Medien, Lobby & PR

Sonntag, 9. Dezember 2007

Himbeertoni

Seit einiger Zeit stoße ich in "Public Relation"-kritischen Blogs wie z. B. Indiskretion Ehrensache oder Sargnagelschmiede immer wieder auf den Begriff "Himbeertoni" - wobei Himbeertonis vorwiegend in der PR-Branche, aber auch in Journalismus, Werbung und Politik anzutreffen sind.

Internet-Recherchen in Richtung des Kindermusicals "Schmackofatz und Himbeertoni" blieben frucht(!)los.
Deshalb versuchte ich mich zu erinnern, wo ich zum ersten Mal vom Himbeertoni gehört habe.

Wenn ich es richtig zusammenbekomme, dann gibt es den Himbeertoni in zwei Ausführungen, der österreichischen und der hamburgischen.

In der österreichischen Variante ist Himbeertoni jemand, der sich alles gefallen lässt, sich nie wehrt, nie widerspricht, feige ist - und zwar aus Dummheit. Dieser Himbeertoni tritt vor allem in der Negation auf, z. B. "ich bin doch kein Himbeertoni", "ich bin doch nicht dein Himbeertoni" oder "ich lass mich doch nicht zum Himbeertoni machen!"

In der hamburgische Variante, die aus dem St. Pauli-Milieu stammt, und unter Umständen von den Redensarten Wiener Zuhälter beeinflusst wurde, ist "Himbeertoni" ein mehr oder weniger legendäres "Kiezoriginal", dessen Spitzname allerdings nicht auf einen - sagen wir mal - rückgratlosen Mann hindeutet, sondern auf eine alte Geschichte anspielt, die sich mutmaßlich Anfang der 70er Jahre zugetragen haben soll, und die mit einer von besagter Person auf Ex getrunkenen ganzen Flasche Himbeergeist und einer anschließenden Volltrunkenheitsfahrt im Oberklasse-Mercedes zu tun hat. Details weichen, wie bei mündlich überlieferten Legenden üblich, stark ab.

Beide Varianten scheinen mir aber mit besagtem PR-Himbeertoni, der sich vor allem durch schamlose Verlogenheit und mangelnde Fähigkeit im Umgang mit Kritik auszeichnet, wenig gemein zu haben.

Mir ist allerdings ein Trailer für die auf St. Pauli spielende Polizei-Fernsehserie "Großstadtrevier" bekannt, in dem Hauptwachtmeister Matthies (Jan Feder) Kleinkriminelle "die auch nur Menschen sind", beschreibt. Einer, "der alle topt" ist "Himbeertoni" der, wenn er beim Verhör lügt, rot anläuft "wie so'n Schulmädchen". (Also eine kreative Neudeutung der hamburgischen Himbeertoni-Variante.)

"Himbeertoni" wäre nach dieser Lesart ein notorischer Lügner, bei dem stets offensichtlich ist, dass er lügt. Nimmt man den "kein Rückrat"-Aspekt des österreichischen Himbeertonis in abgewandelter Form, nämlich "äußere Arroganz aus innerer Unsicherheit" hinzu, dann sind "Himbeertonis", die beide Eigenschaften vereinen, in der PR-Branche mindestens so häufig anzutreffen wie Anja-Tanjas. (Und in Journalismus, Werbung, Politik auch nicht eben selten.)

Samstag, 17. November 2007

Unverlangte Buchbesprechung eines Buches aus dem "Arndt"-Verlag

Ich bekomme des öfteren Büchersendungen. Fast immer, weil ich das Buch bestellt hatte, hin und wieder erhalte ich auch Renzensionsexemplare oder Buchgeschenke. Nun erhielt ich zum ersten Mal eine unverlangte Büchersendung.

Die Masche, unverlangte Warensendungen mit beiliegender Zahlkarte zu versenden, ist aus der Mode gekommen, seitdem sich herumgesprochen hat, dass eine unverlangte Warensendung weder zur Zahlung noch zur Rücksendung verpflichtet - diese Form der "offensiven Kundenwerbung" wurde schlicht zu teuer. Deshalb war ich auch etwas erstaunt, dass ich eine Büchersendung eines Buches aus dem "Arndt-Verlag" nebst "pro forma Rechnung" erhielt.
Die "Lesen & Schenken GmbH" kannte meine Adresse, weil ich vor Jahren zu Recherchezwecken einen Katalog dort angefordert hatte. Ich hatte gehört, dass einige Bücher des "Arun"-Verlags, von denen ich vermute, dass sie "deutschvölkischen" bzw. "braun-esoterischen" Inhalt haben, die bei "Arun" nicht mehr im Programm waren, bei "Lesen & Schenken" angeboten würden. Ich wollte gerne wissen, ob das stimmte - und auch, wo "Lesen & Schenken" politisch in etwa zu verorten sei.

Bei dem Buch, das ich erhielt, handelt es sich um den Bildband "Kampfgruppe Scherer - 105 Tage im Kessel von Cholm" von Richard Muck, erschienen bei "Arndt", Kiel (nicht zu verwechseln mit dem auf Bücher über Papageien spezialisierten "Arndt-Verlag").
Also ein militärhistorisches Buch über ein Ereignis an der "Ostfront", im Jahre 1942. Allerdings kamen mir schon beim ersten Durchblättern Zweifel an der historischen Genauigkeit der Darstellung.

Zum historischen Hintergrund: Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR drang sie innerhalb weniger Monate bis kurz vor Moskau und Leningrad vor. Ende 1941 kam der der "Blitzfeldzug" aus mehreren Gründen zum Stehen - die überrumpelte UdSSR hatte inzwischen ihre Gegenwehr besser organisiert, die deutschen Nachschublinien waren überdehnt, der harte russische Winter machten den leichtsinnigerweise nicht wintermäßig ausgerüsteten deutschen Truppen zu schaffen. Im Januar 1942 begann Stalin eine Gegenoffensive, zum Teil mit frischen Truppen, die bisher in Sibirien gestanden hatten, um eine von ihm befürchtete Invasion der japanischen Armee abzuwehren. Um die Verbindung zwischen den deutschen Heeresgruppen "Nord" und "Mitte" zu sprengen, griffen zwei sowjetische Armeen die rechte Flanke der deutschen 16. Armee an. Ihnen gelang es, die Front der Wehrmacht an mehrere Stellen zu durchbrechen, tief nach Westen vorzudringen und zahlreiche deutsche Verbände einzuschließen. Cholm, gelegen am Zusammenfluss des Lowat und der Kunja, war das letzte deutsche Widerstandsnest. Die 3. sowjetische Stoßarmee schloss Ende Januar Cholm ein, die 105-tägige Belagerung des "Kessels von Cholm" begann.
Die an sich strategisch eher nebensächliche Belagerung wurde wegen des zähen Widerstands der eingeschlossenen Truppen unter Generalmajor Scherer von der deutschen Propaganda groß herausgestellt, vor allem, da es gelang, trotz sowjetischer Gegenwehr eine Luftbrücke zur Versorgung einzurichten. Schließlich schaffte es ein deutsches Panzerkorps den Belagerungsring zu durchbrechen. Die sowjetische Truppen zogen sich zurück, es gelang ihnen erst 1944 Cholm wieder zu befreien. Auf deutscher Seite verloren rund 1.500 Mann ihr Leben, 1.500 weitere wurden z. T. schwer verletzt. Über die Verluste der Roten Armee fand ich keine Angaben, angeblich waren sie gut drei mal so hoch wie die deutschen, von den Opfern unter der Zivilbevölkerung gar nicht zu reden.
Diese dürren Worte geben von der wahren Brutalität der Kämpfe keinen Eindruck, die deutschen Invasoren gingen äußerst rücksichtslos vor, die sowjetischen Verteidiger antworteten entsprechend.
Auch "Kampfgruppe Scherer" gibt nach meinem Eindruck, trotz einige drastischer Worte und Bilder, den wahren Charakter des Kampfes nur sehr unzulänglich wieder.

Der 16 in großer Schrift bedruckte Seiten umfassende Einleitungsteil mutet so an, als ob er direkt aus der Frontberichterstattung der deutschen Wehrmacht übernommen worden wäre - einschließlich Wortwahl ("der Bolschewist", "bewaffnete Banditen" statt "Partisanen"), viel Pathos und gnadenloser Parteilichkeit.
Den Hauptteil des Buches, etwa 100 Seiten, nehmen die Fotos des Kriegsberichters Richard Munck ein, der Anfang März auf dem Luftweg nach Cholm kam. Technisch sind die Schwarzweiß-Fotos gut, inhaltlich gibt es keine Überraschung: Bilder von der "Ostfront", wie es sie zu Tausenden gibt, Soldaten in Dreck, Schnee, Trümmern, unrasierte, hohlwangige Gesichter, die gequält in die Kamera grinsen, schlammige Schützengräben, ausgebrannte Panzer. Alles trotz der Bildmotive nicht sonderlich schockierend - und alles irgendwo schon mal gesehen. Was auffällt: der Krieg erscheint auf diesen Fotos erstaunlich "sauber" und ästhetisch, manchmal geradezu romantisch, als ob sich die Herausgeber noch heute an die Vorgaben der Nazi-Zensur halten müssten und nur "schöne", den "Wehrwillen fördernde" Bilder abdruckten.

Der "Hammer" sind aber die Bildunterschriften. Was sich im Einleitungsteil ankündigt, setzt sich hier verschärft fort. Die Formulierungen scheinen "Original Wehrmachtsbericht 1942" zu sein: "Nach den harten Kämpfen des Februars verleiht der Führer Generalmajor das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz" (S. 35)"Der Führer denkt an uns! Dieser Gedanke, das Wissen, der Führer sorgt sich um die Männer von Cholm, gibt allen Verteidigern neue Zuversicht und stärkt ihren Widerstandswillen" (S. 48). Krönender Abschluss: General Scherer beim Händedruck mit Hitler und der Bildunterschrift "Der Dank des Führers" (S. 126). Die reichliche Verwendung "heroisierenden" Vokabulars wirkt manchmal unfreiwillig komisch z. B. heißt es unter einem Foto, das ein Zugpferd zeigt: "Willig geben die Tiere ihre letzte Kraft her in treuer Pflichterfüllung" (S. 54). (Als ob sich die Gäule freiwillig gemeldet hätten - vielleicht waren es sogar erbeutete russische Pferde.)
Wie es für Kriegspropaganda typisch ist, die weder die ganze Wahrheit zeigen noch offen lügen kann (weil zu viele Augenzeugen dabeigewesen sind), steht das wahre Geschehen oft "zwischen den Zeilen". So erfährt man beiläufig, dass die sowjetischen Truppen sich in Gängen bis auf 30 m an die deutschen Schützengräben heranwühlten - und: "Im Morgengrauen stürmten sie mit "Hurrä" gegen die Stellungen". Man kann daraus schließen: die Sowjetsoldaten waren nur unzureichend für einen modernen Stellungskrieg ausgebildet, denn diese Taktik ist gegen einen Gegner mit MGs glatter Selbstmord. Oder wenn unter dem Bild eines notgelandeten, schon 1942 altertümlichen, Doppeldeckers steht: "Sowjetbomber abgeschossen!" (S. 44) - wobei aus dem weiteren Kommentar hervorgeht, dass der "Bomber" von der Truppe "Lahme Ente" oder "Kollektivtrecker" genannt wurde.
Damit bestätigt das Buch die Auffassung, dass die Deutschen von hastig "zusammengekratzten" Truppen der Roten Armee belagert wurden - was angesichts der eher geringen strategischen Bedeutung von Cholm nicht weiter überrascht, über die auch einig markige Stalin-Worte an die belagernden Truppen nicht hinwegtäuschen. Vielleicht verführte der "Sieg von Cholm" das Oberkommando der Wehrmacht dazu, z. B. die Kampfkraft der sowjetischen Streitkräfte bei Stalingrad zu unterschätzen.

Das Buch dürfte wegen seiner Faktenarmut und parteiischen Haltung für den an Zeit- und Militärgeschichte interessierten Leser eine glatte Enttäuschung sein. (Ich wäre jedenfalls enttäuscht gewesen, wenn ich das Buch gekauft hätte.) Auch Freunde "spannender Fronterlebnisse" im Sinne der "Landser"-Hefte kommen schwerlich auf ihre Kosten - das Buch ist dafür schlicht zu öde.
Kurz und knapp - ich kann mir nur eine Zielgruppe für dieses Buch vorstellen: NS-Nostalgiker.

Die Titel anderer "Bildbände für Zeitgeschichte" passen zu dem den durch "Kampfgruppe Scherer" gewonnenen Eindruck - genauer gesagt, gehört es offenbar zu den meines Erachtens "harmloseren" Titeln des Kieler "Arndt"-Verlages. Einige Beispiele: "SS-Kavallerie im Osten", "Reichsparteitag 1938 Großdeutschland", "Frontsoldat Hitler - der Freiwillige des Ersten Weltkrieges", "Hitlers Berghof".
Außer NS-verherrlichenden Bildbänden gibt der Arndt-Verlag etliche meiner Ansicht nach revisionistische Schriften heraus, z. B. die Göring-Biographie des Militärhistorikers und Holocaustleugners David Irving.

Zur "Lesen & Schenken Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft mbH" gehören die Verlage ARNDT, Orion-Heimreiter, Bonus und Pour le Merite. Die Verlagsgruppe veröffentlicht nach eigenen Angaben jährlich ca. 50 Bücher, Kalender, Poster, CDs und DVDs.
Der inhaltliche Schwerpunkt aller Verlage liegt, wieder nach eigenen Angeben, bei Veröffentlichungen im Bereich der Zeitgeschichte und der Politik. Außer Büchern über die Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges nehmen auch "ostpolitische Schriften" sowie Bücher über Flucht und Vertreibung 1945 aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland breiten Raum ein. Politische Bücher befassen sich mit Themen wie Kulturverfall, Überfremdung und Entnationalisierung.

Dennoch gibt es erkennbare Unterschiede im Programm und Auftritt der Verlage. Ich vermute, dass das verkaufstaktische Gründe hat. Der "Arndt-Verlag" ist nach meinem Eindruck der Verlag für NS-Nostalgiker. Hingegen fehlten beim "Orion-Heimreiter-Verlag" solche deutlich rechtsextremen Titel, statt dessen findet man hier durchaus Titel angesehener Sachbuchautoren, wie dem Verhaltensforscher Irenäus Eibel-Eibesfeld, dessen "Der vorprogrammierte Mensch" vor über 20 Jahren hier erschien. Auch Romane z. T. sehr bekannter Autoren findet man hier. Allerdings gibt es auch bei "Orion-Heimreiter" Bücher zum Thema Vertreibung. Erwähnenswert ist das "Hausbuch Deutsche Weihnacht", das sich bei genauerer Betrachtung als eine Reprint-Sammlung von Texten und Illustrationen aus den Jahren 1933 - 1945, die fast ausnahmslos mit der nationalsozialistischen "Weihnachtsideologie" in Verbindung stehen, entpuppt. Dennoch macht das Programm von "Orion-Heimreiter" Alles in Allem den Eindruck eines national-konservativen, aber nicht rechtsextremen Verlages. Ich vermute, dass viele "Orion-Heimreiter"-Kunden von vielen Titeln des "Arndt-Verlages" abgeschreckt wären.
Zwischen den beiden Extremen steht meines Erachtens der "Pour le Merite"-Verlag, der auf Militärisches und Militär-Geschichte spezialisiert ist. Einer breitere Öffentlichkeit bekannt wurde der "Pour le Merite"-Verlag, als er als Reaktion auf die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht" den Titel "Verbrechen an der Wehrmacht. Kriegsgreuel der Roten Armee 1941/42" von Prof. Franz W. Seidler veröffentlichte.

Einen regelrechten Skandal verursachte der "Arndt-Verlag", als er 1996 ein Buch mit dem Titel "Dokumente polnischer Grausamkeiten" herausbrachte, für das in verschiedenen Vertriebenenzeitungen, so z.B. in "Der Schlesier", geworben wurde.
Der Untertitel des Buchs, eines Nachdrucks eines 1940 erschienenen Titels, lautete "Im Auftrage des Auswärtigen Amtes aufgrund urkundlichen Beweismaterials herausgegeben". Auftraggeber war das Auswärtige Amt des Großdeutschen Reiches, das mit diesem Werk die brutale Politik Deutschlands gegenüber Polen zu rechtfertigen versuchte. Nach der Meinung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland konnte durch den Untertitel der Eindruck entstehen, es würde sich bei dem Herausgeber der Dokumentensammlung um das derzeitige Auswärtige Amt unter dem damaligen Bundesminister Klaus Kinkel handeln. Einen vom Auswärtigen Amt angestrengten Prozess gegen den Arndt-Verlag auf Unterlassung der Nennung des Untertitels gewann das Amt. Einen weiteren, in dem es die Urheberrechte für den Text des Buches beanspruchte, womit es die weitere Verbreitung dieses antipolnischen Buches hätte verhindern können, verlor es.

Bericht über ein "Lesertreffen" der "Lesen & Schenken GmbH", einer Veranstaltung, deren Vortragsredner zwischen Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus standen: Zusammenkunft "unter Gleichgesinnten".

Montag, 4. Juni 2007

Die Tücken der virtuellen Realität

Zur Einstimmung ein Screenshoot aus einem "Killerspiel" aus dem Jahr 1984, das bis 2002 als "jugendgefährdendes Medium" indiziert war (seitdem ohne Einschränkungen):
RiverRaid-Gif-Animation
RiverRaid war das erste Videospiel, das von der BPjS (heute BPjM) indiziert wurde.
In der Begründung des Indizierungsbeschlusses vom 19. Dezember 1984 hieß es unter anderem: "Jugendliche sollen sich in die Rolle eines kompromisslosen Kämpfers und Vernichters hineindenken (...). Hier findet im Kindesalter eine paramilitärische Ausbildung statt (...). Bei älteren Jugendlichen führt das Bespielen (...) zu physischer Verkrampfung, Ärger, Aggressivität, Fahrigkeit im Denken (...) und Kopfschmerzen." (BPjS-Aktuell Heft 2/84)
Eine kostenlose PC-Version des ehemaligen "Killerspiels", zum Downloaden: RetroRiver

Für ein Verbot sogenannter Killerspiele haben sich erwartungsgemäß die deutschen Innenminister bei ihrer turnusmäßigen Konferenz ausgesprochen. Aus meiner Sicht ein klassisches Beispiel für "Unpolitik", also eine bloße Inszenierung, die politisches Handeln vortäuschen soll - die Innenminister handeln ähnlich, wie der Betrunkene in dem alten Witz, der das verlorenen Schlüsselbund bei der Straßenlaterne such, weil es da am hellsten ist. Der "verlorene Schlüssel" - das sind die seltenen, aber tragischen Amokläufe vor allem jugendlicher Täter und die (angeblich) alarmierend steigende Gewaltkriminalität von Jugendlichen. Der "Betrunkene" - das sind Politiker, die behaupten, sie könnten wirksam etwas unternehmen, um die Schlüssel zu finden - während andere dafür sind, so ehrlich zu sein, die Suche als zwecklos aufzugeben (und bei Tageslicht noch einmal aufzunehmen). Und der Lichtkreis der Straßenlaterne auf dem Pflaster - das ist der "Handlungsspielraum" der Innenpolitiker, die paar Quadratmeter, in denen sie wirklich so etwas wie "Macht" haben. "Killerspiele" können per Gesetz verboten werden - also haben "Killerspiele" bis auf weiteres (nämlich weitere Amokläufe nach erfolgtem Verbot) die Hauptursache dafür zu sein, dass Jugendlich gewalttätig werden. (Obwohl es zahlreiche einleuchtende Gründe für dieses Verhalten gibt - die aber nicht im Lichtkreis der Politik liegen.)

Zur gleichen Zeit trafen sich Psychologen und Mediensoziologen auf der Halbinsel Hermannswerder, um über den Zusammenhang von Mediengewalt und aggressivem Verhalten zu diskutieren. In einer Abschlusserklärung postulierten die Wissenschaftler genau das, was ihre Auftraggeber hören wollen die These, dass interaktive Mediengewalt stärker wirke als passive. (Was selbst für einen lernpsychologischen Beinahe-Laien wie eine Trivialität ist: durch "Mitmachen" im Spiel, lernt man besser als durch "nur Zuhören". Für diese Erkenntnis braucht man keine Psychologen-Konferenz.) Zudem würden Killerspiele wie Ego-Shooter aggressiv machen und Hilfsbereitschaft und Einfühlungsvermögen unterdrücken, sagten die Teilnehmer am Ende des international besetzten Symposiums.
Hier die Meldung der "Märkischen Allgemeinen" mit eingebettetem Video des Interviews mit der Tagungs-Organisatorin, Barbara Krahé, Psychologin an der Universität Potsdam.
Killerspieler verlernen Mitgefühl -
MAZvideo trifft eine Mediengewalt-Expertin
.
Frau Krahé bringt ein interessantes Beispiel, um ihre Hypothese zu stützen: Man hat Testpersonen in einer "virtuellen Realität" an einen schroffen Abhang geführt. Obwohl die Testpersonen jederzeit genau wussten, dass das, was sie sehen, nur eine Computer-Simulation ist, waren sie unfähig, den Schritt in den simulierten Abhang zu tun. Sie behauptete daraufhin, der Versuch zeige, wie leicht Realität und Scheinrealität verwechselt werden könnten, also auch im Computerspiel gelernte Verhaltensweisen in die Wirklichkeit übertragen werden können.

Solche Versuche gibt es schon lange, ich erinnere mich daran, dass Hoimar von Dithfurth einen entsprechenden Versuch Anfang der 80er Jahre im Fernsehen zeigte. Obwohl die Simulation - damals noch ohne Computer, nur mit den Mitteln der Filmprojektion - mehr als kläglich und die "Illusion" völlig durchschaubar war, schreckten die Versuchspersonen vor dem "Abgrund" zurück. Dann wurde eine Filmsequenz gezeigt, in der zuerst Kinder zu sehen waren, wie sie vor einer Bluescreen-Wand über auf dem Boden liegende Bretter balancierten - und dann die selben Kinder, in der selben Szene, nur aber scheinbar über einen - einkopierten - gähnende Abgrund herumklettern. Alles Wissen, dass es ein Trick ist, nützt nichts: Im ersten Moment erschrickt man gewaltig.

Das zeigt, dass das "Virtueller-Abgrund"-Beispiel ausgesprochen schlecht gewählt ist (oder geschickt, je nachdem). Denn das wir vor einem Abgrund zurückschrecken und nicht einfach weitergehen, das müssen wir nicht lernen. Lernen, und zwar gegen starken inneren Widerstand, müssen wir, dass wir in Ausnahmesituationen doch in die Tiefe springen können: beim Fallschirmspringen, Bungee-Jumping, Sprung vom Sprungturm im Schwimmbad.

Das Beispiel der Frau Krahé wäre aussagekräftig, wenn die Versuchspersonen in der - als solche durchschaubaren - virtuellen Realität gelernt hätten, in den Abgrund zu "springen" - und dann, in der tatsächlichen Realität, das auch ohne zu zögern täten. Alle Erfahrungen mit Fallschirmspringern, Bungee-Jumpern und Turmspringern sprechen dagegen, dass so ein Experiment "erfolgreich" wäre.

Es stimmt zwar, dass Ego-Shooter ähnliche Simulatoren zur Ausbildung von US-Marines benutzt werden. Mit ihnen wird tatsächlich eine gefährliche Fähigkeit trainiert: zu schießen und zu treffen, ohne erst zu überlegen. (Ähnlich den schon seit langem bekannten mechanisch arbeitenden "Schießtheatern".) Allerdings - die Behauptung, diese Simulatoren dienten dazu, die "Tötungshemmung abzutrainieren", stimmt nicht, denn in den Szenarien sind "Ziele" eingebaut, auf die auf keinen Fall geschossen werden darf (z. B. auf die eigenen Kameraden). - Spektakuläre Fälle von "friendly fire" sollen ein Grund gewesen sein, weshalb die Soldaten verstärkt im Simulator gedrillt werden.
Damit sind wir bei einen wichtigen Punkt - Drill. Der klassische "Millitärschliff" beruht darauf, den Willen des Rekruten erst zu zerstören und dann, im Sinne der militärischen Disziplin wieder aufzubauen. Ein vergleichbarer Prozess läuft selbst bei den realistischten "Killerspielen" nicht ab. Davon abgesehen, dass man am Egoshooter nicht lernen kann, eine echte Waffe zu bedienen, die einiges wiegt, auf eine bestimmte Weise gehalten werden muss und einen (gerade bei Pistolen für Anfänger unerwartet starken) Rückstoß hat.
Ich will damit nicht sagen, dass Egoshooter ein prolemloser Zeitvertreib für Jung und Alt wären. Aber man sollte die "Kirche im Dorf" bzw. die "Schießbude auf der Dorfkirmes" lassen. Wobei die Schießbude in Sachen "Schießen" sogar noch "realistischer" ist als der beste Egoshooter. (Wann werden die Dinger endlich verboten?!?)

