Freitag, 9. März 2007

Noch mal "bessere Zeiten" - aber dieses Mal architektonisch

Ein Blogbeitrag Karans brachte mich auf die Idee: Fin de siècle
Wiener Sezession, Jugendstil, Symbolismus, früher Expressionismus, spätromantische und beginnende atonale Musik - dies alles und noch viel mehr war geboten zu dieser Zeit, und die vibrierenden Kunst- und Kulturzirkel zu Wien, Berlin und Paris hätte ich nur allzu gerne selber kennengelernt...
Ich teile Karans Vorliebe. In der deutschen Architektur war es aber nicht die Zeit des Art Noveau ("Jugendstil" deckt nur einen Teil dieser breiten Kunst- ,Design- und Architekturströmung ab), der "lebensreformierischen Schwarmgeister" und der unter dem Marschstiefeln des 1. Weltkriegs zertretenen Utopien und Hoffnungen, die die beste, spannenste, innovativste und wegweisenste Architektur hervorbrachte. Die wunderbaren Jugendstilbauten z. B. in Darmstadt und die erste lebenreformerische inspirierten Gartenstädte waren ein Anfang. Aber noch war Deutschland überfrachtet vom Protz wilhelminischer Herrschaftsarchitektur, die Nippes-Ästhetik bürgerlicher Bauten - Stuckornamente aus dem Katalog - war noch stilprägend, von der Villa bis zum "besseren" Mietshaus. Selbst die meisten Art Noveau Bauten waren Luxusgebäude, so wie Jugendstilmöbel für "einfache Leute" wegen der aufwändigen Herstellung unerschwinglich waren.
Art Noveau - leider ein Stil für Eliten. Während gleichzeitig die meisten Arbeiter noch in erbärmlichen Wohnverhältnissen hausten. Immer noch wurde Mietskaserner mit engen Hinterhöfen, steilen Treppen, düsteren Wohnungen errichtet. Trotz zögerlicher reformeriischer Ansätze.

Im ersten Weltkrieg ging leider nicht nur die hemmende alte Ordnung, die weitgehend "geschlossene" Gesellschaft der Kaiserzeit, zugrunde, sondern auch der meiste Elan der Aufbruchszeit der Jahrhundertwende. Viele bedeutende Künstler, Architekten, Dichter "fielen fürs Vaterland", wie es emphemistisch hieß, andere kamen körperlich oder seelische verkrüppelt davon. Und die, die übrig waren, waren desillusioniert und oft traumatisiert. Und es herrschte Chaos. Vor allen von jenen angerichtet, die die Ordnung zu schützen vorgaben.

Trotzdem - in den 1920er Jahre erlebte die deutsche Architektur ihre besten Jahre. Es herrschte Mangel. Auf beinahe allen Gebieten. Architekten und Produktgestalter waren nunmehr dazu aufgerufen, Einfachheit, Übersichtlichkeit und Klarheit in die Produktio von Häusern und Gebrauchsgegenstände einzuführen. Es waren pikanterweise die sozial engagierten Stadtplaner und die reformerische tätigen Produktgestalter, aufgewachsen zwischen "weltfremden" lebensreformerischen Ideen und "verträumten" Art Noveau, die mit ihrer Forderung "Produktion für das Existenzminium" den vernagelten Wirtschaftsführern die Augen öffneten: auch der "Massenmarkt" ist ein lohnender Absatzmarkt. Auf dem Gebiet des Wohnungsbaus waren es die vor allem die Baugenossenschaften, die die Abkehr von der Mietskaserne, hin zu menschenwürdigen und bezahlbaren Wohnungen, vorantrieben. Staatliche und private Bauherren folgten erst später.

In den 20er Jahren entstanden - nebeneinander und sich ergänzend - die expressionistische Architektur und das sachliche Neue Bauen - wobei die Architekt des Bauhauses international stilbildend wirkte.

So sehr ich die klaren Linien und die Zweckmäßigkeit des originalen "Neuen Bauens" (nicht zu verwechseln mit der Waschbeton-Ödnis der Plattenbauära in Ost und West, mag sie sich noch so sehr auf diese Tradition berufen haben) liebe und schätze - die wirklich "spannende" Architektur, die Gebäude, die mir bei einem Standrundgang ins Auge fallen, das war das expressionistische Bauen.
Viele Architekten des Expressionismus waren vom Deutschen Werkbund und vom Jugendstil geprägt - und die meisten wandten sich später dem Neuen Bauen zu.

