Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus (1)

Vor kurzem beschäftigte ich mich mit der expressionistischen Architektur Noch mal "bessere Zeiten" - aber dieses Mal architektonisch - und schloß mit einem Hinweis auf die weniger erfreulichen Seiten dieser so interessanten und wichtigen Stilepoche.

Allgemein bekannt ist, wie sie endete: Die Nazis konnten mit moderner Architektur und Kunst nichts anfangen - im auffälligen Gegensatz zu den italienischen Faschisten. Wobei "die Nazis" mit der "offiziellen" Kunstpolitik nach ´33 gleichbedeutend sind. Dass z. B. Hermann Göring und Joseph Goebbels privat "gemäßigt expressionistische" Kunst schätzten und "sammelten", oder dass z. B. Emil Nolde ein überzeugter Nazi war und seinen expressionistischen Stil als "nordisch" anpries, aber dennoch als "entarteter Künstler" Malverbot erhielt, gehört zu den (scheinbaren) Paradoxien des "3. Reiches".
Das Paraxon löst sich auf, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Hauptmotiv der Nazi im Allgemeinen und Hitlers im Besonderen der Kampf gegen "die Moderne" war. Gegen die politische Moderne sowieso: Internationalismus, Liberalismus, Demokratie und Sozialismus wurden gleichermaßen bekämpft und alle als "nur scheinbar" gegensätzliche Erscheinung des ""Weltjudentums" gesehen. Damit einher ging der Kampf gegen die "kulturelle Moderne". "Moderne" war nur im technisch-industriellen und militärischen Bereich gefragt. Was sich auch in der NS-Architektur niederschlug. Es gab sie in drei Richtungen: am seltensten wurde die bekannte monumentale Einschüchterungsarchitektur a la Troost und Speer verwendet. Weitaus verbreiteter waren der "Heimatschutzstil", z. B. für Wohnbauten, der auf regionale Bautraditionen zurückgriff und ein sachlicher Stil für industrielle "Zweckbauten". Der Flughafen Tempelhof ist z. B. ein "Zweckbau", größtenteil sachlich-modern, mit einige Zugeständnissen an die "repräsentative" NS-Staatsarchitektur.

Es fällt auf, wie viele "Lebensreformer" und klassisch moderne Künstler - darunten auch Architekten - die Nazis und ihre Steigbügelhalter aktiv und begeistert unterstüzten. Vormalige Lebensreformer arbeiten willig in der SS an der Kulturentwicklung mit.
Ein Grund dafür, dass klassisch moderne Künstler wie die dümmsten Kälber ihre Metzger selber wählten, liegt meiner Ansicht darin, dass die deutsche "Frühmoderne" zwischen "Jugendstil" und "neuer Sachlichkeit" / "Art Deco" und "Expressionismus" innerlich vergiftet war - von theosophischer Esoterik, von völkischem Denken, von Industriefeindlichkeit, von Elitedenken, Abneigung gegen den Sozialismus bei gleichzeitigem Anti-Kapitalismus.

Schon in ihren Anfängen hatte die expressionistische Architektur stark "utopische" Züge, mit einem Hang zur Esoterik und war geprägt durch eine schon im Jugendstil angelegten Ideologie des "Organischen". Als Vorläufer des expressionistischen Bauens kann man die vom Jugendstilkünstler Hugo Höppener, genannt Fidus, geschaffene"Tempelarchitektur" sehen. Fidus war überzeugter Theosoph und neigte ab 1900 der "völkisch-germanischen" Abart der Theosophie, der Ariosophie zu.
Tempelentwurf von Fidus
Tempelentwurf von Fidus, um 1900.
Während der Jugendstil noch eher dekorierend war, strebten die Expressionisten eine ganzheitliche Architektur, deren Themen sowohl geistig-spiritueller als auch gesellschaftspolitischer Art waren, an. Ein durchaus "völkischer" Esoteriker war Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie. Er war schon um 1910 überzeugt, "daß von der Architektur geistig-moralische Wirkungen ausgehen". Seine Bauten mit ihren konvex-konkaven Schwüngen und Kanten, waren "gebaute Esoterik" - und wegweisend für den Expressionismus.
erstes Goethenäum
Von Steiner 1912 entworfener früh-expressionistischer Bau

