Film ich unbedingt versäumen werde.

Mittwoch, 12. April 2006

Herbert Grönemeyer - das Rätsel seines Erfolges

Heute, am 12. April 2006, wird Herbert Grönemeyer 50. Seit über 20 Jahren ist er einer der erfolgreichsten, wenn nicht gar der erfolgreichste deutschsprachige Sänger. Warum konnte ich nie so recht verstehen, denn seine Lieder glänzen nicht ebendurch musikalische Brillianz, und sind, von "Männer" vielleicht mal abgesehen, auch nicht unbedingt Ohrwurm-, Mitsing-, oder Partystimmungs-Material.
Auch seine Texte sind, gemessen am Liedermacher-, Rapper- oder Deutschrockerstandard, rein theoretisch nicht der Stoff, aus dem die Hits sind. Dazu sind seine Texte bei aller gefälligen Sentimentalität eigentlich in der Regel zu moralinsauer. Meistens reicht es bei Grönemeyer gerade zur "Betroffenheitslyrik", garniert mit risikoloser Rebellenattitüde.

Eine mögliche Antwort gibt "Lizas Welt" in einer polemischen, stellenweise über-interpretierenden, aber scharfsichtigen und scharfsinnigen Betrachtung:
Barde des Ressentiments
Eher etwas für schliche Gemüter also, möchte man achselzuckend meinen, wäre da nicht die erschreckende Erkenntnis, dass es wohl genau das ist, was Grönemeyers Anziehungskraft ausmacht. Schließlich ist er „ein Menschenversteher“, der sich „vor Jahren bereits selbst gefunden“ hat und seitdem weiß, „was die Menschen um ihn herum bewegt, was sie besorgt“. Das kann man wohl sagen: Die da oben? Machen sowieso, was sie wollen! Krieg? Immer schlecht, wenn ihn die Amis machen! Hungernde Kinder in der Dritten Welt? Und wir fressen uns hier die Wampe voll! Das ganze mit ein paar Beats unterlegt und mit moralinsaurem Blick ins Mikrofon genuschelt – ein echtes Prachtexemplar der Schöpfung.
Oder, wie ich es formulieren würde: der ideale Sänger für sich für kritisch haltende Deutsche, die Antikapitalismus und Lustfeindlichkeit mit Gesellschaftskritik verwechseln. Und für Deutsche mit Hang zum Nationalen, denen man mal beigebracht hatte, dass Rechtsextremismus "pfui" ist.

(Für das noch größere Rätsel, wieso Xavier Naidoo charttauglich ist, habe ich eine noch einfachere Erklärung: Für die Ohren eines verstockten Heiden, wie z. B. mir, hören sich X. N's. Songs wie in holprigen Reime gegossene moralinsäuregetränkte Lamoyanz an, begleitet von Melodien, die wage an Kater bei nächtlichen Revierkämpfen erinnern. Für die Ohren Wahrer Christen(tm) mit der rechten religiös-moralischen unheimlich-echt-betroffenen "die Welt ist schlecht" Überzeugung stellt Xavier Naidoo alle "Klassiker" zwischen Bach und den Beatles mühelos in den Schatten.)

Freitag, 7. April 2006

Zur Abwechslung mal was Erfreuliches ...

Die neue CD der Singvøgel ist da!

CD Cover Lieder sind

Donnerstag, 16. März 2006

Supergau im Kino

Bald jährt sich zum 20. Mal die Katastrophe von Tschernobyl. Nach Schätzungen der IAEA kann sie bis zu 4000 Menschen das Leben gekostet haben. (Nach anderen sogar mehr, die Horrorzahlen von bis zu 250.000 Opfern sind aber mit Sicherheit zu hoch.)

Der absurde Leichtsinn, die Konstruktionsfehler, die Fehlentscheidungen, die zum folgenschwersten Reaktorunfall in der Geschichte der Atomenergie führten, die Vertuschungspolitik der Sowjetunion, die Panik, die in halb Europa herrschte, die Hilflosigkeit der Helfer, aber auch Beispiele von Mut und Hilfsbereitschaft - eigentlich böte es sich an, einen ganz großen Dokumentarspielfilm über Tschernobyl in die Kinos zu bringen.

