Donnerstag, 29. März 2007

Urahnen der "Wikingerfrau von Oseberg" stammen vom Schwarzen Meer

1904 wurden im berühmten Schiffsgrab von Oseberg zwei relativ gut erhaltenen Frauenleichen gefunden. Eine der Frauen ist möglicherweise die aus Chroniken bekannte Königin Åsa.

Die Frau selbst war "Norwegerin", behauptet Professor Per Holck von der Universität Oslo, der die Analysen des DNA-Materials vornahm, das man ihren Knochen entnommen hatte. Aber Holck sagt, dass obwohl sie aus einer Region stammte, die heute norwegisch ist, ihre Urahnen nahe dem Schwarzen Meer gelebt haben könnten.

Leider gibt Holck bisher keine weiteren Details seiner Untersuchungen bekannt, bis sein Artikel in der britischen Fachzeitschrift "European Archaeology" publiziert wird.

Aftenposten: Viking woman had roots near the Black Sea

Die Abstammung der "Wikingerfürstin" überrascht aus historischer Sicht nicht. Schon im 8. und 9. Jahrhundert unternahmen nordeuropäische Kaufleute Reisen in das byzantinische (vormals oströmische) Reich. Aber nicht nur das: Aus der Völkerwanderungszeit im 4. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ist das Phänomen des
“gotischen Rückstromhorizonts” bekannt. Der Kontakt der Goten zur alten Heimat im Ostseeraum riss nie ab. Neue Schmuck- und Waffenformen der Donaugoten wurden von den "Daheimgebliebenen" noch in derselben Generation kopiert. Anderseits dürfte unter den Vorfahren der auf der Krim und an der Donau siedelnden Goten nur wenige Menschen aus der südschwedischen "Urheimat" ihrer Herkunftslegenden gestammt haben. Nach diesen Legenden stammten die Goten von der Besatzungen dreier Schiffe ab, die von Schweden kommend im heutigen Polen landeten. 100 Jahre nach dem Aufbruch der drei Schiffe zählte der Stamm dieser Wandergoten schon über zehntausend Menschen. Eine derartige Massenvermehrung ist nur vorstellbar, indem ganze Sippen anderer Stämme und Kulturen in den Stamm der Goten aufgenommen wurden. Die wenigsten Vorfahren eines Goten, der in die "alte Heimat" zurückkehrte dürften aus dieser "Stammheimat" gekommen sein.
Entsprechend wird es auch bei anderen wandernden Stämmen mit "skandinavischer Urheimat" gewesen sein. Und davon abgesehen ging die Wanderung der "indogermanischen Völker" bekanntlich vom Südosten Europas gen Nordwesten.
Es überrascht also nicht im Geringsten, dass in den Knochen einer Frau, die am Oslofjord lebte, Gene, die auf den Schwarzmeerraum hinweisen, zu finden sind.

Mittwoch, 28. März 2007

Fundamentalistisch, intolerant - und Spaß dabei!

Religiöse Fundamentalisten gelten - nicht zu Unrecht - als verbissen, grimmig, humorlos.

Allerdings gibt es in den USA schon lange Pop-Fundamentalismus - erzkonservative, bitterböse Botschaften in moderner und spaßiger Verpackung. Höllenqualen, Sündenangst und Hass auf "Ungläubige" als gefälliger Popsong oder Comic. Manchmal (unfreiwilig) saukomisch, manchmal nur zum Davonrennen.

In Paris fand Mitte März die dritte "Life-Parade" statt. Nicht zu verwechseln mit der "Love Parade": Während die "Love Parade" ein Musterbeispiel für das ist, was Herbert Marcuse einst, in den wilden 60ern, "repressive Toleranz" nannte - eine Toleranz, die dem Einzelnen eine Freiheit gestattet, die frei von jeder (realen) politischen Bedeutung ist - verzichtet die "Life Parade" gleich auf die Toleranz und beschränkt sich auf die Repression. Die ist aber bunt in jede Menge Amüsement verpackt.
Die "Life Parade" ist eine Initiative der "kulturellen Vereinigung für die Förderung der Familie und der Würde der menschlichen Persönlichkeit". Diese Kopie des amerikanischen "March for Life" bringt 10.000 bis 15.000 junge Leute auf die Strasse, die mit Musik und Tanz gegen Schwangerschaftsunterbrechung, Homosexualität und für "christliche Werte" demonstrieren. Die Organisatoren bestreiten jegliche direkte Unterstützung der Kirchen und präsentieren sich als eine spontane Reaktion der Jugendlichen auf den "zunehmenden Sittenverfall". Hinsichtlich der direkten Unterstüzung durch die großen Kirchen könnte das sogar stimmen, "spontan" dürfte an dieser Veranstaltung noch weitaus weniger als bei der "Love Parade" sein. (Bericht über die "Life Parade" in der "Liberation" (französisch) - via: hdp-online .)

