Wissenschaft & Technik

Donnerstag, 5. April 2007

... und wieder ist etwas "Unmögliches" gemacht worden

Pressemeldung der Max Plank-Gesellschaft:
Elektronen beim Tunneln erwischt
Ein internationales Forscherteam beobachtet erstmals den quantenmechanischen Tunnelvorgang. (Übrigens ist die Pressemeldung ein Beispiel für guten Wissenschaftsjournalismus - verständlich und dennoch exakt.)

Lange Zeit galt eine Beobachtung des Tunneleffekts - zumindest unter konservativen Experimentalphysikern - als nicht möglich. Damit ist (wieder einmal) ein Stück der "esoterischen" und "abgehobenen" Quantenphysik in den Bereich der "soliden" Experimentalphysik geraten - wie bereits die Quantenteleportation.

Praktisch genutzt wird der Tunneleffekt übrigens schon seit Jahrzehnten, vor allem in der Mikroelektronik.
(Eine kleine, unvollständige Auflistung, wo überall der quantenmechanische Tunneleffekt von Bedeutung ist, in der Wikipedia. )

Donnerstag, 22. März 2007

Bewußtsein

Das wissenschaftliche Denken in der heutigen Medizin, Psychatrie, Psychologie und Anthropologie stellt inhaltlich eine direkte Ausdehnung des aus dem siebzehnten Jahrhundert stammenden newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum dar. Da sämtliche Grundannahmen dieser Wirklichkeitsauffassung von der Physik des zwanzigsten Jahrhunders transzendiert werden, dürfte man eigentlich erwarten, dass es in sämtlichen Disziplinen, die ihre direkten Derivate sind, früher oder später zu großen Veränderungen kommt.
Stanislav Grof: Geburt, Tod und Tranzendenz (Originaltitel: Beyond the Brain)

Wo er recht hat, hat der Mit-Begründer der transpersonalen Psychologie recht - trotz seiner Beliebtheit unter Dummschwätz-Esoterikern, Wochenendseminar-Schamanen und LSD-Astronauten, an der er selbst nicht so ganz unschuldig ist ...

Als ich ich gestern abend, als ich, auf meinem Sofa gefläzt, bei Kerzenlicht ein wenig abschaltete (was für ein schmarotzerhaftes, faules, dekadentes, unproduktives und unkreatives Lebensgefühl, wird manch ein Leitkultur-Avangardist meinen), ging mir das Grof-Zitat nicht aus dem Sinn - und ein interessanter Beitrag über Quantenteleportation von Köppnick, an dessen Ende er schrieb:
Ganz am Schluss outet er sich dort als Anhänger der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, wonach die Existenz des bewussten Beobachters ganz wesentlich für die Existenz der Welt ist.
Es würde mich sehr interessieren, wie sich dieser spezielle „Glauben“ einiger Physiker mit dem „Glauben“ einiger Neurowissenschaftler verträgt, die Bewusstsein auf einen simplen physikalischen Prozess reduzieren wollen. Eines der beiden Glaubenspostulate muss falsch sein. Ich vermute sogar fast, beide..
Ich vermute hingegen, dass sowohl die "Kopenhagener" wie die Neurowissenschaftler recht haben, und sich ihre Deutungen nur im von Grof so genannten "newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum", also dem Weltbild der "alten" Physik vor Plank und Einstein, widerspechen. Wobei viele der Neurowissenschaftler, die die Existenz eines "freien Willens" verneinen, und das Bewußtsein als nachgeordnetes Scheinphänomen, als eine Art PR-Stunt betrachten, eindeutig positivistisch im Sinne des späten 19. Jahrhunderts argumentieren. Aber eben nicht alle.
Ein "Glaubenspostulat" ist die Feststellung, es gäbe aus neurologisch keinen Hinweis auf einen freien Willen, und auch keinen Grund, so ein metaphysisches Konstrukt in eine naturwissenschaftliche Theorie einzubauen, an sich keineswegs. Sie ist vielmehr mit dem methodologischen Atheismus in der Naturwissenschaft vergleichbar. Auch die Meßergebnisse, nach denen die bewußte Entscheidung, z. B. ein Auge zu schließen, erst erfolgt nachdem der Nervenimpuls zum Schließen des Auges längst gesendet wurde, ist kein Glaubenssatz, sondern ein Meßergebnis. Man kann (muß aber nicht) das so interpretieren, dass unser Bewußtsein so handelt, wie eine kleiner Junge, der auf einem Bahnsteig auf seiner Trillerpfeife pfeift und dann meint, der Zug wäre auf sein Signal hin abgefahren.