Expessionismus ist, soweit es um Architektur geht, eher eine Verlegenheitsbezeichnung. Eher eine Bau-Gesinnung als ein einheitlicher Stil. Viele der expressionistischen Bauten, mit ihren runden, geschwungenen, "stromlinienförmigen" oder auch gezackte Formen und den geometrischen Ornamenten kann man dem Art Déco zuschlagen, andere nicht. Hauptkennzeichen: ungehemmte Lust am Experiment, Spaß am Dekorativem, das aber nie "aufgesetzt" oder gar funktionswidrig sein sollte.
Die expressionistischen Architekten bauten Häuser, wie sie kein Mensch zuvor gebaut hatte. Und das im kulturell konservativem Deutschland.
Einsteinturm
Der "Einsteinturm" des Potsdamer Observatoriums - Erich Mendelsohns berühmstestes Werk (1921). Ein Gebäude wie aus eine anderen Welt - dabei höchst funktionell.

Das berühmsteste Bauwerk der zum Art Déco orientierten Richtung des expressionistischen Bauens dürfte das von Fritz Höger entworfenen Chilehaus in Hamburg (1924) sein:
Chilehaus
Während sich bei den Bauten Erich Mendelsohns der Begriff "Science Fiction Architektur" geradezu aufdrängt, muten die Gebäude Fritz Högers ein wenig wie "gebaute Fantasy" an. Noch stärker in Richtung "Fantasy-Architektur" gingen die Häuser des "bauenden Bildhauers" Berhard Hoetger.

Allerdings vertraten gerade die Architektur-Stars des "Backstein-Expressionismus", Högers und Hoetgers, eine Ideologie, die als "finster" zu beschreiben schönfärberisch wäre - völkischen Okkultismus bzw. Ariosophie. Und zwar nicht erst seitdem sie sich den Nazis anbiederten - die sie ungeachtet dessen als "entartet" verfehmten.

Mehr dazu demnächst in diesem Blog. Der Backstein-Expressionismus und der völkische Okkultismus (1)

Bildquelle: Wikipedia

Donnerstag, 8. März 2007

Warum Polit-Possen von der Waterkant -

bzw. ca. 80 km Luftlinie von der See entfernt?

Im Allgemeinen blogge ich nicht über Hamburgische Landespolitik - weil ich außer langweiligen "Me too"-Beiträgen wenig dazu beitragen könnte, das nicht längst bei magerfettstufe - category: Waterkant stehen würde.

Deshalb erhebe ich mich anläßlich der neuesten Tragikomödie lieber auf die abstrakte Ebene und frage: Warum ausgerechnet in Hamburg?

Vorangestellt sei die Bemerkung, dass "Politpossen" keine Spezialität der Hamburgischen SPD sind: Den dickster Klopfer leistete sich die CDU, als 1993 das Hamburgische Verfassungsgericht die Bürgerschaftswahl von 1991 aufgrund undemokratischer Kandidatenaufstellungen der CDU Hamburgs für ungültig erklärte.

