Das Internationale Maritime Museum - "Leuchtturm" oder "Rumpelkammer"?

Vor gut zwei Wochen schrieb ich anlässlich der Eröffnung des "Internationalen Maritimen Museums Hamburg": Seefahrtsmuseum - Eröffnung mit viel Tamm-Tamm?
Inzwischen habe ich das umstrittene Museum besucht. Die offenbar weit verbreitete Befürchtung, dass das IMMH eine "Militariaschau" oder gar eine Pilgerstätte für Militaristen oder Rechtsextremisten werden könnte, hatte ich von Anfang an nicht. Der Frage nach politischen Klüngeleien und den Begleitumständen der von der SPD mitgetragenen Entscheidung, die Museumspläne der Tamm-Stiftung zu unterstützen, klammere ich vorerst einmal aus.
Leuchtturmhaube
Haube eines eisernen Leuchtturms vor dem IMMH. Foto: MMarheinecke

Es bleibt die Frage, ob das Museum wirklich ein "Leuchtturm", ein attraktives Museum - oder doch nur eine "Rumpelkammer" ist, geprägt von der Sammelwut und dem Militarismus Peter Tamms.
Ich teilte die Sorge jener Kritiker, dass ein museumspädagogisches Konzept fehlen, sprich, die Ausstellung mehr "Sammlung" als "Museum" werden könnte. Kritiker bemängelten zudem die Beliebigkeit der Ausstellungsstücke - und die Vielzahl der militärischen Exponate. Die "Sammlung Tamm" ist ja in der Tat nicht gerade arm an Militaria, auch aus dem "12-jährigen Reich".

Vor Jahren hatte ich die "Sammlung Tamm" in der Villa an der Elbchaussee angesehen - oder eigentlich aus Zeitmangel nur einen Teil. (Wegen des Umfangs der Sammlung hielt ich mir dann auch einen vollen Tag für das IMMH frei.) Mein Eindruck von der Tamm-Sammlung war damals etwas zwiespältig.
24-Pfuender
24-Pfünder Vorderlader-Kanone von H.M.S. "Foudroyant", Flaggschiff des britischen Admiral Horatio Nelson in seiner "sizilianischen Zeit". Foto: MMarheinecke

Am Eingang des Museums dräuen zwei alte Schiffskanonen. Nicht unbedingt ungewöhnlich für Seefahrtsmuseen, aber angesichts der heftigen Kritik am tammschen Militarismus ziemlich unverfroren. Auch die beiden Klein-U-Boote aus der Endphase des 2. Weltkriegs und weitere Kanonenrohre im Hof des Museums sind nicht unbedingt geeignet, die Bedenken der Museumskritiker zu zerstreuen.

Die ersten drei "Decks" - "Die Entdeckung der Welt / Navigation und Kommunikation", "Schiffe unter Segeln" und "Geschichte des Schiffbaus" hinterlassen, abgesehen von einigen "Kinderkrankheiten" wie fehlenden Hinweistafeln oder nicht richtig funktionierenden Multi-Media-Installationen, einen guten Eindruck. Diese Teile der Ausstellung brauchen sich vor etwa dem Schiffahrtsmuseum Bremerhaven nicht zu verstecken. Das Museum wird seinem Anspruch, "international" zu sein, auf diesen "Decks" voll gerecht: Auch die sonst gern unterschlagenen Beiträge etwa der Chinesen, Araber und Polynesier zur Seefahrts- und Entdeckungsgeschichte werden gewürdigt. Die Qualität der Exponate - darunter ein über 3000 Jahre alter Einbaum - und der Modelle ist durchweg hoch. Erstaunlich gut funktioniert das Konzept, die Exponate "für sich" sprechen zu lassen, bei der viel kritisierten Darstellung des Sklavenhandels - Halseisen, Fußfesseln oder ein Decksplan, auf dem man sieht, wie die "menschliche Fracht" buchstäblich "verstaut" wurde, machen den betont nüchternen Kommentar mehr als wett.

Der Eindruck, den die beiden Decks "Leben auf Marineschiffen / Im Zeughaus der Geschichte" und der "böse Boden" Deck 5 "Marinen der Welt ab 1815", bei mir hinterlassen, ist leider weniger gut. Nicht, weil die Ausstellung hier geschichtsrevisionistisch oder kriegsverherrlichend wäre. Sondern, weil das museumspädagogische Konzept dieser Abteilungen doch etwas kärglich ist. Der Aspekt "Leben auf Marineschiffen" spricht noch einigermaßen für sich, aber angesichts der Fülle von kaum kommentierten Handwaffen, Paradesäbeln, Orden, Uniformen frage ich mich, ob hier nicht "weniger" doch "mehr" gewesen wäre. Das ist wirklich nur eine Zur-Schau-Stellung einer großen Sammlung. Auch den Vorwurf, unkritisch zu sein, kann man dem Museum auf "Deck 4" nicht ersparen. Mein Eindruck vom "Seekriegsdeck" 5 ist gemischt, der Abriss der militärtechnischen Entwicklung ist brauchbar, aber ich hätte mir mehr kritische Distanz gewünscht. Besonders übrigens angesichts der Modelle von "Kriegsschiffen der Zukunft", die deutsche Werften für die nächsten Jahrzehnte planen.

Weniger beklemmend, dafür aber etwas ermüdend, ist das Deck 6, gewidmet der Handelsschifffahrt, der Passagierschifffahrt und den Häfen. Einigen gelungene Präsentationen, z. B. des Containerumschlags, steht eine Fülle von Schiffsmodellen gegenüber - weniger wäre auch hier vielleicht mehr gewesen. In diesem Bereich (und nur in diesem) entdeckte ich auch Modelle, von denen Jens Jensen in der "Zeit" schrieb, sie hätten keine Museumsqualität (auch wenn sie schwerlich aus Baukästen stammen durften). Hier siegte der Sammler offensichtlich über die "Museumsmacher".
Der Höhepunkt - jedenfalls was die Gestaltung der Ausstellung angeht - ist das Deck 7, über "Meeresforschung, Energietechnik und Fischerei". Moderne und "klassische" Medien sind geschickt eingesetzt. Auf diesem Deck finden sich museumspädagogisch durchdachte Präsentationen, die sowohl Touristen, die in erster Linie unterhalten werden wollen, wie fachlich interessierten Besuchern, wie der erfahrungsgemäß "schwierigsten" Besuchergruppe, nämlich Schulklassen, die "was lernen" sollen, gerecht werden.
Ein Deck höher fiel mir etwas auf, was auch Jensen ansprach: die Ordnung nach dem Geist der touristischen Attraktion - was extrem teuer und deshalb sensationell ist, landet in der "Schatzkammer". Da steht teurer Nippes mit hohem Materialwert neben herrlichem Kunsthandwerk, einem sehr seltenen Werftmodell aus dem 17. Jahrhundert und den ebenfalls seltenen Modellen, die Kriegsgefangene der napoleonischen Kriege aus den Knochen ihrer kargen Pöckelfleisch-Rationen fertigten. Immerhin: das lebensgroße Diorama, das abgerissene Gefangene, die in einer engen, schäbigen und überfüllten Zelle einer Kriegsgefangenenhulk ein Knochenmodell bauen, zeigt, ist ein gelungener und schockierender Kontrapunkt in der "Schatzkammer".
Besonders interessieren mich, als Amateur-Marinemaler, die auf dem selben Deck untergebrachten maritimen Gemälde (weitere Gemälde sind, wo sie thematisch passen, auf anderen Decks verteilt). Ich bin, obwohl es viele herrliche Gemälde zu bewundern gibt, deutlich enttäuscht - weil auch hier die kunsthistorische Einordnung allzu knapp ausfällt, und auch, weil Bildern, die zu Propagandazwecken gemalt wurden, nicht die Wirklichkeit gegenüber gestellt wird.

Wirklich erschlagend ist die Fülle der Exponate in der Abteilung "Die große Welt der kleinen Schiffe" - der Schiffsminiaturensammlung. Es gibt hier einige interessante Dioramen, die ich lieber in sinnvollen Zusammenhängen gesehen hätte - etwa die Dioramen der Seeschlachten Nelsons bei den Briefen Nelsons und Original-Exponaten, Gemälden und Modellen aus dieser Zeit, oder die Hafen-Dioramen auf dem Handelsschifffahrts-Deck. Aber hauptsächlich besteht dieses Deck aus verglasten Regalen mit tausenden Schiffsminiaturen: 36000 Wasserlinienmodelle im Maßstab 1:1250. Auf diesem Deck hatte ich nicht den Eindruck, in einem Museum zu sein - "Weniger ist mehr" gilt auf diesem Deck in ganz besonderem Maße. Es hätte sich hier, wie schon bei der Ordens-, Uniform und Handwaffensammlung, angeboten, einen großen Teil der Exponate in ein abgetrenntes Schaudepot zu stellen - für Besucher mit speziellem Interesse.
Zum Museum gehört ferner eine imponierende Bibliothek mit 120000 Bänden und 50000 originalen Schiffsbauplänen - etwas für die Experten.

Mein Fazit: Das konzeptionell bessere Schifffahrtsmuseum ist, alles im allem, immer noch das in Bremerhaven. Das gilt trotz der Fülle großartiger Exponate im IMMH, trotz der gelungenen Ausstellung auf den Decks 1, 2, 3 und dem herausragenden Meeresforschungs-Deck 7. Allerdings ließe sich das leicht ändern - wobei man sich hüten möge, etwa auf dem "Kriegsmarine-Deck" ins andere Extrem zu verfallen und Antikriegspädagogik mit erhobenem Zeigefinger zu betreiben.
friedmöve (Gast) - 12. Jul, 15:24

Deine Formulierung "ins andere Extrem zu verfallen und Antikriegspädagogik mit erhobenem Zeigefinger" zu verfallen, bedeutet für mich, daß in der Kriegsabteilung des Tamm-Museums "das andere Extrem" zu finden ist, nämlich Kriegspropaganda. Du hast aber nach eigenen Angaben nur ein "gemischtes Gefühl" bei dieser Kriegsgeräteschau. Das und manches mehr an deinem Beitrag lässt mich daran zweifeln, ob du das Tamm-Museum mit wirklich mit der nötigen kritischen Distanz siehst.
Dass sich in der Tamm'schen Sammlung auch viele wertvolle Stücke finden, bestreite ich gar nicht. Was stört, ist der große Anteil von Militaria und die nicht unwesentlichen Ausstellungstücke aus der faschistischen Militär- und Zerstörungsmaschinerie. Der berechtigten Forderung nach einer kritischen Präsentation ist, wie du ja selbst einräumst, höchst unzureichend entsprochen worden.
Das Verhältnis des Tamm-Museums zur deutschen Kolonialzeit, zum Kaiserreich und eben auch zur NS-Zeit ist nicht akzeptabel.

Zu wünschen wäre dagegen ein Museum, das endlich einmal den Marinemilitarismus kritisch dokumentiert, das über Zusammenhänge und Interessen aufklärt! Dort könnte gezeigt werden, wie die Öffentlichkeit mit der Flottenpropaganda systematisch getäuscht wurde, welche gigantischen Summen für die Aufrüstung zur See sinnlos verschwendet wurden und werden
und wer die Nutznießer und wer die Leidtragenden von Rüstung und Krieg waren und sind! Bei diesem ernsten Thema kann der hinweisend Zeigefinger nicht groß genug sein!
Erst wenn die Kriegsmarine-Abteilung entsprechend umgebaut ist, könnte man, wenn auch angesichts der anderswo fehlenden Millionen Steuergelder, die in das Tamm-Museum gebuttert wurden, mit flauem Gefühl, überhaupt an einem Besuch dieses Museums denken. Vorher gibt es nur eins: Boykott und Fortsetzung des öffentlichen Protestes!

MMarheinecke - 13. Jul, 16:35

"Erhobener Zeigefinger"

bezieht sich auf die Methode, nicht die Inhalte.
(Zur Erläuterung: die derzeitige Ausstellung auf den beiden "Marine-Decks" ist sehr sparsam kommentiert und drückt sich m. E. um eindeutige Stellungnahmen - anders als andere Themenbereiche des Museums. Das "andere Extrem" wäre eine Ausstellung, in der (spärliche) Exponate nur die Texttafeln illustrieren, und in der die Botschaft sozusagen mit Holzhammer unters Publikum gebracht wird. Auch jetzt kann man dem Museum nicht ernsthaft den Vorwurf der "Kriegspropanda" machen.)

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