Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: "300"

Einen größerer Gegensatz als zum letzten "gut-doofen" Film, den ich hier besprach (Die blaue Lagune) ist kaum denkbar. Dennoch hinterließ "300" bei mir nach dem aufmerksamen Ansehen der DVD-Fassung ein ähnlich zwiespältiges Gefühl. Auch wenn "300" eindeutig unterhaltsamer ist. Jedenfalls für Typen wie mich.
Ich gestehe: Nach dem Kinobesuch war erst einmal so überwältigt, dass ich den Film glatt "gut" gefunden habe. Ich gestehe ebenfalls: viele der Filmkritiken, die beim Kinostart erscheinen, waren dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass ich mich fragte, ob diese Kritiker tatsächlich den selben Film gesehen hatten. Es ist also ganz gut ist, dass schon einige Monate vergangen sind, seitdem ich das erste Mal mit dem Film und der Kritik zum Film konfrontiert wurde.

Eine detaillierte Inhaltsangabe erspare ich mir mit einem Verweis auf die allwissende Müllhalde Wikipedia: "300" (Film). Wichtig für die Beurteilung des Films sind aber folgende Tatsachen:
  • Zack Snyder verfilmte einen Comic, "300" von Frank Miller, und zwar so vorlagengetreu wie möglich.
  • Entgegen der Angabe in "Wikipedia" beruht dieser Comic nicht auf den Chroniken des altgriechischen Historikers Herodots, sondern ist eine freie Bearbeitung der um den Thermopylen-Mythos gewachsenen Heldensage.
  • Aus diesen beiden Tatsachen folgt, dass historische Tatsachen in dem Film noch nicht einmal eine Nebenrolle spiele, weshalb es denn letzten Endes egal ist, dass es in Sparta keinen "Senat" sondern eine "Gerusia" gab, die Phalanx falsch dargestellt ist, die alten Griechen in Rüstungen kämpften, die Unterstellung von Homosexualität im alten Griechenland schwerlich eine Beleidigung war, die Perser keine Kriegsnashörner und Xerxes keine Glatze hatte usw. usw. usw..
Es ist faszinierend, wie viele Kritiker das anscheinend nicht mitbekommen haben. Es zeigt aber auch, wie sehr der politische Mythos, den die Griechen um die Perserkriege im Allgemeinen und den "Opfertod" des Leonidas und seiner Spartaner im Besonderen auf dem Heldenmythos aufbauend woben, sich gewandelt bis in die Gegenwart hielt. Noch heute wird der Kampf der Griechen gegen die zweifelsohne machthungrige, aber hochzivilisierte und bemerkenswert tolerante Großmacht Persien gern in einen Mythos der Verteidigung der Freiheit des Abendlandes gegen orientalische Despotie und Gewaltherrschaft umgedeutet.
Um es kurz zu machen: im Film steht dieser, der politische, Mythos, nicht im Mittelpunkt - der "archetypische" Heldenmythos ist bei Weitem wichtiger. In den aufgeregten Reaktionen zum Film ist es genau umgekehrt.
Anders sind Kommentare nicht zu erklären, die den Film als "reaktionäres Machwerk" oder "pro-amerikanischer Propagandafilm" oder gar als "psychologische Vorbereitung für einen Angriff auf den Iran" sehen. Das Perserreich des Films hat mit dem modernen Iran etwa so wenig Ähnlichkeit, wie der hünenhafte, athletische, mit Glatze, Ketten, Piercings zugleich barbarisch, dämonisch und majestätisch wirkende Perserkönigs Xerxes (dargestellt von Rodrigo Santoro) mit dem schmächtigen, schlecht gekleideten und erstaunlich uncharismatischen Präsidenten des Iran (dargestellt von Mahmud Ahmadinedschad).
Sicher, der Erzählkommentar aus dem Off schafft im Zusammenspiel mit den pathetischen-matialischen Sprüchen (die im Comic noch "cool" wirken) manchmal wirklich eine an einen deutschen Propaganda-Film aus dem 2. Weltkrieg erinnernde Atmosphäre. Aber es ist einigermaßen absurd, zu behaupten, der Körperkult des Filmes sei eine Art Folgeschaden der "Triumph des Willens"-Ästhetik Leni Riefenstahls. Tatsächlich bediente sich der Comic - und damit der Film - bei einer Quelle, die auch die Riefenstahl bei ihrem Olympia-Film inspirierte: dem Körperkult der griechische Antike. Archaisch und urgewaltig - so wirken die Spartaner in Millers Comic, die nicht einmal eine Rüstung brauchen, manchmal gar, dem Vorbild griechischer Vasenbilder und Plastiken aus der "klassischen" Zeit nach den Perserkriegen folgend, in idealisierter Nacktheit kämpfen. (Dass die im Comic vorkommende gelegentliche Nacktheit im Film fehlte, ist dem bizarren "moral code" der amerikanischen Filmindustrie zu verdanken: einige Hektoliter Filmblut gehen für ein "R-rating" in Ordnung - aber "full frontal nudity" hätte automatisch eine Einstufung "ab 18" zur Folge gehabt.)

