Fremde alten Welten: Das antike Griechenland

Es ist schon ein paar Jahre her, da saß ich zusammen mit etlichen anderen Perry-Rhodan-Fans und einige "Perry Rhodan"-Schaffenden während eines PR-Cons nach absolviertem Tagesprogramm in einen kleinen griechischen Restaurant in Garching bei München. Irgendwann, ich weiß nicht mehr in welchem Zusammenhang, meinte Klaus N. Frick, Perry Rhodan-Chefredakteur (und irgendwie immer noch Punk) er würde aus eigener Anschauung Kulturen kenne, die weitaus exotischer wären, als alle "außeridischen Zivilisationen", die in der langen Geschichte der "Perry Rhodan"-Romanserie beschrieben wurden.
Ich war über diese Festellung nicht im Geringsten überrascht, schließlich reist Klaus N-Punkt öfter mal in Gegenden, in die sich ein Normaltourist eher selten verirrt - und damit meine ich nicht etwa Garching, sondern z. B. die Kalahari (Namibia, Südwest-Afrika). Davon abgesehen: wäre er eine Figur in Perry-Rhodan, gäbe es bestimmt zahlreiche Leser, die ihn als "völlig unglaubwürdig konstruiert" bezeichnen würden.

Irgendwie kam das Gespräch dann darauf, dass es eine Grenze gäbe, ab der eine "exotische Kultur" für den europäischen Normalleser nicht mehr vorstellbar wäre. Deshalb sei es in Science Fiction und Fantasy, die auf einen Massenmarkt abzielt, nicht möglich, etwa eine der Kultur entsprechend der der namibischen Himba zugrunde zu legen. Der Leser wäre damit schlicht überfordert.
Wir diskutierten eine Weile hin und her, wie "europäisch" bzw. "nordamerikanisch" eine Kultur sein müsse, um für hiesige Unterhaltungsliteratur "noch verständlich" zu sein. Da schlug ich vor, inspiriert von der auf "Antike" gestylten Inneneinrichtung des "Griechen", die Grenze läge etwa bei der "klassischen" altgriechischen Kultur. Jemand (ich glaube, es war Heiko Langhans) widersprach mir energisch, und meinte, das klassische Griechenland des Plato, Sokrates, Perikles oder Alkibiades läge schon weit jenseits des Horizonts des Durchschnittslesers, zumindest dann, wenn man es halbwegs wahrheitsgemäß schildern würde.

Als ich mich durch den Exkurs über die Odyssee in Adorno / Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" arbeitete (siehe: Odysseus - der erste "bürgerliche Mensch"), da musste ich an diesen Abend beim "Griechen" in Garching denken. Adorno und Horkheimer entstammten dem Bildungsbürgertum, sie waren mit der Geschichte des antiken Griechenlands sicherlich vertraut - kurz, sie waren, was das klassische Altertum anging, mit einiger Wahrscheinlichkeit gebildet. Trotzdem konnten - oder wollten - sie sich in die kulturellen und sozialen Verhältnisse, wie sie im antiken Griechenland herrschten, nicht hineindenken.

Ich musste auch an den "Spartanerfilm" "300" denken (Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: "300"), einem Werk, dass auf geschichtliche Tatsachen zugunsten der "Geschichte" bewusst verzichtete. (Fast alle anderen Antikenfilme verzichten unbewusst.) "300" würde, wenn man die Kultur der Griechen und der Perser einigermaßen authentisch nachvollziehen würde, wahrscheinlich nicht funktionieren - jedenfalls nicht für ein amerikanisch oder europäisch geprägtes Massenpublikum.