Soviel ich weiß - ich bin kein Physiker - ist die "Kopenhagener Deutung" ursprünglich reiner Pragmatismus: man verzichtete darauf, Aussagen über das Geschehen "hinter den Kulissen" der Meßergebnisse zu machen, sondern nahm die Meßergebnisse einfach als Tatsache hin. Eine ihrer grundliegenden Thesen ist, dass das, was wir als "materielle Realität" wahrnehmen, in Wirklichkeit eine Konstruktion nach Maßgabe unserer Wahrnehmungen ist. Ein souverän entscheidendes "Bewußtsein" scheint mir zum Kollaps der Wellenfunktion nicht erforderlich zu sein.
Aus der Quantenpsysik läßt sich, egal ob nach Kopenhagener Deutung oder nicht, eines ableiten: der beobachtete Vorgang hängt vom Art der Beobachtung ab: beim photoelektrischen Effekt zeigt sich Licht eindeutig als Teilchenstrom, am Beugungsgitter eindeutig als Welle.

Das heißt, für mich jedenfalls, wenn ich ein Gehirn auf die dort stattfindenden elektrischen und bio-chemischen Vorgänge untersuche, werd ich dort auch nichts als elektrische und bio-chemische Vorgänge finden. Ich würde den selben kategorischen Irrtum wie die Anhänger des "intelligent desing" unterliegen, wenn ich annehmen würde, dass da irgendwie ein "Gott" oder ein "Bewußtsein" in den Mechanismus der neuronalen Funktionen eingreifen würde.
Also: Aus neurologischer Sicht gibt es keinen freien Willen und Bewußtsein ist ein nachgeordnetes Phänomen.

Aber die Neurobiologie ist nicht die einzige Wissenschafr, die reproduzierbare Ergebnisse zur Arbeitsweise des menschlichen Gehirns liefert. Viele Ergebnisse der Experimentalpsychologie lassen sich ohne die Annahme einer bewußten Entscheidung nicht erklären (jedenfalls nach meinem Kenntnisstand). Man könnte das zwar durch die Annahme eines streng deterministischen Universums umgehen (alles, was geschieht, war schon beim Entstehen des Universums festgelegt, das jetzt so abläuft wie ein Film - einschließlich der Illusion, wir hätten einen freien Willen) - aber spätestens seit der Entdeckung der Heisenbergschen Unschärferelation wissen, wir, dass das Universum nicht streng deterministisch sein kann.

Was mich nicht im mindesten beunruhigt.

Also: ob wir einen freien Willen haben, hängt möglicherweise einzig von der Art der Beobachtung ab. Wenn sich erst einmal, mit über 100 Jahren Verspätung, die naturwissenschaftliche Moderne auch in der Neurologie und der Psychologie völlig durchsetzt, wahrscheinlich gar nicht mehr seltsam erscheinen wird.

Dienstag, 20. März 2007

Mit Geld umgehen? - Das kann doch jeder Affe!

Verhaltensexperimente mit Kapuzineraffen brachten es an den Tag:
Affen können unerwartet gut mit Geld umgehen!
Sie nutzen Rabatte, verstehen das Konzept der unterschiedlichen Kaufkraft und sparen manchmal sogar. Doch auch bei ihnen verdirbt zuviel Geld den Charakter – es kann sie zu Betrügern und Dieben machen. In allen Fällen ist den Tieren wie den Menschen Gerechtigkeit wichtig, und ebenfalls wie die Menschen haben auch die Affen Angst vor Verlusten.
Bemerkenswert dabei: Kapuzineraffen sind nicht unbedingt die intelligentesten Primaten. Sie erkennen sich nicht im Spiegel, gucken sich nur höchst selten Fähigkeiten von Artgenossen ab und rücken erst Recht nicht freiwillig Dinge wieder heraus, die sie einmal für sich erobert haben. Trotzdem können aus den kleinen Affen innerhalb weniger Monate wahre Finanzjongleure werden, wie bereits mehrere Forscherteams nachweisen konnten.

