Aufklärungsfundamentalismus?

Eines der absurdesten Argumente im absurden "Kulturkampf" um ein paar Mohammed-Karrikaturen ist der Vorwurf eines "Aufklärungsfundamentalismus".

Was wäre, wenn wir "Aufklärer" wirklich so reagieren würden, als wären die "Werte der Aufklärung" ein "heiliges" religiöses Dogma?
"Aufklärer", die so denken, die Kritik gegenüber nicht offen und zur Selbstkritik nicht fähig sind, sind schlich und definitionsgemäß gar keine! Selbst wenn sie sich bei passender Gelegenheit auf die "Werte der Aufklärung" berufen.

Man vergesse nicht, dass das, was wir Aufklärung nennen, anderen vielleicht Verfinsterung scheint.
Adolph Freiherr Knigge: "Über den Umgang mit Menschen"

Eine sehr schöne Glosse zum Thema gibt es in der TAZ:
Was nun, ferner Bärtiger?

Und was ist mit dem viel zitierten, angeblichen "Kampf der Kulturen"?
Da zitiere ich doch mal die FAZ:
Du bist Mohammed
Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen” ist eine intellektuelle Kippfigur: Wenn man ihn einmal im Sinn hat, deutet man alle Ereignisse nach diesem Muster. Huntington selbst ist ja, wie er unlängst im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bewies, stets dazu bereit, auch die Unpünktlichkeit mexikanischer Handwerker zu einem zivilisatorischen Graben von säkularer Dimension umzudeuten.
Es geht Vieles: um Macht, um Einfluß, um Profite, um gekränkte Eitelkeiten (auch "Prestige" genannt und gern mit "Ehre" verwechselt), um Korruption - ja, und um Auflagenhöhen und Profilierungen auf dem Medien. Damit fing die Sache ja an, mit einer "rechten" dänischen Zeitung, die sich in einer innerdänischen Auseinandersetzung ihr "Minderheitenkritisches" bzw. "dänisch-nationales" Profil zu schärfen. Und ins Rollen kam die selbst in Dänemark weitgehend unbeachtet Affäre erst vier Monate später, als ein profilierungssüchtiger, aber unter dänischen Moslems ob seiner reaktionärer Ansichten weitgehend isolierter Iman sich zum "Sprecher der Moslems in Dänemark" aufspielte und seinen "großen Bruder" in Ägypten rief - wobei er außer den "echten" JP-Karrikaturen auch einige Fakes und vor allem jede Menge Horrorgeschichten über das böse rassistische "Kreuzfahrerland" Dänemark im Reisegepäck hatte.

Es ist nicht zu übersehen, dass der Aufruhr kräftigt angeheizt wird. Und zwar von verschiedenen Seiten, jeweils aus eigenem Interesse. Die Machthaber in den islamischen Ländern, weil äußere Feinde immer gut sind, um von inneren Mißständen abzulenken, Journalisten, die auf spektakuläre Bilder aus sind, Islamisten, um mehr Anhänger zu gewinnen, dänische Politiker, die der "Dansk Folkeparti" nicht die Wähler am "rechten Rand" überlassen wollen,
Spindoktoren überall, die den Krieg der Kulturen herbeireden, usw..

Es sei auch daran erinnert, dass die "Fronten" im mutwilligen herbeiinszenierten "Kampf der Kulturen" etwas anders verlaufen, als es uns manche "Hüter der Werte des Abendlandes" weismachen wollen:
Der gegenwärtige Skandal kommt einigen zensurwilligen Politikern in Deutschland (aber auch in anderen westlichen Ländern) sehr gelegen. Seit vielen Jahren schon versuchen Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Rückenwind der Kirchen, den sog. „Gotteslästerungsparagraphen“ 166 des Strafgesetzbuches zu verschärfen. Zwar scheiterten bislang noch sämtliche christlichen Versuche, die „freche Kritik an der Religion“ gänzlich zu verbieten, aber dank der tätigen Unterstützung islamischer Fundamentalisten könnte dieser Anschlag auf die bürgerlichen Freiheiten in absehbarer Zeit nun doch gelingen. (Hieran erkennt man übrigens, dass die entscheidenden Fronten im „Kampf der Kulturen“ nicht zwischen islamischer und christlicher Welt verlaufen, sondern zwischen den „Vertretern von Humanismus und Aufklärung“ einerseits und den diversen „Feinden der offenen Gesellschaft“ andererseits!)
Zitat aus: GBS-Petition zur Verteidigung der Meinungs-, Kunst-, und Pressefreiheit

Sehr lesenswert sind Svens Ansichten und Einsichten in seinem Blog: Streit der Kulturen? Blödsinn!

Nachtrag: sz: Jyllands-Posten
Publizistischer Begleitschutz
Das Blatt, das den Karrikaturen-Streit ausgelöst hat, hilft der rechten dänischen Regierung indem sie deren ausländerfeindliche Ansichten unterstützt.
Sehr gute und faire Darstellung des innerdänischen Hintergrundes, ohne den es nie zur Karrikaturenaffäre gekommen wäre.

Nachtrag, 11.2.: Kaum zu glauben, aber wahr: Eine ägyptische Zeitung druckte schon am 17. Oktober (im Ramadan!) 6 Mohammed-Karikturen aus "Jyllands Posten" ab - eine davon sogar auf der Titelseite. Es gab keine Proteste. Quelle (mit eingescannten Zeitungsseiten): Egyptian Newspaper Pictures that Published Cartoons 5 months ago

Von wegen "spontane Empörung"! Von wegen "Kampf der Kulturen"!

Die Glosse ist ein toller Lese-Tipp. Sie bringt auch den menschlichen Aspekt zurück in die teils so abstrakten, abgehobenen Diskussionen.

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