"March for Life", das US-Vorbild, ist eine jährliche Groß-Demonstration von fanatischen Abtreibungsgegnern (die sich selbst "Pro Life" nennen), die im Laufe der Jahre immer stärker Eventcharakter angenommen hat. Die französische Veranstaltung dürfte hinsichtlich der musikalisch-spaßorientierten Form auch von "Rock for Life" inspiriert sein. Obwohl es eigentlich keine logische Brücke zum Thema "Abtreibung" gibt, haben "March for Life" und "Rock for Life" unüberhörbare, wenngleich nicht immer offen eingestandene, schwulenfeindliche Tendenzen. Der Grund dürfte im konservativen Familienbild der meisten "Pro Lifer" zu suchen sei - und in der impliziten Vorstellung, dass der "natürliche" bzw. "gottgewollte" Zweck von Sex ausschließlich in der Zeugung von Kindern liegt. "Rock for Life" macht daraus gar kein Hehl - und ist auch bei Angriffen auf vermeindliche Feinde nicht zimperlich: Dark Side.

Pro Lifers kill

Montag, 26. März 2007

Noch eine Horror-Prognose, die daneben ging

Horrorprognosen dienen, ab einem gewissen Schrecklichkeitsgrad, nicht mehr der Aufklärung, sondern der Angstmache. Denn: "Wer Angst hat, wird passiv. Und ist gut beherrschbar."

Das gilt selbstverständlich auch für Schreckenszenarien auf dem Gebiet der Medizin. Deren Tenor ist oft: "Wer krank wird, ist wegen seines ungesunden Lebensstils selber schuld." "(Und belastet z. B. durch sein unverantwortliches Übergewicht die Solidargemeinschaft. Bei den asozialen Fettwänsten, kriminellen Rauchern, egoistischen Sportlern (Verletzungen) und gedankenlosen Nichtsportlern (Bewegungsmangel) können wir uns bedanken, wenn das Krankenversicherungsystem nicht finanziell gesund werden kann! Jawolll!")
Manchmal geht es aber auch nur darum, eine bestimmte Therapie, Vorbeugung, Ernährungsweise usw. buchstäblich zu verkaufen.

Eine beliebte Horror-Prognose geht von einer angeblich dramatisch gestiegenen Zahl von Melanom-Erkrankungen aus, die dann zu erschreckenden Szenarien hochgerechnet werden. Zum angeblichen "dramatischen Anstieg des schwarzen Hautkrebs" hatte ich schon öfter etwas geschrieben, z. B. hier: Todesurteil für UV-süchtige Teenager und Was jeder weiß ... Besonders gefährdet: Junge Menschen. ("Holen Sie Ihr Kind aus der Sonne, bevor es ein anderer tut!")

Gemäß einer neuen Studie aus Schweden sieht es so aus, als sei die Zahl der an Melanomen erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 1973 bis 1993 erheblich gestiegen (inwieweit das das auf den realer Zuwachs zurückzuführen war, oder in erster Linie der verbesserten Diagnostik geschuldet war, ist dabei gerade in Schweden, dem "Musterland" der gründlichen Reihenuntersuchungen, durchaus fraglich). Seit 1993 ging diese Krebsform offensichtlich stark zurück.
Die Zahlen fielen von 5,0 Fällen pro einer Million in den Jahren 1983-92 steil ab auf 3,6/Million nur 10 Jahre später im Jahre 2002.

Die Überlebensrate bei den Jugendlichen (nach 5 Jahren) bei dieser gefährlichsten Hautkrebs-Art liegt inzwischen bei 90%.

Studie: P.M. Karlsson , M. Fredrikson, Cutaneous malignant melanoma in children and adolescents in Sweden, 1993-2002: The increasing trend is broken, International Journal of Cancer, 2007 Mar 19, Vorabveröffentlichung im Internet.

