Kulturelles

Montag, 23. Januar 2006

Mehr als Fett & Filz: vor 20 Jahren starb Joseph Beuys

"Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Kreativität. Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst."
Er ist heute meistens nur als "spinnerter Künstler", der ständig einen speckigen Hut trug, erinnerlich, als Provokateur, der unappetitliche und unverständliche Installationen, vorzugsweise aus Filz und Fett, schuf. Häufigster Kommentar, nicht nur von sog. Spießern: "Was soll denn das mit Kunst zu tun haben?"

Die ständige Überforderung von Austellern und Publikum gehörte zweifellos zum Programm des politisch engagierten Künstlers, der tatsächlich einen (mir sympatischen) Hang zur Eulenspiegelei hatte. Aber Beuys war alles andere als ein "Scharlatan": auch als traditioneller Bildhauer und Zeichner konnte er bestehen, "Meisterschüler" bei Ewald Mataré wird man nicht durch Schaumschlägerei, und Beuyst war nicht von ungefähr 10 Jahre lang Professor für Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Als "normaler", "seriöser" Künstler wäre er allerdings einer von Tausenden gewesen. Joseph Beuys hatte viel zu sagen, zu Menschenrechten, zur gesellschaftlichen Mißständen, zur Abrüstung und immer wieder zu Ökologie und Naturschutz.
Dank seiner provokativen Konzeptkunst hörte man ihm auch zu. (Jedoch um den Preis, dass man ihn nicht immer ernst nahm.)

-> wikipedia:Joseph Beuys

Auf dem Höhepunkt der "Nachrüstungsdebatte" und der Friedensbewegung in der BRD um 1982 trat er auch als Politsänger mit dem Song "Sonne statt Reagan" auf. Er schaffte es sogar ins öffentlich-rechtliche Radioprogramm.

Wenig bekannt ist, dass der Naturfreund, Naturmystiker und Umweltschützer Beuys in den 50er Jahren als Assistent des bekannten Tierfilmers Heinz Sielmann an in ihrer ökologischen Botschaft und "unlehrhaften" Machart bahnbrechenden Naturdokumentarfilmen beteiligt war.

Ganz im Sinne der ökologischen Botschaft, ganz im Sinne des von ihm verkündeten Mottos "Jeder ist ein Künstler" und ganz ohne Fett, Filz und Provokation kam Joseph Beuys letzte große Aktion aus:
Unter dem Motto: "7000 Eichen - Stadt-verwaldung statt Stadt-verwaltung", türmte er auf der Dokumenta in Kassel 7000 Basaltblöcke auf, mit dem Ziel, den Berg aus riesigen Steinen nach und nach dadurch abzutragen, dass jeder, der 500 DM spendete, einen Basaltblock entfernen und dafür an anderer Stelle ein Eichenbäumchen einpflanzen dürfe, dem der jeweilige Steinblock zugesellt wird. Die Aktion überlebte ihn.

Sonntag, 1. Januar 2006

... und Physik kann er also auch nicht!

Neues Jahr - alte, abgestandene Kulturkritik von Rüdiger Suchsland, bekannt als der "ganz spezielle Filmkritiker" von "telepolis":
Ende des Mainstream?

In der thematischen Substanz eher Baujahr 1976 oder 1966 als 2006, von den Namen abgesehen. Trotzdem lesenswert, denn als Realsatire und unfreiwillige Selbstparodie ist er kaum zu toppen!
Nebenbei beweist Suchsland auch, dass er nicht nur keine Ahnung von Unterhaltungs-Filmen hat, sondern auch keine von Physik:
Mit Einsteins Relativitätstheorie beginnt die Naturwissenschaft endgültig ungegenständlich und damit ungreifbar zu werden. Schon zu Zeiten von Newton und Bohr mag alles für Nichtfachleute schwierig zu verstehen gewesen sein, mit Einstein wird es unmöglich. Nachdem schon kurz darauf, in den folgenden zwei Jahrzehnten, bildende Kunst und Kulturwissenschaft es der Physik nachmachten und ihre ähnlich kulturrevolutionären, individuellen Schritte in die Abstraktion, Ungegenständlichkeit und Nichterzählbarkeit taten, scheinen nun, lange Zeit später, Politik und Gesellschaft allmählich nachzufolgen.
Also: Zuerst die "ungegenständliche" (sprich: für Suchsland unverständliche) Physik, dann die "ungegenständliche" Kunst, schließlich die "ungeständliche" Politik und Gesellschaft? Die Kunst des frei interpretierenden an den Haaren Herbeiziehens versteht er jedenfalls meisterhaft, und Äpfel, Birnen, Orangen und Teetassen sind sowieso das Gleiche!
Niels Bohr schrieb seine bahnbrechenden Arbeiten zur Quantenmechanik übrigens nach Einsteins Relativtätstheorie, was auch naturwissenschafliche Totallaien mühelos nachschlagen können -> wikipedia: Niels Bohr.