Ihren Affärenreichtum verdankt die Hamburger Politik einer Besonderheit, die sie mit Berlin und Bremen teilt: beim Stadtstaat Freie und Hansestadt Hamburg handelt es sowohl um eine Großstadt als auch um ein Bundesland handelt. Die Folge: Hamburger Politik dreht sich dementsprechend von Details der Kommunalpolitik bis hin zum bundespolitischen Einfluss des Landes durch den Bundesrat. Daraus folgt: kommunalpolitischer Hickhack, einschließlich der kleinen schmierigen Intrigen, Klügeleien und Eifersüchtelien, die auf der untersten politischen Ebene so üblich sind, erhält unter gar nicht so seltenen Umständen bundespolitische Relevanz. (Nur Berlin kan es in dieser Hinsicht mit Hamburg aufnehmen, Bremische Affären bleiben meistens überregional unbeachtet. Es sei denn, sie sind richtig skandalös.)
Eine echte Hamburger Spezialität ist der schnelle Aufstieg und das noch schneller Verschwinden populistischer Parteien. An die STATT Partei DIE UNABHÄNGIGEN des ehemaligen CDU Rebellen Markus Wegner, die von 1993 bis 1997 mit der SPD kooperierte, können sich vermutlich nur wenige erinnern - so blaß bleiben "die Grauen", wie sie in Anspielung auf die Farbe ihrer Wahlplakate genannt wurden, im politische Tagesgeschäft.
In schlechter Erinnerung ist die "Partei Rechtstaatliche Offensive" (PRO) besser bekannt als "Schill Partei". Der als "Richter Gnadenlos" bekannte Rechtpopulist Ronald Barnabas Schill schaffte es - nicht zuletzt dank seiner Medienpräsenz und seiner im Stil eines windigen Gebrauchtwagenhändlers präsentierten vollmundigen Versprechen - praktisch das ganze rechtskonservative, rechtsradikale und teilweise sogar rechtsextreme Wählerpotenzial - erschreckende 19,4 % - zu mobilisieren. Zum Glück entpuppte sich Schill schnell als Großmaul, Intrigant, Heuchler und Totalversager.
Ich vermute, die Neigung zur "Prostestwahl" ist teilweise darauf zurückzuführen, dass sich die etablierten Hamburgischen Parteien einschließlich GAL (die Hamburger Grünen) in ihrem Profil noch weniger Unterscheiden als auf Bundesebene. Rechnet man den großstadtypischen Filz hinzu, ist es nicht verwunderlich, wenn "die da im Rathaus" oft als politischer Einheitsbrei gesehen werden, als de facto All-Parteien-Klüngel-Koalition. Wieso das Potestpotenzial bisher immer zugunsten rechter Gruppen ausgewirkt hat? Fragt mal die notorisch zerstrittene Linke ...
Eine weitere Hambumger Spezialität, die teilweise mit der poltischen Struktur der Stadt, teilweise mit einer überkommenen politischen Kultur zusammenhängt, ist die Liebe zum kleinen Karo. Je kleinkarierten die Bedenken und Sonderinteressen sind, desto größer die Wirkung. Legendär ist die Hamburger Veranstaltungs- und Sporthalle, die über 50 Jahre lang geplant wurde, bis sie dann überraschenderweise doch in Gestalt der Color-Line-Arena errichtet wurde. (Gesponsort von einer Rederei - auch hamburgische Tradition.)
Womit wir beim starken Einfluß "der Wirtschaft" auf die Hamburger Politik wären. Aber das ist in anderen Städten nicht viel anders.
Als Kontrastprogramm zum kleinen Karo setzt die Regierung von Beust auf großspurige "Leuchtturmprojekte" und einen ordentlichen Schuß Großmannsucht - bei gleichzeitiger Vernachlässigung lästiger Alltagspolitik.
Die Kontollfunktion der "vierten Staatsgewalt", der Presse, kann man ausgerechnet in der Medienhochburg Hamburg vergessen: der regionale Tageszeitungsmarkt ist fest in den Händer der Axel-Springer AG. Kritische Töne zur Hamburger Politik im Allgemeinen und zur Regierung von Beust im Besonderen sind aus dieser Richtung kaum zu erwarten. Das "Hamburger Abendblatt" mutierte in den letzten Jahren zum Hamburger Senatsblatt - erst neulich wurden die schikanösen und auch für die "Abenblatt"-Redaktion skandalösen Praktiken der Hamburger Ausländerbehörde mit den Worten, Innensenator Nagel hätte seine Behörde wohl nicht richtig im Griff "kritisiert". Tatsächlich wären die Schikanen und Machtspielchen der Behördenmitarbeiter ohne die von Nagel ausdrücklich angeordnete "harte Linie" kaum vorstellbar.

Ebenfalls recht zahnlos präsentieren sich die vielen Dudelfunker Radiosender, egal, ob öffentlich-rechlich oder privat. Aber das ist keine Hamburger Spezialität - im Gegensatz zum FSK, dem örtlichen freien Radioprogramm. Leider und hamburg-typisch: Zwischen den Radiogruppen des FSK kommt es immer wieder zu Streitereien, die sich teilweise auch im Programm bemerkbar machen. Aber es ist nicht leicht, ein politisches Spektrum unter einen Hut zu bekommen, das breiter sein dürfte, als das der "Rathausparteien". Außerdem gilt das FSK (leider machmals zurecht) als extrem links, das heißt, es wird von den meisten Bürgen schlicht ignoriert.

