Dienstag, 7. März 2006

Vogelgrippe ohne Vogelzug?

Möglicherweise hat die Ausbreitung der Vogelgrippe überhaupt nichts mit dem Vogelzug zu tun.
Die Gefahr für die Wildvögel könnte von Nutztier-Geflügelhaltung ausgehen - und nicht umgekehrt. Tierfutter und das Ausbringen der Fäkalien auf die Felder müssen als Übertragungsweg ins Auge gefasst werden. Es kann sein, dass wir mit der Vogelgrippe leben müssen.
Vielleicht tun wir das schon seit Jahren und wußten es bloß nicht. Weil tote Vögel, die es nach jedem strengen Winter in großer Zahl gibt, daraufhin nicht untersucht worden sind. Oder weil das Virus gesunden, kräftigen Vögeln weit weniger anhaben kann als dem zu Zigtausenden in der Massenhaltung zusammengepferchten Geflügel.
Der sehr interessante Aufsatz des Münchner Zoologen und Ornithologen Josef.H. Reichholf in der "Welt": Neue Pest, alte Angst

Via: Die Achse des Guten

Dazu paßt folgende Meldung bei Umweltschutz-News: Abfälle aus Geflügelfabriken als Hauptfaktoren für die Verbreitung der Vogelgrippe

Der "Blutadler" und die mystische Stadt

Bei der Lektüre des Thrillers "Blutadler" von Craig Russell stand ich vor einem Rätsel. Nein, nicht: "Wer ist der Serienmörder, der seinen Opfern bei lebendigem Leib die Lungen aus dem Brustkorb schneidet?". Auch nicht: "Wie passen die zahlreichen arg konstruierten Erzählstränge über organisiertes Verbrechen, Rotlichtmilieu, politische Intrigen, irre Odinisten, BND, BKA, BGS, Nazi-Vergangenheit, Nazi-Gegenwart auch nur halbwegs zusammen?" Und auch nicht: "Warum bezieht Russel seine Vorstellungen über alte Wikinger und moderne Odinisten / Asatru nicht aus seriösen Quellen - sondern ausgerechnet aus der alleruntersten blutdrünstigen Barbaren-Schublade?"

Nein, das Rätsel betrifft Russells Schilderung meiner Heimatstadt. Der Mann war schließlich oft in Hamburg. Und er hat recherchiert, sehr viel recherchiert sogar (was ihn dazu verleitet, ständig sein Wissen über die Geografie und Geschichte der Stadt auszubereiten, egal ob es für die Handlung relevant ist oder nicht).

Trotzdem wirkt "sein Hamburg" seltsam fremd, unwirklich, künstlich. Wie eine Filmkulisse, meint Michael Drewniok in seiner Rezension auf "Bücherwurm". Einiges zu diesem Eindruck trägt sicher bei, dass Russel zwar viel recherchiert hat, auch z. B. bei der Hamburger Polizei, das Ganze aber nicht sehr weit über Reiseführer / Lexikon-Niveau hinauskommt, was zu unstimmigen Details führt. Oder das er oft, zu oft, zu Klischees greift. Aber das machen andere Krimi-Autoren auch, ohne dass ihre Handlungsorte deshalb kullissenhaft, virtuell, tot wirken.

Eine plausible Erklärung fand ich, als ich mir auf Russels Website die Seite ABOUT HAMBURG ansah. Nur ein paar magere Fakten, die sogar zutreffen - und doch wieder nicht. Da heißt es etwa:
One of Europe's most important seaports, yet located 150 kilometres inland.
150 km? Das ist gut die doppelte Luftlinien-Entfernung bis zur Elbmündung. Aber es stimmt: so weit ist die "Revierfahrt" eines Schiffes, bis es von Hamburg aus die offene See (jenseits des küstennahen Wattenmeers) erreicht hat. Die 150 km machen die Hafenstadt "exotischer", als sie wirklich ist.
It has more waterways than Amsterdam and Venice put together and the Alster, in the heart of Hamburg, is Europe's largest city centre lake.
Stimmt auch. Allerdings sind die Wasserstraßen nicht annähernd so prägend wie in Amsterdam oder gar Venedig, und ob die Außenalster Europas größter innerstädtischer See ist, ist eine Frage der Definition von "innerstädtischer See". Praktisch über alle Fakten in den paar mageren Sätzen über Hamburg auf Russels Website läßt sich ähnliches sagen. Sie zeigen, wie der Roman, eine bizarre, außergewöhnliche, kosmopolitische Metropole, einen Schnittpunkt der Kulturen, in dem die Kontraste knallen, in dem es von exotischen Dingen, exotischen Menschen und exotischen Verbrechen geradezu wimmelt. Hamburg ist aber in Wirklichkeit eine deutsche Großstadt, die zwar einige Besonderheiten hat, aber im Großen und Ganzen völlig normal, in mancher Hinsicht sogar ziemlich provinziell und langweilig ist.

Das ist der Grund, weshalb sich die Lektüre des literarisch aufgemotzten Gruselkrimis "Blutadler" doch lohnt. Was bei Russell "Hamburg" ist, ist bei anderen Autoren "Hong Kong", "San Francisco", "Singapore", "New York City" oder irgend einer der anderen beliebten Thriller-Schauplätze. Nur fällt einem Ortfremden, selbst wenn er die eine oder andere dieser Städte als Tourist kennen sollte, gar nicht auf, wie künstlich, klischeebeladen und übertrieben die Schilderungen dieser Schauplätze gemeinhin sind. So lange die Fakten stimmen - jedenfalls halbwegs.

Weil der über eine deutsche Stadt schreibende Schotte unbeabsichtigt den Pseudorealismus "harter" "tatsachenorientierter" Thriller entlarvt, verzeihe ich ihm beinahe, dass er ebenso unbeabsichtigt die "Odinisten" zur gefährlichen Spinnern stempelt. Aber nur beinahe.

Gjallarhorn: Anmerkungen zum Blutadler (Über das Blutadler-Ritual und wie Russel es behandelt.)

Diskussion über den Roman "Blutadler"
Zum "Pseudorealimus" in einem (erheblich lesenswerteren) Thriller:
Fräulein Smillas mangelndes Gespür für Fiktion

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6729 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren