Urlaubs-... Reise
In der vorangegangene Folge erwähnte ich den Prestigewert des Urlaubs: Wer lange Urlaub machen kann, demonstriert damit ebenso seinen Status als "Erfolgsmensch", wie derjenige, der sich teure Reisen leisten kann.
Es gibt regelmäßig ein Dilemma, dass ich auch aus meinem Berufsleben kenne: verdient man das nötige Geld für weite Reisen, dann ist es in aller Regel schwierig, mehr als zwei, allerhöchstens drei Wochen "am Stück" Urlaub zu bekommen. Für einige Kollegen, die sich aufgrund ihre Fähigkeiten praktisch unentbehrlich gemacht hatten, und entsprechende Gehälter forderten (und bekamen), war es praktisch unmöglich, länger als eine Woche Urlaub am Stück zu bekommen. Und selbst dann klingelte nicht selten am Urlaubsort das Händy - was zumindest einer meiner Kollegen nicht weiter schlimm fand, das Bewußtsein der eigenen Wichtigkeit tröstete ihn über die entgangenen Urlaubsfreuden hinweg. "Die haben sogar ein Privatflugzeug gechartert, damit ich hier das Problem mit dem Server lösen kann". Na ja, zwei Jahre später hatte er seinen Schlaganfall, mit Mitte 40, und "die Firma" mußte wohl oder übel ohne ihren Super-Experten auskommen.
Für die einfachen, grauen Büromäuse waren vier Wochen Urlaub am Stück realistisch, sie waren eben "ersetzbar". Dafür hatten sie ständig Angst vor der Arbeitslosigkeit, weil sie "ersetzbar" waren. Außerdem waren bei ihrem Gehalt allenfalls Ostsee oder Bayrischer Wald drin - und beneideten ihre besser bezahlten Kollegen dafür, dass diese "mal eben" für eine Woche an den Indischen Ozean jetten konnten.
Meiner Ansicht nach haben die Zwänge unseres Berufslebens und das offensichtlich unvermeidliche Prestigestreben, zusammen mit dem menschlich verständlichen "Fernweh", eine im wahrsten Sinne des Wortes ungesunde Praxis des Urlaubsreisen geschaffen. Wenn ich heute in die Karibik fliegen würde, würde ich etwa drei Wochen brauchen, bis ich mich aklimatisiert hätte. Erst ab dann würde die Erhohlung beginnen! Nach meiner Rückkehr hätte ich zuhause den Stress der klimatischen Rückumstellung, auf keinen Fall bekäme es mir gut, einen Tag nach der Rückkehr gleich arbeiten zu gehen. Theoretisch müßte ein "erholsamer Karibikurlaub" im Herbst mindestens vier, besser fünf Wochen dauern, plus eine Woche Rück-Aklimatisierung nach der Heimkehr. Fünf- bis sechs Wochen Urlaub sind aber völlig unrealistisch!
Bei den beliebten Reisen ans Mittelmeer ist der Effekt natürlich weniger krass, vor allem, wenn man nicht im brüllend heißen Hochsommer fährt, beim Urlaub in Mittel- und Nordeuropa ist, von starken Reizklimaten (Hochgebirge) abgesehen, der Klimastress kein Problem. So gesehen leben die "grauen Büromäuse" mit vier Wochen Urlaub auf Rügen und dann noch mal eine Woche Harz gesünder als die leitenden Angestellten, die für eine Woche auf die Bahamas fliegen, später noch mal eine Woche nach New York, im Winter eine Woche St. Moritz, und im Frühling eine Woche nach Tailand usw..
Wenn ich mich daran erinnere, welche Urlaubsreisen mir am besten gefallen haben, und bei denen ich mich besonders wohl gefühlt hatte, dann haben sie alle eine gewisse Geruhsamkeit bei gleichzeitiger Abwechslung, einem gewissen "Abenteuer". gemeinsam. Städtereisen usw. sind äußerst spannend, aber eben nicht erholsam. Hingegen sind ein paar Wochen am Schweriner See entspannend, aber eher langweilig. Camping- und Wanderurlaub in Nordeuropa ist also nicht von ungefähr meine bevorzugte Urlaubsreiseform.
Alles getoppt haben aus meiner Sicht aber Reisen auf Segelschiffen.
Die Fotos in diesem Beitrag stammen von solch einer Reise, einem Turn auf der "Seute Deern II", an dem ich vor mehr als 20 Jahren teilnahm. Der "Erholungswert" mag etwas zweifelhaft sein, denn ich war kein Passagier, sondern mußte mit anpacken. Allerdings empfand ich die körperliche Arbeit eher als angenehme Abwechslung.
Mit dem Erlebnis dieser Reise setzte bei mir so etwas wir ein Umdenken ein. Als Jugendlicher war für mich klar, Urlaub - das ist Sonne, Strand und Party, und wenn man ordentlich was erzählen (und sich beneiden lassen) will, muß man an möglichst exotische Orte fahren. Der Gelegenheit, mal auf einem Segler zu fahren, konnte ich aber nicht widerstehen. Was meinen Ego schmeichelte: wenn ich später von der "Seute Deern" erzählte und meine Fotos 'rauskramte, dann hörten meine Freunde, Bekannten, Verwandten nicht nur, wie üblich, höflich interessiert zu. Die gingen richtig mit, die stellten interessierte Fragen - was sonst nur Leuten passierte, die zu Fuß durch den afrikanischen Regenwald gelatscht waren.
Der zweite Effekt: auf diesem Turn, der übrigens "nur" auf der Ostsee stattfand, entdeckte ich mich ein wenig selbst. Ein Effekt, den ich auf späteren Reisen ganz bewußt und erfolgreich suchte: die Reise "in die Welt" mit der "Reise ins Ich" zu verbinden.
Das erfordert Zeit, die man sich nimmt. "Die Entdeckung der Langsamkeit", um es mit dem Titel eines meiner Lieblingsbücher zu sagen, eines biographischen Romans über den Seeoffizier und Forscher Sir John Franklin. Reise zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Boot oder Segelschiff kommen dem sehr entgegen - im weitesten Sinne alle jene Reisen, bei denen das Ziel weniger wichtig ist als die Reise selbst. Mit einem etwas abgenutzten Spruch, "Dao light": Der Weg ist das Ziel.
Übrigens hatte ich nach der Fahrt auf der "Seute Deern", im noch recht kühlen Frühjahr, eine sogenannte Seglerbräune zwischen dem Rand des Rollkragens und dem der Wollmütze, nicht unähnlich der Skifahrerbräune.
Die Urlaubsbräune ist ein Thema für sich - davon das nächste Mal mehr: Urlaubs-... Bräune.
Urlaubs-... Reise ist der 3. von 5 Beiträgen:
Es gingen voran:
Urlaubs-... Reife
Urlaubs-... Anspruch
Es folgen:
Urlaubs-... Bräune
Urlaubs-... Träume
Fotos: MMarheinecke
MMarheinecke - Samstag, 14. Oktober 2006
Die Art, wie wir Urlaub machen, sagt eigentlich immer etwas über unser Leben "zuhause" aus. Und je älter wir werden, je mehr Verantwortunge wir im beruf haben - desto mehr ist der Urlaub ein wichtiger Ausgleich -
mir geht es oft ähnlich wie dir, diese bedürfnis nach bewegung - bin einmal nach einem sehr anstrengendem jahr zu Fuss durch Österreich gegangen - war eine sehr gute erfahrung