Was, das ist bei Euch auch nicht viel anders? Ja, der entscheidende Faktor bei den "Hamburger Verhältnissen" ist wohl, das Metropolen die Strukturen, die anderswo nicht auffallen, wie eine Lupe verdeutlichen.

Mittwoch, 7. März 2007

Von besseren Zeiten

Manche Bücher kaufe ich nur im Antiquariat oder leihe sie mir aus. Weil sie einerseits lesenswert sind, andererseits in Verlagen erscheinen, die ich durch meinen Buchkauf keineswegs unterstützen möchte - mein ganz besonderer "Problemfall" sind Bücher aus dem Arun-Verlag.

Erst recht gilt das für Bücher aus neonazi-nahen Verlagen wie "Grabert" - oder auch solche aus dem "Ahriman-Verlag". Letzterer gehört zum "Bund gegen Anpassung" (ehemals Marxistisch-Reichistische Initiative (MRI), später
Bunte Liste Freiburg), einer mit Fug und Recht als "Polit-Sekte" bezeichneten Gruppe, dem Anspruch und den Vorbildern nach links und demokratisch, den von ihnen befürworteten "Problemlösungen"nach zu schließen, totalitär und knallhart faschistoid und deshalb vom VVN dem "rechten Rand" zugeordnet. heise telepolis:Ahrimans Erben.

Im besagten Ariman-Verlag erschien ein Buch, das mir sehr zu denken gab:

Kerstin Steinbach Es gab einmal eine bessere Zeit ...
(1965-1975)

Untertitel: Die Botschaft der verhassten Bilder

"Die bessere Zeit" war nach Ansicht der Medizinerin und Biologin die Zeit dessen, was manche die "Sexwelle" nannten, andere wieder stark übertrieben "sexuelle Revolution" - die Zeit, in der in der die BRD die prüde Adenauer-Ära hinter sich ließ. Sie konzentriert sich dabei auf den Aspekt "Nacktheit" in Bild und Tat, die anknüpfend an die besten Traditionen der Weimarer Republik damals ihre Schmuddelecke verlassen hätte.
Sie schildert die Widersprüche dieser Zeit: einerseits war der Aufklärungsunterricht in der Schule verklemmt, andererseits namen sich Illustrierte und Jugendzeitschriften dankbar des Themas an ("BRAVO" war im Vergleich verhältnismäßig brav). An den Baggerseen wurde eifrig nackt gebadet, wobei die "Hippies", Vorreiter des "wilden" Nacktseins, auch in Sachen sexuelle Offenheit Avangarde waren - sehr im Gegensatz zu den "offiziellen" FKK-Vereinen, die noch einer Ideologie der "entsexualisierten Nacktheit" anhingen. Den Wandel im Lebensgefühl führt sie auf eine massive gesellschaftliche Kraft von freiheitsliebenden Bürgern zurück - und dieser Wandel schlug sich in "Nackedeibilder" von schönen, jungen nackten Menschen nieder. Sie wertet das als Zeichen der gesellschaftlichen Emanzipation. Als Beleg des damaligen Lebensgefühls zieht sie folgerichtig außer Illustriertenfotos und Titelbildern vor allem Werbeanzeige heran.
Steinbach stellt aus ihrem Fachbereich (Medizin und Biologie) einige ergänzende Fakten zusammen und bindet sie in vergangene und gegenwärtige Geschichte ein - wobei sie für meinen Geschmack arg biologistisch wird. Immerhin: der klare Zusammenhang von Sexualität und Nacktsein, den sie beschriebt, ist kaum zu leugnen. (Leider sind die Abbildungen in ihrem Buch meist kleinformatig und oft nur in schwarz-weiß. Was ihren damals - und heute wieder? - provokativen Gehalt schmälert.)
Steinbach nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die aktuelle politische Situation geht. Sie führt den "Backlash" in Richtung "neue Prüderie" einerseits auf den Einfluß der (katholischen) Kirche und ihr weltanschaulich verbundene Politiker und Massenmedien, andererseit auf die Feministinnen zurück. Stellenweise geht ihre Polemik ins Verschwörungstheoretische über - da ist der "Ahriman"-Einfluß deutlich spürbar.

