Gedanken über Magie (2)

"Wir sagen und Ich meinen ist eine von den ausgesuchtesten Kränkungen" (Theodor W. Adorno, Minima Moralia)
Es mag merkwürdig anmuten, einen Beitrag über Magie mit dem Zitat eines Mannes einzuleiten, der ein ausgewiesener Gegner des magischen Denkens und des Okkultismus - heute würden wir wohl sagen: der Esoterik - war.
Weitaus gewöhnlicher, auf alle Fälle klischeegerechter, wäre es sicherlich gewesen, wenn ich ein Zitat Aleister Crowleys gewählt hätte. Über Crowley erschien ja vor kurzem ein guter und vor allem sachlicher und fairer zweiteiliger Artikel von Hans Schmid auf "telepolis": Der böseste Mann von der Welt: Aleister Crowley und die Schrecken der Magie. Schmid entlarvt viele Klischees über den Magier, Literaten und Exentriker, aber vernachlässigt meines Erachtens einen wichtigen Punkt: Crowley war ein begnadeter Hochstapler. Dass er sich falsche Titel zulegte und unhaltbare Behauptungen über sich in die Welt setzte, geht zwar aus dem Artikel hervor, nicht aber, wie Crowley sich selbst inszenierte und wie er Anhänger und Gegner aufs Glatteis führte.

Bei allen Hochstapeleien, Betrügereien und Lügen Crowleys fällt allerdings auf, dass er vor einer Form der Wahrheitsverdrehung zurückschreckte: Vor der "ausgesuchten Kränkung", "wir" zu sagen und "ich" zu meinen, die Adorno erwähnt. Auf seine Art und Weise war Crowley, so manipulativ er auch war, "anständig".

Wobei es einen erheblichen Unterschied macht, welches "wir" sich jemand, der dabei "ich" denkt, gerade gemeint ist: Maßt sich derjenige an, für eine Gruppe zu sprechen, oder, was schlimmer ist, schafft er künstlich einen "Wir"-Begriff, in den er sein Publikum einbezieht? Für letzteres, eine klassischer demogogischer Kniff, sind viele Schlagzeilen der "Bild" (und vergleichbarer Medien) ein gutes Beispiel, man kann "wir", "ganz Deutschland", "alle", "der Bürger" usw. mühelos durch "die Bild-Redaktion" ersetzen. Misstrauen ist dringend geboten, wenn ein Politiker von "wir" spricht und dabei sein Publikum einbezieht.

Zurück zu Crowley: Crowley war ein "Poser", jemand, der "dick auftrug", auf "dicke Hose machte", sich übertrieben selbst in Szene setzte, provozierte: Schein und Sein stimmen nicht überein.
Aber: Hinter seiner "großen Klappe" war etwas, und zwar nicht wenig: umfangreiches Wissen, schriftstellerisches Talent und vor allem der Spaß daran, Dinge einfach auszuprobieren. War er ein Magier? Ja. Allerdings darf man nicht fälschlicherweise "magisch" mit "übernatürlich" gleichsetzen.

Darüber, was ich unter "Magie" verstehe, habe ich in Gedanken über Magie (1) etwas geschrieben.
Eine gute Definition, was Magie wirklich ist, stammt von Dion Fortune:
Magie ist die Wissenschaft und Kunst, das Bewusstsein willkürlich zu Verändern.
Magie ist mehr als die Anwendung einiger "Psycho-Techniken" - und schon gar nicht besteht sie darin, psychologische Tricks mit imponierendem esoterischem Jargon aufzubrezeln. Magie - oder "Magick", wie Crowley schrieb, um sie von den Tricks von "Zauberkünstlern" auf Partys oder Bühnenmagiern abzugrenzen - ist im wesentlichen eine Sichtweise, eine bestimmte Perspektive. Ein anderer Blick auf die Welt, ein Blick, um die Dinge nicht nur anzuschauen, sondern zu durchschauen. Wie Hermann Ritter schrieb:
Wenn Magie etwas erreichen soll, dann darf ich mir nicht überlegen, was ich beherrschen, kontrollieren, verändern, beeinflussen oder manipulieren will. Es geht im ersten Schritt nur darum, etwas anders zu sehen, etwas wirklich zu sehen, etwas ganz zu sehen.
(Hermann Ritter "Naturspiritualität heute". Lüchow-Verlag, 2006)