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass einer der beiden populärsten expressionistischen Architekten Deutschlands, Erich Mendelsohn, überzeugter Zionist war - und der andere, Fritz Höger, Meister des Backstein-Expressionismus, ein ebenso überzeugter völkischer Nationalist.
Der aus Schleswig-Holstein stammende Höger lernte das Architektengewerbe ab 1901 in einem Architekturbüro als technischer Zeichner kennen. Ohne ein reguläres Architekturstudium gründete er 1907 ein eigenes Architekturbüro. Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges plante und baute er vor allem Privathäuser in Hamburg und Umgebung. Bald entstanden auch seine ersten größeren Geschäftshäuser (Rappolt- und Klöpperhaus) in der Hansestadt. Schon damals soll er Kontakt zu völkisch-esoterischen Gesellschaften wie dem antisemitischen "Reichshammerbund" gehabt haben.
Seine völkisch-mystische Ideologie spricht weniger aus der Architektursprache seiner Bauten, als aus dem, was er zu seinen Bauten schrieb. Höger favorisierte aus praktischen und ästhetischen Gründen Backstein und Klinker - die er als als deutsch, ehrlich und wahrhaftig, als das norddeutsche Wesen verkörpernd ideologisch überhöhte. Ab 1926 schrieb Fritz Höger regelmäßig für das Feuilleton des NS-Organs "Völkischer Beobachter".
Ein Gebäude, in dem Höger seinem Hang zum Esoterischen Ausdruck geben konnte, war das Anzeiger-Hochhaus in Hannover (1928) überschwänglich "Der Dom der Sterne" gennant - die "kosmologischen" (eher astrologisch-sternenmytischen) Bezüge gipfelten buchstäblich in der berühmten Kuppel, die ursprünglich ein Planetarium beherbergte.
Seine noch heute "modern" wirkende Kirche am Berliner Hohenzollernplatz soll er er als "Ausdruck eines artgemäßen Christentums" gesehen haben - "germanische" Architektur im bewußten Bruch zum traditionellen "römisch" geprägten Kirchenbau.
Kirche am Hohenzollernplatz
1931 war er in die NSDAP eingetreten und wurde Professor an der "Nordischen Kunsthochschule" Bremen. Höger strebte nach der "Machtergreifung" die Position eines Staatsarchitekten an. Zu seinem Leidweisen entsprach sein expressionistischer Baustil nicht Hitlers Geschmack. Höger wollte sich zwar nicht dem neo-klassizistischen Stil der NS-Repräsentationbauten anpassen; dem nazitypischen Hang zur Gigantomanie und Bombastik folgte er durchaus. 1937 entwarf er einen 250 Meter hohen Wolkenkratzer für den geplanten Umbau Hamburgs zur "Führerstadt" - allerdings gab Hitler einem klotzigen, aber travertinverkleideten Hochhausentwurf den Vorzug vor Högers klinkerverkleideten "art deco-expressionistischen" Bau, der es an Eleganz durchaus mit dem Crysler-Building aufgenommen hätte.

1936 wurde in Bremerhaven das von Höger entworfene Busse-Ehrenmal zu Ehren des Begründers der industriellen Hochseefischerei eingeweiht. Das zweite Ehrenmal, für das Höger ebenfalls von den Nazis einen Auftrag erhielt, sollte ein gewaltiges Ehrenmal für auf See gebliebene Hochseefischer werden. Das Monument gegenüber der großen Schleuse zum Fischereihafen, das die "heldische Pflichterfüllung" und den "Kampf mit den Urgewalten", zeigen sollte, wurde allerdings niemals fertiggestellt. Es stimmt also nicht, dass Höger bei "den Nazis in Ungnade" gefallen war - oder das er sich schon zu dieser Zeit "enttäuscht vom Nationalsozialismus abgewendet" hätte.
Nach 1945 fand der inzwischen 68 Jahre alte Höger nicht mehr zu seinen früheren Leistungen zurück, größere öffentliche Aufträgen blieben aus. 1946 entstand in Itzehoe nach Högers Entwürfen, auf Anregungen von Gyula Trebitsch ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus. Trebitsch war ungarischer Jude und überlebte Verhaftung, Zwangsarbeit und unsägliche Leiden in verschiedenen Konzentrationslagern. Nach der Befreiung aus dem KZ und seiner Genesung in Itzehoe leitete er zwei Kinos in der Stadt bis er sich als Film- und Fernsehproduzent und Gründer von "Studio Hamburg" einen Namen machte.