Knüpfen wir der Einfachheit halber bei diesem Film an. Leonidas war König der Spartaner. Als neuzeitliche Menschen denken wir sofort an ein antikes Gegenstück zu Napoleon oder Friedrich II. von Preußen, also einen Feldherrn und Monarchen in Personalunion - vielleicht mit einem Stoßseufzer verbunden, dass "damals" die Oberbefehlshaber noch selbst in der Schlacht ihr Leben riskierten, anstatt vom sicheren Tiefbunker aus (... usw. usw.). Allerdings hatte der gute König Leonidas mit dem "Alten Fritz" wenig gemeinsam. Das fängt schon damit an, dass Sparta zwei Könige hatte, die gemeinsam herrschten. Herrschten, nicht regierten, denn regiert wurde Sparta von fünf Ephoren, die zwar jedes Jahr neu gewählt wurden, was aber mit Demokratie, wie es sie beim Dauerrivalen Athen zumindest zeitweilig gab, nicht viel gemein hatte, nicht nur, weil nur etwa 8000 Männer, die Spartiaten, Wahlrecht hatten, sondern auch, weil die Ephoren eine fast unbegrenzte Macht hatten und niemandem Rechenschaft schuldig waren, ähnlich wie absolute Monarchen.
Leonidas war (wie alle spartanischen Könige) Sakralkönig - so ähnlich wie später bei jenen germanischen Stämmen, die ein Königstum entwickelten: er war Vertreter seines Volkes gegenüber den Göttern, oberster Priester, Träger des "Heils" (wobei sich die altgriechische Heilsvorstellung von der germanischen sicherlich unterschied - und sich kaum mit neuzeitlichen Begriffe erklären lässt) - politische Macht hatte so ein Spartanerkönig praktisch keine. Dafür war er im Krieg Heerführer, mit voller Befehlsgewalt.
Es lohnt, sich etwas näher mit dem spartanischen Kosmos zu beschäftigen. "Kosmos", "Ordnung", aber auch "Anstand", mit diesem Wort bezeichneten die Spartaner selbst ihr nach ihren Begriffen harmonisches Gemeinwesen, das nach heutige Begriffen wie ein totalitärer Alptraum anmutet, aber nach griechischem Verständnis, auch dem der völlig anders organisierten Athener, keine "Tyrannis" war. Jedenfalls war der Kosmos Spartas bei weitem "exotischer", als es fast alle "außerirdischen" Zivilisationen im literarischen Kosmos der Science Fiction sind.

Im Film "300" beschimpft Leonidas die Athener als "Schwuchteln". Der Begriff "Homosexualität" ist ein Denkkonstrukt - wenn man so will, eine geistige "Schublade" - der Neuzeit, und das völlig unabhängig davon, ob eine nicht-neuzeitliche, nicht "abendländische" Kultur gleichgeschlechtlichen Sex missbilligt, toleriert oder, wie im antiken Griechenland, verehrt. Das heißt: wirklich angesehen war Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Männern in Athen nicht, während die Paderaistia, die "Knabenliebe", sozusagen zum "guten Ton" gehörte. Aber nirgendwo im antiken Griechenland nahm die Paderaistia einen so hohen Rang ein wie in Sparta. Eine "Knabenliebe", die nach unserem Verständnis auf den sexuellen Missbrauch von abhängigen Minderjährigen hinausläuft (allerdings war vor Beginn der Pubertät ein Knabe auch in Sparta tabu). In Athen wurden Kritiker der Paderaistia noch in der Römerzeit als weltfremd, sauertöpferisch oder schlicht barbarisch verspottet - in Sparta wären sie, wenn es sie überhaupt zu Wort gekommen wären, als umstürzlerisch und volksverräterisch verdammt worden, denn die Paderaistia gehörte zu den Fundamenten des "Kosmos". Nach dem spartanischen Ideal sollte jeder junge Spartiate durch feste erotische Bande an einen vorbildlichen Mann gekettet sein, und jeder Krieger durch seine Gefühle gegenüber einem jugendlichen Liebhaber zu höchstem Vorbild aufgestachelt werden. Auch unter erwachsenen Spartiaten galten "Liebespaare" als besonders tapfere Kämpfer. Daher überrascht es nicht, dass die Spartaner vor einer Schlacht dem Eros opferten.
Übrigens scheinen sich im alten Griechenland Paideraistia und "heterosexueller" Sex niemals ausgeschlossen zu haben. Wenn der spartanische Staat "Nachwuchssorgen" hatte, Männer, die mit 30 noch nicht verheiratet waren, mit Strafen belegte, oder verlangte, dass ein kinderloser Ehemann sich seines Bruders oder Freundes als "Ehehelfer" bediente, dann lag das wahrscheinlich nicht daran, dass spartanische Männer Sex mit Frauen generell abgeneigt gewesen wären. Die Athener waren es jedenfalls nicht.
Aurisa - 14. Jul, 18:05

