Politisches

Samstag, 19. März 2011

"Unpolitisches" zum "Atomausstieg"

Wenn ich mir Berichte über die Atompolitik der Bundesregierung nach "Fukushima" so durchlese, dann schießt mir unweigerlich der Begriff "Unpolitik" durch den Kopf.

Der bissige Liberale Rayson prägte diesen Begriff:
Unpolitik interessiert sich für Personalfragen und für Koalitionen. Unpolitik liebt Symbole und verabscheut konkrete Handlungen. Unpolitik erfüllt eine wichtige selbstvergewissernde Funktion des deutschen Systems, in dem eine Handvoll Vereinshansel der Republik ihren Stempel aufdrückt. Die einzige ernstzunehmende Form des Widerspruchs ist noch die Nichtteilnahme an der Wahl. Es ist also kein Zufall, dass diese parteiübergreifend gegeißelt wird. Denn vor nichts fürchtet sich die Unpolitik so sehr wie davor, dass die Menschen ihre eigenen Angelegenheiten unter sich regeln, statt sich von Parteifunktionären maßregeln zu lassen.
Ob Wahlboykotte, da selbst bei nur 10% Wahlbeteiligung eine Partei, die mehr als 50 % der abgegeben Stimmen (gerade mehr als 5% Zustimmung der Stimmberechtigten) auf sich vereinen würde, im so zusammengesetzten Parlament die absolute Mehrheit hätte, wirklich zielführend wären, ist eine ganz andere Frage. Aber grundsätzlich gebe ich Rayson recht.

Was Karl Jaspers schon 1966 in seinem Buch "Wohin treibt die Bundesrepublik?" schrieb, gilt nach wie vor:
Die Parteien wandeln ihren Sinn. Die Richtung der Wandlung ist diese: Sie waren gemeint als Organe des Volkes, das durch sie seinen Willen kundtut und umgekehrt wieder von ihnen politisch erzogen wird. Aber sie werden zu Organen des Staates, der nunmehr wieder als Obrigkeitsstaat die Untertanen beherrscht. Die Parteien, die keineswegs der Staat sein sollten, machen sich, entzogen dem Volksleben, selber zum Staat.
Und in so einem System reduziert sich "Politik" auf Machtkämpfe, Inhalte und Sachfragen sind dabei zweitrangig. Allerdings ist der Einfluss "der Wirtschaft" und der diversen Lobbys heute weitaus größer als 1966. Was bedeutet, dass die Gefahr für die Demokratie im Grunde noch größer ist. Nicht, weil Politik machende Berater aus der "Wirtschaft" böse, gewissenlose Kapitalistenknechte wären, die immer die egoistischen Interessen ihren jeweiligen Branche im Sinn hätten, sondern weil niemand diese wichtigen Politikmacher gewählt hätte.

Zurück zum "Atommoratorium", das durchschaubar ,und von vielen Wählern hoffentlich durchschaut, ein "unpolitischer" Versuch ist, irgendwie die wichtigen Landtagswahlen zu überstehen - und dann sieht die Welt ganz anders aus und vor allem anderswo hin.

Rayson zieht eine Parallele zwischen Risikobewertung in der Kernenergie und in der Terrorismusbekämpfung:
Insofern ist das "Umfallen" der Union nur als Wiederherstellung eines konsistenten Umgangs mit Risiken anzusehen.
Denn in beiden Fällen ginge es um das Prinzip, dass allein die Höhe des maximalen möglichen Schadens für relevant angesehen werden würde, nicht aber die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit für diese Schäden.
(Natürlich weiß auch er, dass der "plötzliche Sinneswandel" der Kanzlerin und anderer Politiker, die vor kurzem noch Laufzeitverlängerungen durchdrückten, eine extrem kurze Halbwertszeit haben dürfte, also von einem "konsistenten Umgang mit Risiken" keine Rede sein kann. Oder vielleicht doch: hinsichtlich des Risikos des Machtverlustes dürfte die Politik der Union tatsächlich konsistent sein.)

Meiner Ansicht nach geht es weder bei "Atommoratorium" noch bei der "Terrorismusbekämpfung" wirklich um Sachfragen, sprich: um Fragen der öffentlichen Sicherheit.
Es wäre in der Tat verfehlt, die Kernenergiepolitik auf den maximal zu erwartenden Schaden bei einem Unfall, wie unwahrscheinlich er auch sein möge, auszurichten. (Auch wenn das zum meiner Ansicht nach richtigen Ergebnis führen würde, alle AKW sofort stillzulegen.)
Wichtiger als die Frage nach dem "Super-GAU" (besser: dem katastrophalen Unfall) ist die ungelöste Frage einer dauerhaft sicheren Endlagerung des Atommülls. "Superkatastrophen" treten ja meistens dann ein, wenn etwas passiert, mit dem vorher nie jemand ernsthaft gerechnet hat - egal, ob das nun ein Terroranschlag mit entführten Verkehrsflugzeugen oder ein extrem starkes Erdbeben mit nachfolgendem extrem hohen Tsunami ist.
Aber darauf zielt "Sicherheitspolitik" ja gar nicht ab.
Getreu dem Prinzip der Unpolitik geht es nicht um reale Sicherheit, sondern um "gefühlte" Sicherheit. Sichtbares Polizeiaufgebot, viel Überwachungstechnik und noch mehr gesetzgeberischer Aktionismus sollen ja allenfalls nebenher wirklich Terroranschläge verhindern - ein ganz wesentlicher Zweck ist ein Gefühl von Sicherheit - das dann hoffentlich vom Stimmvieh honoriert wird.

Genau um diese "gefühlte Sicherheit" geht es auch beim "Sinneswandel" der Kanzlerin: ein paar Reaktoren, die sowieso längst abgeschrieben sind, Stilllegen (was den Energiekonzernen nicht wirklich weh tun dürfte), und trotz breiter Anti-Atom-Stimmung wichtige Wahlen gewinnen.