"Es gab einmal eine bessere Zeit" ist kein wirklich gutes Buch. Aber eines das nachdenklich macht, die bekannten Dinge in einem anderen Licht zeigt.

Dass es gegenüber den "Swinging Seventies" einen Rückschlag in Richtung weniger sexueller Toleranz gibt, ist unstrittig. Gern wird zur Erklärung der "AIDS-Schock" der 1980er Jahre angeführt. Ebenso beliebt ist die "Rebellionsthese": In den 60ern und 70ern setzten sich die jungen Menschen durch sexuelle Offenheit von ihren verklemmten Eltern ab, heute würden junge Leute eben gegen eine übermäßige Sexualisierung rebellieren. Dann gibt es noch, von konservativer Seite, das Argument, die "Blumenkinder"-Generation hätte es übertrieben, mit ihrer Sexbessenheit ungewollt Pornographie, sexueller Ausbeutung, der Zerstörung traditioneller familiärer Werte und dem Abbau der für ein erfülltes Liebesleben, für Intimität, notwendigen Exklusivität und Treue, vorschub geleistet. Der Backlash sei also nur die Rückkehr zur Normalität.

Kritisch könnte man Anmerken, dass die Darstellungen nackter Körper seit den 1970er Jahren sogar noch zugenommen hätte - trotz der "neuen Prüderie". Tatsächlich wird heute z. B. auch mit männlicher Nacktheit geworben - was vor 30 Jahren noch eine Ausnahme war und die Empörung vieler Feministinnen über die "Darstellung der Frauen als Lustobjekt" verständlich erscheinen läßt. Allerdings ist die - weitgehende - Akzeptanz von Nacktheit in den Medien eine kulturelle Spezialität einiger europäischer Länder, man muß nur einen Blick in die USA werfen. Vergleicht man jedoch die Art und Weise, wie und welche nackten Körper heute und im Jahrzehnt 1965-1975 in Werbung und in Zeitschriften dargestellt wurden, erkennt man zwei deutliche Unterschiede. Einmal eine generelle Tendenz weg von der Natürlichkeit und Alltäglichkeit - hin zu über-idealisierten, perfekten Körpern. Überspitzt gesagt: Playboy-Playmate (oft chirurgisch nachgebessert, immer retouschiert) statt hübsche junge Frau von nebenan, Body-gebuildeter Beau mit Waschbrettbauch und ohne Körperhaare und Körperfett statt sportlicher junger Mann aus dem Schwimmbad um die Ecke. Hier setzt sich eine Tendenz in der Körper-Darstellung fort, die auch bei bekleideten Fotomodellen unübersehbar ist. Auch eine Form der Entfremdung vom Körperlichen. (Und eine wichtige Ursache für Magersucht (Anorexie) und andere körperdysmorphe Störungen, wie "Muskelsucht", "Kosmetik-Tick", "Fitness-Wahn" oder - besonders bedrückend - "Schönheitsoperationssucht".)
Der andere Trend ist der zur "Entsinnlichung". Fotograf Werner Bockelberg im "Stern" über ein Fotoshoting mit Uschi Obermeier 1970:
"Sie war einmalig hübsch, sie hatte ein animalisches Gefühl für die Kamera und bewegte sich völlig natürlich." Anders als bei den Models später, "als es nur um Geld ging und man mit einem Rechtsanwalt darüber verhandeln musste, wie weit offen die Bluse von Claudia Schiffer sein durfte", war es mit der Obermaier "ganz einfach, der ging es nicht um Geld. Sie hatte Spaß an sich selbst".
Auch wenn das Geld für das damals bestbezahlte deutsche Fotomodel nicht egal gewesen sein dürfte: Uschi Obermaier und andere "Nackedeis" der frühen 70er wirkten sehr sinnlich und sexy, die Topmodells ab den 1980er Jahre hingegen meist wie unnahbare "rühr mich nicht an"-Schönheiten. No sex please! Spaß an sich selbst? Unfug - der Körper des Model ist eine Ware, sonst nichts Und ein sauberes Image ohne Sex & Drugs & Rock 'n' Roll ist ein "Must" für die Karriere. Auch eine Form der "Neo-Prüderie".