(Mal abgesehen davon: was ist ein "gewaltätiges Videospiel"? Eines, bei dem der Joystick wild um sich schlägt?)

Montag, 7. Mai 2007

Rankings: Wie bastel ich mir eine Spitzenposition?

DonAlphonso hat durchaus recht, wenn er erkennt: Rankings sind schei...lecht.

Rankings sind ein beliebtes Mittel der manipulativen Propaganda und nicht von ungefähr bei der bei Journalisten, die diese Berufsbezeichnung zurecht tragen, verrufenen INSM sehr beliebt. (Nebenbei: ich habe nicht den Eindruck, dass die INSM bei "den Liberalen" sehr beliebt ist. Und obwohl ich von dieser Lobby- und Manipulationsbude nichts halte, gebe ich Statler recht: für Verschwörungstheorien taugt sie auch nicht.) Bei den "Bissigen Liberalen" schrieb ich mal über ein besonders dreistes INSM-Ranking: INSM vergleicht Äpfel mit Birnen.

Rein marketing-technisch gesehen sind Rankings einfach ideal, denn sie sind preiswert - man braucht weder Umfragen noch Untersuchungen, man wertet ganz einfach vorhandene Statistiken aus. Außerdem läßt sich, vor allen bei "weichen" Faktoren wie "Lebensqualität in einer Stadt" oder "Investitionsfreundlichkeit einer Region", nahezu jedes Ergebnis durch geschickte Kriterienwahl herbeimanipulieren. Wenn man dann noch eine knallige Schlagzeile hinzufügt und Auswerteverfahren so transparent wie Milchglas hält, sind sie überaus öffentlichkeitswirksam.

Ein ganz einfaches Beispiel: Mindestens 10 deutsche Städte werden in mindestens 20 Rankings als jeweils "die grünste Stadt Deutschlands" bezeichnet. Und alle haben recht. Irgendwie.

Eines dieser Rankings stammt von der Zeitschrift "MensHealth" und fand ein breites Medienecho. Sie verglich die Grünflächen der 50 größten deutschen Städt und kam zum Ergebnis: Hannover ist die grünste Stadt Deutschlands.
Laut der Wartezimmerzeitschrift für den Mann sind folgende 10 Städte besonders "grün" (nicht politisch zu verstehen):
Grünanlagen in deutschen Städten
(in Prozent an der Gesamtstadtfläche):
1. Hannover 11,36
2. Magdeburg 10,10
3. Essen 9,20
4. Kassel 9,00
5. Köln 8,50
6. Oberhausen 7,60
7. München 7,47
8. Gelsenkirchen 6,90
9. Bremen 6,77
10. Hamburg 6,75
Ein doch überraschendes Ergebnis. Berlin, kürzlich in der "BILD" als "grünste Stadt Deutschlands" bezeichnet, liegt erst an Platz 13. ( 6,19 % Grünanlagen.) Rein vom optischen und subjektiven Eindruck und im direkten Vergleich, überrascht es mich, dass Köln "grüner" sein soll als Hamburg. Gelsenkirchen ist längst keine "graue" Industriestadt mehr, aber - ebenfalls vom optischen und subjektiven Eindruck her - wie eine Stadt "im Grünen" wirkt sich trotz ihrer vielen Parks nicht. Hingegen liegt Dresden, eine vom Eindruck her doch durchaus "grüne" Stadt, völlig abgeschlagen auf Rang 45 - mit mageren 2,01 % Grünanlagen.

Sehen wir uns die Kriterien mal an, z. B. hier: PR inside.
Die Zeitschrift stützt sich in der Erhebung auf Angaben der statistischen Landesämter. Gewerbliche Grünflächen sowie Sportplätze oder Friedhöfe wurden nicht berücksichtigt.
Damit ist klar: Städte, die wie Essen viele Parks haben, sind gegenüber Städten mit relativ viel innerstädtischem Wald, wie Berlin, in diesem Ranking im Vorteil. Wenn man nach der Gesamtzahl der Bäume im Stadtgebiet geht, ist Berlin mit Sicherheit die "grünste" Stadt.
Hamburg ist eine Stadt mit überraschend hohem Anteil an landwirtschaftlich genutzter Fläche - 25,4 %. Addiert man einfach die Erholungsflächen (7,9 % ) und Wälder (5,8 %) hinzu, kommt Hamburg auf unschlagbare 39,1 % "Grünfläche".

Also: Hamburg, Berlin, Hannover können alle mit vollem Recht den Titel "grünste Stadt Deutschlands" beanspruchen. Je nachdem, wie man "grün" definiert. Das ist das Geheimnis des Rankings.

Übrigens: Die Autoren des gern zitierten, von der europäischen Kommision in Auftrag gegebenen, Rankings der Großstädte nach "Lebensqualität" haben Städte in skandinavischen Ländern herabgestuft, "weil nun bewiesen ist, dass die ‚Winterdepression’ durch die kürzere Tageslichtzeit verursacht wird".
Der Föhn in den durchweg Spitzenplätze belegenden Städten am nördlichen Alpenrand oder die brennende Sonne im gut bewerteten Malaga gehen inkonsequenterweise nicht in dieses Ranking ein ...

Donnerstag, 3. Mai 2007

Das Durchschnittsniveau der Hamburger Tageszeitungen wird enorm steigen

So könnte ein Hamburger Regierungssprecher den Wegzug der "BILD"-Redaktion nach Berlin als Erfolg der Medienpolitik verkaufen.

Wobei ich selbstverständlich nichts gegen den Wegzug der BILD-Redax aus Hamburg habe, auch wenn mir die entlassenen werdenden Mitarbeiter (nach solchen Standortverlagerungen gibt es erfahrungsgemäß unterm Strich weniger Mitarbeiter als vorher) leid tuen. Und erst recht die armen Berliner. Wo es in Berlin doch schon so viel geistige Umweltverschmutzung gibt).

Das entspricht genau dem Mechanismus, mit dem sich "unsere" Politiker die gesunkenene Arbeitslosenzahlen als Erfolg "ihrer" Politik zuschreiben. Egal, ob der "Erfolg" der Regierung Merkel oder der Regierung Schröder zugeschrieben wird. Sogar die völlig verkorksten "Hartz-Reformen" werden von Teilen der Jubelpresse wieder als erfolgreich hochgejubelt.
Allerdings ist der "Erfolg" bei Licht besehen gar nicht so spektakulär.
Die Zahl derjenigen, die in der Statistik als arbeitslos geführt werden, ist gesunken. Wobei von den ca. 800.000 Menschen die nicht mehr in der Statistik geführt werden, nur rund 600.000 neue Arbeitsplätze gefunden haben. Äh, was ist bitteschön mit den fehlenden 200.000 passiert?
Mal davon abgesehen: die strukturelle Arbeitslosigkeit, also die Arbeitslosigkeit derjenigen, die systematisch aus der Erwerbsgesellschaft ausgeschlossen werden, steigt immer noch an. Nichts Neues, das ist schon seit 40 Jahren so.

"Die Politik" hat mit den besseren Arbeitsmarktzahlen herzlich wenig zu tun, den Mitarbeiter einstellen können bekanntlich nur Unternehmen. Selbst auf die Rahmenbedingungen hat "die Poltik" nur recht beschränkten Einfluß.
Was passiert ist, ist nichts anderes, als dass Stellen, die in den vergangenen Jahren wegen niedriger Nachfrage abgebaut wurden, nun wegen stärkerer Nachfrage wieder aufgebaut werden. Das ist alles.

Donnerstag, 19. April 2007

Du bist Deutschland, 2.0

Wir erinnern uns wohl alle (und wohl meistens ziemlich ungern) an die "Du bist Deutschland"-Kampagne. Die schlechte Nachricht: Es geht wieder los. Mit der im Herbst 2007 startenden Neuauflage der Kampagne “Du bist Deutschland” soll dem Vernehmen nach die inländische Kinder-Produktion angekurbelt werden.
Die Gute : Pantoffelpunk sind über dunkle Kanäle bereits drei Anzeigen für die Kampagne zugespielt worden: Du bist Deutschland reloaded, Du bist Deutschland - weitere Motive durchgesickert und Du bist Deutschland reloaded III - Es leckt weiter!

Samstag, 31. März 2007

GEmeine MAchenschaften

Ich kenne eine ganze Reihe professioneller und semi-professioneller Musiker. Darunter aber keine(n), der die GEMA sonderlich schätzt. Die vorteilhafteste Beschreibung, die ich hörte - von einem Mitglied einer Band, die bei "Saturn" ein eigenes Fach im CD-Regal hat - war "leider notwendiges Übel".
Jan Schejbal stellt die Frage: Wen beutet die GEMA eigentlich NICHT aus?".
Aber auch die Künstler sind nicht unbedingt zufrieden: Ein mit der GEMA geschlossener Vertrag läuft mindestens sechs Jahre und betrifft alle Werke eines Künstlers - d. h., herauskommen ist recht schwer. Die Künstler treten alle Verwertungsrechte an die GEMA ab, und müssen dafür zahlen, wenn sie ihre eigene Musik aufführen oder auf ihrer Website für die Fans kostenlos zum Download anbieten wollen!
Die besagte einigermaßer erfolgreiche Band scheint genau damit Probleme zu haben - die GEMA torpediert die Promotion der Band.
Fazit: solange man nicht zu den "ganz Großen" gehört und als Musiker nicht gerade mit dem Cent, aber doch dem Euro rechnen muß, ist die GEMA, so wie sie ist und handelt, eher Karriere-Hindernis als nützliche Rechteverwertungs-Agentur.

Womit auch Jans Frage beantwortet wäre: die GEMA nützt den "Etablierten" im Musikgeschäft, etablierte Künstler, etablierte Komponisten, aber vor allem etablierte Agenturen und etablierte Labels - finanziell und in Form von Schutz vor Konkurrenz.

Anderes Thema - wenn auch die Musikindustrie und die Rechteverwertung ein nicht unwesendlicher Teil des Problems ist, da einige der angeblich zur Bekämpfung der Schwerkriminalität beschlossenen Überwachungsgesetze und -Vorschriften tatsächlich in erster Linie auf "Raubkopierer" und "Musikpiraten" abzielen.
Aufruf zur Demo in Frankfurt (Main) am Samstag, den 14. April ab 15 Uhr

Bürgerrechtler rufen bundesweit zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die ausufernde Überwachung durch Staat und Wirtschaft auf. Am Samstag, den 14. April 2007 werden besorgte Bürgerinnen und Bürger in Frankfurt am Main unter dem Motto "Freiheit statt Angst" auf die Straße gehen. Treffpunkt ist der Hauptbahnhof um 15 Uhr. Der Protestmarsch durch die Stadt wird mit einer Kundgebung vor der Paulskirche enden.
Der komplette Aufruf: Freiheit statt Angst - Demo gegen Sicherheits- und Überwachungswahn!

Sonntag, 25. März 2007

Verräterische Worte

Dieser Kommentar ist so unbeabsichtig (?) klar und ehrlich, dass ich ihn einfach zitieren muss obwohl er schon in mehreren Blogs verabeitet wurde:
Kommentar des Direktors des (unternehmernahen) Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, zur Verabschiedung der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und unbeabsichtigtes Schlaglicht auf sein Demokrativerständnis:
Für die Investoren ist entscheidend, dass es der Regierung gelungen ist, ein Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.
(dpa/Der Tagesspiegel vom 10.3.2007 via Nachdenkseiten.)

Unbeabsichtigt verräterisch ist auch diese Aussage hier, gefunden bei Nanuk: Nüchterne Fakten über Kinder.
Nirgendwo ist es leichter, Nacktfotos oder pornographische Videos zu verbreiten und über Sex zu sprechen.
meint die Geschäftsführerin der Deutschen Sektion des Netzwerks “Innocence in Danger“, Julia von Weiler, anläßlich einer Tagung in Münster über Internet, Handy und Co.

Allein, wie pornographische Videos, Nacktfotos und Gespräche über Sex in einem Satz genannt werden, umreißt das Weltbild Frau von Weiler und übrigens auch des Vereins Innocence en danger besser, als es ein oberflächlicher Blick auf die Website des Vereins zeigt.

Dass es der Verein gut meint, steht außer Frage, ob die vorgeschlagenen Mittel tauglich sind, die Ziele, nämlich den Kindesmißbrauch im Internet zu verhindern, wage ich schwer zu bezweifeln. Wie ich auch die genannten Horrorzahlen nicht nachvollziehen kann - oder leider auf eine Art und Weise, die nicht für "innocence en danger" spricht:
In 2004 wurden laut der polizeilichen Kriminalstatistik des BKA 15.255 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und 4.819 Fälle des Besitzes bzw. der Verschaffung von Kinderpornografie angezeigt. (In 2003 waren es 2.868 Fälle).
Ja, und es wurden, nach der selben Statistik, im Jahr 2004 in Deutschland 12 Menschen wegen der Verbreitung Kipo-Schriften verurteilt, sowie ca. 800 wegen des Besitzes bzw. der Beschaffung von Kipo-Material. Das heißt, einer großen Zahl Anzeigen steht eine relativ kleine Zahl nachgewiesener Straftaten gegenüber. Was übrigens auch nicht gerade für die immer wieder behaupteten gigantischen Dunkelziffern nie angezeigter Kipo-Delikte spricht.
Weshalb auch die gestiegene Anzahl der Anzeigen nichts beweist - außer, dass die Neigung, jemanden wegen Kipo anzuzeigen, gestiegen ist.
Warum kümmert sich der Verein nur im sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet? Denn, wie Holger Engels, Leiter der Kriminalinspektion 1 des Polizeipräsidiums Münster zum gleichen Thema befragt sagte:
Rund zwei Drittel der Missbrauchsfälle in Deutschland spielen sich im Nahraum der Familie ab.
Weshalb die meisten Hilfsorganisationen für Opfer sexualisierter Gewalt ihre Arbeitsschwerpunkte sinnvollerweise in diesem Nahraum setzen, dahin, wo tatsächlich Kinder gequält und vergewaltigt werden. (Auch die meisten Kinderpornos entstehen übrigens im vermeindlich geborgenen "Nahraum der Familie".
Sehr im Gegensatz zu dem, was die Berichterstattung in den Massenmedien vermuten läßt.)

Zurück zur Aussage von Frau von Weiler: enorm wichtig bei der Vorsorge gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder, und ebenso wichtig für die Aufklärung entwentueller Verbrechen ist, dass die Kinder gelernt haben, offen über Sex zu sprechen. Wenn sich die gute Frau darüber mockiert, dass im Internet so offen über Sex geredet wird, dann erweist sie dem Schutz der Kinder (und Jugendlichen) einen Bärendienst.

Es sei denn, die Kinder sollen nicht vor der sexualisierten Gewalt, sondern vor der Sexualität an sich geschützt werden.

Montag, 19. Februar 2007

"Vereinfachen" - bis es falsch wird!

Es ist geradezu eine Binsenweisheit in Propaganda, Public Relation, Spindoctoring, Lobbyismus und Werbung: Eine wirksame Botschaft muß möglichst einfach gehalten werden.
(Allen Spezies, die jetzt damit kommen, dass Propaganda, Public Relation, Spindoctoring, Lobbyismus und Werbung doch völlig unterschiedliche Felder seien, sei eine Dokumentarreihe der BCC empfohlen, die Sven hier wohlwollend-kritisch bespricht: Propaganda und PR. Die massenpsychologischen Prinzipien und Methoden sind grundsätzlich diesselben, egal, ob man ein politisches Programm, die Interessen eines Industriezweigs oder Weichkäse öffentlich vertritt.)

Dass dabei das Problem auftritt, dass manche Sachverhalte sich nur begrenzt vereinfachen lassen, wird nicht nur von den bekannten "schrecklichen Vereinfachern", den Populisten und totalitären Ideologen zugunsten einer besseren "Schlagkraft" gern in Kauf genommen. Sondern sogar von Wissenschaftler, vor allem solchen in Beraterfunktion. (Übergänge zum Lobbyismus und zum Spindoctoring sind dabei fließend.)

Ein Beispiel: Dr. Christian Pfeiffer, Rechtswissenschafter, Sozialpsychologe und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, sagte:
Der durchschnittliche männliche Hauptschüler bringt es auf fünf Stunden Medienkonsum am Tag. Was ist das für ein Leben? Das ist ein krankes Leben!"
Was ist das für eine Argumentation? Eine demagogische und bewußt manipulative Argumentation!
Der erste Satz ist ein "wunderschönes" Beispiel für eine unzulässige Vereinfachung. "Medienkonsum" ist nämlich nicht nur Fernsehen und Computerspielen, sondern auch Radiohören, Lesen - oder im Internet surfen. Es fällt dabei unter den Tisch, welche Inhalte der besagter Hauptschüler dabei "konsumiert". Es ist zwar anzunehmen, dass der größte Teil davon, aus "bildungsbürgerlicher" Perspektive, "Schund" sein könnte - sicher ist es aber keineswegs. Wobei auch "Schund" und "Kitsch" in der Regel in Hinblick auf die "Kriminalisierung" harmlos sind - was auch Dr. Pfeiffer weis. Sein Thema ist der Einfluß von Gewaltdarstellungen auf Jugendliche, nicht etwa der von Seifenopern oder Gerichtsshows.
Außerdem sind fünf Stunden Mediennützung nicht nur unter Hauptschüler völlig normal, unter "Gebildeten" düften es tendenziell sogar mehr sein. Aber die selbst beantworte Frage lenkt den Zuhörer gedanklich in die "richtige" Richtung: er sieht vor seinem geistigen Auge picklige, prollige "Couch-Potatos", die sich den ganzen Tag Gewaltfilme und "Killerspiele" 'reinziehen.