Ein längerer Hintergrundartikel zum Thema:
Finanzexperten und Schnäppchenjäger im Fellkleid.

Ich habe es schon immer geahnt: um ein Finanzjongleur zu sein, muß man nicht viel in der Birne haben. Gier und Geiz - eine Eigenschaft der Kapuzineraffen ist es ja, nichts freiwillig herauszurücken - ist dafür aber offensichtlich hilfreich.

Dienstag, 13. März 2007

Erinnerungslöscher

Es könnte eine wertvolle Hilfe für Traumapatienten sein. Aber ich fürchte, das wird nicht ihr Haupteinsatzweck werden:

wissenschaft.de:Gezieltes Vergessen.
Forscher löschen bei Ratten die Erinnerung an ganz bestimmte traumatische Erlebnisse

Ein internationales Forscherteam hat bei Ratten mithilfe eines Wirkstoffs gezielt eine Erinnerung gelöscht. Die Tiere erinnerten sich nach den Tests nicht mehr an ein bestimmtes Schockerlebnis, während andere Erinnerungen unangetastet blieben. Das Verfahren könnte einmal bei Menschen eingesetzt werden, die unter traumatischen Erfahrungen leiden.
... oder es könnte dazu angewendet werden, jemanden zu foltern - und anschließend das Schockerlebnis der Folter "ungeschehen" zu machen. Oder es könnte dazu angewendet werden, teuer ausgebildete Elitesoldaten nach einem "knallharten" Einsatz (so von der Sorte: "eigene Verluste 50 %, Gegnerverluste ca. 90%, massivste Kollateralschäden") wieder "fit" zu bekommen. (Schon im 1. Weltkrieg Traum deutscher Heerespsychiater.)
Weitere Anwendungsmöglichkeiten fallen einem mit ein wenig Phantasie ohne Weiteres ein.

Hingegen erscheint mir der therapeutische Nutzen in der Traumatherapie eher gering zu sein.
Traumapatienten könnten mit ähnlichen Techniken künftig von ihren quälenden Erinnerungen geheilt werden, hoffen die Forscher – eine Idee, die jedoch unter Ärzten und Psychologen vor allem aus ethischen Gründen umstritten ist.
Das Problem liegt darin, dass sich ein länger zurückliegendes traumatische Ereignis sozusagen in der Persönlichkeit ausbreitet - salop gesprochen kommt zur quälende Erinnerung die Erinnerung an die quälende Erinnerung hinzu. Das Gehirn ist nun mal keine Festplatte. (Und selbst auf einem Computer wäre es fahrlässig, z. B. ein installiertes Programm, womöglich eines, dass mit vielen anderen Anwendungen verknüft ist, einfach durch Löschen zu "entfernen".) Tatsächlich laufen die bisherige Traumatherapien, von der Verhaltenstherapie bis zu gestaltherapeutischen Ansätzen - auf eine "Bewältigung" des Trauma hinaus. Der Ansatz, ein Trauma einfach "ungeschehen" zu machen, erscheint mir nur bei einem ganz frischen Trauma überhaupt therapeutisch machbar zu sein. Wobei sich die ethische Frage stellt, ob man einem frisch traumatisierten Patienten die Entscheidung, ob er seine traumtischen Erinnerungen "gelöscht" haben will, überhaupt zumuten kann.

Aber in "interessierten Kreisen" (Geheimdienste, Militär) wird man, fürchte ich, solche Bedenken nicht haben.