Ich weiß nicht, ob ich ohne dieses Buch darauf gestoßen wäre, dass "sexuelle Selbstbestimmung" keineswegs immer bedeutet "einvernehmlicher Sex ist erlaubt" (mehr dazu schrieb ich bei den "bissigen": Vorrangiges Rechtsgut Sexualmoral).
Bisher war ich auch davon ausgegangen, es läge an der - im Grunde berechtigten, aber in hysterischer Weise weit übers Ziel hinnausschießende - Kinderporno Diskussion, dass das in den 70er preisgekrönte Aufklärungsbuch Zeig mal! und andere einst sogar im Schulunterricht verwendetet Bildbände in den90ern unter Kinderporno-Verdacht gerieten.

Oft habe ich den Eindruck, dass der eigentliche "Sinn" des hysterischen Kinderpornographie-Diskurses nicht im - völlig berechtigten! - Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und Mishandlung liegt, sondern in der Durchsetzung einerseits einer strengeren Sexualmoral, anderseits obrigkeitsstaatlicher Methoden. Siehe der Fall "Mikado".

Was die wirklichen Ursachen des "Backlash" sind, kann ich nur vermuten. Ich stimme mit Frau Steinbach überein, dass er kein Zufall ist und auch nicht "von selbst", aufgrund irgendwelcher neu entdeckten sozio(bio)logischer Naturgesetze, kam. (Wobei Steinbachs Argumentation deutlich soziobiologische Züge trägt.) Er ist gemacht. Hingegen bezweifle ich, dass es eine zentrale Planung gibt. Da sehe ich eher Inkompenz, Chaos und Opportunismus am Werk.
Ein Beispiel wäre das seltsame Bündnis zwischen "EMMA" und katholischer Kirche beim Kampf gegen die Pornographie. Die Motive könnten unterschiedlicher nicht sein, und sind im Falle der "EMMA" für mich nachvollziehbar - sexuelle Erniedrigung von Frauen geht gar nicht - andererseit hat EMMA mit der "Por-NO"-Kampagne der Emanzipation einen Bärendienst erwiesen und den Verfechtern einer repressive Sexualmoral ungewollt "argumentative Munition" geliefert.

Die Hypothese vom "gemachten" Backlash hin zur "Neo-Prüderie" könnte ein Phänomen erklären, dass Anfang der 90er als "der nackte Osten" durch die Medien ging.
Der Trend zum "wilden FKK" setzte in beiden Teilen Deutschland ungefähr zur gleichen Zeit ein. Bis Mitte der 70er scheint er weitgehend parallel verlaufen zu sein. Dann lief die Entwicklung auseinander: während im "Westen" das Interesse am FKK stagnierte, wurde das Nacktbaden in der DDR in der selben Zeit zum "Massensport". Da "Wessis" nicht von Natur aus prüder sind als "Ossis", und FKK in der DDR, anders lautenden Gerüchten zum Trotz, lange Zeit staatlicherseits eher widerwillig toleriert wurde (bis es zur Massenbewegung wurde), muß es gesellschaftliche Ursache geben. Die Naheliegendste: die Gegenkräfte, die in der BRD die "neue Prüderie" vorantrieben, waren in der DDR nicht wirksam. Ich könnte mich stundenlang darüber auslassen, welcher Kräfte das sind, jedenfalls spielen die Religiös-Konservativen dabei eine nicht unwichtige Rolle.
Andersseits war das Nacktbaden in der DDR keine absichtlich, als Ventil, gelassene "NIsche der Freiheit" und wohl auch kein "erkämpfter Freiraum" - es war für die DDR-Obrigkeit, die genügend Sorgen hinsichtlich ihres Machterhalts hatte, schlicht irrelevant. Freiheit und Textilfreiheit hängen weit weniger eng zusammen, als man es sich in der Jahren der Hippies und der APO vorgestellt hatte.

Zuletzt noch ein Punkt: eine ziemlich bizarre Form der "neuen Verklemmtheit" entwickelte sich in der Esoterik-Szene. Ein Freund nannte das das Phänomen der "Traurigen Tantriker". Es ist die Trennung von Sexualität und Intimität (ähnlich wie in der Prostitution, aber ungewollt) - und eine Funktionalisierung der Sexualität, die sich schon bei den Lebensreformern vor über 100 Jahren abgezeichnet hatte. Extrem ausgeprägt ist das bei Gruppen wie dem ZEGG oder Tamera, abgeschwächt auch bei "Freizeitesos": Man demonstriert sich und anderen, wie unverklemmt man doch sei, hat Sex zu allen möglichen Zwecken, das Ganze aber unter weitgehender Umgehung von Sinnlichkeit und Intimität. Was in einem Swingerclub wenigsten offen zum Lustgewinn praktiziert wird, ist im Umfeld der "Traurigen Tantriker" mit einer "sprituellen" Fassade versehen.

Nachtrag: auch interessant in diesem Zusammenhang - diese schon etwas ältere Diskussion auf metalust & subdiskurse.

Sonntag, 4. März 2007

Ølfrygt - eine nachvollziehbare Angst

Wo David Harnasch recht hat, hat er Recht. Als spiritueller Wikinger-Nachfahre kann ich es gut verstehen: Ølfrygt ist furchbar! Ein Orkan auf hoher See oder eine zahlenmäßig überlegene feindliche Flotte ringt einem wahren Wikinger nur ein grimmiges Grinsen ab, aber allein der Gedanke, das Bier könnte nicht reichen - aaarrgh!
Angst der Woche: Ølfrygt

Odins Segen, David, und immer ´ne Handbreit Wasser unter'm Kiel und ´ne Daumenbreit Bier im Becher!

Samstag, 3. März 2007

Ausreden

Als sich 1999 in der erweiterten Esoterik-Szene eine Endzeitfieber-Epidemie herrschte und Wahrsager Hochkonjunktur hatten, überprüfte das "Forum Parawissenschaften" etwas 800 Prognosen von Astrologen und Wahrsagern und kam auf eine Trefferquote von 4 %.

Zukunftsdeuter, die man auf unzutreffend vorhersagten Katastrophen ansprach, regierte, wenn sie überhaupt reagierten, vorherrschen mit zwei Antwortvarianten:
Variante 1:
Die wesendlichen Voraussetzungen für das angekündigte Ereignis haben sich termingerecht erfüllt, bald wird es offenkundig werden.
Ein typisches Beispiel ist der im geheimen vorbereitete Terroranschlag, dessen Ausführung noch einige Zeit braucht. Ein extremes die Behauptung, die Welt sei bereits termingerecht untergegangen, wir hätte es nur bisher nicht mitbekommen.

Variante 2:
Die vorhergesagte Katastrophe hat sich deshalb nicht manifestiert, weil das Bewußtsein der Menschen sich inzwischen positiv weiterentwickelt hat.
Das ist die typische "New Age" orientierte Reaktion auf nicht eingetroffene Katastrophenvorhersagen.

Interessanterweise scheinen diese beiden Varianten auch bei Katastrophenpropheten außerhalb des erweiterten esoterischen Umfelds beliebt zu sein. Egal, ob es um ökologische, ökonomische, politische oder vielleicht auf demographische Katastrophen geht.

Freitag, 2. März 2007

Die Wurzeln des deutschen Vernichtungsrassimus im "Heroro-Aufstand"

Che erinnert in einem langen Beitrag auf ein gern "vergessenes" blutiges Kapitel deutschen Kolonialgeschichte hin - den Völkermord an den Herero in Südwestafrika 1905 - 1907.
Deutschland und die Herero
Man könnte einwenden, dass "Kolonialgräuel" nun einmal zum Kolonialismus sozusagen dazugehören, und z. B. auf die zahlreichen vergleichbar blutigen britischen und französischen "Kolonialkriege", "Aufstandsniederwerfungen", "Umsiedlungen" hinweisen.
Diese zynische "Argumentation" übersieht dabei, dass Deutschland bei der "Aufstandsbekämpfung" selbst im Vergleich zu den wahrlich nicht zimperlichen anderen Kolonialmächten einen "deutschen Sonderweg" einschlug: General von Trotha ging zu einem Ausrottungskrieg über - womit er den verzweifelten Wiederstand der Einheimischen noch befeuerte. Im Reichstag verweigerten die Sozialdemokraten und das Zentrum ihre Zustimmung für einen Nachtragshaushalt für den sich dahinschleppenden Guerrillakrieg. Es kam zu Neuwahlen, den die rechten Kräfte mit massiver Rassistischer und imperialistischer Stimmungmache gewannen. Die Wahlen von 1907 waren als „Hottentottenwahlen“ bekannt. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass damals der Ausrottungs-Rassismus in die Köpfe kam. Die Kontinuitäten zwischen "Südwestern" und Nazis sind jedenfalls auffällig.

