Mittwoch, 6. Mai 2009

Piraten - Anmerkungen zu einem rebellionsromantischen Begriff

Piraterie ist wieder im Kommen. Sowohl als Seeraub wie im übertragenen Sinne.
Mein Mitleid mit den Piraten vor Somalias Küsten hält sich in Grenzen - die chaotischen Zustände in Somalia, für die die Somalis am wenigsten können, hin, die Raubfischerei in somalischen Gewässern (nebenbei: auch eine Form der Piraterie) her.
Geiselnahme zulasten einfacher, oft jämmerlich bezahlter, Seeleute, verdient keine Gnade, da ist einfach die Grenzen dessen, was noch als "Notwehr" durchginge, überschritten.

Die "Piraterie" in übertragenen Sinne, nämlich Urheberrechtsverletzung, ist natürlich nicht damit zu vergleichen. Ein Kavaliersdelikt ist sie nicht. Geistiges Eigentum, und darum geht es beim Urheberrecht, gehört, zumindest nach deutschem Recht, nur den Autoren.
Aus Sicht der Autoren kann man tatsächlich vom "Diebstahl" sprechen, auch wenn niemand sie mit der Pistole bedroht und nicht etwa das Manuskript oder die Noten verschwinden, sondern Text, Bilder oder Musik "nur" kopiert werden. (Aus juristischer Sicht ist z. B. illegaler Download deshalb kein Diebstahl.)
Autoren, die von ihrer Arbeit leben müssen, tut das schon weh - und macht sie zu zurecht wütend. Denn jede illegale Kopie ist entgangenes Geld - bei Büchern (Hardcover) ist der Autorenanteil bei Autoren mit gutem Vertrag etwa 10 % des Verkaufspreises, bei Taschenbüchern sind es um die 5 % - oft weniger. Das bedeutet, dass nur einige wenige Bestsellerautoren durchs Bücherschreiben reich werden können.
So, wie Musiker im Allgemeinen ein lausig schlecht bezahlter Beruf ist.

2007 wurde das Urheberrecht verschäft, allerdings hat es den Autoren, den Urhebern, tatsächlich nichts viel gebracht. Im Gegenteil, Schriftsteller oder Komponisten verdienen heute in der Regel weniger als zuvor!
Wer verdient, sind die Inhaber der Verwertungsrechte, also die Medienindustrie, die im Kernbereich eine Kopier- und Verbreitungsindustrie ist.
Neben der legalen Kopierindustrie gibt es auch eine illegale Kopierindustrie - "gewerbsmäßige Raubkopierer" bzw. "Verwertungsrechts-Piraten". Ein höchst profitträchtiges Unternehmen, für das mir jedes Verständnis fehlt.
Wenn sich aber die Medienindustrie als "Hüterin der Urheberrechte" darstellt, ist das bestenfalls eine Halbwahrheit.
Leider ist es auf Seiten der Medienindustrie - und damit auch der Presse - in Sachen Verwertungsrechte durchaus üblich, Sachverhalte in einem Atemzug zu nennen, die nichts miteinander zu tun haben. Ich finde es in der Tat bemerkenswert, wie sehr die Medienindustrie den öffentlichen Diskurs bestimmt, und undifferenzierte Gleichsetzung etwa von "Download" mit "illegalen Download" und dieses mit "Diebstahl" etabliert.
Ein aktuelles Beispiel für die Gleichsetzung ungleicher Sachverhalte ist die Berichterstattung über den "Heidelberger Appell": Google Books, YouTube, The Pirate Bay und Open Access - aus urheberrechtlicher Sicht sehr verschiedene Plattformen, so verschieden wie Apfel, Orangen und Kürbisse, werden sozusagen zu einen grausigem Obstbrei verrührt. Der ungünstigste Fall im Einheitsbrei wird dann zum Regelfall erklärt. Damit wird dann die Forderung nach politischen Maßnahmen zur "Wahrung von Urheberrechten" begründet.
Open Access ist z. B. alles andere als eine Beschränkung der Urheberrechte. Wissenschaftler, die ihre Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften publizieren, erhalten in der Regel kein Honorar. Hingegen erzielen die Verlage dieser teurer Zeitschriften durchaus gute Gewinne. Bei einer Veröffentlichung unter Open Access bekommt der Wissenschaftler zwar auch kein Honorar, aber wenigstens verdient niemand an seiner schöpferischen Arbeit - und die Öffentlichkeit, die vor allem aus Wissenschaftlerkollegen besteht, kommt kostenlos an aktuelle Forschungsergebnisse. Das ist legitim, denn Universitäten und öffentlich unterstützter Forschungseinrichtungen werden teilweise oder ganz vom Steuerzahler bezahlt.
Übrigens halte ich Medienindustrie nicht für überflüssig. Schon aus dem Grunde, dass Autoren, dass Künstler nicht unbedingt gute Unternehmer sind. Dienstleister wie Verleger, Manager oder Agenten werden nach wie vor gebraucht. Aber das Geschäftsmodell einer Kopierindustrie, das einst darauf aufbaute, dass z. B. Plattenpresswerke das einzige Mittel waren, Musik massenhaft zu verbreiten, ist meiner Ansicht nach technisch veraltet.