Ein sehr beliebtes Feld für unzulässige Vereinfachungen ist die Gesundheitsaufklärung, die auch gern einmal fließend in Werbung für bestimmte Produkte und Heilverfahren übergeht. "Auflärungs"-Kampagnen zeichnen sich durch simple "Wahrheiten" aus, z. B. dass "zuviel Cholesterin Infarktsrisiko Nr. 1" sei - und dabei die wohlbekannte Tatsache, dass es in erster Line nicht auf das Gesamt-Cholesterin ankommt und die weniger bekannte, dass z. B.der von der Lipid-Liga empfohlene "obere Grenzwert" von 200 Milligramm Cholesterin pro Deziliter 1. zu niedrig ist und 2. auf großzügiges Sponsoring der pharmazeutischen Industrie zurückgeht.

Sogar simple Wahrheiten, wie die, dass es auf die Dosis ankommt, ob ein Ding Heilmittel oder Gift ist, sind für manche Gesundheitsaufklärer anscheinend noch nicht einfach genug:
Ein Team von Prof. Mary Norval von der Medizischen Fakultät der Universität Edinburgh untersuchte die Folgen der Blockade der Vitamin D-Synthese in der Haut durch permanenten Sonnenschutz auf allen unbedeckten Hautflächen. Sie kam zu einer altbekannten Erkenntnis: Wir sollten eine Balance zwischen den positiven Effekten der Sonnenstrahlen bei der Bildung von Vitamin D und den negativen Effekten von zu viel Sonne finden.
Die Cancer Research UK reagierte prompt - und entlarvend: "Wir sind besorgt, dass eine solche gemischte Botschaft ein gefährliches Durcheinander in den Köpfen der Leute verursacht."

Propagandasprüche müssen eben einfach und eindeutig sein. Denn die Leute können ja nicht selber denken und dürfen auf keinen Fall selbst entscheiden, was ihnen gut tut.

Freitag, 16. Februar 2007

Anthroposophische Medizin - "Netzwerkarbeit" statt Wirksamkeitsnachweis

An und für sich bin ich ein Anhänger naturheilkundlicher Heilverfahren und komplementärer Medizin. Aber nicht selten empfielt es sich sehr, so scharfen Kritikern der Naturheilkunde wie der GWUP Aufmerksamkeit zu schenken: GWUP Aktuell: Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis nicht auf Kosten der Allgemeinheit.

Es sieht nämlich ganz so aus, als ob die wachsende Anerkennung der Naturheilkunde (und unter ihr ganz besonders der Anthroposophischen Medizin) weniger auf dem Nachweis der Wirksamkeit als auf geschickter Netzwerk- und Lobbyarbeit zurückzuführen ist. Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis.
Besonders hervorgetan hat sich in dem Bemühen der offiziellen Anerkennung dieser so genannten "Naturheilverfahren" ein Hamburger Versicherungskaufmann, Thomas Martens, der 1984 die „SecurVita - Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH" gründete.
Die SecurVita ist extrem prozessfreudig - z. B. gegen die Zeitschrift "Öko-Test", die bemerkte, dass das alternativ-ökologischen Image nicht so ganz den Tatsachen entsprach. SecurVita betreibt u. A. eine eigene Krankenkasse, eine Investmentgesellschaft und ein Reiseunternehmen. Sie ist auch bestens "vernetzt", z. B. mit Greenpeace und dem BUND.

Mittlerweile tritt die SecurVita in einem Verbund mit Organisationen an, die zusammen rund 2,6 Millionen Mitglieder vertreten: B.A.U.M., Bioland, BUND, Demeter, Deutscher Hausfrauen-Bund, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, foodwatch, GLS-Gemeinschaftsbank, Germanwatch, Greenpeace Deutschland, Mehr Demokratie, NABU, Netzwerk Recherche, Transparency International Deutschland, WWF Deutschland und Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand. Diese Organisationen genießen - meistens wohl zurecht - einen guten Ruf, von dem Securvita profitiert. (Ich sehe die SecurVita in der Position eines klassischen "Image-Abstaubers".)
Kritik an der SecurVita und dem deutlich Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der "alternativen Versicherung" ist selten, z. B. beim Infomarkt des SWR: Krankenkasse verzögert Behandlungszusage.

Aus meiner Sicht besonders interessant ist, dass SecurVita, GLS, Weleda, foodwatch, etc. zum Weltverständnis der Anthroposophen gehören. Also eine eindeutig "esoterische" Grundlange haben, und zwar eine, die wegen rassistischer und stramm autoritärer Ideologiebestandteile zurecht umstritten ist. Hervorzuheben ist z. B. die Wurzelrassenlehre, die nach wie vor in der antrophosophischen Lehre eine entscheidende Rolle spielt, obwohl heute die gröbsten Rassismen aus der Öffentlichkeit verschwunden sind.

Über Nachrichten wie "Anthroposophische Medizin jetzt auf IKK-Card" sollte man sich auch Freund naturheilkundlicher Verfahren nicht uneingeschränkt freuen. Weil z. B. das Modellprojekt der IKK Hamburg, das anscheinend eine "lang anhaltende Besserung" des Gesundheitszustandes der Patienten durch anthroposophische Methoden nachweist, wissenschaftlich-kritischen Ansprüchen nicht genügt. Statt dessen gibt es einen Binnenkonsens, in dem nicht unabhängige Gutachter prüfen, sondern gleich gesinnte Kollegen.
Ob die untersuchten Methoden wirklich helfen oder nicht bleibt leider zweifelhaft.

Allerdings kann ich die "Fundamentalkritik" der GWUP an unorthodoxer Heilmethoden nicht teilen. Längst nicht alle Studien, die für die Wirksamkeit z. B. eines so "unwissenschaftlichen" Verfahrens wie der Akupunktur sprechen, beruhen auf Binnenkonsens und Gefälligkeitsgutachten.

Und außerdem sind Hersteller, die "alternative" Medikamente fragwürdiger Wirksamkeit anbieten, auf dem Feld der Bereicherung auf Kosten der Gesundheit der Patienten "kleine Fische". Die "dicken Fische" sind "nicht alternative" Pharmaunternehmen, die mitunter tödliche Risiken und Nebenwirkungen ihrer nachweislich hochwirksamen Medikamente zugunsten "gesunder Geschäft"e verheimlichen: BooCompany - Eli Lilly: Für ein paar Milliarden Dollar mehr.

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