Kaum jemand zeigt das Spannungsfeld und die Wiedersprüche zwischen "naturgemäßen" organischem Bauen und größenwahnsinnigen Utopien, technokratischem Effizenzdenken und mystischer "Selbstvergottung" so deutlich wie ein langjähriger Freund Högers, der Architekt und Ingenieur Herman Sörgel, ein höchst ambivalenter Charakter. Einerseits war Sörgel in den 1920ern überzeugter Anhänger der geopolitische Ansichten der "konservativen Revolution" und stand damit den Vordenkern des Nationalsozialismus nahe,
anderseits war er erklärter Pazifist.
Sein berühmtes Projekt Atlantropa sah nicht weniger als die Trockenlegung weiter Teile des Mittelmeers durch einen 2500 m hohen Damm, der die Straße von Gibraltar absperren sollte, vor.
Für das Verwaltungszentrum des Projektes entwarf Fritz Höger 1928 einen Komplex aus drei ca. 400 m hohen Hochhäusern um einen riesigen Kuppelbau.
Atlantropa-Haus
Kohleskizze Högers: Atlantropa-Haus

Scheinbar liegen zwischen den hier genannte Architekten weltanschauliche Welten: vom ariosophisch geprägten Neuheiden Fidus, über den "Urvater der deutschen Esoterik-und Alternativ-Szene" Steiner, den völkischen Nationalisten Höger und dem geopolitischen Visionär Sörgel bis zum Zionisten Mendelsohn. Ihnen gemeinsam war der Hang zur radikalen Utopie, die Verbindung zwischen "Naturverbundenheit" und Naturkult und dem Rausch des (bau-)technisch gerade noch Machbaren, mystischer, ja "antirationaler" Weltsicht und ausgeprägtem Eilitedenken. "Okkultisten", oder nach heutigen Sprachgebrauch "Esoteriker" waren sie alle. Alle wurzelten in der "Lebensreformbewegung" des frühen 20. Jahrhunderts und mit Ausnahme Mendelsons dachten sie alle ausgeprägt deutsch-völkisch.
Und alle waren sie großartige Baukünstler.

Tatsächlich sind sie aber die gemäßigten Vertreter einer gebauten Esoterik. Es war ausgerechnet die Erfindung des entkoffeinierten Kaffees, die einige konsequent völkisch-okkulte Gebäude hervorbrachte.
(Fortsetzung in Teil 2: "Ariosophische Bauten" zwischen Schonkaffee und Atlantis )
Friida (Gast) - 15. Okt, 22:06

Quatsch

Selten so gelacht, Steiner völkisch.
Mehren Sie ihren vrwirrten Horizont und beschäftigen Sie sich mit Artur Dinter, Spiritist und völkischer Esoteriker. Quasi ein Gegenstück zu den sehr die Individualität betonenden Anthroposophen.
Halbwissen adelt nicht sondern macht lächerlich.

MMarheinecke - 16. Okt, 00:13

Kein Quatsch!

In Kontrast mit einem so offen rassistischen und nationalistischen Esoteriker wie Dinter gesetzt steht Steiner zugegeben als tolerant und geradezu kosmopolitisch dar. Steiner war mit Sicherheit kein völkischer Scharfmacher (wie Dinter, wie Lanz "von Liebenfeld", wie "von" List, wie später Rosenberg usw.). Mir ist auch bekannt, das Steiner gerade von "Deutschnationalen" angefeindet wurde.