Warum das so ist, darüber kann man nur mutmaßen. Ich vermute einerseits, dass schon einfacher Sonnenschutz ("achtet darauf, dass die Kinder keinen Sonnenbrand bekommen") das Krankheitsrisiko erheblich reduziert. (Und aus UV-Hysterie geborene Extremschutzmaßnahmen überflüssig bis schädlich sind). Anderseits vermute ich, dass andere Umwelt-Faktoren, die Melanome begünstigen, heute weniger wirksam sind als noch vor 25 Jahren.

Wie dem auch sei: die Solarien-Lobby nutzt diese erfreuliche Entwicklung, um ebenfalls platte Propaganda zu betreiben:
Gerade in den Jahren, in denen sich der Boom am Solarienmarkt in Schweden nach den Vorhersagen der Solarien-Kritiker in einer ständig steigenden Kurver der Melanom-Erkrankungen zeigen müsste, bringen diese Daten die Propheten in erhebliche Argumentationsnot.
(aus Photomed-Blog: Hautkrebs bei Jugendlichen nimmt ab)

Ja, es gibt in Schweden, was angesichts langer und dunklen Winter nicht wirklich überrascht, einen seit Jahren anhaltenden Solariums-Boom. Allerdings sind Kinder praktisch nie und Jugendliche (auch aufgrund staatlicher Vorschriften) eher selten Solariumsnutzer.
Damit kann der Solariumsboom gar keine Auswirkungen auf die Hautkrebsrate bei jungen Menschen haben. Die Solariums-Werber unterstellen den Solariums-Gegnern Argumente, die sie so nie verwendet haben.

Man kann nur Verlieren

Jeder, der auch nur oberflächliche Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat, weis es längst: bei jedem Glücksspiel wird ein Spieler auf längere Sicht immer verlieren, und Lotterien sind Steuern, die auf Dummheit erhoben werden.

Ist man gar Langzeitsarbeitsloser, ist es - das schreibe ich ohne jede Ironie und ohne jede Nachsicht - hirnverbrannte, selbstzerstörerische Dummheit, auch nur einen kostbaren Cent bei Gewinnspielen zu verzocken.
Denn verliert man als ALGII-Empfänger, verschwendet man "nur", obwohl man nun wirlich nichts zu verschwenden hat.
Gewinnt man, wird man bestraft.
Netzzeitung: Auto-Hauptgewinn kostet Arbeitslosengeld II.
Gewinnt ein Langzeitarbeitsloser in einem Gewinnspiel ein Auto, hat er Pech gehabt: Ihm darf das Arbeitslosengeld (ALG) II so lange gestrichen werden, bis der Wert des Wagens verbraucht ist. Das hat das Sozialgericht Dortmund in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden.
Bei einem Geldgewinn war die Rechtslage schon bisher klar: Kein ALG II, bis das Geld aufgebraucht ist. Womit sich rein rechnerisch alles , was nicht gerade ein Lotto-Hauptgewinn ist (der bei kluger Geldanlage für eine gewisse Zeit finanziell unabhängig macht), sich für ALG II-Empfänger schlicht nicht lohnt. Ein Sachgewinn, der sich nie zum Nominalwert "zu Geld machen läßt", wirkt sich hingegen stets negativ für den Langzeitarbeitslosen aus.

Nachtrag, 27. März: lawblog: Arbeits-Los.
Einem arbeitslosem Familienvater in Iserlohn ist von der Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) das Arbeitslosengeld II gestrichen worden, weil er bei einer Baumarktkette einen neuen VW Golf “Goal” im Wert von 17 610 Euro gewonnen hatte.

Das Sozialgericht Dortmund hat gestern diese Entscheidung bestätigt. Das Auto falle nicht unter das geschütze Vermögen, sondern sei „als einmaliges Einkommen anzurechnen“. Der Familienvater bleibt deshalb für zehn Monate ohne Arbeitslosengeld. (pbd)

Sonntag, 25. März 2007

Verräterische Worte

Dieser Kommentar ist so unbeabsichtig (?) klar und ehrlich, dass ich ihn einfach zitieren muss obwohl er schon in mehreren Blogs verabeitet wurde:
Kommentar des Direktors des (unternehmernahen) Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, zur Verabschiedung der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und unbeabsichtigtes Schlaglicht auf sein Demokrativerständnis:
Für die Investoren ist entscheidend, dass es der Regierung gelungen ist, ein Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.
(dpa/Der Tagesspiegel vom 10.3.2007 via Nachdenkseiten.)

Unbeabsichtigt verräterisch ist auch diese Aussage hier, gefunden bei Nanuk: Nüchterne Fakten über Kinder.
Nirgendwo ist es leichter, Nacktfotos oder pornographische Videos zu verbreiten und über Sex zu sprechen.
meint die Geschäftsführerin der Deutschen Sektion des Netzwerks “Innocence in Danger“, Julia von Weiler, anläßlich einer Tagung in Münster über Internet, Handy und Co.

Allein, wie pornographische Videos, Nacktfotos und Gespräche über Sex in einem Satz genannt werden, umreißt das Weltbild Frau von Weiler und übrigens auch des Vereins Innocence en danger besser, als es ein oberflächlicher Blick auf die Website des Vereins zeigt.

Dass es der Verein gut meint, steht außer Frage, ob die vorgeschlagenen Mittel tauglich sind, die Ziele, nämlich den Kindesmißbrauch im Internet zu verhindern, wage ich schwer zu bezweifeln. Wie ich auch die genannten Horrorzahlen nicht nachvollziehen kann - oder leider auf eine Art und Weise, die nicht für "innocence en danger" spricht:
In 2004 wurden laut der polizeilichen Kriminalstatistik des BKA 15.255 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und 4.819 Fälle des Besitzes bzw. der Verschaffung von Kinderpornografie angezeigt. (In 2003 waren es 2.868 Fälle).
Ja, und es wurden, nach der selben Statistik, im Jahr 2004 in Deutschland 12 Menschen wegen der Verbreitung Kipo-Schriften verurteilt, sowie ca. 800 wegen des Besitzes bzw. der Beschaffung von Kipo-Material. Das heißt, einer großen Zahl Anzeigen steht eine relativ kleine Zahl nachgewiesener Straftaten gegenüber. Was übrigens auch nicht gerade für die immer wieder behaupteten gigantischen Dunkelziffern nie angezeigter Kipo-Delikte spricht.
Weshalb auch die gestiegene Anzahl der Anzeigen nichts beweist - außer, dass die Neigung, jemanden wegen Kipo anzuzeigen, gestiegen ist.
Warum kümmert sich der Verein nur im sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet? Denn, wie Holger Engels, Leiter der Kriminalinspektion 1 des Polizeipräsidiums Münster zum gleichen Thema befragt sagte:
Rund zwei Drittel der Missbrauchsfälle in Deutschland spielen sich im Nahraum der Familie ab.
Weshalb die meisten Hilfsorganisationen für Opfer sexualisierter Gewalt ihre Arbeitsschwerpunkte sinnvollerweise in diesem Nahraum setzen, dahin, wo tatsächlich Kinder gequält und vergewaltigt werden. (Auch die meisten Kinderpornos entstehen übrigens im vermeindlich geborgenen "Nahraum der Familie".
Sehr im Gegensatz zu dem, was die Berichterstattung in den Massenmedien vermuten läßt.)

Zurück zur Aussage von Frau von Weiler: enorm wichtig bei der Vorsorge gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder, und ebenso wichtig für die Aufklärung entwentueller Verbrechen ist, dass die Kinder gelernt haben, offen über Sex zu sprechen. Wenn sich die gute Frau darüber mockiert, dass im Internet so offen über Sex geredet wird, dann erweist sie dem Schutz der Kinder (und Jugendlichen) einen Bärendienst.

Es sei denn, die Kinder sollen nicht vor der sexualisierten Gewalt, sondern vor der Sexualität an sich geschützt werden.

Donnerstag, 22. März 2007

Bewußtsein

Das wissenschaftliche Denken in der heutigen Medizin, Psychatrie, Psychologie und Anthropologie stellt inhaltlich eine direkte Ausdehnung des aus dem siebzehnten Jahrhundert stammenden newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum dar. Da sämtliche Grundannahmen dieser Wirklichkeitsauffassung von der Physik des zwanzigsten Jahrhunders transzendiert werden, dürfte man eigentlich erwarten, dass es in sämtlichen Disziplinen, die ihre direkten Derivate sind, früher oder später zu großen Veränderungen kommt.
Stanislav Grof: Geburt, Tod und Tranzendenz (Originaltitel: Beyond the Brain)

Wo er recht hat, hat der Mit-Begründer der transpersonalen Psychologie recht - trotz seiner Beliebtheit unter Dummschwätz-Esoterikern, Wochenendseminar-Schamanen und LSD-Astronauten, an der er selbst nicht so ganz unschuldig ist ...

Als ich ich gestern abend, als ich, auf meinem Sofa gefläzt, bei Kerzenlicht ein wenig abschaltete (was für ein schmarotzerhaftes, faules, dekadentes, unproduktives und unkreatives Lebensgefühl, wird manch ein Leitkultur-Avangardist meinen), ging mir das Grof-Zitat nicht aus dem Sinn - und ein interessanter Beitrag über Quantenteleportation von Köppnick, an dessen Ende er schrieb:
Ganz am Schluss outet er sich dort als Anhänger der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, wonach die Existenz des bewussten Beobachters ganz wesentlich für die Existenz der Welt ist.
Es würde mich sehr interessieren, wie sich dieser spezielle „Glauben“ einiger Physiker mit dem „Glauben“ einiger Neurowissenschaftler verträgt, die Bewusstsein auf einen simplen physikalischen Prozess reduzieren wollen. Eines der beiden Glaubenspostulate muss falsch sein. Ich vermute sogar fast, beide..
Ich vermute hingegen, dass sowohl die "Kopenhagener" wie die Neurowissenschaftler recht haben, und sich ihre Deutungen nur im von Grof so genannten "newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum", also dem Weltbild der "alten" Physik vor Plank und Einstein, widerspechen. Wobei viele der Neurowissenschaftler, die die Existenz eines "freien Willens" verneinen, und das Bewußtsein als nachgeordnetes Scheinphänomen, als eine Art PR-Stunt betrachten, eindeutig positivistisch im Sinne des späten 19. Jahrhunderts argumentieren. Aber eben nicht alle.
Ein "Glaubenspostulat" ist die Feststellung, es gäbe aus neurologisch keinen Hinweis auf einen freien Willen, und auch keinen Grund, so ein metaphysisches Konstrukt in eine naturwissenschaftliche Theorie einzubauen, an sich keineswegs. Sie ist vielmehr mit dem methodologischen Atheismus in der Naturwissenschaft vergleichbar. Auch die Meßergebnisse, nach denen die bewußte Entscheidung, z. B. ein Auge zu schließen, erst erfolgt nachdem der Nervenimpuls zum Schließen des Auges längst gesendet wurde, ist kein Glaubenssatz, sondern ein Meßergebnis. Man kann (muß aber nicht) das so interpretieren, dass unser Bewußtsein so handelt, wie eine kleiner Junge, der auf einem Bahnsteig auf seiner Trillerpfeife pfeift und dann meint, der Zug wäre auf sein Signal hin abgefahren.

Soviel ich weiß - ich bin kein Physiker - ist die "Kopenhagener Deutung" ursprünglich reiner Pragmatismus: man verzichtete darauf, Aussagen über das Geschehen "hinter den Kulissen" der Meßergebnisse zu machen, sondern nahm die Meßergebnisse einfach als Tatsache hin. Eine ihrer grundliegenden Thesen ist, dass das, was wir als "materielle Realität" wahrnehmen, in Wirklichkeit eine Konstruktion nach Maßgabe unserer Wahrnehmungen ist. Ein souverän entscheidendes "Bewußtsein" scheint mir zum Kollaps der Wellenfunktion nicht erforderlich zu sein.
Aus der Quantenpsysik läßt sich, egal ob nach Kopenhagener Deutung oder nicht, eines ableiten: der beobachtete Vorgang hängt vom Art der Beobachtung ab: beim photoelektrischen Effekt zeigt sich Licht eindeutig als Teilchenstrom, am Beugungsgitter eindeutig als Welle.

Das heißt, für mich jedenfalls, wenn ich ein Gehirn auf die dort stattfindenden elektrischen und bio-chemischen Vorgänge untersuche, werd ich dort auch nichts als elektrische und bio-chemische Vorgänge finden. Ich würde den selben kategorischen Irrtum wie die Anhänger des "intelligent desing" unterliegen, wenn ich annehmen würde, dass da irgendwie ein "Gott" oder ein "Bewußtsein" in den Mechanismus der neuronalen Funktionen eingreifen würde.
Also: Aus neurologischer Sicht gibt es keinen freien Willen und Bewußtsein ist ein nachgeordnetes Phänomen.

Aber die Neurobiologie ist nicht die einzige Wissenschafr, die reproduzierbare Ergebnisse zur Arbeitsweise des menschlichen Gehirns liefert. Viele Ergebnisse der Experimentalpsychologie lassen sich ohne die Annahme einer bewußten Entscheidung nicht erklären (jedenfalls nach meinem Kenntnisstand). Man könnte das zwar durch die Annahme eines streng deterministischen Universums umgehen (alles, was geschieht, war schon beim Entstehen des Universums festgelegt, das jetzt so abläuft wie ein Film - einschließlich der Illusion, wir hätten einen freien Willen) - aber spätestens seit der Entdeckung der Heisenbergschen Unschärferelation wissen, wir, dass das Universum nicht streng deterministisch sein kann.

Was mich nicht im mindesten beunruhigt.

Also: ob wir einen freien Willen haben, hängt möglicherweise einzig von der Art der Beobachtung ab. Wenn sich erst einmal, mit über 100 Jahren Verspätung, die naturwissenschaftliche Moderne auch in der Neurologie und der Psychologie völlig durchsetzt, wahrscheinlich gar nicht mehr seltsam erscheinen wird.

Dienstag, 20. März 2007

Mit Geld umgehen? - Das kann doch jeder Affe!

Verhaltensexperimente mit Kapuzineraffen brachten es an den Tag:
Affen können unerwartet gut mit Geld umgehen!
Sie nutzen Rabatte, verstehen das Konzept der unterschiedlichen Kaufkraft und sparen manchmal sogar. Doch auch bei ihnen verdirbt zuviel Geld den Charakter – es kann sie zu Betrügern und Dieben machen. In allen Fällen ist den Tieren wie den Menschen Gerechtigkeit wichtig, und ebenfalls wie die Menschen haben auch die Affen Angst vor Verlusten.
Bemerkenswert dabei: Kapuzineraffen sind nicht unbedingt die intelligentesten Primaten. Sie erkennen sich nicht im Spiegel, gucken sich nur höchst selten Fähigkeiten von Artgenossen ab und rücken erst Recht nicht freiwillig Dinge wieder heraus, die sie einmal für sich erobert haben. Trotzdem können aus den kleinen Affen innerhalb weniger Monate wahre Finanzjongleure werden, wie bereits mehrere Forscherteams nachweisen konnten.

Ein längerer Hintergrundartikel zum Thema:
Finanzexperten und Schnäppchenjäger im Fellkleid.

Ich habe es schon immer geahnt: um ein Finanzjongleur zu sein, muß man nicht viel in der Birne haben. Gier und Geiz - eine Eigenschaft der Kapuzineraffen ist es ja, nichts freiwillig herauszurücken - ist dafür aber offensichtlich hilfreich.

Montag, 19. März 2007

Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus (1)

Vor kurzem beschäftigte ich mich mit der expressionistischen Architektur Noch mal "bessere Zeiten" - aber dieses Mal architektonisch - und schloß mit einem Hinweis auf die weniger erfreulichen Seiten dieser so interessanten und wichtigen Stilepoche.

Allgemein bekannt ist, wie sie endete: Die Nazis konnten mit moderner Architektur und Kunst nichts anfangen - im auffälligen Gegensatz zu den italienischen Faschisten. Wobei "die Nazis" mit der "offiziellen" Kunstpolitik nach ´33 gleichbedeutend sind. Dass z. B. Hermann Göring und Joseph Goebbels privat "gemäßigt expressionistische" Kunst schätzten und "sammelten", oder dass z. B. Emil Nolde ein überzeugter Nazi war und seinen expressionistischen Stil als "nordisch" anpries, aber dennoch als "entarteter Künstler" Malverbot erhielt, gehört zu den (scheinbaren) Paradoxien des "3. Reiches".
Das Paraxon löst sich auf, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Hauptmotiv der Nazi im Allgemeinen und Hitlers im Besonderen der Kampf gegen "die Moderne" war. Gegen die politische Moderne sowieso: Internationalismus, Liberalismus, Demokratie und Sozialismus wurden gleichermaßen bekämpft und alle als "nur scheinbar" gegensätzliche Erscheinung des ""Weltjudentums" gesehen. Damit einher ging der Kampf gegen die "kulturelle Moderne". "Moderne" war nur im technisch-industriellen und militärischen Bereich gefragt. Was sich auch in der NS-Architektur niederschlug. Es gab sie in drei Richtungen: am seltensten wurde die bekannte monumentale Einschüchterungsarchitektur a la Troost und Speer verwendet. Weitaus verbreiteter waren der "Heimatschutzstil", z. B. für Wohnbauten, der auf regionale Bautraditionen zurückgriff und ein sachlicher Stil für industrielle "Zweckbauten". Der Flughafen Tempelhof ist z. B. ein "Zweckbau", größtenteil sachlich-modern, mit einige Zugeständnissen an die "repräsentative" NS-Staatsarchitektur.