Echte Politik, das Lösen echter Probleme, "Sachfragen", die Interessen der zurecht besorgten Bürger, verdampfen da wie Wasser auf einem heißen Reaktorkern.
(Alleine, dass sich sich der stehende Begriff "Sachfragen" herausgebildet hat, zeigt, um was es im politischen Tagesgeschäft normalerweise nicht geht!)

Übrigens: Die Energiewirtschaft beugt (propagandistisch) vor: Atomausstieg:
E.on-Chef warnt vor Stromnetz-Zusammenbruch (Spon)
- Man muss sich vor Augen halten: nicht zuletzt E.on hat den Ausbau des Stromnetzes vernachlässigt. Teysse warnt also vor den Folgen eigener Versäumnisse.

Mittwoch, 23. Februar 2011

"Des Führers braune Haufen" und "Rassenquassler"

Es gibt zwei Ausdrücke, die als Kampfbegriffe für mich nahezu unentbehrlich sind, hier und anderswo: die "kackbraunen Kameraden" und die "Rassenquassler". (Wobei ich auf die kackbraunen Kameraden und die Rassenquassler selbst gern verzichten würde.)

Ich habe diese angemessen deftigen Ausdrücke nicht selbst erfunden.

Die "kackbraune Kameraden", gemeint sind Nazis und andere Faschisten, die darauf beharren, "keine Nazis" zu sein, auch wenn sich ihre Weltanschauung nur im mikroskopischen Details unterscheidet, habe ich von Burkhard Schröder.

Wobei Burks treffende Bezeichnung in einer langen Tradition steht.
Der Begriff "die Braunen" für "Nationalsozialisten" war schon vor 1933 üblich, denn mit Ausnahme der SS trugen alle Parteiorganisationen braune Uniformen. Das auch später offiziell als "Braunhemd" bezeichnete Parteihemd soll laut Wikipedia nur durch Zufall eingeführt worden sein: Der Ende 1923 nach Österreich geflohene Freikorps- und SA-Führer Gerhard Roßbach konnte einen größeren Posten brauner Hemden erwerben. Diese wären ursprünglich für die deutsche Schutztruppe in Afrika unter Lettow-Vorbeck vorgesehen gewesen. Nach seiner Rückkehr führte Roßbach diese Hemden in der SA ein. In der Tat ist das gelbliche NS-Braun eine "Wüstenfarbe", dunklem Khaki nicht unähnlich. Die "Erdfarbe" sollte in NS-Deutung ein Sinnbild der Verbundenheit mit "Scholle und Boden" sein.
Diese Farbe wurde von Nazi-Gegner schon in der 20er Jahren als "kackbraun", vielleicht in Verballhornung von "khakibraun", bezeichnet.
Arnold Rabbow stellte im "dtv-Lexikon politischer Symbole" die Frage, ob sich die NSDAP bei dieser Farbwahl unbewusst selbst charakterisierte und ob die SA sich nicht bewusst war, zu welchen Assoziationen ihr Sturmlied "Wir sind des Führers braune Haufen" herausforderte.

Die Fakalsprache, sonst deutlich unter Burks (und meinem) Humorniveau, ist für eine so widerliches Weltanschuung wie die der Nazis angemessen. Nazis kann man gar nicht drastisch und vulgär genug bezeichnen. Außerdem bildet der dreckige Ausdruck "kackbraun" einen reizvolle Kontrast zum "Reinheits-", "Sauberkeits-" und "Säuberungs-" Vokabular der Nazi-Propaganda und vermeidet zugleich die "Ungeziefer-" und "Krankheitserreger"-Metaphorik, mit der Nazis ihre Gegner und Opfer verhöhnen.

Der Begriff "Rassenquassler" stammt von meinem Freund und Lieblings-Schweinepriester Fjölnir Eibensang, der sich im Alltag gerne Duke Meyer nennen lässt. Es kommt an markanter Stelle im Lied Freundchen! vor, das Duke für die "Singvøgel" schrieb.
Ein Rassenquassler ist jemand, der rassistische Theorien und rassistische Praktiken wortreich vertritt. Nicht immer aus tiefer Überzeugung, manche Rassenquassler vertreten Rassismus so unachtsam, wie andere unachtsame Leute an den Schuhen anhaftenden Hundekot auf dem Teppich vertreten.
Ein Rassenquassler ist ein Rassist, wobei nicht alle Rassisten Rassenquassler sind - es gibt handlungsorientierte Rassisten, die wortlos andersfarbigen Menschen die Schädel einschlagen. Anderseits scheint es vielen Rassenquassler nicht klar zu sein, dass sie Rassisten sind. Ja, der Halbsatz: "Ich bin kein Rassist, aber ...." ist geradezu typisch für den gemeinen Rassenquassler.

Wenn sie von Rassen faseln, liegt dem eine rassistische Einstellung zugrunde, die sie für wahr halten und als "Wissen" auffassen und vermitteln. Rassequassler haben und verbreiten "rassistisches Wissen".

Samstag, 12. Februar 2011

Nicht vergessen!

mubarak merkel
(Mubarak und Merkel)

In deutschen Medien waren, wenn ich mich richtig erinnere, Mubarak-kritische Artikeln vor dem Januar 2011 eher dünn gesät. Nicht etwa, dass über die unterdrückerischen Verhältnisse in Ägypten nicht berichtet worden wäre. Aber eben auf der Schiene: "Die Araber sind eben so, und Demokratie ist deren Kultur sowieso fremd, und deren Mentalität ist ja ganz anders, die brauchen einfach eine starke Hand, immerhin sorgt er für Ruhe und Stabilität, hält er den Friedensvertrag mit Israel ein (über die Anti-Israel-Hetze und die antisemitischen Verschwörungstheorie in offiziellen (!) ägyptischen Medien reden wir besser nicht), und er hält die Migrantenströme unter Kontrolle (die sudanesischen Flüchtlinge, die er abknallen lässt sind doch kein Thema, selbst wenn es die UN darüber berichtet), die wirtschaftlichen Beziehungen sind bestens, und die Touristen sind sicher (und gut abgeschirmt, zu deren eigenen Sicherheit und damit sie sich unbeschwert erholen: es würde sie ja nur verstören, wenn sie mitbekämen, wie es in Ägypten wirklich ist)."

Kurz gesagt: vor gerade Mal einem Monat war der brutale Diktator Ägyptens noch ein ganz normales, sogar "pro-westliches", Staatsoberhaupt.
Leider scheint Opportunismus in Deutschland, zumal im politischen Deutschland, zum guten Ton zu gehören: "Was schert mich mein Geschwätz von gestern?" (Konrad Adenauer)

Mittwoch, 12. Januar 2011

15.1.: Demo gegen Nazis in Hamburg-Bergedorf

(Ich bin - vertrottelt wie ich manchmal bin - tatsächlich wohl zu spät dran mit dieser Meldung.)

Aufgrund anhaltender Übergriffe von Neonazis auf alternative Jugendliche und linke Projekte in Bergedorf entstand die antifaschistische Kampagne „Nazistrukturen aufdecken – Rassismus bekämpfen“, welche am 15. Januar 2011 mit einer Demo den vorläufigen Höhepunkt erreichen wird. In diesem Artikel möchten wir einen Eindruck von der Situation in Bergedorf geben und die Antifa-Kampagne vorstellen.

Unvollständige Liste der Übergriffe und Neonazi-Aktivitäten in Bergedorf im letzten Jahr

- Neonazis besprühen die KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Bergedorf mit Hakenkreuzen http://de.indymedia.org/2010/04/277504.shtml
- Die Veranstaltung der Initiative „NPD – kehrt Marsch!“ im Kulturforum (Serrahnstraße) erhielt „Besuch“ von acht zum Teil bekannten Rechtsradikalen aus der Umgebung.
- Ein minderjähriger Antifaschist wurde mehrfach durch Bergedorf gehetzt, angegriffen und schwer verletzt.
- Das Jugendzentrum „Unser Haus e. V.“ wurde im Laufe des Jahres mehrmals attackiert, beschädigt und mit rassistischer Propaganda beklebt.
- Die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt“ an der HAW Bergedorf wurde gestört und Flyer gegen „linke Gewalt“ verteilt.
- Neonazis verschenken verkleidet als Weihnachtsmänner Schokolade und Tan­nenzweige mit rassistisch umgeschriebenen Weihnachtsgedichten.
- Der HVV-Busfahrer Thomas S. hört auf seinen Fahrten in Bergedorf und Umgebung deutlich für alle anderen Fahrgäste Rechtsrock wie „Landser“ und „Screwdriver“. Der HVV unternimmt auf Nachfrage nichts dagegen.
- Am 1.11. übernimmt Thomas „Steiner“ Wulff den NPD-Kreisvorsitz in Bergedorf, um im Osten Hamburgs „eine Wahl- und Systemalternative aufzubauen“.

Diese Aktionen reihen sich nahtlos in die Liste der Aktivitäten des Vorjahres ein: http://de.indymedia.org/2009/05/249991.shtml
(Übernommen von AntifaBargtheide, wo es auch weitere Infos gibt.)

14. Januar, 19h, Cafe Flop (Bergedorf): Info- und Mobilisierungsveranstaltung über die Neonazi-Szene in Bergedorf und die Antifa-Demo am 15. Januar; Danach Party (House/Minimal) mit DJ Jong. Ort: Wentorfer-Str. 26.

15. Januar (Samstag), 15h Antifa-Demo: Beginn am Lohbrügger Markt (Nähe S-Bergedorf): „Nazistrukturen aufdecken – Rassismus bekämpfen“; Danach Vokü, (was Warmes zum Essen, MM) Konzert und Party mit diversen Bands.

Freitag, 7. Januar 2011

Sarrazin-Restbestand aus dem letzten Jahr

Da der demogogische Dreck vom letzten Jahr leider nicht mit dem Jahreswechsel weg geht, noch mal was zum beliebtesten "Man-wird-ja-noch-sagen-dürfen"-Sager und erfolgreichsten Buchverkäufer des vergangenen Jahres. Sarrazins Beliebtheit zeigt übrigens wieder einmal, dass "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" keine Spezialität von "Extremisten" ist.

Es geht dabei meiner Ansicht nach längst nicht mehr um Fakten beziehungsweise inhaltlich nachprüfbare Tatsachenbehauptungen. Was inhaltlich von diesen Thesen zu halten ist, nimmt das von der Politologin Naika Foroutan herausgegebene Dossier Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand gründlich auseinander.
Ich stimme Jakob Augstein ausdrücklich zu, wenn er in Sarrazin und Lügen zu Weihnachten – Nachtrag schreibt:
Also hier noch einmal mein Hinweis: Es geht mir nicht einmal in erster Linie darum nachzuweisen, wo Thilo Sarrazin irrt. Es geht mir darum, wie auch schon im Weihnachtsblog, darauf aufmerksam zu machen, dass seine Behauptung, er stelle unwidersprochene und unwiderlegbare Tatsachen dar, falsch ist. Sarrazin handelt mit Thesen. Nicht mit Fakten. Es ist eine Technik des Demagogen, die Grenzen dazwischen verschwimmen zu lassen.
Ich bin mir dabei aber ziemlich sicher, dass Sarrazin nicht so selbstbewußt und selbstgerecht sozialdarwinistische und kulturalistische und quasi-rassistische Thesen in die Welt setzen würde, wenn er nicht das Gefühl hätte, sich dabei auf das Urteil von Experten stützen zu können. Wobei das Urteil, sprich die Thesen der Experten, z. B. im Falle Heinsohns, auch aus zur These passend zurechfrisierten Daten beruht.

Wie ich an anderer Stelle schon schrob, geht es meiner Ansicht nach bei dem ganzen Zirkus Sarrazini nur der Provokation halber z. B. um "Gene" bzw. "Intelligenzunterschiede bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen".
Der Kern der sarrazinischen Weltsicht ist: Der Wert eines Menschen hängt von seiner Nützlichkeit ab.
"Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen". Sagte ja auch Münte, einen gefälschten Paulus-Brief zitierend, und sich auf die sozialdemokratische Tradition, sprich August Bebel berufend (nicht ganz zurecht, nicht ganz ehrlich übrigens). Dachte auch Peter Hartz. Daher bin ich nicht überrascht, wie viele Sarrazin-Fans es an der SPD-Basis gibt.
Ich fasse Sarrazins Kernthese mal so zusammen:
Deutschland braucht mehr Hochleistungs-Nutzmenschen, notfalls durch Einwanderung, das ist eben effizienter, als mühsam den sich kanikelhaft vermehrenden degenerierten Unterschicht-Kindern Bildung beizupulen. Wobei man das ja auch nicht ganz lassen sollte, weshalb Sarrazin ja auch für Kindergarten-Pflicht, Ganztagsschule, Schuluniformen, ordentlich Disziplin und harte Strafe für Bildungsverweigerer ist. Und überhaupt: es ist mega-wichtig, eventuell doch talentierte Unterschicht-Kinder den Einfluss ihrer leistungsverweigernden Eltern zu entziehen. Am Besten schon ab Krippenalter!

Da ja Kritiker der Sarrazinische Thesen gern mit dem Hinweis abgebügelt werden, man müsse Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" gelesen haben, dann würde einem schon klar werden, dass er auf solider Faktenbasis argumentieren würde, hatte ich mir "den Sarrazin" mal angetan (übrigens als ein ausgeliehenes Exemplar).

Sarrazin gibt zuerst "einen Blick in die Zukunft" (so das erste Kapitel). Er entwickelt ein Schreckens-Szenario, wie es ähnlich schon viele andere Kulturpessimisten aufgemacht haben: Er zeichnet das Bild eines überalterten Landes, das nicht mehr weiß, wie es seine Rentner durchfüttern soll. (Das kann man diskutieren, sollte dabei aber auch nicht Tatsachen wie Produktivitätsentwicklung / Automatisierung außer acht lassen.)
Das zweite Kapitel übernimmt Sarrazin inhaltlich fast 1 : 1 von
Gunnar Heinsohn: In Deutschland würden überdurchschnittlich viele Kinder in sogenannten bildungsfernen Schichten mit häufig unterdurchschnittlicher Intelligenz aufwachsen.
Sarrazin legt dann seine Ansichten zu Armut und Arbeit dar.
Bemerkenswert erscheint mir, dass er viele Begleiterscheinungen der materiellen Armut, wie mangelnde Gesundheit und fehlerhafte Ernährung, nicht auf einen Mangel an Einkommen zurückführt. (Damit bleibt er seiner Linie als Berliner Finanzsenator treu, wo er vorrechnete, wie sich ein ALG 2 Empfänger sich für - ich weiß nicht mehr wie wenig Euro - gesund ernähren könnte.) Wer intelligent und gebildet ist, könne auch haushalten, setzte die Prioritäten richtig, komme irgendwie auch ziemlich flott aus der Misere raus. Wer dumm ist, bliebe arm. (Das ist jetzt meine polemische Zusammenfassung.) Sarrazin behauptet, 90 Prozent der von der Armutsforschung beobachtete negativen Auswirkungen seien nicht Folgen von Einkommensarmut, sondern deren Begleiterscheinungen, die aber dieselben Ursachen hätten wie die Einkommensarmut. Zugespitzt: "Wer arm ist, ist (wenn nicht gerade krank oder von Unglücksfällen heimgesucht) selbst daran schuld." Ganz auf Linie der "Agenda 20-10" ist für ihn das wichtigste, Menschen in Arbeit zu bringen (egal welche, egal unter welchen Bedingungen, egal, wie bezahlt), denn die Abhängigkeit von staatlichen Transfers verschärfe das Problem von mangelndem Antrieb und Selbstwertgefühl.
Sarrazin ist Anhänger einer verpflichtenden Gegenleistung von Transferempfängern (durchaus im Sinne von "wer Hartz IV kriegt, soll dafür Schnee schippen"). Das sei entscheidend für die Aktivierungsfähigkeit der Menschen. Das alles ist meiner Ansicht nach Sozialdarwinismus, der aber gut "sozialdemokratisch" verkleidet und mit einer protestantisch-calvinistischen Moral überzogen ist. (Sarrazin ist tatsächlich reformierter Christ und stammt aus einer Hugenottenfamlie, es würde also passen. Ich vermute, dass seine religiöse Ausrichtung bei seiner Auseinandersetzung mit dem Islam wichtig sein könnte.)
Dann folgen einige Kapitel zum Thema "Bildung".
Sarrazin geht (sowie ich ihn verstehe) davon aus, dass das Bildungssystem einen optimalen Beitrag zum Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft leisten soll.
Interessant wird es beim, laut Sarrazin, "Kernproblem": dem Umgang mit den "Bildungsfernen". Sarrazin Vorschläge laufen darauf hinaus, diese "Problemgruppe" stark zu überwachen und zu gängeln. Sarrazin ist für Kita-Pflicht, Ganztagsschulen usw. . Mir fällt dabei auf, wie konservativ Sarrazins Vorstellungen von Kindererziehung sind: Fernsehen und andere moderne Medien solle es in Kitas nicht geben, und zu den Freizeitangeboten der Ganztagsschule gehören ausdrücklich kein Fernsehen und keine Computerspiele. Um ein Übermaß an Medienkonsum zu unterbinden, sollen zumindest größere Kinder nur das Wochenende und den Feierabend zu Hause verbringen. Ja, und für Schuluniformen, mehr Disziplin, "Schluss mit Lustig" usw., harte Strafen für "Schulverweigerer" ist Sarrazin natürlich auch.
Erst jetzt kommt das Kapitel, um das es fast immer geht, wenn über Sarrazin diskutiert wird: Zuwanderung und Migration. Die Inhalte dürfte, nach über einem halben Jahr, den meisten Mediennutzern in groben Zügen bekannt sein, bis auf zwei Forderungen, die nach meinem Eindruck von seinen Anhängern gern verschwiegen werden: Er ist für Geldstrafen für die Beherbergung Illegaler Einwanderer, und für eine zentrale bundesweite Datenbank für alle Einwohner, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Richtig heftig wird es im letzten Kapitel: "Demografie und Bevölkerung". Er behautet, dass Zuwanderung keine Lösung für Deutschland sei, und dass die Nettoreproduktionsrate angehoben werden müsse. Daher will er u. A. die Fortpflanzungsbereitschaft gebildeter Frauen erhöhen. (Hier ist er wieder sehr nahe bei Heinsohn.)