Seitens der an den herkömmlichen Verbreitungswegen interessierten Medien werden gern und oft unkonventionelle Verbreitungswege, bei denen die Urheber (zur Erinnerung: das sind die Autoren bzw. Künstler und niemand sonst!), sehr wohl auf ihre Kosten kommen, mit "Online-Piraterie" gleichgesetzt.
Da liegt es nahe, wenn eine Partei, die ein neues Verständnis von der Rolle des kreativen Schöpfungsprozesses und von der Nutzung technischer und kultureller Errungenschaften hat, und die sich abzeichnenden Überwachungsgesellschaft ablehnt, Die Piratenpartei nennt.
piratin02
"Die Piraten" nennen sich also aus ähnlichen Gründen "Piraten", aus denen sich Homosexuelle "Schwule" nennen, oder, noch nicht so etabliert, Schwerbehinderte "Krüppel", Einwanderer "Kanaken" - oder aus denen ich es vorziehe, mich "Heide" zu nennen, anstatt etwa "Naturreligiöser" (was sowieso nicht ganz hinhaut). Negativ gemeinte Begriffe lassen sich, um im Bild zu bleiben, kapern.
Wobei "Pirat" wegen der Rebellions- und Sozialromantik des Piratentums ohnehin nicht rein negativ besetzt ist: Sozialromantische Piraten?.

In seinem, meiner Meinung nach in seinem Kulturpessimismus sehr "deutschen", Artikel Deutschland degeneriert in ein Entwicklungsland meint Marcel Weiss:
Was gar nicht hilft, ist, in Deutschland eine Partei Piratenpartei zu nennen.

Eine Partei, die sich ganz offiziell nach Kriminellen benennt, wird genau so viel Einfluss auf die deutsche Gesellschaft haben: Null.

Wer sich so nennt, hat schon verloren. Albern? Ja. Aber das ist nun mal die Diskurs-Realität in Deutschland.
Mit anderen Worten: Marcel Weiss vermutet, dass jemanden der sich selbst bewusst (und selbstbewusst) "Pirat" nennt, viele Menschen viele Argumente nicht abkaufen.
So, wie ich die deutsche Medienrealität kenne, ist das nicht ganz falsch.

Dennoch teile ich seine Einschätzung, dass eine Partei, die sich "Piratenpartei" nennt, in Deutschland niemals irgendeine gesellschaftlich relevante Rolle spielen wird, nicht.
Denn erst einmal ist die "Piratenpartei" eine Protestpartei, was auch im provokanten Namen zum Ausdruck kommt. Auf Regierungsbeteiligungen ist sie bisher nicht angelegt, sollte das geschehen, wird sie sich sicher umbenennen - und eine völlig andere Partei werden.
Zum anderen besteht die deutsche Öffentlichkeit nicht nur aus den "etablierten", kulturell konservativen, Kreisen. Noch nicht einmal in den "alten" Medien.
Der dritte Grund, warum der Name "Piratenpartei" keine Dummheit ist, dass, wie schon erwähnt, "Pirat" nicht eindeutig negativ besetzt ist. "Pirat" bezeichnet zwar einen Kriminellen, aber der durchschnittliche Deutsche dürfte beim Wort "Pirat" nicht automatisch an somalische Seeräuber denken. Eher schon an Filmpiraten wie Captain Jack Sparrow, an "Die Schatzinsel" und "Der rote Korsar", oder an legendäre Gestalten wie Klaus Störtebeker - der bekanntlich entgegen der mutmaßlichen historischen Wirklichkeit im Norden Deutschlands einen sehr guten Ruf hat. Zumindest der fußballinteressierte Teil der deutschen Bevölkerung wird beim Anblick des "Jolly Roger", der Totenkopfflagge, eher an den FC St. Pauli als an Raub und Geiselnehmer denken.
Der vierte Grund ist der, dass das Klischee des humorlosen, für Ironie unempfänglichen Deutschen nur für eine Minderheit der Deutschen zutrifft. Dass diese Minderheit noch den einen oder anderen medialen Diskurs beherrscht, heißt ja nicht, dass das immer so bleiben muss.

Alles in allem: Deutschland ist weniger spießig als Marcel Weiss befürchtet.

7. Mai: Einige Grammatik-Fehler ausgebügelt - und einen Link nach St. Pauli eingefügt.

Ergänzung - 7. Mai:
Zum Selbsttest: Pirat-O-Meter.

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