Da paßt auch das hier:
Merkel betreibt Politik wie ein Physiklaborant: Im Kanzlerkittel mischt sie rote und schwarze Substanzen, achtet darauf, dass nichts explodiert, und lobt die "Kunst des Machbaren".
Äh, Physiklaborant? Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass Rüdiger Suchsland es irgendwie geschafft hat, in seiner Schulzeit den gesamten naturwissenschaftlichen Unterricht zu schwänzen.

Dienstag, 13. Dezember 2005

Fräulein Smillas mangelndes Gespür für Fiktion

Am 20. Dezember wird sie wieder einmal im Fernsehen gezeigt werden, jene bizarre, wenn auch unterhaltsame, Mischung aus einem sozialkritischem Krimi skandinavischer Schule und „Akte X“-Folge in Überlänge, namens „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“.

Vorbild ist Peter Høegs ungewöhnlicher Thriller, der vor allem durch seinen Detailreichtum auffällt. „Was die Welt heute über Grönland weiß, hat ihr Smilla mitgeteilt, die Ich-Erzählerin in Høegs Buch“, behauptet Reto U. Schneider in der NZZ. Damit dürfte er, zumindest was den deutschen Sprachraum angeht, durchaus recht haben. Obwohl Grönland – gemessen an der Bevölkerungszahl – gar nicht einmal schlecht in den Medien vertreten ist, ist das übliche Grönlandbild von wenig Wissen und vielen Klischees geprägt. Was durchaus typisch ist für viele Regionen der Erde, die in Alltag, Schule, Medien als „nicht wichtig“, allenfalls „exotisch“ wahrgenommen werden. Also für z. B. die meisten Länder Afrikas, Innerasiens, Ozeaniens. Länder, deren Bild in der Öffentlichkeit durchaus von einem einzigen Buch geprägt werden kann – wie das Grönlands durch „Smilla“. Ich denke nur daran, wie sehr der Fantasy-Roman (!) „In den Fesseln von Shangri-La“ das „westliche“ Tibet-Bild verzerrte.

Peter Høegs hat fraglos seine Verdienste als engagierter sozialkritischer Autor, der auf gern verdrängte „koloniale“ Altlasten im blitzsauberen dänischen Sozialstaat hinwies. Ebenso fraglos hat er sehr viel recherchiert. Ob er auch gut recherchierte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Seine wichtigste Gewährsfrau war die in Kopenhagen lebende Grönländerin Kassaaluk Qaavigaq, die in mancher Hinsicht das Vorbild für Smilla Qaavigaaq Jaspersen ist – in mancher anderer Hinsicht nicht. Darüber hinaus sammelte Høeg offensichtlich eifrig Zeitungsausschnitte, Buchzitate und Gerüchte, bis er einen riesigen Karton voll hatte. Mit diesen oft verblüffenden Details stattete er sein Buch aus. Hinzu kommen etliche „Fakten“, die Høegs dichterischer Fantasie entsprangen. Was völlig legitim ist, schließlich schrieb er einen Thriller, kein Sachbuch und auch keinen „Roman nach Tatsachen“.
Leider scheinen das viele Leser nicht zu bemerken, obwohl der „Mystery-Teil“ des Romans unschwer erkennbar ziemlich wilde Sci-Fi ist: Ein Wärme abstrahlender Meteorit mit Lebenskeimen, ein wieder zum Leben erweckter Killer-Parasit aus dem Mesozoikum und eine Verschwörung von ehrgeizigen Wissenschaftlern, einer Bergbaugesellschaft in Liquidation und Drogenhändlern, die zu allem Überfluss durch staatliche Stellen gedeckt wird.