Nicht alles, was Sarrazin schreibt, ist von vornherein nicht diskussionswürdig, daran ändert auch sein "kreativer" Umgang mit Statistiken nichts, denn es geht um Thesen, nicht um Fakten. Die Zahlen dienen nur der argumentativen Verstärkung, bestätigen, was er schon vorher "wusste". Er schwimmt mit vielen seiner Ansichten im medialen Mainstream, weshalb sie auch wenig Aufsehen erregen. Selbst der Inhalt seiner Provokationen trifft auf "in der Mitte der Gesellschaft" weit verbreitet Vorstellungen und Vorurteile.
Interessanter ist meiner Ansicht, wie Sarrazin "tickt", welche Denkstrukturen hinter seinen Thesen stehen.
Er schätzt einen asketischen Lebensstil, Disziplin und Fleiß sehr hoch ein, und bewertet das durchaus moralisch.
Anderseits habe ich den Eindruck, dass er nicht aus der Perspektive eines "reichen Oberschichtlers" oder eines "arroganten Bildungsbürger" denkt, auch wenn er faktisch die Position der materiell Privilegierten verteidigt. Er ist, und das ist das Erschreckende, durchaus ein "alter Sozi": Nur die Arbeit verleiht dem Leben Sinn, Arbeit über alles, Arbeit adelt, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen und wie die ganzen gegen das "Lumpenproletariat" gerichteten Sprüche lauten. Wie viele "alte Sozis" denkt er völlig von der Ökonomie her. Dass er Wasser auf die Mühlen knallharter Kapitalisten lenkt, vor allem der Bezieher leistungsloser Einkommen aus Kapitalverzinsung (die der olle Bebel so auf dem Kieker hatte), scheint ihm egal zu sein.

Sarrazin spricht einige meiner Ansicht nach durchaus reale Probleme an. Aber das haben andere vor ihm schon besser gemacht: Was an Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" richtig und gut ist, ist nicht neu, und was an ihm neu ist, ist Sozialdarwinismus, halbgarer Biologismus und Hetze pur!

Was gerade "alten Sozis", sogar denen vom rechten Flügel, auffallen sollten, und was jeder Anhänger(in) der "christlichen Soziallehre" eigentlich über aufstoßen müsste, ist, dass die Ungleichheits-Diskurse, die von Sarrazins Thesen angestoßen wurde, vor den wirklich destruktiven Ungleichheiten unserer Gesellschaft ablenken: die sind ökonomischer Natur, nicht etwa biologischer, ethnischer, religiöser oder kultureller Art. Diese ökonomische Ungleichheit führt zurück in eine ganz altmodische Klassengesellschaft. Es erstaunt mich, dass durch und durch ökonomistisch denkende Menschen wie Sarrazin oder Heinsohn ausgerechnet hier einen "blinden Fleck" haben. Oder ideologische Scheuklappen.

"Ökonomische Natur" heißt nicht, dass es allein ums Geld ginge. Nicht allein, denn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern entscheiden in Deutschland mehr als in den meisten anderen europäischen Staaten über Chancen und Möglichkeiten der Kinder. Nicht "wer dumm ist, bleibt arm", sondern "wer arm ist bleibt dumm". Es geht vor allem um die unterschiedliche Verfügbarkeit von materiellen Möglichkeiten - das muss kein eigenes Vermögen sein - und vor allem auch um Privilegien. Wer irgendwie zu Geld gekommen ist, gehört nicht automatisch "dazu". Die "Oberklasse" fürchtet Aufsteiger: "Türkische Gemüsehändler" sind, trotz Fleiß und auch wenn sie es zu Wohlstand und Vermögen gebracht haben, nicht erwünscht.
Daher halte ich die "neue" Klassengesellschaft auch nicht für eine "notwendige" Begleiterscheinung des Kapitalismus. Die entsteht nicht von alleine, quasi naturgesetzlich, die wird gemacht. Auch mit Hilfe von Propagandisten wie Sarrazin.

Dienstag, 23. November 2010

"Heidentum ist kein Faschismus" - das Video

Von der Kampagne "Heidentum ist kein Faschismus - Heiden für Menschenrechte"



(Musik: Singvøgel - Freundchen!)

Samstag, 13. November 2010

Gewissensfrage - oder eine Frage der Religion?

Es überrascht mich ein wenig, dass ausgerechnet Bundesforschungsministerin Schavan (CDU) so explizit Stellung zur Prä-Implantationsdiagnostik (PID) nimmt - ihre Meinung überrascht mich hingegen nicht im Mindesten:
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat sich im Vorfeld des CDU-Parteitages in Karlsruhe für ein Verbot der Prä-Implantations-Diagnostik (PID) ausgesprochen. "Ich bin für ein Verbot der Prä-Implantations-Diagnostik", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag-Ausgabe). "Ich bin überzeugt davon, dass sich der Mensch nicht selbst schafft und die Zulassung der PID immer größere Weiterungen haben wird. Am Ende entscheidet das Gewissen."
Kölner Stadt-Anzeiger