Statt dessen entstand, unterstüzt von der der staatlichen Filmförderung, "Die Wolke", nach dem Roman von Gudrun Pausewang. Natürlich, wie es sich für einen ordentlichen Katastrophenfilm nach "Titanic" gehört, mit einer rührseligen Liebesgeschichte, die man im Roman vergeblich sucht. Mit aus unerfindlichen Gründen 38.000 (Film-)Toten, statt, wie im Buch, "nur" 18.000 Toten. (Die an akuter Strahlenbelastung sterben, bei den Tschernobyl-Operzahlen sind z. B. Krebstote aufgrund von Langzeiteffekten eingeschloßen. Es gab in Tschernobyl 28 "Soforttote", Verbrennungsfälle eingerechnet. 140 Menschen waren akut strahlenkrank.)
Der Roman der ehemaligen Lehrerin Pausewang entstand in unübersehbar erzieherischer Absicht. Seine Stärken sind die erschreckend präzise geschilderten Abgründe menschlichen Verhaltens, der brutale Realismus menschlichen Leids. Seine größte Schwäche ist der selbstgerechte Unterton, der warnend erhobene volkspädagogische Zeigefinger: "So wird es euch ergehen, wenn ihr nicht auf die Atomkraftgegner hört." Gut und Böse sind scharf getrennt. "Jetzt werden wir nicht mehr sagen können, wir hätten von nichts gewusst" ist dem Buch als Motto vorangestellt. Dieser Satz hat mich schon damals, als ich ihn zum ersten Mal las, gestört. Er stellt eine falsche Parallele her. Es geht im Roman um eine gefährliche Technologie, nicht um systematischen, planmäßigen Massenmord.
Dagegen ist eine andere Schwäche, nämlich der Mangel an Sachkenntnis, weniger gravierend. Schließlich ist sie weder Physiklehrerin noch Ärztin.
Unübersehbar auch, wie ihre desillusionierenden Erlebnisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg die Art und Weise prägten, wie sie das Verhalten von Menschen in Krisensituationen schildert: das Muster einer Zweiklassengesellschaft, in der die "Bonzen", die "Mächtigen" oder auch nur die nicht ganz so schlimm Betroffenen brutal gegen die Opfer, die Flüchtlinge, die Widerstand Leistenden, vorgehen. In einer Katastrophe "geht die ganze Zivilisationstünche ab", dann denkt jeder nur an sich - von den wenigen idealistischen, alternativen, bunten "Guten" abgesehen. Dieses Schema zieht sich durch alle Pausewang-Romane, die ich kenne. Was bei realen Katastrophen zum Glück nicht so ist. Selbst nicht im organisatorischen Chaos des überfluteten New Orleans, in dem es wirklich schlimme Szenen und üble Willkür gab.

Sehr lesenswerter "Zeit"-Artikel über Gudrun Pausewang: Lehrerin der Angst
Tobias Kaufmanns ätzende, aber treffende, Überlegungen zum Film im Kölner Stadtanzeiger (ungekürzte Fassung des Artikels): Böser, schwarzer Edelpulli
(Kaufmann war übrigens als Zivildienstleistender in der Tschernobyl-Region gewesen.) Eine erweiterte Fassung, die Kaufmann nach Ansehen des Films schrieb: Böser, schwarzer Edelpulli
Ein Blick zurück auf Gudrun Pausewang, die Grünen und den Super-GAU

Auch zum Thema Tschernobyl, bei Distel: the death zone

Dienstag, 7. März 2006

Der "Blutadler" und die mystische Stadt

Bei der Lektüre des Thrillers "Blutadler" von Craig Russell stand ich vor einem Rätsel. Nein, nicht: "Wer ist der Serienmörder, der seinen Opfern bei lebendigem Leib die Lungen aus dem Brustkorb schneidet?". Auch nicht: "Wie passen die zahlreichen arg konstruierten Erzählstränge über organisiertes Verbrechen, Rotlichtmilieu, politische Intrigen, irre Odinisten, BND, BKA, BGS, Nazi-Vergangenheit, Nazi-Gegenwart auch nur halbwegs zusammen?" Und auch nicht: "Warum bezieht Russel seine Vorstellungen über alte Wikinger und moderne Odinisten / Asatru nicht aus seriösen Quellen - sondern ausgerechnet aus der alleruntersten blutdrünstigen Barbaren-Schublade?"

Nein, das Rätsel betrifft Russells Schilderung meiner Heimatstadt. Der Mann war schließlich oft in Hamburg. Und er hat recherchiert, sehr viel recherchiert sogar (was ihn dazu verleitet, ständig sein Wissen über die Geografie und Geschichte der Stadt auszubereiten, egal ob es für die Handlung relevant ist oder nicht).

Trotzdem wirkt "sein Hamburg" seltsam fremd, unwirklich, künstlich. Wie eine Filmkulisse, meint Michael Drewniok in seiner Rezension auf "Bücherwurm". Einiges zu diesem Eindruck trägt sicher bei, dass Russel zwar viel recherchiert hat, auch z. B. bei der Hamburger Polizei, das Ganze aber nicht sehr weit über Reiseführer / Lexikon-Niveau hinauskommt, was zu unstimmigen Details führt. Oder das er oft, zu oft, zu Klischees greift. Aber das machen andere Krimi-Autoren auch, ohne dass ihre Handlungsorte deshalb kullissenhaft, virtuell, tot wirken.

Eine plausible Erklärung fand ich, als ich mir auf Russels Website die Seite ABOUT HAMBURG ansah. Nur ein paar magere Fakten, die sogar zutreffen - und doch wieder nicht. Da heißt es etwa:
One of Europe's most important seaports, yet located 150 kilometres inland.
150 km? Das ist gut die doppelte Luftlinien-Entfernung bis zur Elbmündung. Aber es stimmt: so weit ist die "Revierfahrt" eines Schiffes, bis es von Hamburg aus die offene See (jenseits des küstennahen Wattenmeers) erreicht hat. Die 150 km machen die Hafenstadt "exotischer", als sie wirklich ist.
It has more waterways than Amsterdam and Venice put together and the Alster, in the heart of Hamburg, is Europe's largest city centre lake.
Stimmt auch. Allerdings sind die Wasserstraßen nicht annähernd so prägend wie in Amsterdam oder gar Venedig, und ob die Außenalster Europas größter innerstädtischer See ist, ist eine Frage der Definition von "innerstädtischer See". Praktisch über alle Fakten in den paar mageren Sätzen über Hamburg auf Russels Website läßt sich ähnliches sagen. Sie zeigen, wie der Roman, eine bizarre, außergewöhnliche, kosmopolitische Metropole, einen Schnittpunkt der Kulturen, in dem die Kontraste knallen, in dem es von exotischen Dingen, exotischen Menschen und exotischen Verbrechen geradezu wimmelt. Hamburg ist aber in Wirklichkeit eine deutsche Großstadt, die zwar einige Besonderheiten hat, aber im Großen und Ganzen völlig normal, in mancher Hinsicht sogar ziemlich provinziell und langweilig ist.

Das ist der Grund, weshalb sich die Lektüre des literarisch aufgemotzten Gruselkrimis "Blutadler" doch lohnt. Was bei Russell "Hamburg" ist, ist bei anderen Autoren "Hong Kong", "San Francisco", "Singapore", "New York City" oder irgend einer der anderen beliebten Thriller-Schauplätze. Nur fällt einem Ortfremden, selbst wenn er die eine oder andere dieser Städte als Tourist kennen sollte, gar nicht auf, wie künstlich, klischeebeladen und übertrieben die Schilderungen dieser Schauplätze gemeinhin sind. So lange die Fakten stimmen - jedenfalls halbwegs.

Weil der über eine deutsche Stadt schreibende Schotte unbeabsichtigt den Pseudorealismus "harter" "tatsachenorientierter" Thriller entlarvt, verzeihe ich ihm beinahe, dass er ebenso unbeabsichtigt die "Odinisten" zur gefährlichen Spinnern stempelt. Aber nur beinahe.

Gjallarhorn: Anmerkungen zum Blutadler (Über das Blutadler-Ritual und wie Russel es behandelt.)

Diskussion über den Roman "Blutadler"
Zum "Pseudorealimus" in einem (erheblich lesenswerteren) Thriller:
Fräulein Smillas mangelndes Gespür für Fiktion

Dienstag, 14. Februar 2006

Traurig, absurd, zornigstimmend

Ein melancholisch stimmende Geschichte.
Sie liest sich wie eine Mischung aus einen tragischen Märchen von Hans Christan Andersen und einer besonders bissigen Monty Python Episode, einer von der Sorte, bei der einem ob der schwärze des Humors das Lachen im Halse steckenbleibt.

Die wahre Geschichte von Kåre Bluitgen, dem Kinderbuchautor, der "eine Haltung" hat:
"Dein Leben hat sich verändert", sage ich. Er nickt. Bis vor zwei Wochen saß er in diesem Zimmer allein, Tag für Tag, früh bis spät, seine Bücher schreibend. Zuletzt ein Buch über den Koran und das Leben des Propheten Mohammed. Für Kinder. Als er Zeichner bat, ihm das Buch zu illustrieren, sagten die Zeichner: "Nein!" Sie fürchteten moslemische Fundamentalisten. Es sei verboten, den Propheten abzubilden. Der Zeichner, der schließlich ja sagte, bestand auf seiner Anonymität. Bluitgen, der eine Haltung hat, erzählte davon im Freundeskreis. Einer der Freunde, Journalist, fand, das sei eine Geschichte. Ach was, sagte Bluitgen. Doch! fand der Freund. Nach zwei Monaten Hin und Her führten sie schließlich ein Interview, das Interview animierte den Chefredakteur von "Jyllands-Posten" eine Art Mohammed-Karikatur-Wettbewerb auszuschreiben. Man kennt den Rest, soweit.
"Man muß es sich trauen"

Ich frage mich, was hätte ich an Kåre Bluitgens Stelle getan. Vermutlich hätte ich das Kinderbuch-Projekt in der Schublade versenkt. Nicht aus Einsicht. Sondern aus Mangel an Haltung.

Montag, 6. Februar 2006

Von Anhaltern und Illuminaten

Wer Science Fiction (& Fantasy) mag, kennt ihn bestimmt: Den Vorwurf des Eskapismus, der "Flucht in irreale Traumwelten".

Für mich hat sich diese Frage noch nie ernsthaft gestellt. Weil die Welt nämlich so phantastisch, bizarr, überraschend und voller Wunder ist, dass jeder, der darauf beharrt, die Welt und den Menschen "sachlich" zu sehen und immer "auf dem Boden der Tatsachen" zu stehen, unweigerlich bei realitätsfernen und (ziemlich öden) Weltanschauungen landet. Wobei es nichts zu Sache tut, dass erstaunlich viele jener selbsternannten Realisten zum utopischen Denken neigen.

Interessanter ist schon die Frage, welcher "phantastische" Roman wohl "die Wahrheit da draußen" am Besten beschreibt.
Jens schrieb irgendwo (die Stelle finde ich gerade nicht), sie sähe wie "Per Anhalter durch die Galaxis" aus, und nicht wie "Illuminatus!".

Bezeichnend übrigens, dass beide Romanzyklen nicht nur aus dem Bereich der phantastischen Literatur stammen, sondern auch noch ziemlich heftige Satiren sind. Anders läßt sich wahrscheinlich der Irrwitz unserer Welt nicht treffend beschreiben.
Das "Anhalter" Universum beschreibt m. E. ziemlich genau, wie wichtige Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung tatsächlich getroffen und umgesetzt werden. Wenn die Unterlagen über die bevorstehende Vernichtung der Erde für eine Hyperraum-Umgehungsstraße völlig vorschriftsmäßig auf Alpha Centauri ausliegen, oder der Regent des Universums einsam in einer Hütte auf einem unbedeutenden Planeten in Nirgendwo lebt - und sich gar nicht bewußt ist, dass er das Universum regiert - dann ist das nur eine geringfügige Übertreibung jener Vorgänge, die wir täglich beobachten, aber oft nicht wahrhaben wollen.

Das "Illuminatus!"-Universum, beherrscht von mächtigen Verschwörungen, karrikiert dagegen die Weltsicht jener, die den täglichen Irrwitz der realen Welt einfach nicht glauben können oder wollen und deshalb mit Verschwörungstheorien die Löcher in ihren "realistischen" Weltsicht flicken.
Die eher alberne "die-Apollo-Mondflüge-waren-im-Studio-inszeniert"-Verschwörungstheorie ist ein "gutes" Beispiel, wie schieres Unglauben in abenteuerliche "Erklärungsmodelle" umschlägt. Weniger albern, aber gefährlicher, sind die "Theorien" jener, die sich einfach nicht vorstellen können, dass die "allmächtigen" und "alles kontrollierenden" FBI, CIA und NSA nicht die Anschläge des 11. September 2001 verhindern konnten. Die nicht glauben wollen, dass es bei diesen mystisch überhöhten Diensten Schlampereien, Büro-Intrigen, Machtkämpfe, abenteuerliche Vorurteile, Profilierungssucht, schlichte Unfähigkeit, noch schlichtere Pannen usw. gibt - dass es also im "wirklichen Leben" so zugeht wie im "Anhalter".

Shea & Wilson, die Autoren der "Illuminatus!"-Trilogie, beschreiben meines Erachtens zwar nicht die Welt, wie sie "da draußen" ist, aber sehr wohl die Welt "da drinnen", in den Köpfen der Menschen, die die irrwitzigen Entscheidungen treffen und sie in irrwitziger Weise umsetzen. Und sie suchten sich nicht von ungefähr die an weitesten verbreitete und folgenschwerste, die "böseste", aller Verschwörungstheorien als zentrales Element ihrer Satire aus:
Die "Theorie" der "jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung", die die Welt regiert, der plump gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" alias "Illuminaten", dem bevorzugten Welterklärungsmodell (leider nicht nur) antisemitischer Rechtsextremisten. (Siehe auch mein Beitrag Demokratie-Dilemma.)

Überspitzt könnte man sagen: die Welt wird nicht von den "Illuminaten" kontrolliert, aber sehr wohl von den paranoiden Phantasien über die Macht der "Illuminaten" in den Köpfen zahlloser Menschen.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 7107 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren