Urlaubs-... Anspruch

Urlaub - Sie haben es sich verdient! (alter TUI Werbespruch)
Gose Elbe
Vor einigen Tagen, Anfang Oktober 2006, drang ein internes Papier an die Öffentlichkeit, in dem Politiker von CDU und CSU forderten, die Strafmaßnahmen gegen arbeitsunwillige Langzeitarbeitslose verschärfen.
Außerdem soll auch der Urlaubsanspruch für Hartz-IV-Empfänger gestrichen werden.

netzeitung: Union will Druck auf Arbeitslose erhöhen

netzeitung: Städtebund kritisiert Hartz-IV-Pläne der Union

FR online: SPD gegen Unions-Pläne bei Hartz IV - Pofalla für mehr Sanktionen

Dazu werden nicht wenige meinen: "Warum denn nicht, wer nicht arbeitet, der braucht auch keinen Urlaub."
Es stimmt schon, wer Arbeitslosengeld II bekommt, der bekommt es selbstverständlich deshalb, weil er keine Arbeit hat. Der Urlaubsanspruch besteht darin, dass nach rechtzeitiger vorheriger Anmeldung für bis zu drei Wochen die Plicht des Arbeitslosen ausgesetzt wird, sich täglich dem "Jobcenter" zur Verfügung zu halten. Diese Pflicht bedeutet in der Praxis, dass der Arbeitslose an jedem Tag erreichbar und in der Lage sein muß, am Morgen des folgenden Tages im "Jobcenter" zu erscheinen. Zu deutsch: ein Arbeitsloser darf ohne Erlaubnis nicht verreisen. Streng genommen nicht mal übers Wochenende, weil ja am Samstag ein Brief im Briefkasten stecken könnte, der ihn auffordert, sich montags um 8:30 im Jobcenter zu melden.
Wie verheerend es sich auf das soziale Umfeld eines Arbeitslosen auswirken würde, wenn der Urlaubsanspruch - der Anspruch darauf, die Erlaubnis zu erhalten, von zuhause wegzufahren - gestrichen wird, mag sich jeder selber ausmalen.
Hinter den verschärften Sanktionen steckt vermutlich das weit verbreitete Mißtrauen gegenüber Langzeitsarbeitslosen, der Generalverdacht, sie seinen Faulenzer und Schmarotzer oder schlicht renitent. Ein Mißtrauen, das nicht ganz unbegründet sein dürfte, denn ein Hartz IV Empfänger hat wenig zu verlieren und nicht selten jede Hoffnung aufgegeben, noch einmal "gewinnen" zu können. Da sammelt sich sozialer Sprengstoff an. Strenge Kontrolle scheint ein verlockend einfacher Weg zu sein, Langzeitarbeitslose davon abzuhalten "auf dumme Gedanken zu kommen".

Hinter der Idee, den Urlaubsanspruch für ALG II Empfänger zu beseitigen (der niemanden etwas kostet) steckt meines Ansicht nach etwas Anderes: Neid. Beziehungsweise der populistische Apell an den Neid der arbeitenden Bevölkerung. Theoretisch kann ein ALG II Empfänger im Sommer den ganzen Tag am Badesee verbringen - und einige machen das auch. (Die meisten anderen Freizeitaktivitäten wären sowieso zu teuer.) Ebenso auffällig sind Arbeitslose, die viel Zeit in Kneipen (wo sie sich möglichst lange an einem Bier festhalten) oder Cafés verbringen. Der Neid eines gestreßten Angestellten oder vom Malochen erschöpften Arbeiters auf die "den ganzen Tag faul rumlungernden und dafür auch noch Geld kassierenden" Arbeitslosen ist leicht zu mobilisieren - um so leichter, je schlechter die Bezahlung und härter die Arbeitsbedingungen sind.
Das funktioniert auch deshalb so gut, weil viele Arbeitsnehmer zwar durchaus damit rechnen, auch mal arbeitslos zu werden, die Möglichkeit, dass dieser unerfreuliche Zustand länger als ein Jahr andauern könnte aber gern verdrängen. Oft aus uneingestandener Angst, vermute ich.
Boberger Dühne
Aber letzten Endes ist die Vorstellung entscheidend, dass Urlaub allein und ausschließlich eine Belohnung für erbrachte Leistung ist. Schon die Erkenntniss, dass Urlaub der Erholung dienen könnte, tritt dagegen in den Hintergrund. Und über die Idee, Urlaub sei auch für einen Arbeitslosen nützlich, da er zum Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit beiträgt, werden sehr viele keinesweg dumme oder hartherzige Menschen nur den Kopf schütteln.

Letztes Jahr machte der Zentralverband des deutschen Handwerks mit einem Vorschlag auf sich aufmerksam, aus dem eine ähnliche Mentalität spricht:
Handwerk will bei Krankheit Urlaub streichen
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks schlug damals vor, künftig Krankheitstage mit dem Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern zu verrechnen. Verbandspräsident Otto Kentzler bezeichnete solche Maßnahme als "absolutes Muss". Eine andere Möglichkeit sei die Anrechnung auf ein Arbeitszeitkonto. Urlaub müsse erwirtschaftet werden, begründete der Handwerks-Präsident seinen Vorstoß.
Also: der Gedanke des Erholungsurlaubs war für Kentzler offensichtlich passé.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wies diesen Vorschlag in der B. Z. zurück, und zwar interessanterweise mit der selben Begründung, die auch von Seiten des DGB kam:
"Ich halte diesen Vorschlag für Unsinn. Krankheit ist Krankheit, und Urlaub bleibt Urlaub". Wenn die Arbeitgeber weniger Urlaub vereinbaren wollten, dann sollten "sie das offen sagen und nicht in die Trickkiste greifen".

Die Vorstellung, dass Urlaub eine Belohnung für erfolgreiche Arbeit sei, fördert natürlich den Prestigewert des Urlaubs: Wer lange Urlaub machen kann, demonstriert damit ebenso seinen Status als "Erfolgsmensch", wie derjenige, der sich teure Reisen leisten kann.

Mehr dazu das nächste Mal: Urlaubs-... Reise.

Urlaubs-... Anspruch ist der 2. von 5 Beiträgen.
Voran ging:
Urlaubs-... Reife
Es folgen:
Urlaubs-... Reise
Urlaubs-... Bräune
Urlaubs-... Träume

Fotos: Wikipedia, MMarheinecke

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