Frau Schavans Ansicht stimmt mit der der römisch- katholische Kirche überein - da sie katholische Theologie studiert hat, und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) war, wäre es eher überraschend, wenn sie es nicht täte.
Daher ist es nur folgerichtig, dass sie nicht utilitaristisch oder humanistisch argumentiert, sondern religiös: "Ich bin überzeugt davon, der sich der Mensch nicht selbst schafft" ist von Wortsinn her eine Tautologie - klar ist "der Mensch" nicht Produkt menschliche Erfindungsgeistes. Dieser Satz hat meines Erachtens nur dann einen Sinn, wenn man ergänzt: " .. denn der Mensch ist Gottes Schöpfung, und es steht uns Menschen nicht zu, Gott ins Handwerk zu pfuschen." Allerdings beschränkt sich das Verbot, "Gott in Handwerk zu pfuschen" in der römisch-katholischen Lehre (anders etwa als bei manchen evangelikalen Fundamentalisten) auf den Beginn und das Ende des Lebens. Selbst die Haltung des Vatikans gegenüber Organtransplantationen - einem der meiner Ansicht nach ethisch heikelsten Gebiete der Medizin - ist positiv.
Bei der PID werden durch künstliche Befruchtung erzeugte Embryonen auf Gendefekte untersucht und im Fall von Schäden vernichtet.
Das ist der springende Punkt: eine befruchtete Eizelle ist nach katholische Lehrmeinung ein Mensch und im vollem Besitz der Menschenwürde - ungeachtet der Tatsache, dass auch bei natürlicher Empfängnis nur wenige Blastozysten sich erfolgreich in der Gebärmutter einnisten - und noch weniger sich zum lebensfähigen Menschen weiterentwickeln.
(Konsequent zu Ende gedacht: Verhütungsmittel, die wie die "Spirale" verhindern, dass das Embryo sich einnistet, wären Mordinstrumente, und wenn eine Frau unmittelbar nach der Empfängnis z. B. Leistungssport treibt, und ihr Embryo deshalb abgeht - was in den meisten Fällen nicht einmal bemerkt wird - beginge sie fahrlässige Tötung. Es gibt Fundamentalisten, die es fertigbringen, so konsequent zu denken!) Eine solche rigorose Position ist bequem, denn sie geht den meisten definitorischen und argumentativen Schwierigkeiten aus dem Weg. Gutes Gewissen inbegriffen - es liegt ja "in Gottes Hand"!

Aus meiner - bekanntlich heidnischer - Sicht teilen sich die Befürworter und Gegner der PID in ein quasi-fundamentalistisches Lager, das vatikanischen Glaubensregeln Vorrang auch vor demokratisch getroffenen Entscheidungen einräumt, und eines, das religiöse Dogmen nicht zu Prinzipien staatlicher Rechtsprechung machen will. Die für deutsche Diskurse nicht untypische Neigung zur Rechthaberei - besonders ausgeprägt in der Politik - verstärkt dieses Lagerdenken noch.
(Heißen Dank übrigens an Frau Bundeskanzlerin Merkel - sie fürchtet nicht nur ein Nachlassen des christlichen Glaubens in Deutschland, sondern meinte zu Sarrazins umstrittenen Ansichten zur Fragen der Integration, der drohenden Verdummung, den drohenden Untergang mindestens Deutschlands und dem ganzen Rest: "unerwünschte Meinung". Ich denke: eine menschenverachtende Meinung ist eine menschenverachtende Meinung - für mich nicht akzeptabel, aber nicht "unerwünscht"!
Wen ich nur noch Meinungen zur Kenntnis nehme, die mir passen, kann ich es mir von vornherein sparen, mich mit Auffassungen wie denen Sarrazins auseinanderzusetzen. Das ist bequem, und schont die Nerven, sicher, aber für mich verrät ein Politiker, der oder die von "unerwünschten Meinungen" redet, was sie oder er von Meinungsfreiheit und Debattenkultur hält: nichts!)

Interessanter ist da schon der zweite Halbsatz "die Zulassung der PID immer größere Weiterungen haben wird". Ein klassisches "Argument der schiefen Ebene" oder "Dammbruchargument", das nicht von der Hand zu wischen ist, denn ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, genau abzugrenzen, was denn schwere Krankheiten sein sollen, bei denen eine PID zugelassen werden soll.

So, wie unsere Gesellschaft konstruiert ist - die ja zugleich Leistungsgesellschaft und "Statusabsicherungsgesellschaft" ohne Chancengleicheit ist - gibt es einen starken Drang zur Zurichtung des Menschen und zur Selbstoptimierung. Hinzu kommen klare wirtschaftliche Interessen, etwas der Versicherungen an geringen Risiken oder von Unternehmen an gesundheitlich belastbaren Beschäftigten. Es wäre illusorisch, unter diesen Rahmenbedingungen zu erwarten, dass es keinen heimlichen Zwang zur PID bei künstlicher Befruchtung oder ausufernder pränataler Diagnostik geben wird.
Außerdem ist die Gefahr groß, dass Druck auf Eltern behinderter Kinder entsteht ("So was muss doch heutzutage nicht mehr sein!"). Es ist leider keineswegs abwegig, dass wieder zwischen angeblich gutem und angeblich "lebensunwertem" Leben unterschieden wird.

Eine schwierige Frage. Ich neige in solchen Fällen dazu, keine unabänderliche Ansichten zu haben - ich denke, es gibt dabei keine Position der substanzieller Wahrheit.

Eine Parallele ist meine Haltung zur Kernenergie. Ich lehne sie ab, aus pragmatischen Gründen. Etwa, wegen des ungelösten Endlagerproblems für über Jahrhunderttausende gefährlichen Atommüll, oder weil die verwendeten Reaktoren nicht inhärent sicher sind, also das Funktionsprinzip selbst schwere Unfälle, z. B. Kernschmelzen, ausschließt. Wenn ich an Anti-Atom-Demos teilnehme - ich tue das seit über 30 Jahren - dann nicht, weil ich die Kernspaltung für Sünde hielte - tatsächlich, es gibt Leute, die so argumentieren! - sondern für gefährlich. Ein inhärent sicherer Reaktor, der keinen über langen Zeit gefährlichen Atommüll produziert, könnte dazu führen, dass ich meine Meinung ändere. Allerdings gibt es solche Reaktoren bisher nicht.

Persönlich finde ich es unerträglich, wenn mir staatliche Stellen vorschreiben wollen, wie ich persönliche ethische Entscheidungen zu treffen habe. Ich weiß, dass "negative Eugenik" einfach nicht funktioniert - also mache ich mir über Eltern, die vermeiden wollen, dass ihre Kinder an Erbkrankheiten leiden, wenig Gedanken. (Mehr schon über gesellschaftliche Zwänge, die "eugenisches" Denken hervorbringen können.) Es ist ein gesellschaftliches Problem, wie mit behinderten Kindern und deren Eltern umgegangen wird - egal, ob es PID und Pränataldiagnostik gibt oder nicht. Und wenn eine Frau perfektionistische Ansprüche an die "Erbgesundheit" ihres Nachwuchs hat, dann ist das meiner Ansicht zwar total daneben, aber nicht mehr daneben, als Eltern, die schon Kleinkinder auf eine künftigen erfolgreiche Karriere zurichten.
Ich halten ein Verbot der PID für gesellschaftlich gefährlicher als ihre Zulassung. Es ist wie mit den Abtreibungen: wer es sich leisten kann, macht es im Ausland. Der Heuchelei - und der Klassengesellschaft - wird Vorschub geleistet.

Dann bin ich der Auffassung, dem PID-Verbot - wie übrigens dem ganzen deutschen Embryonenschutzgesetz - liegen weltanschauliche, letztendlich religiöse, Bestimmungen zugrunde, die nicht verallgemeinerungsfähig sind und die in einem liberalen Staat mit offener Gesellschaft niemandem aufgezwungen werden dürfen!

Noch zuletzt das Killer-Argument: Kein Rückfall in die menschenverachtende Politik der Nazis! Das wäre nur der Fall, wenn Eugenik "Staatssache" würde, und wenn Eugenik / Dysgenik unter Gesichtspunkten der "Degeneration", etwa in dem Sinne, dass weniger intelligente Menschen mehr Nachkommen hätten, als intelligente, oder der Prävention zugunsten "Volksgesundheit" verhandelt würde.
Außerdem wäre das NS-System auch ohne Eugenik und "Euthanasie"-Morde menschenverachtend und beispiellos mörderisch gewesen! Im Schweden der 30er Jahre gab es eine ähnlich strenge Erbgesundheitsgesetzgebung wie in Nazi-Deutschland (wenn auch ohne die nazitypischen drakonischen Strafen). Trotzdem gibt es keinen Zweifel daran, dass die Menschenrechte und die Menschenwürde in Schweden weitaus mehr geachtet wurde, als in fast allen anderen Nationalstaaten der damaligen Zeit.

Sonntag, 7. November 2010

Verfahrene Situation

Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen hierzulande (und auch anderswo) ein glasklares Bild der Situation der Palästinenser haben, und natürlich genau wissen, was Israel machen müsste, damit endlich Frieden einkehrt im "nahen Osten". (Als ob der nur aus Israel und unmittelbarer Umgebung bestünde und als ob dort ansonsten tiefer Frieden herrschen würde!) Damit meine ich nicht etwa als "Antizionisten" getarnte Antisemiten, die froh sind, dass "die Juden auch nicht besser sind".

Der "Durchblick" der Stammtischstrategen und Wohnzimmer-Politiker beruht sicherlich zum Teil darauf, dass ein aus zweiter und dritter Hand vermitteltes Bild alles vereinfacht und vergröbert, weshalb alles so klar erscheint. Wichtiger ist, dass bei solchen Menschen zuerst die Weltanschauung kommt, und dass es umso schlimmer für die Wirklichkeit ist, wenn sie sich nicht daran hält. (Der von mir an sich sehr geschätzte schwedische Kriminalschriftsteller Henning Mankell gibt meines Erachtens ein Musterbeispiel für dieses Denken.)

Vor kurzem las ich bei Lila über einen bizarren und erschreckenden Vorfall:
Ein Krankenwagen des Roten Davidsterns fährt durch ein arabisches Örtche in der Nähe von Ostjerusalem. Wütender Mob schmeißt sofort mit Steinen danach. Die Unverschämtheit der Juden, ihren Krankenwagen durch diesen Ort zu fahren!
Kleiner Schönheitsfehler: der Kranke, der im Wagen drin lag und behandelt wurde, war Palästinenser.
Weiter: Noch eine Meldung

Lila vermutetet, dass, wenn die Rettungssanitäter samt Patient gesteinigt worden wären, der Patient als Märtyrer der Besatzung gefeiert worden wäre - vom Yahud zu Tode gerettet. Da ich weiß, wie weit Realitätsblindheit infolge ideologischen Denkens gehen kann, und mir keine Illusionen über Gruppendynamik mache, halte ich Lilas Vermutung für plausibel.

Ein bizzarres und trauriges Beispiel menschlicher Dummheit / Verhetztheit – und ein Musterbeispiel dafür, dass die Lage erheblich komplizierter, verfahrener, verrückter und unübersichtlicher ist, als es sich Stammtischstrategen und Wohnzimmerpolitiker fernab von Israel auch nur vorstellen wollen!

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Wieder mal: Abschiebung brutal. Dieses Mal in Österreich.

Eine hässliche "großdeutsche" Tradition ist Deutschland und Österreich gemeinsam: der brutale Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern.
keine Abschiebungen!

Heute, am 13. Oktober 2010, gab es wieder einmal ein "Abschiebungsdrama" - in Wien (es hätte aber auch in Hamburg, München, Berlin, Leipzig sein können):
Volkshilfe Wien-Hatzl: Erneute Inschubhaftnahme einer suizidgefährdeten Asylwerberin, 14-jährige Tochter nicht auffindbar!
Wien (OTS) - Der Vorsitzende der Volkshilfe Wien und ehemalige Wiener Landtagspräsident Johann Hatzl ersucht Vizekanzler Josef Pröll, seine offenbar wild gewordene Innenministerin mit ihren Polizeistaat-ähnlichen Abschiebemaßnahmen zurückzurufen. Den Anlass dafür gab die heutige Inschubhaftnahme einer armenischen Asylwerberin, die seit mehreren Jahren in Wien in Betreuung der Volkshilfe lebt.

Mit ihr abgeschoben werden sollte ihre 14-jährige Tochter, die zu diesem Zweck heute von der Fremdenpolizei aus der Schule abgeholt
wurde. Dort wurde das Mädchen allerdings nicht angetroffen. Seither fehlt jeder Hinweis auf ihren Aufenthaltsort. Beide, Mutter wie
Tochter, gelten als bestens integriert und unbescholten. Aufgrund traumatischer Fluchterfahrungen ist die Mutter allerdings seit
einigen Jahren in psychiatrischer Behandlung, bei ihr besteht höchste Suizidgefahr. Erst vor Kurzem wurde sie nach einem gescheiterten Selbstmordversuch aus dem Allgemeinen Wiener Krankenhaus entlassen.

Hatzl ersucht die Bundesregierung, rasch einen rechtlichen Weg zu finden, der es ermöglicht, bereits integrierten Personen nach humanitären Grundsätzen den weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen. "Es wäre wirklich zu prüfen, ob die rechtliche Verantwortung weiterhin bei der derzeitigen Innenministerin verbleiben soll, oder ob nicht andere Regierungsmitglieder besser geeignet wären, hier tätig zu werden.", so Hatzl, und weiter:
"Grundsätzlich wäre Österreich gut beraten, einen korrekten Weg der Menschlichkeit zu finden und nicht in inhumaner Weise unbescholtene Hilfesuchende schlimmer als Schwerverbrecher zu behandeln."

Rückfragehinweis:
Volkshilfe Wien
Mag.a (FH) Christine Himmer-Penz
Tel.: 0043 1 360 64-79
himmer-penz @ volkshilfe-wien.at
www.volkshilfe-wien.at
Das Schulgebäude wurde nach unbestätigten Gerüchten mit großem Aufwand und wenig Rücksicht von der Polizei durchsucht.

Kommentar: Ich hoffe, dass dieses überharte und gegen die Menschenwürde verstoßende Vorgehen den Verantwortlichen politisch das Genick bricht. Es gibt meiner Ansicht nach nicht den geringsten Grund, abgelehnte Asylbewerber wie Schwerverbrecher zu behandeln, und auch keinen Grund, zu einen Polizeieinsatz, der wahrscheinlich bei der Fahndung einem flüchtigen Mörder angemessen wäre - aber nicht bei der Suche nach einer verstörten 14-Jährigen!
Es gibt für mich auch keinen einsehbaren Grund, abgelehnte Asylbewerber, die a) gut integriert sind (meine Güte, das Mädchen besucht das Gymnasium!) und b) noch am Kriegstrauma zu kämpfen haben, nicht zu dulden. (Wobei man in Deutschland eher noch unduldsamer ist: In diesem Jahr gab es schon drei Suizide in deutscher Abschiebehaft.)

Ich fürchte leider, dass im derzeitigen politischen Klima (erschreckende Wahlerfolge der rechtspopulistischen FPÖ) ein "hartes Durchgreifen" gut ankommt.

Es gibt schließlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel! Das Mädchen hat niemandem etwas getan, sie ist keine Kriminelle!

Es ist offensichtlich wieder einmal so weit, dass sich Einzelne finden müssen, die Asyl gewähren, wo es der Staat wider alle Menschenrechte und alle Menschenwürde unterlässt.

In Deutschland gab es immer wieder mal Fälle, in denen Kirchengemeinden betroffenen abgelehnten Asylbewerbern Unterschlupf ihn ihren Kirchen gaben. Rechtlich gab das zwar kein zusätzliches Gewicht, aber der moralische Druck wurde schon sehr groß.

Ergänzung: Artikel auf DerStandard.at, der einige zusätzliche Hintergrundinformationen enthält: Herbe Kritik an geplanter Abschiebung.

Nachtrag, 14. 10: Das Mädchen ist am späten Nachmittag wieder aufgetaucht und hat sich bei ihrer Betreuerin gemeldet. Das Verfahren ist derzeit ausgesetzt.

Nachtrag, 15, 10.:
Anti-Ausgrenzung, Anti-Abschiebung. Aktionen der borg3 (der Schule, auf die das Mädchen geht).

Sonntag, 10. Oktober 2010

Online-Demo: Abschiebungen sind eine Schande für eine Demokratie!

Vorweg: es ist zwar eine österreichische Online-Demo, da aber Deutschland genau so "eifrig", genau so rücksichtlos und aus genau so fadenscheinigen Gründen abschiebt, beteilige ich mich an ihr.

keine Abschiebungen!
Familien werden in Nacht-und-Nebel-Aktionen abgeholt.

Kinder werden von ihren Eltern getrennt.

Minderjährige werden in Haft genommen.

Menschen nehmen sich in der Schubhaft das Leben, weil sie den Gedanken nicht ertragen, in ein Land abgeschoben zu werden, in dem sie nur Leid ertragen müssen.

Unsere Wut und Trauer ist groß, unsere Ohnmacht macht uns sprachlos. Die Behörden handeln inzwischen so schnell, das skaum noch Zeit ist zu reagieren.

Dennoch: Wir vergessen nicht! Und wiederholen es immer wieder: Kein Mensch ist illegal, der Mensch ist keine Ware, die hin und her verschoben werden darf!

Und wir vergessen nicht, welche unmenschlichen Aktionen die Politik eines der reichsten Länder der Welt setzt. Wir vergessen sie nicht, die Arigonas, Rezas, Dorentinas und Danielas...

Wir sind beschämt ob dieser Politik und setzen ein stilles Zeichen: Wir sind das andere Österreich, wir stehen zu den Werten der Demokratie und der Menschenrechte!

1. Kopier das Logo auf deinen pc.
2. Lade es als Zeichen deines Protestes als dein Profilfoto wieder hoch.
3. Mache deinen Protest sichtbar, zumindest hier auf facebook.

Dies Aktion wird Arigona, Reza, Dorentina und Daniela und all die anderen nicht zurück bringen. Sie wird auch nicht dazu führen, dass wir uns besser fühlen

Sie ist was es ist: Ein stiller Protest gegen eine Entwicklung, die uns kurz ohnmächtig macht - aber nicht zum Schweigen und Stillhalten bringt!

Der Mensch ist keine Ware, die hin und her verschoben werden darf!

Wien, 7. Oktober 2010
facebook: Online-Demo: Abschiebungen sind eine Schande für eine Demokratie!

Initiator: DAS BÜNDNIS für Menschenrechte & Zivilcourage

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