Der Grund, weshalb ich den Film beim Wiederansehen "doof" fand, lag darin, dass ich beim zweiten Mal ohne die überwältigende Wirkung einer großen Leinwand und mit mitlaufendem "kritischen Verstand" sah. Und das entzaubert "reines Emotionskino", egal ob Liebesschnulze, Actionfilm oder Horrorspektakel, ziemlich gründlich.

Die Enttäuschung fängt bei der eigentlichen Stärke des Film, der Optik, an: die Schauspieler agierten ausschließlich in Studios vor blauen Wänden, auf die dann nachträglich computeranimierte Hintergründe eingefügt wurden. Die Wirkung kommt damit der Comic-Vorlage nahe, erreicht aber bei weitem nicht die Wirkung des ganz klassisch mit Aquarellfarben colorierten und deshalb sehr organisch wirkenden Originals. Wenn die erste Faszination verflogen ist, wirkt der Film recht kalt, steril und "zweidimensional", die Schauspieler wirken manchmal hölzern - klar, sie spielen "in Wirklichkeit" in einem praktisch leeren Studio. Die Farbpalette ist reduziert auf Gold, Rot, Grau - die dadurch erzielte Stilisierung erhöht die Vorbildtreue, kostet aber Atmosphäre - was man besonders merkt, wenn man zuvor etwa "Gladiator", "Troja" oder sogar"Herr der Ringe" gesehen hat, deren Schlachtszenen trotz weniger spritzendem Blut und weniger abgesäbelten Köpfen "gruseliger" wirken.
Trotz aller Vorbildtreue herrschen im Medium Film doch andere Gesetze als im Comic. Der, nebenbei bemerkt, auch nicht gerade der Beste ist, den Miller ja gezeichnet hat.

Die kleine Längen wegen der laaaangen, auf bedeutungsschwer gequälten, vor Pathos triefende Dialoge fallen auf dem heimischen Monitor mehr auf, zum Glück aber auch der unfreiwilliger Humor eben dieser Dialoge. (Überhaupt trägt unfreiwillige Komik sehr viel zur Filmerlebnis "300" bei.)
Die Länge und das langweilig-soldatische Pathos der Dialoge stört auch die Wirkung der trockenen, knappen, eben "lakonische" Ausdruckweise der Spartaner. (Lakonien ist die griechische Region, in der Sparta liegt.) Unpassend auch, dass Leonidas (Gerard Butler) viel zu oft laut brüllt - einige lakonische Textzeilen wären wirkungsvoller gewesen, wenn er sie in betont gleichgültigem Tonfall gebracht hätte. Da passt es, dass der beste absichtliche Dialog-Gag des Filmes schon uralt ist, genauer gesagt, 2454 Jahre alt: "Unsere Pfeile werden die Sonne verdunkeln!" - "Dann werden wir im Schatten kämpfen." (Aus Herodots Historien.)
Von mehr freiwilliger Gags, von etwas mehr Ironie, hätte der Film nur profitieren können.
Allerdings, Snyder meint, dass dem Zuschauer durch Ironie und vor allem durch die erkennbar übertriebene Inszenierung deutlich gemacht wird, dass die Protagonisten "moralisch bankrott" seien und deshalb keine Vorbilder sein könnten. Wenn das so ist, hat er seine Botschaft gut versteckt. Trotzdem: die völlig überzogenen Helden-Klischees und Gewaltphantasien wirken wirklich so, als ob Snyder sie einfach nur durch daumendickes Auftragen veralbern wollte. Allerdings aus reinem Spaß am Veralbern, ohne tieferen Sinn.

Wäre es ein X-beliebiger Film über einen x-beliebigen Krieg, dann würde mein leicht enttäuschtes Urteil lauten: unterhaltsames Gemetzel, bei dem es ordentlich splattert, leider mit langweiligem Soldatenpathos.
Ein unterhaltsamer, aber doofer Film.

Was ihn aber "gut-doof" macht: er versucht wenigstens, einen Mythos zu verstehen, der historisch falsch, aber auf jene Art wahr ist, auf die Mythen und Märchen ("gesunkenen Mythen") wahr sind. Der in einem "realistischen" Historienfilm nicht zu vermitteln gewesen wäre. Regisseur Snyder drückt es so aus: "Die Wahrheit kann eine gute Geschichte ruinieren."

Leider versuchte er nur dem Mythos gerecht zu werden. Und bei all dem sollte man eine Tatsache nicht vergessen, die selbst für die kriegerischen Spartaner gilt:
οὐδεὶς γὰρ οὕτω ἀνόητος ἐστὶ ὅστις πόλεμον πρὸ εἰρήνης αἱρέεται
(Niemand wird so dumm sein, dass er Krieg statt des Friedens wählt.)
Herodot, Historien
astuga (Gast) - 26. Aug, 21:09

Du übersiehst nur eines: Das ist eine Comic-Verfilmung.

MMarheinecke - 26. Aug, 22:47

Kaum möglich, denn den Comic "300" kannte ich schon, was aus meinem Text ja auch hervorgeht.
Außerdem betrachte ich Comics als Literaturform, weshalb eine Comic-Verfilmung nicht auf "Gnade" in meinen Augen hoffen dürfte, wenn sie nicht so gelungen ist, nach dem Motto "ist eh nur eine Comic-Verfilmung". Dafür gibt es einfach zu viele inhaltlich anspruchsvolle Comics und zu viele gute Comic-Verfilmungen.

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