Sonntag, 9. Dezember 2007

Muss die Geschichte der Wikingerzeit umgeschrieben werden?

Dass die Geschichte umgeschrieben werden muss meint jedenfalls die norwegische Zeitung "Aftenposten" anlässlich der Entdeckung zweier großer wikingerzeitlichen Hallen in Borre (Vestfold).
(Der Aftenposten-Artikel auf Englisch: Rewrites Viking history)

Tatsächlich stellt die Entdeckung solcher "Königshallen" in der Nähe der Grabhügel von Borre die bisherigen Ansichten über die Machtverteilung im wikingerzeitlichen Norwegen in Frage. (Borre liegt am Westufer des Oslofjords, in der Nähe der Hafenstadt Horten.)
Die Grabhügel von Borre entstanden zwischen 560 - 1050 u. Z. . Sieben große und über 30 kleinerer Hügel bilden das größte frühmittelalterliche Grabhügelfeld Nordeuropas. Leider wurden alle Gräber später geöffnet und ausgeplündert. Dennoch gelangen einige kunsthistorische bedeutsame Funde ("Borrestil").

Die Hallen wurden mit Magnetometern und Bodenradar lokalisiert (größere Grabungen am Fundort stehen anscheinend noch aus).
Die größere hölzerne "Königshalle" wurde auf die Zeit um 700-800 datiert und könnte 40 m lang und 12 - 13 m breit gewesen sein. Damit wäre sie die größte bisher gefundene wikingerzeitliche Halle in Vestfold. Das deutet darauf hin, dass Borre nicht nur ein Begräbnisplatz war, sondern ein echtes Machtzentrum. Nach Ansicht der Archäologin Lena Fahre vom Midgard-Geschichtszentrum trafen sich hier Stämme aus ganz Nordeuropa zu Opferritualen.

Die am Fund beteiligten Archäologen sind der Ansicht, dass die bisherige historische Lehrmeinung, dass Kaupang das herausragende Machtzentrum Norwegens war, revidiert werden muss, da nun ein weiteres Zentrum weiter im Norden gefunden wurde.

Die Hallen dürften architektonisch und wohl auch in der Funktion die Vorläufer der berühmten hochmittelalterlichen Stabkirchen gewesen sein.
Damit erhärten die Funde die Theorie des Germanisten und Religionshistorikers Rudolf Simek, der davon ausgeht, dass es zumindest im skandinavischen Raum durchaus "Tempel" gab, die zugleich Versammlungsräume waren. (Dargelegt u. A. in seinem Buch Religion und Mythologie der Germanen.) Das könnte die widersprüchlichen Angaben antiker und mittelalterlicher Autoren darüber, ob es im nordgermanischen Kulturraum heidnische Tempel gab oder nicht, erklären: manche Autoren sahen in den Hallen nur "weltliche" Räume, andere stellten die sakrale Bedeutung in den Vordergrund. Die heidnischen Germanen unterschieden, anders als die Christen, nicht strikt zwischen sakraler und weltlicher Sphäre. Von ihrer Funktion dürften die Königshallen "Mehrzweckbauten" wie die aus der Antike bekannten Basiliken (von gr. basilike, was auch "Königshalle" bedeutet) gewesen sein: Räume für Gerichtssitzungen, Volksversammlungen, Handelsgeschäfte, Repräsentation des Herrschers (der stets auch sakrales Oberhaupt war), Feste und gemeinschaftliche Rituale.

Himbeertoni

Seit einiger Zeit stoße ich in "Public Relation"-kritischen Blogs wie z. B. Indiskretion Ehrensache oder Sargnagelschmiede immer wieder auf den Begriff "Himbeertoni" - wobei Himbeertonis vorwiegend in der PR-Branche, aber auch in Journalismus, Werbung und Politik anzutreffen sind.

Internet-Recherchen in Richtung des Kindermusicals "Schmackofatz und Himbeertoni" blieben frucht(!)los.
Deshalb versuchte ich mich zu erinnern, wo ich zum ersten Mal vom Himbeertoni gehört habe.

Wenn ich es richtig zusammenbekomme, dann gibt es den Himbeertoni in zwei Ausführungen, der österreichischen und der hamburgischen.

In der österreichischen Variante ist Himbeertoni jemand, der sich alles gefallen lässt, sich nie wehrt, nie widerspricht, feige ist - und zwar aus Dummheit. Dieser Himbeertoni tritt vor allem in der Negation auf, z. B. "ich bin doch kein Himbeertoni", "ich bin doch nicht dein Himbeertoni" oder "ich lass mich doch nicht zum Himbeertoni machen!"

In der hamburgische Variante, die aus dem St. Pauli-Milieu stammt, und unter Umständen von den Redensarten Wiener Zuhälter beeinflusst wurde, ist "Himbeertoni" ein mehr oder weniger legendäres "Kiezoriginal", dessen Spitzname allerdings nicht auf einen - sagen wir mal - rückgratlosen Mann hindeutet, sondern auf eine alte Geschichte anspielt, die sich mutmaßlich Anfang der 70er Jahre zugetragen haben soll, und die mit einer von besagter Person auf Ex getrunkenen ganzen Flasche Himbeergeist und einer anschließenden Volltrunkenheitsfahrt im Oberklasse-Mercedes zu tun hat. Details weichen, wie bei mündlich überlieferten Legenden üblich, stark ab.

Beide Varianten scheinen mir aber mit besagtem PR-Himbeertoni, der sich vor allem durch schamlose Verlogenheit und mangelnde Fähigkeit im Umgang mit Kritik auszeichnet, wenig gemein zu haben.

Mir ist allerdings ein Trailer für die auf St. Pauli spielende Polizei-Fernsehserie "Großstadtrevier" bekannt, in dem Hauptwachtmeister Matthies (Jan Feder) Kleinkriminelle "die auch nur Menschen sind", beschreibt. Einer, "der alle topt" ist "Himbeertoni" der, wenn er beim Verhör lügt, rot anläuft "wie so'n Schulmädchen". (Also eine kreative Neudeutung der hamburgischen Himbeertoni-Variante.)

"Himbeertoni" wäre nach dieser Lesart ein notorischer Lügner, bei dem stets offensichtlich ist, dass er lügt. Nimmt man den "kein Rückrat"-Aspekt des österreichischen Himbeertonis in abgewandelter Form, nämlich "äußere Arroganz aus innerer Unsicherheit" hinzu, dann sind "Himbeertonis", die beide Eigenschaften vereinen, in der PR-Branche mindestens so häufig anzutreffen wie Anja-Tanjas. (Und in Journalismus, Werbung, Politik auch nicht eben selten.)

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