Es fällt auf, wie viele "Lebensreformer" und klassisch moderne Künstler - darunten auch Architekten - die Nazis und ihre Steigbügelhalter aktiv und begeistert unterstüzten. Vormalige Lebensreformer arbeiten willig in der SS an der Kulturentwicklung mit.
Ein Grund dafür, dass klassisch moderne Künstler wie die dümmsten Kälber ihre Metzger selber wählten, liegt meiner Ansicht darin, dass die deutsche "Frühmoderne" zwischen "Jugendstil" und "neuer Sachlichkeit" / "Art Deco" und "Expressionismus" innerlich vergiftet war - von theosophischer Esoterik, von völkischem Denken, von Industriefeindlichkeit, von Elitedenken, Abneigung gegen den Sozialismus bei gleichzeitigem Anti-Kapitalismus.

Schon in ihren Anfängen hatte die expressionistische Architektur stark "utopische" Züge, mit einem Hang zur Esoterik und war geprägt durch eine schon im Jugendstil angelegten Ideologie des "Organischen". Als Vorläufer des expressionistischen Bauens kann man die vom Jugendstilkünstler Hugo Höppener, genannt Fidus, geschaffene"Tempelarchitektur" sehen. Fidus war überzeugter Theosoph und neigte ab 1900 der "völkisch-germanischen" Abart der Theosophie, der Ariosophie zu.
Tempelentwurf von Fidus
Tempelentwurf von Fidus, um 1900.
Während der Jugendstil noch eher dekorierend war, strebten die Expressionisten eine ganzheitliche Architektur, deren Themen sowohl geistig-spiritueller als auch gesellschaftspolitischer Art waren, an. Ein durchaus "völkischer" Esoteriker war Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie. Er war schon um 1910 überzeugt, "daß von der Architektur geistig-moralische Wirkungen ausgehen". Seine Bauten mit ihren konvex-konkaven Schwüngen und Kanten, waren "gebaute Esoterik" - und wegweisend für den Expressionismus.
erstes Goethenäum
Von Steiner 1912 entworfener früh-expressionistischer Bau

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass einer der beiden populärsten expressionistischen Architekten Deutschlands, Erich Mendelsohn, überzeugter Zionist war - und der andere, Fritz Höger, Meister des Backstein-Expressionismus, ein ebenso überzeugter völkischer Nationalist.
Der aus Schleswig-Holstein stammende Höger lernte das Architektengewerbe ab 1901 in einem Architekturbüro als technischer Zeichner kennen. Ohne ein reguläres Architekturstudium gründete er 1907 ein eigenes Architekturbüro. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges plante und baute er vor allem Privathäuser in Hamburg und Umgebung. Bald entstanden auch seine ersten größeren Geschäftshäuser (Rappolt- und Klöpperhaus) in der Hansestadt. Schon damals soll er Kontakt zu völkisch-esoterischen Gesellschaften wie dem antisemitischen "Reichshammerbund" gehabt haben.
Seine völkisch-mystische Ideologie spricht weniger aus der Architektursprache seiner Bauten, als aus dem, was er zu seinen Bauten schrieb. Höger favorisierte aus praktischen und ästhetischen Gründen Backstein und Klinker - die er als als deutsch, ehrlich und wahrhaftig, als das norddeutsche Wesen verkörpernd ideologisch überhöhte. Ab 1926 schrieb Fritz Höger regelmäßig für das Feuilleton des NS-Organs "Völkischer Beobachter".
Ein Gebäude, in dem Höger seinem Hang zum Esoterischen Ausdruck geben konnte, war das Anzeiger-Hochhaus in Hannover (1928) überschwänglich "Der Dom der Sterne" gennant - die "kosmologischen" (eher astrologisch-sternenmytischen) Bezüge gipfelten buchstäblich in der berühmten Kuppel, die ursprünglich ein Planetarium beherbergte.
Seine noch heute "modern" wirkende Kirche am Berliner Hohenzollernplatz soll er er als "Ausdruck eines artgemäßen Christentums" gesehen haben - "germanische" Architektur im bewußten Bruch zum traditionellen "römisch" geprägten Kirchenbau.
Kirche am Hohenzollernplatz
1931 war er in die NSDAP eingetreten und wurde Professor an der "Nordischen Kunsthochschule" Bremen. Höger strebte nach der "Machtergreifung" die Position eines Staatsarchitekten an. Zu seinem Leidweisen entsprach sein expressionistischer Baustil nicht Hitlers Geschmack. Höger wollte sich zwar nicht dem neo-klassizistischen Stil der NS-Repräsentationbauten anpassen; dem nazitypischen Hang zur Gigantomanie und Bombastik folgte er durchaus. 1937 entwarf er einen 250 Meter hohen Wolkenkratzer für den geplanten Umbau Hamburgs zur "Führerstadt" - allerdings gab Hitler einem klotzigen, aber travertinverkleideten Hochhausentwurf den Vorzug vor Högers klinkerverkleideten "art deco-expressionistischen" Bau, der es an Eleganz durchaus mit dem Crysler-Building aufgenommen hätte.