Ich schrieb aber, Steiner sei ein durchaus "völkischer" Esoteriker gewesen. Jemand, der weniger "völkisch" dachte, als etwa die Ariosophen, ist deshalb nicht automatisch universalistisch oder kosmopolitisch. Steiner neigte meiner Ansicht nach dazu, die eigene (deutsche bzw, österreichische) Kultur in ihrer Bedeutung für die Menschheitsentwicklung stark und im kulturnationalistischen Sinne zu überschätzen.
Steiner aus heutiger Sicht befremdliche "völkerpsychologische" Differenzierungen aus gnadenlos eurozentrischer Perspektive mögen "damals" weithin üblich gewesen sein; das ändert aber nichts daran, dass sie dem "völkischen" Denken zumindest verwandt sind. Ich teile die Ansicht des Historikers Helmut Zander, dass Steiner eine Reihe seiner Begriffe dem völkischen Diskurs entnommen hatte. Wenn ich bei Steiner z. B. von "Volksgemüt", "Volksseele", oder "Gruppen-Volks-Ich" lese, dann kann ich Zander nur zustimmen!

Was die Beurteilung schwierig macht: Steiner (ich gebe zu: ich kenne nur einen kleinen Teil seines gigantischen Œvres) ließ m. E Unvereinbares und Widersprechendes einfach nebeneinander stehen, weshalb es z. B. möglich ist, übelst rassistische Textstellen bei ihm zu finden, neben solchen, die geradezu antirassistisch sind.
Waldi (Gast) - 17. Okt, 09:02

Warum eigentlich hetzt du gegen Dr. Rudolf Steiner?

Das fällt mir auch auf anderen anthrophosopie-feindlichen Blogs auf: kaum Ahnung, aber ohne Ende Vorurteile!
Es ist ignorant und unverschämt, wenn du die Anthroposophie als potentielles Einfallstor ariosophischen Denkens, ja als "Ariosophie light" bezeichnest! Ist dir auch nur annähernd klar, wie scharf gerade Dr. Steiner die Ariosophen kritisierte?

peter.gottschlich - 8. Aug, 11:11

Expressionismus-Doppelhaushälften in Kamp-Lintfort

Ich denke, die geistigen Strömungen im Expressionismus waren sehr unterschiedlich.

Interessant ist, dass der Stil des Expressionismus sich nicht durchgesetzt hat. Interessant ist auch, dass kaum ein Privatmann expressionisitisch gebaut. Die typischen expressionistischen Bauten sind Verwaltungsgebäude, zum Beispiel für die Post, die Bahn oder Unternehmen. Dazu kommen Kirchen - und teilweise Siedlungsbau.

Eine Besonderheit des expressionistischen Bauen findet sich in Kamp-Lintfort am Niederrhein.

Hier entstanden in den Jahren 1920 bis 1924 rund 14 Dopplehäuser, die mehr oder weniger stark vom Expressionsimus geprägt waren. Leider sind davon die meisten seit den 1970er "modernisiert" und angebaut worden. Einige exisiteren aber noch im Origianlzustand, vor allem an der Bertastraße. Die Häuser wurden damals vom Steinkohlenbergwerk "Friedrich Heinrich" gebaut und wurden von leitenden Angestellten (Beamten oder Steiger) mit ihren Familien bewohnt. In den 1970er Jahren wurden sie privatisiert.

Ich habe noch nirgendwo außerhalb Kamp-Lintforts mehrere Einzelhäuser oder Doppelhäuser entdecken können, die ebenfalls expressionistisch gebaut sind.

Gerne hätte ich Informationen dazu. Denn meine Frau und ich haben von diesen wenigen expressionistisch geprägten Häuser, die noch nicht durch Anbauten, NAchverklinkerung (!) oder Verputzung (!) verunstaltet sind, gekauft und versucht, es stilgerecht zu restaurieren.

Peter Gottschlich
(peter@gottschlich.de)

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