Dienstag, 27. Februar 2007

Das Gehirn ist kein Computer

Geahnt hatte ich es schon länger, deshalb überrascht mich diese Meldung nicht (nein, nicht weil es bei mir in der Birne so chaotisch zugeht)
Gehirn arbeitet chaotischer als angenommen.
Das Gehirn verarbeitet Informationen augenscheinlich chaotischer als bislang angenommen. Das zeigen Wissenschaftler der Universität Bonn in einer aktuellen Studie. Die Weiterleitung der Informationen von Neuron zu Neuron erfolgt demnach nicht ausschließlich an den so genannten Synapsen - das sind die Kontaktstellen zwischen den Nervenzell-Fortsätzen. Anscheinend schütten die Neuronen auch auf der ganzen Länge dieser Fortsätze Botenstoffe aus und erregen so benachbarte Zellen. Die Ergebnisse werfen nicht nur grundlegende Vorstellungen über den Haufen, wie unser Gehirn funktioniert. Sie könnten auch zur Entwicklung neuer Medikamente beitragen. Die Studie erscheint in Kürze in der renommierten Zeitschrift "Nature Neuroscience", ist aber schon online abrufbar (doi:10.1038/nn1850).
Nach dem bisher gültigen Modell können Nervenzellen nur mit wenigen Nervenzellen kommunizieren, nämlich nur mit denjenigen, mit denen sie über Synapsen verbunden sind. Auf diesem Konzept beruht die Vorstellung, dass sich neuronale Information im Gehirn ähnlich wie Strom in einem Computer gerichtet und nur entlang bestimmter geordneter Schaltkreisen ausbreitet. Das ist offensichtlich nur ein Teil der Wahrheit: Gehirnzellen können mit allen umliegenden Gehirnzellen kommunizieren - wenn auch auf andere Weise als mit jenen, mit denen sie synaptisch verknüft sind.

Das mag wie ein winziges Detail aussehen, bedeutet aber auch, dass das "Gesamtsystem Gehirn" sehr viel weniger berechenbar ist, als bisher angenommen wurde. Und ein weiterer (von vielen anderen) Hinweises darauf, dass die gern bemühte Analogie zwischen Computer und Gehirn kaum mehr als eine begrenzt gültige Metapher ist.

Ich vermutete, dass die Fntwinklung von künstlicher Intelligenz auch deshalb weit hinter den hochgespannten Erwartungen hinterherhinkt, weil das zugrundeliegende Modell, wie natürliche Intelligenz "funktioniert", grob unvollständig ist.

Mittwoch, 31. Januar 2007

Zupackender Mini-Saurier

Und noch eine Fundsache auf wissenschaft.de, die besonders für Freunde der Dinosaurier (und ihrer Nachkommen) interessant sein dürfte: Dinosaurier mit Präzisionsgriff.

Ein etwa truthahngroßer fleischfressender Dinosaurier mit dem niedlichen Namen Bambiraptor konnte schon vor 75 Millionen Jahre zwei seiner drei Finger wie eine Pinzette zusammenführen und damit kleine Beutetiere greifen. Das schließt der amerikanische Biologe Phil Senter aus einem Versuch mit einem nachgebauten Bambiraptor-Skelett, mit dem er testete, wie sich die Arm- und Fingerknochen bewegen ließen. Sollte sich die Vermutung des Wissenschaftlers bestätigen, hätte der Saurier – nach heutigem Wissen ein direkter Vorfahr der Vögel – die Greiffunktion Millionen Jahre vor den Primaten entwickelt, die bislang als Erfinder dieser Fähigkeit galten.

Mittwoch, 24. Januar 2007

Wichtiges Argument der "Intelligent Design"-Anhänger experimentell entkräftet

"Intelligent Design" ist die These, dass bestimmte Merkmale des Lebens am besten durch eine intelligente Ursache außerhalb der Natur (vulgo "Schöpfergott" genannt) erklärt werden können und nicht durch einen "ungeleiteten" Vorgang wie die natürliche Selektion. Im Prinzip ist I.D. ein als naturwissenschaftliche Theorie getarnter "kosmologischer Gottesbeweis".
Die Anhänger des I.D. stützen sich dabei vor allem auf ungeklärte - bzw. wie sie meinen ohne göttlichen Eingriff nicht erklärbare - "Lücken" der Evolutionstheorie.

Die Entwicklung komplexer Eigenschaften wie etwa neuer Proteinstrukturen durch den Prozess der Evolution ist weitgehend ungeklärt. Zum Berspiel schließen die Befürworter der "intelligent design"-These die "Erfindung" neuer, komplexer Proteinstrukturen durch wenige Mutationsschritte aus.
Evolutionsbiologen haben aber Hinweise gefunden, dass neue Proteine aus Übergangsformen entstehen können, die ursprüngliche und neue Eigenschaften vereinen. Allerdings konnte dies bisher nur durch eine Akkumulation künstlich herbeigeführter Mutationen demonstriert werden, die evolutionäre Vorgänge lediglich simulieren. Was nach Ansicht der I.D-Anhänger nichts beweist.

