Gesunde Skepsis

Das altgriechische Wort σκέψις (sképsis) bedeutet "Prüfung, kritische Untersuchung". Die davon abgeleitete philosophische Haltung ist der Skeptizismus.
Das Gegenteil von "Skeptizismus" ist "Dogmatismus": Glauben, ohne zu zweifeln.

Skeptizismus ist ein Konzept, das es auch in nichteuropäischen Kulturen gibt:
Glaube nichts, weil ein Weiser es gesagt hat.
Glaube nichts, weil alle es glauben.
Glaube nichts, weil es geschrieben steht.
Glaube nichts, weil es als heilig gilt.
Glaube nichts, weil ein anderer es glaubt.
Glaube nur das, was Du selbst als wahr erkannt hast.
Siddhartha Gautama (Buddha)

(Was nebenbei auch jene Lügen straft, die Skeptizismus für "unspirituell" halten.)

In der Alltagsprache ist jemand ein Skeptiker, der zweifelt, kritisch nachfragt, nicht alles glaubt.

Leider gibt es auch "Skeptiker", die gar keine sind. Viele, die sich selbst "Skeptiker" nennen (z.B. "Klimaskeptiker", "Euroskeptiker" oder "Evolutionsskeptiker") haben eben keinen Zweifel mehr, dass die ganze Sache Unsinn oder Betrug ist. Sie sind "denialists", "Ablehner", die stur eine Meinung vertreten, unabhängig von der Faktenlage. Also im Grunde Dogmatiker.
Sehr lesenswert: New Scientist-Special "Living in denial". (Dank an Volkmar für den Hinweis!)

Auch in der Skeptikerbewegung gibt es leider dogmatische Ablehner.
Edgar Wunder prägte dafür den Begriff des
Skeptiker-Syndroms.
wurzelfrau (Gast) - 14. Jun, 20:44

"(Was nebenbei auch jene Lügen straft, die Skeptizismus für "unspirituell" halten.)"

Ich glaube, das liegt zum einen wirklich daran, dass Skeptiker und Denialists nicht auseinander gehalten werden. Viele tun sich damit schwer, weil es- wie Du schon sagtest- vermehrt Skeptiker gibt, die man eigentlich zur anderen Fraktion zählen müsste. Gesunde Skepsis ist sicherlich das kritische Nachfragen, Durchdenken, Durchblicken-wollen, aber eben nicht das kategorische Ablehnen und Niedermachen.

Für viele, die meinen, Skeptizismus sei unspirituell, ist er, so denke ich, zum anderen auch einfach unbequem. Es wäre doch so schön, wenn man ohne viel Mühe, die wildesten Theorien glauben könnte, wenn es da einen gäbe, der einem das Durchdenken abnehmen würde, wo man sich zurücklehnen könnte- hach- willkommen in der Konsumgesellschaft. Da will man sich nicht groß über den Tellerrand bemühen, das ist so furchtbar anstrengend. Wie sagte Albert Einstein so schön:

"Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null - und das nennen sie ihren Standpunkt"

Darüber hinaus hat Spiritualität, zumindest undogmatische, ja auch immer etwas mit Kreativität zu tun, mit Brücken schlagen, wo uns heute der "Beweis" (noch) fehlt, oder wo es um Individualität geht. Wo wir, grade im naturspirituellen Bereich, Altes mit Neuem zu einem lebbaren Konzept verbinden müssen.

Wenn man halt das "im schmalen Regelwerk dappen" gewohnt ist, bereitet das alles Mühe. Aber man vergibt sich eben auch was, nämlich die (geistige) Agilität.

Liebe Grüße
Joy

agathos (Gast) - 14. Jun, 23:42

Wenn die Anomalisten um E. Wunder gerade jene undogmatische "Offenheit" an den Tag legen, die von Eso-Sympathisanten immer wieder gefordert wird, stellt sich doch die Frage, ob diese Offenheit schon jemals zu belastbaren anderen Erkenntnissen geführt hat. Welches Eso-Konzept könnte denn einen so gefundenen echten objektivierbaren Beleg für sich beanspruchen?

Ich vermute: noch keines. Und daß der skeptische Kopf aus Erfahrung irgendwann seine Offenheit einschränkt (angesichts welch einer Masse an Absurditäten!), vielleicht auch polemisch reagiert und dies dann wiederum mit Dogmatik verwechselt wird, ist doch kaum zu vermeiden.

MMarheinecke - 15. Jun, 10:06

Aus GWUP-Sicht bin ich wohl "Eso-Sympathisant" ;-)

Weshalb ich das vernmute, geht aus diesem Blogbeitrag hervor:
Nachtrag zu: Warum ich kein "Eso" wurde - ich sitze, wie so oft, auch in dieser Frage zwischen den Stühlen.

Ich stimme den "Anonamalisten" nicht uneingeschränkt zu, halte ihren Ansatz aber für interessant und nütztlich.

