Sonntag, 10. Mai 2009

Den "Hafengeburtstag" lehne ich inkonsequent ab!

Es gibt von mir eine Fotogalerie von der Einlaufparade zum "Hafengeburtstag" am 8. Mai.
Sie ist ein Dokument meiner Inkonsequenz.

Denn ich lehne die Feiern des "Hamburger Hafengeburtstags" ab.

Vor zwei Jahren schrieb ich Hafengeburtstag in Hamburg: "He lücht!". Kurz zusammengefasst: Der "Hafengeburtstag" gründet sich auf eine mittelalterliche Urkundenfälschung. Die "Tradition des Hafengeburtstags" wurde 1939 begründet - als typische Nazi-Feier. 1977, als genügend Gras über diese peinliche Veranstaltung gewachsen war, regte der damalige Wirtschaftssenator Wilhelm Nölling mit Blick auf den Tourismus den "Hafengeburtstag", wie wir ihn heute kennen, an.

Mit Nils von Magerfettstufe bin ich einer Meinung: der Hafengeburtstag ist uninteressant. Die "Festmeile" zwischen St.Pauli Landungsbrücken und Fischmarkt ist zum größten Teil eine austauschbare Fress- und Saufmeile. Die Unterschiede zum "Alstervergnügen" oder zum "Weihnachtsmarkt" sind marginal. Alles wie gehabt: Rummelplatz mit viel Gedränge am Wasser. Standard-Attraktionen wie das "Schlepperballett" waren mal originell. Sicher, es gibt Lifemusik umsonst und draußen, und auch Schiffbesichtigungen interessieren mich. Aber sowohl Lifemusik wie Schiffsbesichtigungen gibt es zu anderen Gelegenheiten ohne viel Gedränge und Remmidemmi.
Kein Wunder, dass mich, wie anscheinend immer mehr Hamburger der "Hafengeburtstag" kalt lässt. Nach einer (nicht repräsentativen) Umfrage des "Hamburger Abendblattes" wollen 79 % der Befragten nicht zum "Hafengeburtstag" gehen.

Alles wie immer? Nö, denn dieses Mal gab es eine unglaublich blöde, überflüssige, extrem belästigende Idee: das Partnerland des 820. "Hafengeburtstags", die Schweiz, schickt, in Ermangelung schöner Schiffe, die Kunstflugstaffel "Patrouille Suisse". Eine Kunstflugstaffel - mit Kampfjets vom Typ Northrop F-5 Tiger II. Hieß es nicht nach der Flugkatastrophe von Ramstein, Kunstflugvorführungen mit Jets seien selbst bei verbesserten Sicherheitsregeln zu gefährlich, um je wieder genehmigt zu werden? Am Sonnabend mussten nicht allein die vielleicht noch interessierten Besucher des "Volksfestes", sondern auch zehnttausende Anwohner eine Viertelstunde lang ohrenbetäubendem Lärm über Elbe und Innenstadt ertragen: Schweizer Flieger ärgern Hamburger.

Weil halte es für unangemessen am 8. Mai etwas anderes zu feiern, als die Befreiung der Menschheit vor Deutschland am 8. Mai 1945 - wo lautes Feiern für uns Deutsche, zumal mit Kriegsschiffen und Militärjets (auch wenn sie aus der neutralen Schweiz kommen) schlicht geschmacklos ist. (Nebenbei: Auch wenn "Tag der Befreiung" gegenüber "Zusammenbruch" oder "Stunde Null" ein echter Fortschritt war: es ging bei der Bedingungslosen Kapitulation Deutschland nicht darum, Deutschland von "den Nazis" zu befreien. Wie denn auch, wenn Hitlers Mörderregime auf über 80% Zustimmung rechnen konnte? Wo klar war, dass es Deutschlands gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und auch kulturellen Strukturen waren, die Vernichtungskrieg und Holocaust möglich machten? Um befreit zu werden, muss man gefangen sein, und die überwiegende Mehrheit der Deutschen stand, selbst wenn sie keine Täter waren, auf Seiten der "Gefängniswärter" und "Henker. Gefangene Deutsche, das waren ausschließlich die politischen Gegner, die Angehörige von Minderheiten in Gefängnissen, KZ, Strafbattalionen, und jene, die täglich vor der Gestapo und ihren denunziationsfreudigen Mitmenschen bedroht waren - deutsche Juden kaum noch, die hatten entweder noch rechtzeitig ihr nacktes Leben durch Flucht gerettet oder waren ´45 längst ermordet.
Vielleicht sollte es "Tag der Gnade" heißen: die Sieger, einschließlich Stalins brutaler Diktatur, gegen unendlich viel gnädiger mit den Deutschen um, als sie es umgekehrt mit ihren "Feinden" taten. Und "Tag des unverdienten Glücks", denn nach Ausbruch des "Kalten Krieges" war ab 1947 im Westen, ab etwa 1949 auch im Osten von "Deindustalisierung" und wenig später auch von "Demilitarisierung" nicht mehr die Rede.)

Wie auch immer: Es ist bezeichnend, dass der 8. Mai in Deutschland nur in Mecklenburg-Vorpommern Feiertag ist. (In Österreich, dem Opferland, das schnell und willig zum Täterland wurde, ist er auch kein Feiertag.)
Beifreites Lachen steht uns am jenem Festtag, als die Welt von der tödlichen Bedrohung durch uns befreit war, dennoch wohl an - ich kenne da jemanden, der hat zur Bedingungslosen Kapitulation 1945 nur gelacht. Wie er auch heute über seine falschen Freunde mit dem braunstichigen Innenleben nur höhnisch lachen kann. Auf das ihnen, ihren Gesinnungsgenossen und auch den unsäglichen Nazi-Relativierern, Schlussstrich-Ziehern und Freunden autoritären "Durchgreifens" das Lachen vergehen möge!

Aber dennoch bin ich von Schiffen, vor allem Segelschiffen, fasziniert. Während ich die Festmeile meide, genieße ich es, bequem im Finkenwerder "Gorch Fock-Park" (benannt nach einem Dichter, der im Dienst der Kaiserlichen Marine elendiglich ersoffen ist), mit einem kühlen Bier in Griffweite zu sitzen, und die prachtvollen Schiffe vorbeisegeln zu lassen.

Inkonsequent? Ja. Unmoralisch? Vielleicht. Schlechtes Gewissen? Bestimmt nicht! Das sollten lieber andere haben ... jene, die es in der Hand hätten, den "Hafengeburtstag" wieder verschwinden zu lassen. Vielleicht zugunsten eines Hafenfestes wie der Rostocker "Hanse Sail", bei dem es etwas mehr um Seefahrt und weniger um Rummel geht. Zum einem anderen Termin als ausgerechnet dem 8. Mai.

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