Suat Özbek und Thomas Holstein in der Abteilung Molekulare Evolution der Universität Heidelberg ist es jetzt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Biozentrum in Basel gelungen, an Kollagenen des Süßwasserpolyps Hydra eine globale Strukturänderung von Proteinen infolge von zwei Mutationsschritten nachzuweisen. Bereits die Änderung einer einzelnen Aminosäure hat hier zu der Entwicklung einer Übergangsform geführt, die sowohl die ursprüngliche als auch eine gänzlich neue Proteingestalt annimmt. Dieser natürliche Vorgang lässt sich experimentell nachvollziehen und stellt damit einen bisher einzigartigen Beweis der Theorie gleitender evolutionärer Übergänge bei der Entwicklung neuer und komplexer Eigenschaften von Lebewesen dar.
Pressemeldung der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Einzigartiger Beweis der Theorie gleitender evolutionärer Übergänge

Eine weitere empfindliche Niederlage im permanenten Rückzugsgefecht, das die ID-Anhänger gegen die "Darwinisten" führen.

Mittwoch, 10. Januar 2007

Geahnt hab ich es schon immer

Unbewusste Wahrnehmung - im Volksmund "Ahnung" genannt - kann zuverlässiger sein als bewusstes Nachdenken.

Um einen meiner Mathe-Lehrer zu zitieren: "Auf Ahnungen sollte man nichts geben".
Ob ihn die Studie britischer Experimental-Psychologen überzeugt hätte, die zum Fazit kommt, dass es manchmal besser ist, sich auf seinen Instinkt zu verlassen und Entscheidungen schon nach einem einzigen Blick zu treffen, als lange Nachzudenken?
wissenschaft.de: Warum man auch mal auf seinen Instinkt hören sollte.

Donnerstag, 4. Januar 2007

Warum wir süchtig nach Prognosen sind - auch wenn sie in die Hose gehen

Orakel sind, richtig verstanden, nützlich, auch wenn sie nicht die Zukunft zeigen - und gar nicht zeigen können!
Im Grunde sind auch Prognosen, vor allem jene, die mit Trendanalysen arbeiten, moderne Orakel (auch wenn das man das in keinem Trendforschungsinstut gerne hören wird).
Sie zeigen nicht die Zukunft, sondern bestenfalls eine Landkarte der Konsequenzen, die sich auch den Dingen, die sind, und aus unseren Handlungen ergeben könnten. Zum richtigen Umgang mit Prognosen gehört eine gehörige Portion Skepsis und die Einsicht, dass es keine "determinierte" Zukunft gibt. Beides fehlt meistens.

Prof. Dr. Josef H. Reichholf, Zoologe an der TU München, meint (und da gebe ich ihm recht):
Wie gehen wir mit Prognosen um? Schlecht, sehr schlecht und viel zu nachsichtig! Wider besseres Wissen aus der Erfahrung sind wir geneigt, den Prognosen zu folgen. Sind sie falsch, drohen den Verkündern keine Konsequenzen. Nicht einmal lächerlich machen sie sich mit nicht eingetretenen Vorhersagen. Kommt die Zeit, in der sie sich bewahrheiten sollten, hat man sie nämlich in aller Regel längst vergessen. Meistens wird Schlechtes prognostiziert. Tritt es nicht ein, ist alles in Ordnung, und man will weiter gar nichts mehr darüber wissen. Viele Menschen gehen ohnehin davon aus, dass alles nicht so schlimm kommen wird wie vorhergesagt. Oft genug stimmt das auch. Schlechte Nachrichten verkaufen sich dennoch immer gut. Gelegentlich gelingt es sogar, das an sich Gute durch geschickte Umverpackung so mieszumachen, dass man sich schämt, es genossen zu haben.
Weiterlesen, in der NZZ online:Unsere Sucht nach Prognosen

In der selben Ausgabe: Ein Vorrang der schlechten Prognose?
Zu den ethischen Grundlagen des Vorsorgeprinzips
.