Wichtiger noch scheint mir eine andere Kontinuität, die im wissenschaftliche Diskurs:
Damit sind wir bei der Rolle der Anthropologen. Nach der Niederschlagung des Aufstands führte der Anthropologe und „Rassenkundler“ Eugen Fischer Untersuchungen an Abkömmlingen von Verbindungen aus Weißen und Nabiern, diese mündeten in das Buch, das 1913 unter dem Titel" Die Rehobother Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen. Anthropologische und ethnographische Studien am Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwest-Afrika" publiziert wurde. Als Konsequenz seiner Untersuchungen führte er an, dass Vermischung biologisch ungünstig sei und schob damit eine „biologische“ Begründung des 1905 verfügten Verbots von „Mischehen“ nach. Fischer machte nach dem Ersten Weltkrieg eine blendende Karriere. Als einer der Autoren des tonangebenden humanbiologischen Werkes der 20er und 30er Jahre, „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“, des „Baur/Fischer/Lenz“, in dem die Überlegenheit der „nordischen Rasse“ behauptet und die Notwendigkeit einer eugenischen Bevölkerungsplanung mit Massensterilisationen der „untüchtigen“ Teile der deutschen Bevölkerung gefordert wurde, beeinflusste er die Rassenvorstellungen Adolf Hitlers.
Interessante und bedrückend dabei ist, dass Fischers Untersuchungen keineswegs die Schädlichkeit der "Rassenmischung" belegten - die "Rehoboth-Bastarde" waren im Schnitt nämlich größer, intelligenter und gesünder als die beiden Ausgangsgruppen Holländer (Männer) und Khoi (Frauen). Fischer fälschte einfach seine Ergebisse im Sinne seine rassitischen Doktrin um. Damit diskreditierte er sich als Wissenschaftler und entpuppte sich als Ideologe. Trotzdem genoß Fischer einen "guten Ruf" als Humangenetiker, sogar noch nach 1945.

Mittwoch, 28. Februar 2007

Umwelt-Populismus pur - bei der CDU

Umweltschutz ist wichtig, und beim Artenschutzes liegt immer noch einiges im Argen.
Trotzdem ist diese Pressemittelung der CDU/CSU Bundestagsfraktion Populismus pur - und zwar mit einem seit über 30 Jahren "Greenpeace"-erprobten Thema:
Jahr: Tierschutz muss für Robben gelten

Der Tierschutzbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Peter Jahr MdB lob das Vorhaben des Bundeslandschaftsministers Horst Seehofer (CSU), den Handel mit Robbenprodukten in Deutschland einzustellen. "Damit bezieht die Bundesregierung klare Position gegen das alljährlich grausame Abschlachten von Robben außerhalb der EU."
Vor gut 30 Jahren hätte dieses Verbot vielleicht noch einen Sinn gemacht. Aber seitdem hat sich in Kanada Einiges zum Besseren geändert. Und der Bestand der Kegelrobben ist längst nicht mehr gefährdet.
In der Praxis werden vom Verbot die Robbenjäger in Grönland leiden. Wobei dort erwachsene Robben auch heute noch vor allem zwecks Fleischbeschaffung geschossen (nicht erschlagen) werden - das Fell ist willkommenes "Nebenprodukt". Ein Verbot rettet also keinen süßen Robbenbabies das Leben.

Wirksamer Tierschutz sieht anders aus - ein Blick z. B. auf das Wolfsprojekt zeigt wie. Ein Projekt, das übrigens beim ach so tierschutzbeflissenen Bundeslandwirtschaftsministerium nicht unumstritten ist ...

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