1936 wurde in Bremerhaven das von Höger entworfene Busse-Ehrenmal zu Ehren des Begründers der industriellen Hochseefischerei eingeweiht. Das zweite Ehrenmal, für das Höger ebenfalls von den Nazis einen Auftrag erhielt, sollte ein gewaltiges Ehrenmal für auf See gebliebene Hochseefischer werden. Das Monument gegenüber der großen Schleuse zum Fischereihafen, das die "heldische Pflichterfüllung" und den "Kampf mit den Urgewalten", zeigen sollte, wurde allerdings niemals fertiggestellt. Es stimmt also nicht, dass Höger bei "den Nazis in Ungnade" gefallen war - oder das er sich schon zu dieser Zeit "enttäuscht vom Nationalsozialismus abgewendet" hätte.
Nach 1945 fand der inzwischen 68 Jahre alte Höger nicht mehr zu seinen früheren Leistungen zurück, größere öffentliche Aufträgen blieben aus. 1946 entstand in Itzehoe nach Högers Entwürfen, auf Anregungen von Gyula Trebitsch ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Trebitsch war ungarischer Jude und überlebte Verhaftung, Zwangsarbeit und unsägliche Leiden in verschiedenen Konzentrationslagern. Nach der Befreiung aus dem KZ und seiner Genesung in Itzehoe leitete er zwei Kinos in der Stadt bis er sich als Film- und Fernsehproduzent und Gründer von "Studio Hamburg" einen Namen machte.

Kaum jemand zeigt das Spannungsfeld und die Wiedersprüche zwischen "naturgemäßen" organischem Bauen und größenwahnsinnigen Utopien, technokratischem Effizenzdenken und mystischer "Selbstvergottung" so deutlich wie ein langjähriger Freund Högers, der Architekt und Ingenieur Herman Sörgel, ein höchst ambivalenter Charakter. Einerseits war Sörgel in den 1920ern überzeugter Anhänger der geopolitische Ansichten der "konservativen Revolution" und stand damit den Vordenkern des Nationalsozialismus nahe,
anderseits war er erklärter Pazifist.
Sein berühmtes Projekt Atlantropa sah nicht weniger als die Trockenlegung weiter Teile des Mittelmeers durch einen 2500 m hohen Damm, der die Straße von Gibraltar absperren sollte, vor.
Für das Verwaltungszentrum des Projektes entwarf Fritz Höger 1928 einen Komplex aus drei ca. 400 m hohen Hochhäusern um einen riesigen Kuppelbau.
Atlantropa-Haus
Kohleskizze Högers: Atlantropa-Haus

Scheinbar liegen zwischen den hier genannte Architekten weltanschauliche Welten: vom ariosophisch geprägten Neuheiden Fidus, über den "Urvater der deutschen Esoterik-und Alternativ-Szene" Steiner, den völkischen Nationalisten Höger und dem geopolitischen Visionär Sörgel bis zum Zionisten Mendelsohn. Ihnen gemeinsam war der Hang zur radikalen Utopie, die Verbindung zwischen "Naturverbundenheit" und Naturkult und dem Rausch des (bau-)technisch gerade noch Machbaren, mystischer, ja "antirationaler" Weltsicht und ausgeprägtem Eilitedenken. "Okkultisten", oder nach heutigen Sprachgebrauch "Esoteriker" waren sie alle. Alle wurzelten in der "Lebensreformbewegung" des frühen 20. Jahrhunderts und mit Ausnahme Mendelsons dachten sie alle ausgeprägt deutsch-völkisch.
Und alle waren sie großartige Baukünstler.

Tatsächlich sind sie aber die gemäßigten Vertreter einer gebauten Esoterik. Es war ausgerechnet die Erfindung des entkoffeinierten Kaffees, die einige konsequent völkisch-okkulte Gebäude hervorbrachte.
(Fortsetzung in Teil 2: "Ariosophische Bauten" zwischen Schonkaffee und Atlantis )

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