Vorsicht vor Vorsorge

Samstag, 23. Dezember 2006

Wie man "irgendwie immer" stimmende Zeitungshoroskope schreibt

In einem sind sich überzeuge Anhänger der Astrologie und Ablehner der Sterndeuterei fast immer einig: Darin, dass Zeitungs- und Zeitschriftenhoroskope blanker Unfug sind.
Obwohl "doch jeder" weiß, dass man über die manchmal ohne jede astrologische Berechnung erstellten "Horoskope" höchstens amüsiert lächeln kann, sind es doch nach einer repräsentativen Allensbach-Umfrage rund 80 % der Bevölkerung in Deutschland über 16 Jahren, die regelmäßig oder manchmal in Zeitungen und Zeitschriften ihr Horoskop lesen.
Nach eine nicht repräsentativen Umfrage unter ertappten Horoskoplesern in meiner Umgebung ist die häufigste Begründung für diesen auffälligen Widerspruch: "Ist zwar Humbug, aber irgendwie stimmt das schon."

Um dem Rätsel der "irgendwie immer" stimmenden Pressehoroskope auf die Spur zu kommen, hat die Germanistin Katja Furthmannaus 24 verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften 2.880 Einzelhoroskope untersucht. Ihr besonderes Interesse als Sprachwissenschaftlerin lag in der Frage, wie die Presseastrologen es schaffen, dass die Horoskope in Massenauflagen gedruckt werden und sich dennoch so viele Menschen individuell angesprochen fühlen.

In einem Vortrag am vergangenen Dienstag an der Universität Greifswald hat Katja Furthmann dem interessierten Publikum Einblicke in die Formulierungskünste dieser Kleintexte gegeben, denn einfach mal so nebenher eines schreiben, das würde wohl nicht funktionieren. Sie dürfen nicht zu allgemein sein, dann würden sich die Einzelnen nicht angesprochen fühlen, und sie dürfen nicht zu spezifisch sein, weil sich der Leser dann auch nicht darin erkennen würde.

Sieben sprachliche Tricks muss ein Schreiber der Pressehoroskope beherrschen, damit das Pressehoroskop funktioniert.
1. Die Themen müssen umfassend präsentiert werden
Das gelingt am einfachsten durch die Verwendung aufzählender, gegensätzlicher oder alternativer Konjunktive: aber, auch, ob, zwar ... Beispiel: „Sie lieben zwar Harmonie, aber vor Stillstand fürchten Sie sich so sehr, dass Sie ständig für neue Impulse sorgen."
Ebenfalls geeignet sind variable Bezüge: Viele erreichen dies, andere tun das, manche jenes ... oder auch: könnte, vielleicht, nicht auszuschließen.
Der Grundsatz lautet: Keine klaren Zuordnungen, sondern Vermischung verschiedener Beschreibungen und Möglichkeiten.

2. Allgemeinheit durch „umbrella terms"
Durch die Verwendung von möglichst abstrakten und allgemeinen Begriffen können diese auf eine Vielzahl von individuellen, spezifischen Lebenssituationen übertragen werden. Es ist also die Rede von Projekten, Personen, Chancen, Risiken, Vorteilen, Problemen, Entscheidungen etc. ... - allesamt Mehrdeutigkeiten, mit denen der Leser seine konkreten Bezüge beinahe automatisch verbindet.
Dazu gehören auch Rahmenwörter, die unscharf bleiben, aber gerade deshalb in ihrer Mehrdeutigkeit beliebig konkret zu füllen sind. „Sie haben Sinn für Humor." Was heißt das? Dass man lacht oder dass man Witze erzählt? Ebenso funktioniert: „Es gibt Spannungen." Was bedeutet das? Krach, Streit, Schweigen? Jede Füllung passt.

3. Skala der Relativität
Eigenschaften sind stets relativ. Wichtig, neu, schnell, groß, klein, schnell, langsam, leicht schwer etc. Jeder hat seine individuellen Maßstäbe, und positive Werte haben zudem keinen eindeutigen Grenzwert. Wie wichtig ist „wichtig" und wie neu ist „neu"?
Ebenso relativ sind Formulierungen wie „manchmal", „alles", die mehrdeutig sind.