Einige handlungsrelevanten „Fakten“ über Grönland, die schlicht nicht stimmen:
Høeg behauptet z. B. es gäbe in Grönland keine Gefängnisse - es gibt sehr wohl ein Gefängnis in Grönlands Hauptstadt Nuuk.
Es gibt heute, 2005, in grönländischen Gewässern keine Ölförderung in größeren Stil, die gewaltige Förderplattform „Greenland Star 1“ im im Jahre 1994 handelnden Roman ist reine Fiktion.
Die linkssozialistische, separatistische Partei Grönlands, die Inuit Ataqatigiit, dürften wohl nur ganz stramme „Rotenfresser“ als „aggressiv marxistisch“ ansehen, sie ist z. Z. in der grönländischen Regierung an einer großen Koalition mit den sozialdemokratischen Siumut und der liberal-konservativen Atassut beteiligt.
Die Atassut fordert zwar hin und wieder die Wiederannäherung an die EU, aus der Grönland 1985 nach einer Volksabstimmung austrat, aber dass Grönland 1993 wieder der EU beigetreten wäre, ist Quatsch.
Kein Grönländer, der auf Jagdreise in kanadisches Hoheitsgebiet gelangt, riskiert ein Verfahren, wie es Smilla angeblich drohte. Die Einreise von Grönland nach Kanada ist nämlich visafrei, es herrscht völlige Reisefreiheit. (Vielleicht hat sie ja Drogen geschmuggelt oder in Kanada Eisbären gewildert?)
So viele Versäumnisse und Fehler der früheren dänische Verwaltung in Grönland auch unterlaufen sind, und so viele soziale Probleme, vom Alkoholmissbrauch über die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit bis zur hohen Suizidrate, es auch gibt: Die von Høeg geschilderten „Indianerreservationsverhältnisse“, mit offenem Elend und ständiger kultureller Missachtung der Einheimischen durch die Dänen, sind überzeichnet, selbst für die 1960er Jahre, als Grönland noch nicht autonom war. Heute ist der Lebensstandard ähnlich hoch wie in Europa, die Sozialhilfe in Grönland ist den Lebenshaltungskosten voll angepasst.

Die Liste ließe sich noch erheblich verlängern – und die „Fehler“ bzw. „dichterischen Freiheiten“ sind nicht auf Grönland beschränkt.

Es ist schon bizarr, dass ein Buch, das so wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, nebst seiner Verfilmung, die noch weniger realistisch ist, dass Bild einer Region derart stark bestimmt. Da Grönland eine bei uns noch relativ gut bekannte Gegend ist, vermute ich, dass „Smilla“ nur die Spitze eines Eisbergs ist: Unser Bild der Welt beruht wahrscheinlich zu großen Teilen auf literarischen Fiktionen, die nie als etwas anderes gedacht waren.

Sendetermin des Films "Fräulein Smillas Gespür für Schnee": 20.12.2005, 20:15, kabel eins

Tipp: Am 1. und 2. Weihnachtstag bringt WDR 5 jeweils um 17:05 die unter Kennern beinahe legendäre 2. teilige Hörspielfassung von "Fräulein Smillas Gespür für Schnee". Beeindruckendes Ohrenkino, das dem Roman weitaus näher kommt als der Film.

Mittwoch, 7. Dezember 2005

Zum Tod zweier großer Kabarettisten

Heute starb der Kabarettist Rolf Ulrich, Gründer der "Stachelschweine", gestern Hanns Dieter Hüsch.
Tröstlich ist, das beide Zeit hatte, ihr Leben zu Leben und in Würde zu altern. Es ist nicht leicht, mit Würde und Humor zu altern. Beide schafften es.
Viele Talente auf dem Gebiet der gedankenprovozierenden Kleinkunst starben viel zu jung, manche von ihnen durch staatliche Gewalt. Direkt oder indirekt.

Gute Kabarettisten sind rar, denn ist ist schwer, ein guter Kabarettist sein, zwischen der albernen und flachen Comedy-Welle auf den einen Seite, und dem verbissenen, oft humorlosen "politische Kabarett" auf der anderen.

Ein guter Kabarettist zu sein - nein, überhaupt ein Künstler zu sein, der etwas zu sagen hat - erfordert meiner Meinung die Bereitschaft und die Fähigkeit, elegant zwischen den Stühlen sitzen zu können. Das konnten Ulrich und Hüsch.

In einer Rückschau schrieb Ulrich einmal, den "Stachelschweinen" sei abwechselnd bescheinigt worden, "Vaterlandsverräter" oder "Handlanger der Kommunisten", dann wieder, reaktionär, staatserhaltend und "Handlanger des Establishments" zu sein.

Hanns Dieter Hüsch schaffte es sogar, zugleich ein übezeugter Linker, ein Pazifist und ein gläubiger Christ zu sein, ohne sich zum Idioten zu machen. Ich habe mich oft von seinen Texten provoziert gefühlt, manchmal geärgert, war manches Mal ganz anderer Meinung - aber gut und geistreich fand ich ihn immer.

Danke!

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