Spannendes Thema...
Ich fürchte wir sind alle nicht nur Kinder unserer Zeit und Kultur... das sowieso... sondern das auch noch viel mehr, als uns bewusst ist...
Unsere Fähigkeit alles was irgendwie anders ist zu verstehen ist doch sehr begrenzt...
Ich habe das zweifelhafte Vergnügen das häufiger festzustellen, wenn ich versuche jemand zu erklären, was es bedeutet Transsexuell zu sein...
Es ist schon viel, wenn jemand weiss, daß er nichts weiss... wie es so treffend heisst... aber selbst das ist eher selten...
Wenn ich jedesmal tatsächlich vor Frust in die Tischkante beissen würde, wenn mal wieder jemand, der nichts kapiert hat, meint er hätte es nicht nur verstanden, sondern wüsste es auch noch besser als ich... ich hätte schon dutzende von Schreibtischen verspeisst ;)...
Und so ist es mit allem...
Ich habe darum doch auch starke Zweifel, ob wir WIRKLICH fremde Wesen wie Außerirdische jemals verstehen könnten... wo wir oft doch schon den Mitmenschen von nebenan nicht verstehen können...
Viele Grüße
Aurisa
P.S: sag bloss der K.N.F. bloggt auch ;)...? Muss ich gleich mal reinschauen...

Sun-ray - 14. Jul, 20:38

wir hatten das thema ja neulich schon mal am wickel, liebe frau aurisa. was nichts dran ändert, dass die dickste mauer vor verstehen und akzeptanz noch immer die behauptung ist, man verstehe und akzeptiere ja längst.
sagt eine, die ziemlich sicher weiß, dass sie nichts weiß und derweil von herzen froh um die größe überall dort ist, wo intischkantenbeißen so verdammt nah läge. ;o)
MMarheinecke - 15. Jul, 12:57

Ginge Sparta in einem Roman "durch"?

Ein interessantes und verbürgtes Detail über das Wahlverfahren für die Ephoren – gewählt war, wer in der Apella (Volksversammlung) die lautesten Rufe erhielt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Lektoren so etwas nur bei ausgesprochenen satirischen Romanen "durchgehen" ließen.

Aurisa - 15. Jul, 13:05

Also ich kann mich ja an diverse Fernsehsendungen erinnern, wo der gewinnt, der am lautesten beklatscht oder auch beschrien wurde ;)...
Sooo ungewöhnlich ist dieses Wahlverfahren also auch heute gar nicht *g*...
MMarheinecke - 15. Jul, 13:08

Aber stell Dir mal vor, der Bundeskanzler würde so gewählt werden ...

Aurisa - 15. Jul, 13:11

Ich glaube das Ergebnis wäre auch nicht schlechter als bei unserem derzeitigen System ;)...
Hellblazer - 15. Jul, 14:38

da sinds dann eher die leisesten Buh-Rufe oder? Applaudieren tut da doch schon lange niemand mehr... ;-)
MMarheinecke - 16. Jul, 17:44

Ich bin sehr dafür, eine andere antike Regelung einzuführen ...

... und zwar diese, aus Athen: Graphe Paranomon.

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