4. Allgemeine und zeitlose Wahrheit
Sprichwörter und Allgemeinplätze sind nicht widerlegbar und eignen sich besonders für unspezifische Aussagen, die der Leser spezifisch füllt. „Alles zu seiner Zeit!", „Alles hat zwei Seiten" etc. Ebenso ist eine Aussage wie „Sie haben einen heimlichen Verehrer" nicht zu widerlegen. Falls es möglich wäre, dann wäre er ja nicht mehr heimlich.

5. Anschaulichkeit und scheinbare Präzisierung
Unspezifisches lässt sich in Horoskopen auch über Phrasen und Metaphern transportieren, die vom Leser gefüllt werden. Man solle „den Ball flach halten" kann alles Mögliche bedeuten, ebenso wie „nach den Sternen greifen" u. a. m.
Metaphern sind auffüllbare Konzepte. Das Leben ist als Weg beschrieben und schon ist der Leser unterwegs im Veränderlichen. Ebenso sind Krieg und das Wetter geeignete Konzeptmetaphern, denn dass Leben „Kampf" bedeutet, das hat jeder irgendwie schon erlebt, gegen was und wen bleibt dann der Deutung des Lesers überlassen, ebenso wie „sonnige Aussichten" oder eine „trübe Zeit".

6. Pseudowissenschaftliche Evidenz
Durch die vorgebliche Berechnung von Planetenkonstellationen „Venus und Uranus im Quadrat" wird eine Fremdbestimmung suggeriert, die durch Personifizierung der Planeten noch direkter wird: „Venus flüstert Ihnen zu ..."
Geleitet von kosmischen Kräften fühlt sich der Leser in der kosmischen Einheit geborgen. Diese Verknüpfung von Pseudo-Religion und pseudowissenschaftlicher Argumentation dürfte ein wesentlicher Grund für die erfolgreiche Verbreitung der Pressehoroskope sein.

7. Inszenierung von Nähe und Beteiligung
Durch die direkte Ansprache der Leserin: „Verabreden Sie sich doch mal: Sie sind doch kein Mauerblümchen!" wird eine Nähe zur Leserin suggeriert und eine emotionale Beteiligung vorgegaukelt, als würde das Horoskop mit einem reden. Diese Absicht wird gelegentlich noch durch eine zielgruppenorientierte Einfärbung des Sprachstils abgerundet.

Diese Formulierungsprinzipien agieren nicht einzeln, sondern sind zusammenwirkende Elemente, die jede Zeitschrift für ihren eigenen Stil anders mischt. Grundsätzlich bleibt jedoch die subtile Verbindung von vage - allgemein - anschaulich, die für diese Pressehoroskope die vermeintliche Individualisierung ermöglicht, und die deshalb immer irgendwie zu stimmen scheinen.

Zum Abschluss des Vortrages sorgte Katja Furthmann für aufkommende Heiterkeit, als sie ankündigte, jedem der Zuhörer/-innen ein persönliches Horoskop für das Jahr 2007 zu stellen: „Das Jahr steckt voller Chancen. Sie müssen nur noch lernen, sie zu erkennen - und zu ergreifen."

Die umfangreiche Untersuchung, die dem Vortrag zugrunde lag, ist die Doktorarbeit der Referentin und wurde mit dem Promotionspreis der Commerzbank Stiftung an der Universität Greifswald ausgezeichnet.
Wer Genaueres wissen möchte, dem sei diese Arbeit als Buch empfohlen. Katja Furthmann: „Die Sterne lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop." 1. Auflage 2006, 546 Seiten mit 42 Abb., gebunden. 67,90 € [D]. ISBN 3-89971-323-0; unipress.

Via: hpd-online

Übrigens habe ich den Eindruck, dass diese 7 Regeln auch bei "seriösen" in der Presse veröffentlichten Prognosen angewendet werden, egal, ob sie die Börsenkurse in der nächsten Woche, die Konjunktur im nächsten Jahr, die demographische Entwicklung der nächsten 20 Jahre oder das Weltklima der nächsten 100 Jahre vorhersagen.

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