Diese "andere Sichtweise" ist nicht mit dem magischen Denken im psychologischen Sinne zu verwechseln. Ein klassisches Beispiel für "magisches Denken" in diesem Sinne äußert sich in dem Kind, das sich dadurch zu verstecken glaubt, dass es die Hände vor die Augen hält. Diese Art magisches Denken findet sich erstaunlich oft in der Politik und besonders ausgeprägt bei den größten Feinden der Magie, den Fundamentalisten.
Das entscheidende Merkmal des Fundamentalismus, mit dem sich dieser von anderen Formen des Fanatismus und des ideologischen Denkens abgrenzen lässt, ist der feste Glaube an die buchstäbliche Unfehlbarkeit der jeweilige "heiligen Schrift" und die unbeirrbare Gewissheit, dass die "heilige Schrift" keinen Irrtum enthalten könne. Dabei kann die "heilige Schrift" durchaus eine "weltlichen" Schrift oder Überlieferung sein - es gibt durchaus marxistische Fundamentalisten. Was es hingegen nicht gibt, sind Aufklärungsfundamentalisten - auch der Begriff eines "fundamentalistischen Darwinisten" ist falsch, ein streitbarer Darwin-Anhänger kann allenfalls dogmatisch sein (das ist so, weil Darwin ausdrücklich eine Theorie gemäß dem seinerzeitigem Wissensstand beschrieb - und keine "endgültige Wahrheit"). Fundamentalisten kennen genau zwei Arten, die Welt zu sehen, eine "richtige" (die ihre) und eine "falsche" (aller, die die Dinge anders sehen als sie). Dieses streng dualistisches Konzept, in dem die wenigen "Guten" im Kampf gegen die Schlechten, das "Böse" (Andersgläubige, Andersdenkende) stehen, ist nicht nur hochgradig anfällig für bizarre Weltverschwörungstheorien, mit denen "erklärt" wird, warum "die Bösen", die schließlich Gott (oder die Gesetze der Geschichte usw.) gegen sich hätten, immer noch so "mächtig" sind, sondern auch für "magische" Erklärungsmuster, etwa in dem Sinne, dass "sündiger Lebenswandel" oder schon "falsche Gedanken", allein durch ihre Existenz "das Böse" - das religöse Fundamentalisten oft als "der Teufel" personalisieren - stärken. Fundamentalistisches Denken steht sowohl der historisch-kritischen, wie der mythischen wie auch der allegorischen Auffassung "heiliger Schriften" entgegen.

Mythen sind aber der "Schlüssel zur Magie". Ein Magier versteht es, willentlich mythisch oder kritisch-rational denken, fühlen, wahrnehmen zu können. Für einen Magier gibt es unzählige Möglichkeiten, die Dinge zu sehen. Ein modernes Beispiel dafür, die Welt quasi magisch zu sehen, ist die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik - wobei vermutlich zahlreiche Physiker empört bestreiten werden, "Magier" zu sein. Es ist auch kein Zufall, dass Bruchstücke der Quantenphysik in den "esoterischen Jargon" Eingang gefunden haben - leider meistens ohne deren Bedeutung wirklich zu verstehen, und oft genug ins "magische Denken" (im Sinne des kindlichen Wunschdenkens) abgleitend. Allzu viele Esoteriker meditieren sich ganz entspannt am Leben vorbei, Ziel eines Magiers sollte sein, gut geerdet im Leben zu stehen.

Ein schönes Beispiel für die "magische Sicht" der Welt gibt Andreas Stadelmann mit seiner Visionsuche.
Herrmann Ritter (Gast) - 22. Jan, 18:39

Danke

Freut mich, dass jemand mein Buch gelesen hat & zitiert.
Hermann Ritter

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