Zu meiner Haltung; ich stelle die Möglichkeit einer gesicherten, nachweisbaren Erkenntnis dessen, was "Wirklichkeit" ist, in Frage. Weniger dramatisch ausgedrückt: ich vermute, dass jede Erkenntnis ist vorläufig und der Horizont der menschlichen Erkenntnisfähigkeit eng begrenzt ist. Außerdem ist unsere Wirklichkeit konstruiert - in einem Schlagwort: "die Theorie bestimmt was wir beobachten".
welches Eso-Konzept könnte denn einen so gefundenen echten objektivierbaren Beleg für sich beanspruchen?
Wenn Sie so fragen: keines. Das liegt in der Natur der im Kern metaphysischen "esoterischen" Konzepte. Was ich den "Eso" vorwerfe, ist, dass sie oft dazu neigen, Physik und Metaphysik durcheinanderzubringen - was regelmäßig zu pseudowissenschaftlichen Modellen führt. (Das ist übrigens m. E. auch der Grundfehler der Kreationisten, die (vermeindliche) Lücken in einer naturwissenschaftlichen Theorie mit Metaphysik auffüllen.)
Objektivierbar ist grundsätzlich nur die physikalische Ebene (und z. B. in der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik gilt selbst das nicht uneingeschränkt).

Nach meiner persönlichen - und sehr subjektiven Erfahrung - sind viele "paranormale" Phänomene real - wobei ich Begriffe wie "paranormal" oder gar "übernatürlich" als leer ablehne.
Beispiel: die Fähigkeit eines Rutengängers in freier Landschaft eine gute Stelle zum Brunnenbohren zu finden. Mir ist ein kommerziell arbeitenden Brunnenbohrer bekannt, der sich darauf verlässt. Würde der Rutengeher nur zufälllig richtig liegen, hat er jahrelang enorm viel Glück gehabt. Schwierigkeiten habe ich mit dem pseudowissenschaftlichen Erklärungsmodell der "Erdstrahlen" usw.usw.. Wobei sich das "Erdstrahlenmodell" relativ einfach experimentell als unzutreffend nachweisen lässt. (Etwa mit vergrabenen Röhren, von denen der Rutengeher nicht weis, welche mit Wasser gefüllt sind oder nicht.) M. E. hat ein guter Rutengeher das, was man einen "Richer" für z. B. für gute Wasserfundstellen nennt, eine Mischung aus Erfahrung, Intuition (in meiner Deutung: unbewusstem Wissen) und nicht unbedingt an die Oberfläche des Bewusstseins dringenden Sinneswahrnehmungen. Damit ist auch klar, wieso das unter konstruierten Laborbedingungen schlecht reproduzierbar ist: im "Röhrenversuch" gibt es z. B. keine Wuchsformen von Gras, die Grundwasser dicht unter der Oberfläche anzeigen könnten.
Ähnlich sieht es mit der Akupunktur aus - sie hat offensichtlich einen über den Placeboeffekt herausgehenen Wirkmechanismus, "funktioniert" also - womit noch lange nicht gesagt ist, ob am Qi-Prinzip etwas dran ist.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, wieso "skeptische Köpfe" angesichts des geballten Unsinns, der einem etwa auf Esoterik-Messen entgegenschlägt, irgendwann einmal "dicht" schalten. Allerdings habe ich den Eindruck, dass schon die Grundhaltung vieler "Skeptiker" sehr stark positivistisch geprägt ist - und die Theorie bestimmt m. E. auch hier, was "wir beobachten".

Gedankenexperiment: Ich entdecke z. B. an mir die Fähigkeit der Psychokinese bzw. Telekinese und kann ohne Tricks einen Ball "per Gedankenkraft" schweben lassen.
Könnte ich damit den Randi-Preis gewinnen?
Ich vermute: nicht. Denn Randi würde wahrscheinlich denken: "Guter Trick, ich weis nicht, wie er es macht, aber da ich Tricks kenne, mit denen sich so etwas Ähnliches bewerkstelligen ließe, wird es - nach meiner Erfahrung und nach Occams Razor - wohl ein Trick sein."
Die Beweislast läge bei mir, und es wäre für mich verdammt schwer, nachzuweisen, dass ich nicht trickse.
Außerdem halte ich es streng beim Wort genommen, unmöglich, die Bedingungen des Randi-Preises zu erfüllen, weil sie auf "übersinnliche, übernatürliche oder paranormale Fähigkeiten" abziehlen - denn wenn es Psychokinese gäbe, wäre sie ein natürliches Phänomen.
wurzelfrau (Gast) - 15. Jun, 17:35

"Und daß der skeptische Kopf aus Erfahrung irgendwann seine Offenheit einschränkt (angesichts welch einer Masse an Absurditäten!), vielleicht auch polemisch reagiert und dies dann wiederum mit Dogmatik verwechselt wird, ist doch kaum zu vermeiden."

Nunja, ich für meinen Teil neige zwar auch manchmal zur Polemik, habe aber die Erfahrung gemacht, dass selbige in solchen Fragen nicht unbedingt weiterbringt. Vermeidbar ist sie meines Erachtens auf jeden Fall und sogar, würde ich behaupten, in den Meisten Fällen ein Zeichen von Unsicherheit. Für mich jedenfalls keine feine Methode. Und zur Beleuchtung und Durchdringung eines Sachverhaltes reichlich ungeeignet.

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/stories/6375644/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6725 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren