Seefahrtsmuseum - Eröffnung mit viel Tamm-Tamm?

Nach mehrfacher Verzögerung wird es heute eröffnet: das Internationale Maritime Museum Hamburg im historischen Kaispeicher B (und genau auf dem 10. Längengrad östlich von Greenwich).
Website des Museums: Internationales Maritimes Museum

Pressemeldungen zum Museum:
Hamburger Abendblatt: Jetzt hat Deutschlands größte Hafenstadt endlich ein Schifffahrtsmuseum
Hamburger Morgenpost:Tamm Tamm um Schiffe und viel meer
taz nord: Zehn Stockwerke Seefahrt.
SZ: Maritimes Museum Hamburg - Distanzlos
SpOn: Kreuzfahrtluxus und Sklavenschiffe
FAZ: Peter Tamms Torpedoboot in Rechlin
Jungle World: Hakenkreuz ahoi!
NDR: Bundespräsident eröffnet Maritimes Museum
D Radio Kultur: Internationales Maritimes Museum Hamburg öffnet heute seine Pforten

Ein Museum, das sich durchaus sehen lassen kann: es zeigt auf zehn Stockwerken (stilgerecht "Decks" genannt) und 12 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche 500 000 Exponate aus 3000 Jahren Seefahrtsgeschichte, darunter Schiffmodelle aus Bernstein, Silber und Gold, Originalbriefe legendärer Seehelden, tausende historische Gemälde (die größte Sammlung maritimer Kunst weltweit), Geräte, Waffen, Boote, Modelle, Dioramen - und Kuriositäten wie Piratenflaggen und Piratenschädel.
Dazu noch am vermutlich besten Standort, den man sich für ein Seefahrtsmuseum überhaupt denken kann: mitten im Hafen, dennoch mitten in der Innenstadt, in einem mächtigen neugotischen Kaispeicher, der selbst ein Stück Seefahrtsgeschichte ist. Eine perfekte Ergänzung zu den ganz in der Nähe liegenden Museumsschiffen "Cap San Diego" und "Rickmer Rickmers", und auch zum Museumshafen Övelgönne und zu den bestehenden Museen mit Seefahrtsabteilungen (vor allem dem Altonaer Museum, dem Museum für Hamburgische Geschichte und dem Museum der Arbeit). Eine Touristenattraktion ersten Ranges.

Kaispeicher B
Der Kaispeicher B in der Hamburger Speicherstadt
Foto: Bernd Sterzl pixelio

Also alles bestens? Ein großer Tag für Hamburg? Nicht unbedingt, denn das Museumsprojekt ist schon seit Jahren heftig umstritten.
Unter anderem deshalb umstritten, weil fast alle Exponate aus der Sammlung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Axel-Springer-Verlags AG, Peter Tamm, stammen. Seine Sammlung gilt als weltweit größte private Sammlung zur Schifffahrts- und Marinegeschichte. Peter Tamm, der wegen seines "Marine-Ticks" im Springer-Verlag unter dem Spitznamen "der Admiral" bekannt war, kann man mit einigem Recht als strammen Konservativen bezeichnen. Kritisiert wird, dass Tamm bei seiner Sammlung eine Vorliebe für Militaria hat - womit nicht nur Kriegsschiffsmodelle, alte Schiffskanonen oder Ähnliches gemeint sind, sondern z. B. auch Orden, Ehrenzeichen, Paradeuniformen - auch aus der Zeit der Nazi-Wehrmacht, weshalb dieser Teil der Sammlung auch "die größte öffentlich zugängliche Ansammlung von Hakenkreuzen Hamburgs" genannt wurde. Kritiker werfen deshalb der Sammlung eine zu große Fokussierung auf militärische Aspekte der Seefahrt und insbesondere einen zu unkritischen Umgang mit Fragen der NS-Zeit vor.
Vor allem linke und pazifistische Gruppen befürchteten deshalb, im Kaispeicher B könnte ein kriegsverherrlichendes Seekriegs-Museum entstehen.
Dass links und rechts des Haupteingangs Schiffskanonen stehen, zerstreut diesen Verdacht nicht gerade. Es sind übrigens Vorderlader-Kanonen der HMS "Foudroyant", dem Flaggschiff des britischen Admiral Horatio Nelson in der Schlacht von Abukir.

Auf noch schärfere Kritik stößt die ungewöhnlich großzügige Finanzierung durch die Stadt. Zwar stellt Peter Tamm als Eigentümer dem Museum die Ausstellungsstücke unentgeltlich zur Verfügung, aber die Renovierung und der Umbau des Kaispeichers kosteten 30 Millionen Euro, die vollständig aus öffentlichen Mittel stammte, hinzu kommen Erschließungskosten von 5 Millionen Euro. Man kann einwenden, dass das wichtige Industriedenkmal ohnehin erhalten und für eine sinnvolle Nutzung umgebaut werden musste. Schwer einzusehen ist jedoch, warum die Tamm-Stiftung, die das Museum betreibt, das Gebäude für 99 Jahre in mietfreier Erbpacht erhält. Der Hamburgische Kunstverein, ebenfalls eine gemeinnützige kulturelle Stiftung, residiert zwar in auch einem öffentlichen Gebäude, muss dafür aber ganz normal Miete zahlen. Die Zuschüsse für die Stiftung stehen im Gegensatz zu den allgemeinen Kürzungen in der Hamburger Kulturförderung. Der böse Verdacht der Klüngelei steht nach wie vor im Raum - etwa: "Der Hamburger Senat kommt einem ehemaligen Vorstandsmitglied eines in Hamburg marktbeherrschenden Zeitungsverlags entgegen, dessen Zeitungen auffällig unkritisch über die Politik des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust und seinem Senat berichten." Hinzu kommt, dass die für den Beschluss zuständige Senatorin Dana Horáková Peter Tamm aus jener Zeit gut kannte, als sie beim Axel-Springer-Verlag als Journalistin arbeitete und Tamm dort Vorstandsvorsitzender war.

Deshalb ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass zur Eröffnung nicht nur Bundespräsident Köhler kommt, sondern auch eine Gegendemo - bzw. eine Mahnwache - stattfindet.
Maritimes Museum öffnet - LINKE protestiert
Die LINKE, LV Hamburg: Mahnwache anlässlich der Eröffnung des "Internationalen Maritimen Museums"

Die Abgeordnete der LINKEN Christine Schneider, findet deutliche Worte: "Das Museum ist geprägt von einer Sammelwut und das verbindet sich mit einer bestimmten Ideologie". Der Überlebenskampf in einem Orkan werde in eine Reihe gestellt mit dem Seekrieg, wodurch dem Seekrieg ebenfalls der Charakter einer Naturgewalt zugesprochen würde.
Sie räumt allerdings, nach einem Vorab-Besuch des Museums, ein: "Hätte man eine kritische geschichtliche Aufarbeitung gemacht, hätte das ein großartiges Museum werden können".
Kanone der Standard-klein
Foto: Bernd Sterzl pixelio

Den Kritikpunkt, dass "noch ein Seefahrtsmuseum" überflüssig sei, konnte ich von Anfang an nicht nachvollziehen. Eine Konkurrenz zum Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven besteht für das fachlich interessierte Publikum nicht, da die Museen unterschiedliche Schwerpunkte haben. Was "einfache Sightseeing-Touristen" und vor allem Tagesausflügler angeht, liegen Bremerhaven und Hamburg zu weit voneinander entfernt, um sich "ins Gehege" zu kommen. Ernster nehme ich schon das Argument, dass die großzügige Förderung des Internationalen Maritimen Museums zulasten der bestehenden Museen geht - oder allgemeiner gesagt, ob die Steuergelder nicht an anderer Stelle besser angelegt wären.

Die Baumaßnahmen am Kaispeicher B wären wahrscheinlich ohnehin im Rahmen des Ausbaus der "Hafencity" erfolgt, vielleicht in etwas bescheidenerem Rahmen, aber das ist m. E. nicht das Problem. Für problematisch halte ich dagegen die 99-jährige mietfreie Erbpacht für die Stiftung Tamm.

Zu Peter Tamms Sammlung: Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, große Teile der Sammlung, die bisher in einer (völlig überfüllten und vollgestopften) Villa in Blankense untergebracht waren, anzusehen. Es stimmt, sie ist militarialastig. Ich habe tatsächlich den Eindruck gewonnen, dass "Admiral" Tamm vom Seekrieg überaus fasziniert ist und eine Art "Seeheldenkult" betreibt, der leider auch Seeoffiziere der Kriegsmarine Nazideutschlands einschließt - der Marschallstab von Großadmiral Karl Dönitz ist das wahrscheinlich umstrittenste Objekt der Sammlung.
Allerdings machte die Sammlung wirklich nicht den Eindruck, dass sie von einem "strammen Nationalisten" zusammengestellt worden wäre. Tamms größtes Idol ist unübersehbar der britische Admiral Nelson, und ich habe eher den Eindruck, dass es ihm relativ egal ist, für welche Nation ein Seemann oder ein bestimmtes Kriegsschiff kämpfte. Auch sonst ist die Sammlung betont international ausgerichtet.
Es stimmt auch, dass die Sammlung sehr stark von der "Sammelwut" Tamms geprägt ist, was bei der maritimen Kunst besonders auffällt. Nach dem, was ich sah, würde ich die Bilder grob in drei Kategorien aufteilen: 1. Bilder von großem künstlerischen Wert, oft von berühmten Marinemalern (etwa dem holländischen Barockkünstler Willem van der Velde), 2. Bilder von kulturhistorischem Wert oder solche, die interessante Zeitdokumente sind, z. B. Kapitänsbilder - und 3. Bilder, denen ich bestenfalls dekorativen Wert zubilligen möchte. Tamm sammelte offensichtlich nicht mit dem Blick eines Kunstkenners, sondern nach dem Prinzip: "Ist ein Schiff drauf und gefällt es mir, kauf ich das Bild." (Ich hoffe sehr, dass fachkundige Kuratoren ohne Rücksicht auf Tamms Geschmack darüber entscheiden werden, welche Bilder gezeigt werden und welche besser im Magazin bleiben.) In milderer Form gibt es dieses Problem auch bei den Schiffsmodelle.
Trotzdem: Obwohl ich nicht alles sehen konnte, denke ich, dass die Sammlung Tamm zu den weltweit bedeutendsten ihrer Art gehört - und unbedingt der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Das müsste nicht unbedingt in Hamburg sein - es hat auch aus anderen Städten, z. B. aus Rostock, Kiel oder London Angebote für sein Museumsprojekt gegeben. Damals, als ich die Sammlung besichtigte, fand ich die Idee, die "Sammlung Tamm" in einem erweiterten Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven unterzubringen, reizvoll - bis mir klar wurde, dass der erforderliche Ergänzungsbau deutlich größer sein müsste, als das vorhandene Museumsgebäude.

Was die Präsentation der Sammlung im Museum angeht, teile ich die Sorgen der Museumskritiker, hier entstünde ein Seekriegsmuseum, nicht - oder besser: nicht mehr. Tamm hat keinen direkten Einfluss auf die Ausstellung. Hingegen gibt es einen wissenschaftlich anerkannten Beirat, der bei der Konzeption der Ausstellungen hilft, "böse Schnitzer" (und tammsche Geschmacksentgleisungen) zu vermeiden. Für die konzeptionelle Planung des Internationalen Maritimen Museums sind Hermann Schäfer, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte in Bonn, sein Ausstellungsleiter Jürgen Reiche sowie Holger von Neuhoff, der die erfolgreiche "Titanic"-Schau in der Speicherstadt gestaltete, verantwortlich.
Ich vermute, dass auch die kritische Auseinandersetzung mit der Sammlung Tamms positive Folgen hatte. Deck fünf, Thema: "Marinen der Welt (von 1815 bis heute)", in dem die Kriegsschiffe gezeigt werden, nennen die Ausstellungsmacher dann auch ironisch den "bösen Boden". Auch Deck vier: "Leben auf Marineschiffen, Schiffsbewaffnung" dürfte eine Herausforderung für das Fingerspitzengefühl der Austellungsgestalter sein. Nach Vorab-Berichten werden die "Militaria" betont sachlich präsentiert. Ob das und einige Texttafeln ausreichen, jeden "kriegsverherrlichenden" Eindruck zu neutralisieren, wage ich zu bezweifeln. Allerdings ist das Konzept der Ausstellung nicht in Stein gemeißelt; die von Christine Schneider vermisste kritische geschichtliche Aufarbeitung kann durchaus noch eingebracht werden, wenn sich genügend Stiftungsmitglieder und Besucher dafür einsetzen.
Man muss auch immer im Auge behalten, dass der "militärische Teil" die Ausstellung keineswegs dominiert - auch wenn die Schiffskanonen am Eingang einen anderen Eindruck vermitteln könnten.

Noch etwas Kritik an den Kritikern: Es sollte um die Sache gehen, nicht um die Person Peter Tamm. Er gibt, als "strammer" Konservativer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlages, enger Vertrauter Axel Springers und mutmaßlicher Militarist, ein verlockendes Feindbild ab - so verlockend, dass die Museums-Kritik, denke ich, zu sehr an der Person Peter Tamm festgemacht wird.

Ich freue mich, trotz allem, schon darauf, das Museum endlich besichtigen zu können. Ab Donnerstag ist es soweit.

Nachtrag: Jens Jessen beschreibt seine Eindrücke von der fertigen Ausstellung: Das umstrittene Schifffahrtsmuseum in Hamburg. Sein Hauptkritikpunkt ist, dass bei der Gestaltung der Ausstellung der Schauwert allzu oft über die historische Didaktik siegte. Kriegsverherrlichend ist sie offensichtlich nicht:
Die Kargheit des museumspädagogischen Konzepts ist die einzige Angriffsfläche, die das Marinekapitel der Ausstellung den Kritikern bietet.
MMarheinecke - 29. Jun, 23:24

Eine Kleinigkeit am Rande ...

Es mag wie eine Erbsenzählerei wirken, aber es ist vielleicht typisch: Entgegen der Pressemeldung wurden die Kanonen nicht in der legendären Seeschlacht von Aboukir eingesetzt. Bei Aboukir war die HMS Vanguard Nelsons Flaggschiff. Die HMS Foudroyant, von der die Kanonen stammen, stieß erst später zu seinem Geschwader - sie war während der "sizilianischen Phase" sein Flaggschiff.
Außerdem ist Peter Tamms Behauptung, Nachkomme des Konvoikapitäns Martin Tamm (1680 - 1745), Kommandant der mächtigen "Wappen von Hamburg III", zu sein, fragwürdig: Martin Tamm starb wahrscheinlich unverheiratet und kinderlos.

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